Nackte Statuen

Hallo,
eigentlich sind das jetzt ja zwei Fragen, aber ich packe sie gleich in einen Beitrag, wenn’s erlaubt ist. :wink: Denn es handelt sich in beiden Fällen um nackte Statuen.

Also, kann mir eigentlich jemand sagen, wieso so viele diverse Statuen in diversen Schlossparks, bei Brunnen und auch anderswo so oft nackt dargestellt sind? Ich hab mich das schon des öfteren gefragt, bin aber noch auf keine halbwegs logische Erklärung gekommen.
Ich meine, so wohlgeformte Statuen schauen ja sehr schön aus, aber ich hab mich schon des öfteren gefragt, wieso sie so oft nackt sind? Zuwenig ‚Baumaterial‘ um sie anzuziehen? :wink: Nein, das war jetzt natürlich net ernst gemeint, aber eine logische Erklärung ist mir wie gesagt noch nicht eingefallen.
Oder hat das mit irgendeinem Nacktkult von seinerseits zu tun? (Hm, gab’s sowas damals in der Art überhaupt?)

Und die zweite Frage:
Was hat es eigentlich mit den nackten urinierenden Männerstatuen bei Brunnen auf sich? Sie könnten doch auch einfach so dastehen, ohne dass ihnen Wasser aus dem Penis sprudelt. Ich mein, was hat das zu bedeuten, dass man sie in sehr, sehr vielen Fällen immer pinkelnd darstellt? Ein Urinierkult? :wink:(Scherzchen). Oder hat es gar nichts zu bedeuten? *grübel*

Und rein interessehalber (und das hat nun wirklich nichts mit Extremfeminismus zu tun, nur damit das ja niemand falsch auffasst) :wink:) Wieso gibt’s eigentlich keine solchen weiblichen Statuen? (oder gibt’s die doch? Na ja, mir zumindest sind noch keine solchen untergekommen, dabei hab ich wirklich schon massenweise solcher Statuen gesehen. Aber eben noch keine weibliche.(oder war die Darstellung von pinkelnden Frauen seinerzeit so verpönt oder was?) Aber immerhin haben sie schließlich die gleichen ‚Fähigkeiten‘, nur eben keinen Penis. :wink:(wow, DIE große Erleuchtung, aber das ist ja auch nicht ganz ernst gemeint. :wink: Die Frage aber schon, auch wenn sich vielleicht jemand denkt, ich spinn, dass ich solche Fragen überhaupt stelle.
Oder die Erklärung ist sooooo logisch, dass sie direkt vor mir steht, ich aber auf der Leitung, und komm einfach nicht drauf.

Vielleicht kann mich ja jemand von euch aufklären? Und möglicherweise habe ich dann auch sogar das große ‚Aha-Hab’s-mir-doch-fast-gedacht-Erlebnis‘. Ist ja oft so, dass man über etwas rätselt, dann erfährt man die Antwort und man denkt sich, wieso bin ich da nicht von selbst draufgekommen.

Ich hoffe, jemand kann mir meine Fragen ernst beantworten.

Liebe Grüße
Nastassja.

Hallo Nastassja,

eine extrem umfangreiche Frage!

um diese Frage „vernünftig“ zu beantworten, kann ich Dir eigentlich nur raten, Dich zunächst mit der Mythologie und dem Kunstverständnis der Antike, besonders des klassischen Griechenlands zu beschäftigen.

Hier und stark verknappt nur soviel: für die Griechen der Antike galt der nackte Körper (für Götter und Helden) als Idealzustand.

Ein Gott hatte nackt zu sein. Punkt.
Ein Held hatte nackt zu sein. Punkt.

Nun sind seit Odysseus, Perikles und Aristoteles natürlich zwei- und mehrtausend Jahre vergangen. Zwischenzeitlich, im Mittelalter, war nackt unanständig. Aus verschiedenen Gründen, religiösen, wie einem tatsächlichen Klimawandel. Nach dem Jahr 1000 wurde es deutlich kälter in Europa.
Schau Dir an, was Walter von der Vogelweide trug, schau Dir an, was Thomas Morus trug. Dass der Minnesänger mehr oder weniger nur ein langes Hemd trug und der Gelehrte einen dicken Mantel plus Mütze lag nur nicht an der Mode.
Gleichzeitig mit dem kalten Klima versank auch das Wissen um die Götter der Antike und ihre Darstellung. Die christliche Kirche unterdrückte alles Gedankengut, dass sich nicht mit dem Glauben vereinbaren ließ, wie ihn die Theologen damals verstanden.
Also keine antiken Götter mehr und keine nackten Statuen.

Ungefähr um das Jahr 1500 besann man sich dank verstärkten Handels und Gedankenaustauschs mit dem Orient jedoch wieder auf Gedankengut, das die Pause in Europa nicht überlebt hatte. Erst nach der Rückübersetzung antiker Texte aus dem arabischen Sprachraum ins Griechische und Lateinische der europäischen Gelehrten fingen die Statuen in zunächst italienischen Palästen wieder an, nackt zu sein.

Google mal unter „Renaissance“. Seitdem ist es in europäischen Fürstenhöfen Mode, in Parks wieder antike Götter aufzustellen, die - natürlich - nackt dargestellt werden.

Deine Zusatzfrage, die der „wasserlassenden“ Statuen - für weibliche Statuen sind es übrigens die Milchdrüsen der Brüste - lässt sich auf dem Umweg über die Sitten- bzw. Sexualgeschichte ebenso schlüssig erklären, wie die der nackten Statuen ansich.

Nur ist das ein derart umfangreiches Thema, dass ich es hiermit belasse. ich müsste mich nämlich sonst ersthaft an die Arbeit machen, um Dir die kulturgeschichtlichen Verweise (Buchtitel, Aufsatztitel) bibliographieren. Das kostet Zeit, die ich hier für ein Forum nicht opfern mag, wenn ich ehrlich bin.

viele grüße
Geli

Danke Geli,
da hab ich nebenbei auch was gelernt, ohne gefragt zu haben.
Gruß
Eckard

Eine schöne fundierte an Antwort, Geli!
Aber einen Einwand möchte ich doch machen.

Schau Dir an, was Walter von der Vogelweide trug, schau Dir
an, was Thomas Morus trug. Dass der Minnesänger mehr oder
weniger nur ein langes Hemd trug und der Gelehrte einen dicken
Mantel plus Mütze lag nur nicht an der Mode.

Du kennst bestimmt Walthers Gedichte:
„Uns hat der winter geschat überall“,
oder „All diu werlt, ich han min lehen“: Er dankt dem Kaiser dafür, dass er deshalb nicht mehr den „hornunc an den zehen“ fürchten muss (obwohl er da sicher mehr als nur „ein langes Hemd“ trug).
Und nicht zu vergessen: die Pelzrockquittung, die ihm der Passauer Bischof ausstellte.
Auf den Manesse-Bildchen sitzen die Herrschaften im buntesten Sommer.
Kann man daraus schließen, dass es keinen Winter gab?
Schönen Gruß!
Hannes

Hallo,
eigentlich sind das jetzt ja zwei Fragen, aber ich packe sie
gleich in einen Beitrag, wenn’s erlaubt ist. :wink: Denn es
handelt sich in beiden Fällen um nackte Statuen.

Also, kann mir eigentlich jemand sagen, wieso so viele diverse
Statuen in diversen Schlossparks, bei Brunnen und auch
anderswo so oft nackt dargestellt sind? Ich hab mich das schon
des öfteren gefragt, bin aber noch auf keine halbwegs logische
Erklärung gekommen.
Ich meine, so wohlgeformte Statuen schauen ja sehr schön aus,
aber ich hab mich schon des öfteren gefragt, wieso sie so oft
nackt sind? Zuwenig ‚Baumaterial‘ um sie anzuziehen? :wink: Nein,
das war jetzt natürlich net ernst gemeint, aber eine logische
Erklärung ist mir wie gesagt noch nicht eingefallen.
Oder hat das mit irgendeinem Nacktkult von seinerseits zu tun?
(Hm, gab’s sowas damals in der Art überhaupt?)

Hallo Nastassja,

Du hast hier ja schon eine sehr gute und ausführliche Antwort bekommen, daher nur ein kleiner Scherz. Zum Lustwandeln eignet sich halt am besten ein Park mit vielen lauschigen Plätzchen und nackten Figuren, wohl weil es so schön antörnt!

Zu den Pinklern: Ein pinkelnder Penis bietet sich glaubhaft an um einen Strahl in ein Becken zu lassen. Dazu aber eine Frauengestalt zu nehmen, stehend oder in der Hocke? Also, ich weiß nicht…! Alternativ könnte der Strahl auch aus dem Mund kommen, aber so ästhetisch und appetitlich ist das auch nicht, es sei denn es handelt sich um das Maul eines Drachens.

Wolfgang D.

Und die zweite Frage:
Was hat es eigentlich mit den nackten urinierenden
Männerstatuen bei Brunnen auf sich? Sie könnten doch auch
einfach so dastehen, ohne dass ihnen Wasser aus dem Penis
sprudelt. Ich mein, was hat das zu bedeuten, dass man sie in
sehr, sehr vielen Fällen immer pinkelnd darstellt? Ein
Urinierkult? :wink:(Scherzchen). Oder hat es gar nichts zu
bedeuten? *grübel*

Und rein interessehalber (und das hat nun wirklich nichts mit
Extremfeminismus zu tun, nur damit das ja niemand falsch
auffasst) :wink:) Wieso gibt’s eigentlich keine solchen
weiblichen Statuen? (oder gibt’s die doch? Na ja, mir
zumindest sind noch keine solchen untergekommen, dabei hab ich
wirklich schon massenweise solcher Statuen gesehen. Aber eben
noch keine weibliche.(oder war die Darstellung von pinkelnden
Frauen seinerzeit so verpönt oder was?) Aber immerhin haben
sie schließlich die gleichen ‚Fähigkeiten‘, nur eben keinen
Penis. :wink:(wow, DIE große Erleuchtung, aber das ist ja auch
nicht ganz ernst gemeint. :wink: Die Frage aber schon, auch wenn
sich vielleicht jemand denkt, ich spinn, dass ich solche
Fragen überhaupt stelle.
Oder die Erklärung ist sooooo logisch, dass sie direkt vor mir
steht, ich aber auf der Leitung, und komm einfach nicht drauf.

Vielleicht kann mich ja jemand von euch aufklären? Und
möglicherweise habe ich dann auch sogar das große
‚Aha-Hab’s-mir-doch-fast-gedacht-Erlebnis‘. Ist ja oft so,
dass man über etwas rätselt, dann erfährt man die Antwort und
man denkt sich, wieso bin ich da nicht von selbst
draufgekommen.

Ich hoffe, jemand kann mir meine Fragen ernst beantworten.

Liebe Grüße
Nastassja.

Hallo Natassja,

zu deiner zweiten Frage zu urinierenden Figuren: Hier gilt als weltberühmter Klassiker das Manneken Pis in Brüssel, das jetzt auch eine hockende „Schwester“ hat:
http://wapedia.mobi/de/Janneken_Pis Mädchen
http://de.wikipedia.org/wiki/Manneken_Pis Junge

Zur Nacktheit in der Kunstgeschichte, Frage 1, ist grundsätzlich zu sagen: Nacktheit ist Symbol oder Allegorie, d. h. sie steht für eine über das Offensichtliche hinausgehende Aussage. Die kann je nach Epoche und Gesellschaft unterschiedlich sein (siehe Geli):
(kindliche) Unbekümmertheit, Unverdorbenheit, Unschuld, Wahrheit, Reinheit, Schönheit, Göttlichkeit, Sportlichkeit, Gesundheit, Kraft …
oder eben auch: Barbarentum, Hemmungslosigkeit, Sittenverfall, Obszönität.
Vertiefende Details aus der Kulturgeschichte mit Bildbeispielen findest du hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Nacktheit

Freundliche Grüße
rotmarder

Hi Nastassia,

kunsthistorische Hinweise hast Du ja nun schon bekommen.

Ich möchte Dir als praktizierende Bildhauerin antworten, die auch nur „nackte“ Menschen modelliert (hatte allerdings mal ne Phase, wo ich die Figuren bekleidet habe).

Für mich ist es die „reine“ Form des Menschens in seiner Unschuld, seiner Blöße, seiner Haltung, die nicht durch Kleidung ablenkt oder verdeckt. Die Körperlichkeit in seiner völligen Ungeschütztheit, deren Haltung und Gestik aber unendliche Geschichten erzählt. Manche Kollegen streben den „Idealkörper“ an (nach griechischem Vorbild womöglich, vielleicht aber auch, weil bei ihnen die „Schönheit“, das Ideal im Vordergrund steht). Ich selbst habe den Körper in all seiner Vielfalt vor Augen. Das geht hin bis zu dem, was manche Menschen als hässlich oder gar abstoßend empfinden mögen. Als großen Malerkollegen habe ich da Lucian Freud vor Augen, der ein ähnliches Menschenbild wiedergibt. Und gerade in ihrer „Hässlichkeit“ erwecken diese abgebildeten Figuren so etwas wie Vertrauen und Zärtlichkeit im Auge des Betrachters, etwas, was ich sehr schön finde.

Zu den pinkelnden Brunnenfiguren mag ich nur sagen, dass Ironie oder Spaß glücklicherweise auch vor der Kunst nicht halt machen und ist es nicht schön, so einen gepinkelten Wasserbogen zu sehen? Und der gelingt nun mal besser mit einer männlichen Figur, als mit einem Weib in der Hocke, das da in das Becken bieselt.

Gruß,

Anja

Hallo an euch Alle, die mir hier geantwortet haben, (der Einfachkeit halber rede ich nicht jeden separat an, und hoffe, das wird nicht als unfreundlich aufgefasst. :wink:)

Mit so vielen Antworten hab ich ehrlich gesagt, gar net gerechnet.
Darum hab ich mich auch sehr über die zahlreichen Links und Ausführungen gefreut! Danke dafür!
Gestern (bevor ich eure Antworten gelesen habe), habe ich noch die Idee aufgebracht, dass Nacktheit - ganz simpel ausgedrückt - einfach ‚zeitlos‘ ist. :wink:

Und kurz noch was zu den Statuen:
Ich hab die pinkelnden (egal ob in weitem Strahl oder grade runter) Statuen immer gern angesehen. Na ja, weils halt irgendwie amüsant auch ist. :wink: Statuen beim Urinieren zuzusehen. :wink:
Hm ja, ihr habt natürlich Recht, bei weiblichen Statuen würd’s wohl etwas gewöhnungsbedürftig ausschauen. :wink:
Aber es wär mal was Neues. Vielleicht tut sich da sogar eine Marktlücke auf. Nein, Scherzchen. :wink: Bei männlichen Statuen sieht das eindeutig besser aus. :wink:

Jedenfalls vielen Dank an euch nochmal für die zahlreichen Links, durch die ich mich in den nächsten Tagen durchlesen will. (Bin eh schon so neugierig.)
Ich hab mir jedenfalls - ehrlich gesagt - nicht gedacht, (und das ist mir jetzt sogar ein bissi peinlich) dass das ein derart umfangreiches Thema ist.

Danke nochmals für eure Hilfe, und liebe Grüße
(aus dem schönen) Graz

Nastassja.

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