Nationalsozialismus

Liebe/-r Experte/-in,
als Konzeptkünstler und Doktorand arbeite ich derzeit an einem Projekt, das sich mit der grotesken Legende einer deutschen Geheimbasis in der Antarktis beschäftigt. Im Internet finden sich zahllose verschwörungstheoretische und oft rechts-esoterische Spekulationen über eine so genannte „Basis 211“ in Neuschwabenland - einem Bereich der Antarktis, der tatsächlich 1939 von einer deutschen Expedition in Besitz genommen wurde. Diese Basis soll nach dem Zweiten Weltkrieg zum Zufluchtsort einer NS-Absetzbewegung und Nazi-Hochtechnologie geworden sein. Bei Interesse, liefere ich gerne ein paar Links - sehr unterhaltsam wenngleich haarstreubend.
Ich möchte nun dieses Szenario in einer Ausstellung einmal durchspielen: Planung einer solchen Basis, Besiedlung, Aufgabe. Nun habe ich versucht herauszufinden, welche NS Behörde ein solches Projekt wohl betreut hätte. Was wäre da die plausibelste Adresse? Die Marine hat laut Mythos eine wichtige Rolle beim Transport gespielt (Dönitz war also informiert) aber welche Stelle / welches Ministerium hätte den Aufbau einer (geheimen) Auslandsbasis vermutlich initiiert und koordiniert?
Vielen Dank im voraus für eine Einschätzung und herzliche Grüße,
Jörg

Hallo Jörg,

mir fällt dazu nur das Himmler’sche SS-Ahnenerbe ein. Die haben
ja überall „arische“ Wurzeln gewittert. Im Himalaya; warum nicht
auch in der Arktis? Hier würde ich so ein Szenario ansiedeln. Ansonsten alle militärischen Verbände? Ebenso
auch SS WVHA und RSHA.
NS-Akten findest du im Bundesarchiv, genauso wie kompetente
Beratung. Außerdem würde ich in den National Archives, USA,
suchen und im britischen Nationalarchiv suchen. In den USA gibt’s
noch ein Militärarchiv, wo Geheimdienstakten liegen. Den
entsprechenden Quellennachweis habe ich mal in den Fußnoten bei
Henke, Die amerikanische Besatzung Deutschlands gefunden.
Hast du dich auch mit der sog. Alpenfestung und Festung Nord
beschäftigt? Zumindest letzteres ebenso Chimäre, aber es gibt
ernsthafte Literatur darüber.
Schick mir gerne was wenn die Ausstellung eröffnet wird.

Viel Erfolg,
W.

Hallo Wendeline,
herzlichen Dank für diese superschnelle Antwort. An das Ahnenerbe habe ich auch schon gedacht und es kommt auch oft im Neuschwabenland-Mythos vor. „Meine Version“ pickt aber einen weniger mystischen Aspekt heraus und spezialisiert sich auf die Idee, dass ab 1940 eine kleine Basis für wissenschaftliche Experimente erbaut wurde und ab Ende 1943 ihre Umnutzung und ihr Ausbau als Zuflucht der NS Elite für den Fall des Verlusts des Krieges erfolgte. An das RSHA dachte ich auch schon. Derzeit überlege ich auch, ob die Geheimdienste dazu fähig gewesen sein könnten.
Ich hoffe, die Archive haben Schriftstücke online (bis zur Zeit in Wien)…Briefköpfe zu sehen wäre sehr interessant.
Vielen Dank nochmals! Die Ausstellung ist für nächstes Jahr geplant. Ich hoffe, meine Bewerbung kommt durch. Wenn ja, melde ich mich.
Herzliche Grüße,
Jörg

Werter Jörg,

ich kann keinerlei sittlichen Nutzwert am „Durchspielen“ einer solchen Möglichkeit erkennen.
Deshalb werd ich mich an diesem Projekt nicht beteiligen.

Jürgen Plewka

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Lieber Jürgen,
was ist denn der „sittliche Nutzwert“ von Kunst?
Herzliche Grüße,
Jörg

Lieber Jürgen,
was ist denn der „sittliche Nutzwert“ von Kunst?
Herzliche Grüße,
Jörg

Werter Jörg,

dein projekt hab ich mir als historiker angeguckt und es als virtuelle geschichtsschreibung interpretiert.
die hat - wenn sie gut ist - eine aufklärerische funktion, weil sie in der zuspitzung einer entwicklung dinge verdeutlichen kann oder - wenn sie plausibilitätskriterien erfüllt - zeigt, dass alternative entwicklungen möglich gewesen wären, der geschichtsverlauf also prinzipiell offen ist.

in einem kunstprojekt musst du dich natürlich nicht der frage nach der funktion dessen, was du künstlerst, stellen.

kunst hat ja bekanntlich keine funktion - oder?
nazi kunst bzw. kunst zu nazi hirngespinsten erst recht nicht.

frohes schaffen wünscht jp

Lieber Jürgen,
vielen Dank für Deine Erklärung.
Ich denke, der entscheidende Punkt liegt in der Akzentuierung meines Projekts. Dem was Du über „virtuelle Geschichtsschreibung“ sagst, kann ich nur zustimmen. Ein sehr interessantes Feld. Ich bin mir der Gefahr, dass meine Arbeit als eine solche - aber mit „braunen Vorzeichen“ - missverstanden werden kann, sehr wohl bewusst und werde dem durch eine so absurde Zuspitzung begegnen, dass die Verwechslungsgefahr minimiert wird. Es wird sich um eine (ästhetisch und inhaltlich) pseudo-historische Ausstellung handeln, die ihre Besucher von Fakten über - faktisch existierende - Verschwörungstheorien zu einer für jeden offensichtlichen Groteske führt. Was das sein wird, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten aber es wird nicht minder absurd sein wie die Behauptung, Hitler sei am Südpol durch einen Schneeballwurf gestorben.
Der Fokus meines Projekts liegt also nicht bei einer Erörterung von alternativen historischen Abläufen sondern bei der Frage, wie lange ein Leser/Ausstellungsbesucher einer immer absurder werdenden Theorie Glauben schenkt, sofern Sie mit einer entsprechenden Rhetorik (hier: historisch-museale Präsentation) dargeboten wird. Interessanter Weise arbeiten nämlich manche (Nazi-)verschwörungstheoretiker mit ähnlichen Mitteln. Es geht hier also vor allem und eine Diskrepanz zwischen Form und Inhalt.

Ich denke, Kunst hat sogar eine ganze Menge Funktionen. In meiner Dissertation etwa beschäftige ich mich mit der Frage, in wiefern die Vorstellung vieler Künstler realistisch ist, ihr Publikum zu einem Neusehen der Welt, zu produktivem Denken, anzuregen.

Herzliche Grüße,
Jörg