Servus Hanna 
Hallo Herbert,
die gleichen Gedanken habe auch ich mir schon öfters gemacht,
ich möchte sie jetzt ein wenig mit Dir teilen…
Zunächst machen wir uns eine Tasse Tee, da redet sichs
leichter 
Fein, mit 42 Zuckerstücken
?
Also, ich hab mir Gedanken gemacht über die alten Leute, deren
Partner bereits verstorben ist. Jeder Mann, jede Frau (naja,
es werden wohl mehr alte Frauen sein als Männer) kocht täglich
ein Süppchen für sich, deckt den Tisch für eine Person,
löffelt einsam in sich hinein und wäscht dann alleine wieder
ab…
Wie wäre es, wenn sich immer vier Leute zusammentun würden,
und jeder ist einmal dran zum Kochen. Dann wird nicht mehr
eine halbe Zwiebel gehackt, sondern zwei ganze, und für den
Reis nimmt man dann den größeren Topf, aber mehr Arbeit ist es
ja nicht. Dann kommen die anderen drei (man könnte ja auch
miteinander kochen, fällt mir gerade ein!) und sie können beim
Essen plaudern, und das Geschirr ist auch im Nu wieder
abgewaschen.
Diesen Traum hab ich schon vor Jahren geträumt…
Aber unsere Gesellschaft fördert die Individualisierung und
damit auch die Abgrenzung von anderen, was zur Vereinsamung
führt.
Oja, man muß ja besser sein als der/die andere. Das beginnt schon in der Schule und wird am Arbeitsplatz fortgesetzt. Besser als der andere sein, vielleicht früher befördert werden, mehr Geld bekommen. ‚Mein Auto, mein Haus, mein Swimmingpool, meine Yacht…‘ Die Werbung suggeriert uns diese Werte. Und in der Freizeit? Da ist keine Zeit mehr für Freundschaften, allenfalls für Gutwetterfreundschaften, und so mancher beginnt zu rechnen – was hat mir dieser oder jener Freund ‚gebracht‘?
Und im Alter, wenn vielen Leuten der Sinn des Lebens, die Arbeit, genommen worden ist, haben sie verlernt Freunde zu finden.
Wie man verhindern hätte können, dass dieser Mann stirbt - ich
weiß es nicht. Fehlen die sozialen Räume, die Freundschaften,
in denen man sich „aufgefangen“ fühlt, wenn man fällt? Kann
man solche Freundschaften von oben her einrichten? Hmmm…
Nein, sicher nicht…
Aber man könnte ein Umfeld schaffen, das solche sozialen
Strukturen fördert oder wenigstens begünstigt.
Ich denke, daß das versucht werden kann und es ist auch schon des öfteren versucht worden. (Ich denke da unter anderem an die Häuser der Begegnung). Leider hatten die Ideen immer entscheidende Fehler. Veranstaltungen fanden zu selten statt und waren zu sehr durchorganisiert. Ich glaube aber, daß es ein großes Bedürfnis danach gibt.
Da gab es einmal einen Politiker, der wollte das
Zusammengehörigkeitsgefühl unter der heimischen Bevölkerung
stärken und errichtete Wohnblöcke, die einen gemeinsamen
Innenhof hatten.
Wir leben in so einem Block, Du kennst ihn.
Außenrum Wohnhäuser, innen Grünfläche. Die spielenden Kinder,
die Wäsche aufhängenden Hausfrauen, die jungen Mütter an der
Sandkiste, die Senioren am Bankerl sollten sich kennenlernen,
Freundschaften schließen und einen starken Zusammenhalt
finden. Dieser Politiker hatte was gegen Ausländer, und er
wusste, dass er für seine ausländerfeindlichen Ziele die
passende Einstellung der breiten Masse brauchte - und die
versuchte er mit dieser Methode des Wohnbaus zu erreichen.
Das ist interessant, wer war dieser Politiker? Du meinst doch nicht…
Wenn Du glaubst, die Politik ansprechen zu müssen, fällt mir
der Ostblock ein.
Vom Hörensagen (Schulunterricht) weiß ich, dass in der DDR
jedes Kind bereits im Schulalter entsprechend seinen
Begabungen in Vereine gesteckt wurde. Mit den
unterschiedlichsten Verpflichtungen (Partei, Sport, Musik etc)
wurde die Freizeit der Kinder, ja sogar die der Erwachsenen
restlos verplant.
Sowas willst Du nun berechtigter Weise nicht.
Nein, wirklich nicht. Da verstehe ich Reiko nur allzu gut
Kein Zwang!
Reicht es, Vereine anzubieten, wo jeder Mitglied werden kann?
Offensichtlich nicht! Denn dieser Arbeitskollege und Freund
hätte die Möglichkeit gehabt, Fußball zu spielen, im Chor zu
singen, Briefmarken zu tauschen oder Asphaltstock zu schießen.
Hätte glaub‘ ich nicht gereicht. Meine Exfrau hat ihm meine Telefonnummer gegeben, ich hab gesagt, er könne mich jederzeit gerne anrufen. Heute mache ich mir Vorwürfe, daß ich ihn nicht angerufen habe.
Wenn ich nun auf Deine Idee mit dem Helfen eingehe:
Ja, das ist eine gute Idee. Helfen hilft der eigenen Seele.
Das kann man in jedem größeren Ort ehrenamtlich beim Roten
Kreuz und beim Samariterbund.
Oja, ich hab bei einem kleinen Verein ‚Hilfe für die Vergessenen‘ mitgemacht. Es hat sicher über 100 solcher Vereine gegeben, die Jugoslawienhilfe organisiert, und gesammelte Kleidung und Nahrung in Privatautos bis Lastwagen direkt zu der hungernden und frierenden Bevölkerung gebracht haben. Immerhin, alle paar Monate haben wir es geschafft, einen LKW voll zu bekommen und ihn hinunterzuschaffen. Profitiert hat auch ein Obdachloser, der im Büro der Lagerhalle gewohnt hat. Danach hat er es geschafft, sich eine kleine Wohnung zu finanzieren. Ich hoffe, er hat sie noch. Außerdem durften sich Unterstandslose Kleidung nehmen. Dafür haben sie freiwillig die Lagerhalle sauber gehalten.
Aber das hat auch nichts genützt, denn er hat diese
Möglichkeit ja nicht in Anspruch genommen.
Leider
Was ich mir in diesem Zusammenhang schon oft gedacht habe,
war, dass ein Arbeitsloser sein Arbeitslosengeld NICHT OHNE
GEGENLEISTUNG bekommen soll.
Damit meine ich: Wer seinen Arbeitsplatz verliert, wird,
sobald er sich am Arbeitsamt gemeldet hat, Staatsangestellter
und muss 20 Stunden die Woche in der Altenpflege oder sonstwo
arbeiten (als ich vor langer Zeit diese Idee hatte, dachte ich
mehr an den Umweltschutz, in den letzten Jahren aber immer
mehr an die Altenpflege), damit er sein Arbeitslosengeld
kriegt.
Hmm, jetzt sind wir voll in der Politik… Arbeitslosengeld ist ja eine Versicherungsleistung. Ich war auch arbeitslos, und hätte gerne etwas sinnvolles gemacht. Auf der anderen Seite weiß ich, daß Arbeitssuche in einen Fulltimejob ausufern kann. Und, was machen wir, wenn es nicht genug Jobs in der Altenpflege usw. gibt? Das bedingt auch, daß das AMS für jeden Arbeitslosen den passenden Halbzeitsjob finden MUSS. Wenn das funktioniert ist es sicher ein Vorteil, aber was, wenn nicht? (Ich hab mich bemüht, nicht die Argumentation der SPÖ zu verwenden)
Gewiss ist das „ungerecht“ - aber wie willst Du zum einen die
Verzweiflung eines Arbeitslosen, der Bier trinkend vor der
Glotze hängt und jeden Tag depressiver wird, eindämmen?
Und
wie willst Du sonst die Altenpflege, die bald unfinanzierbar
sein wird, sicherstellen?
Ich würde folgendes vorschlagen: Für Leistungen gibt es eine Aufbesserung zum Arbeitslosengeld, und vielleicht die Chance in diesem Beruf einzusteigen. Natürlich gibt es da auch Nachteile: Dadurch rationalisiert man echte Arbeitsplätze weg.
Darf man in einem Sozialstaat ungerecht sein? Ich meine, ja.
Ich meine, nein. Gut, das Leben ist ungerecht, aber Ungerechtigkeiten darf sich der Rechtsstaat nicht erlauben. (Ich war jetzt nicht ganz fair, indem ich den Satz aus dem Zusammenhang genommen habe) Wenn es z. B. 1 Job für 3 Arbeitslose gibt und Nr. 1 den Job ablehnt und dadurch weniger bekommen würde, Nr. 2 den Job nimmt und Nr. 3 keinen Job angeboten bekommt (und dadurch auch keine finanziellen Einbußen hat, wäre das ungerecht. Und, nicht jeder ist z. B. für Altenpflege geeignet.
Ist ja doch das ganze Versicherungswesen ungerecht. Die einen
zahlen hauptsächlich, die anderen konsumieren hauptsächlich.
Das ist das Wesen der Versicherung. Bei den meisten Versicherungen zahlt man ja in der Hoffnung, daß der Schadensfall nie passiert.
Natürlich sehe ich den Unterschied: Die Arbeitslosenversicherung ist ja nicht freiwillig und es gibt Menschen, die sie ausnützen, und es gibt Menschen die das Geld dringend nötig hätten und ihr ganzes Leben nicht arbeitslos waren.
Die Realität heute ist aber eine andere: In immer mehr Branchen werden die Jobs immer kurzlebiger. Menschen, die noch nie arbeitslos waren, werden immer weniger. Auch wenn sie jetzt im Moment in vielen Branchen wieder schneller einen Job finden.
Und jetzt zu etwas tagespolitischem: Unser Kanzler fordert ja, daß alle Menschen bis 65 arbeiten sollen. Ich bin im großen und ganzen einverstanden, wenn, ja, wenn es Arbeit für ältere Menschen gibt. Für viele Firmen gibt es ein Alterslimit beim Eintritt: 50, ja 40 oder gar 35 Jahre. Für viele 50jährige ist es schwer, wenn nicht gar unmöglich Arbeit zu finden. Da müßte man zuerst was ändern, bevor man solche Vorstöße macht.
Und man wird keinem Arbeitslosen mehr so leicht
Sozialschmarotzerei vorwerfen. Du weißt doch sicher, dass viel
Arbeit abgelehnt wird, weil man nur um 2.000 Schilling mehr
als die Arbeitslose kriegt. Diese Leute sagen: „Für 2.000 mehr
im Monat muss ich 40 Stunden pro Woche mehr arbeiten als bis
jetzt???“ Nach meiner Version sind es dann nur noch 20 Stunden
mehr, und wenn die Altenpflege anstrengend ist, wird auch ein
anderer Job leichter akzeptiert *fg*
Ich glaube, da gibt es in anderen Ländern gute Modelle: Man muß Jobs annehmen, auch wenn sie einen angegebenen Prozentsatz unter dem des letzten Gehalts liegen. Ist man länger arbeitslos, dann vergrößert sich der Prozentsatz. An alle, die bis hierhin gelesen haben, ist das in Deutschland auch so?
So, das war wieder ein bisschen viel…
Diese ganzen Sachen hab ich schon vor langer Zeit mit Harald
durchgesprochen. Es lässt sich wahrscheinlich nicht
durchsetzen, weil eine Partei, die solche Ansinnen hat, nicht
mehr gewählt würde…
Und jetzt sind wir wieder am Anfang:
Wie hätte dem armen Mann geholfen werden können?
Ja, jetzt sind wir wieder am Anfang. Vielleicht hätte es ihm wirklich geholfen, wenn er sinnvolles tun hätte können, dürfen, müssen? Wenn man ihm gezeigt hat, daß man sich nicht nach dem Job definiert, daß es ganz andere Werte im Leben gibt? Freundschaften? Ich weiß es nicht.
Servus, und liebe Grüße
Herbert