Nazi-Ideologie über Politik?

Hallo. Ich habe mich mal gefragt, ob die extrem antisemitische Ideologie des Nationalsozialismus nicht sogar eher hinderlich war für seine politischen Ziele…?

Denn die gezielte Ausgrenzung einer Bevölkerungsgruppe, die Diskriminierung und anschließende Ermordung kann wohl kaum in der gesamten deutsche Bevölkerung auf Begeisterung gestoßen sein. Lief das Nazi-Regime nicht sogar Gefahr, die Unterstützung im Volk zu verlieren?

Ich habe mir dazu gedacht, dass ja allein schon der Aufstieg der NSDAP und ihre wachsende Wählerzahl bis 1933 dafür sprach, dass antisemitische Vorurteile auch in der Bevölkerung vorhanden waren.
Und als es dann an die „gezielte Ermordung“ ging, waren die meisten schon so eingelullt von dem „Wir sind die Arier“-Gemeinschafts-Gefühl oder hatten zu große Angst, selbst Opfer der Mord-Maschinerie zu werden, dass kaum jemand etwas dagegen unternommen hat.

Außerdem halte ich es für einen wichtigen Punkt, dass die Nationalsozialisten in den Juden einen Sündenbock hatten, dem sie die Schuld an Kapitalismus, Kommunismus, rasanter Gesellschaftsveränderung und Krisen zu schreiben konnten, wodurch sie auch von ihren eigenen Fehlern ablenken konnte.

Was ich jetzt prinzipiell eigentlich wissen wollte: Glaubt ihr, dass ihre radikal antisemitische Einstellung für das nationalsozialistische Regime eher von Vorteil oder eher von Nachteil war?
Und aus welchen Gründen?

Vielen Dank schon einmal!
Koch20

Hallo,

ich halte die Frage für müßig. Der Antisemitismus ist grundlegender Bestandteil des Nationalsozialismus und die „Ausrottung der Juden“ ein genuines politisches Ziel - genauso verbrecherisch wie die anderen Ziele (Vernichtungskrieg, Abrichtung von Sklavenvölkern, Erringung der Weltherrschaft). Genauso könnte man fragen, ob zu Liberalismus Menschenrechte und möglichst freie Märkte gehören. Nehme ich den Antisemitismus weg, habe ich einen anderen Faschismus, aber eben keinen Nationalsozialismus mehr.

Jetzt könnte man sich natürlich fragen, ob der Antisemitismus für z.B. die Erringung der Weltherrschaft eher schädlich war. Was dann heissen würde, dass die Nazis sich widersprechende Ziele vertreten haben. Und was dann? Der Eklektizismus der Nazis ist hinlänglich untersucht; ob das Ganze dann zusammenpasst, hat nicht mal die Nazis interessiert.

Schönen Gruß

Wolfgang

Lieber Frager,

die Frage ist nicht ganz so unsinnig, wie ich auf den ersten Blick dachte.
Schließlich existierten auch in anderen Ländern faschistische Bewegungen. Die erflogreichtse von ihnen, die italienische, kam lange ohne ausgeprägte antisemitische Maßnahmen aus. Möglicherweise hätte es also auch einen deutschen Nationalsozialismus ohne Antisemitismus geben können.
Ob das von „Vorteil“ gewesen wäre?
Das Ziel dieser Frage wird mir nicht klar.
Im Hinblick auf das andere große Ziel des Nationalsozialismus - die Weltherrschaft?
Oder im Hinblick auf die Frage, ob es innenpolitisch stabiler/ genau so stabil geworden wär?

Insgesamt betrachte ich den Nationalsozialismus (dito Islamismus oder ähnliches) als eine der grundlegenden Wahlmöglichkeiten des Menschen.
Entscheide ich an einem bestimmten Punkt meines Lebens mich dafür, von der Ungleichheit der Menschen auszugehen oder der Gleichheit?
Gehe ich davon aus, dass es so etwas wie den „natürlichen Kammpf“ aller gegen aller geben muss oder dass wir als soziale Wesen zur Kooperation fähig und berufen sind.
Alles andere erwächst daraus.
Zur Ideologie der Ungleichheit gehören logischerweise minderwertige Wesen/Gruppen - das müssen dann nicht unbedingt Juden sein.
Ob es aufgrund der spezifisch deutschen Entwicklung (der Begriff „Antisemitismus“ wurde ja von einem Deutschen im Kaiserreich geprägt)unbedingt zum eliminatorischen Antisemitismus der Nazis kommen musste - wer weiß?
Von Göring ist ja der Spruch „Wer Jude ist, bestimme ich“ überliefert.
Das lässt Zweifel zu.

Gruß - Jürgen Plewka

Hallo,

vielen Dank für Deine Nachfrage.

Ich stelle immer mehr fest, dass die Verhältnisse, Lebensbedingungen und Motive von Akteuren, Tätern und Opfern immer undeutlicher werden, je mehr Zeit ins Land geht, ohne dass diese jemals wirkich allumfassend transparent waren.

Denn bestimmte Kreise sind auch nie an einer nachhaltigen Aufklärung interessiert gewesen.Dokumentationen in den Medien, auf ARTE und PHÖNIX z.B. sind meiner Meinung nach nur 50 Prozent der zu vermittelnden Thematik.

Wie unwirklich der Wahnsinn gewesen ist geht meiner Meinung nach immer noch über das hinaus, was die entsetzlichen Folgen waren.

Aber Tote handelten nicht mehr,Verstummte und Geängstigte hatten neben anderen individullen Folgeproblemen meist nicht die Kraft und Zeit die Dinge an der Basis zurechtzurücken.

Ich glaube, Deine Fragestellung geht von einer falschen Grundannahme aus:

Die Hauptakteure haben es im Prinzip dadurch geschafft große Teile der Deutschen hinter sich zu bringen, indem sie Feindbilder geschaffen haben und fragwürdige und dumme Perspektiven anboten:

Sind äußere Feinde erst mal verbal identifiziert,
stärkt dies den inneren Zusammenhalt und mobilisiert Kräfte und lenkt von den Konkurrenzproblemen unter Nachbarn,Familienmitgliedern,Berufsgruppen und Arbeitskollegen genauso wie von enttäuschten Erwartungshaltungen unter Ehepartnern ab.Künstliche Feinde schafften sozusagen eine Atempause, die in Deutschland 12 Jahre gedauert hatte, am Ende aber anders bezahlt werden mußte. Logischerweise ist dies kein substantieller Zusammenhalt.

Der Feind brauchte noch nicht mal real zu existieren.
Es reichte,dass er benannt wurde und mit irgendwelchen phantasierten Eigenschaften überzogen wurde und Gefühlsausbrüche an diese menschliche Konstruktion gehaftet wurden.

Meiner Meinung nach traf es die Juden, da stimme ich mit Dir überein, weil diese sich als Sündenböcke anboten.

Und genau das ist es: das gefährliche Irrationale. Diese Dimension steht neben den tatsächlichen unfassbaren Tatsachen genauso zur Charakterisierung und hat vielleicht etwas mit dem Thema Neid und Konkurrenz zu tun, wobei wiederum der Aspekt nicht vernachlässigt werden darf, ob der individuelle Neid durch eine reale oder nur unterstellte Besserstellung der Beneideten begründet war.

Entsprechend war und ist vielleicht immer noch in Deutschland die Fragestellung von Bedeutung, wie der Begriff „Gerechtigkeit“ gemeinhin ausgelegt wird:

„Es soll allen oder möglichst vielen gut gehen“ versus
„wenn es vielen schlecht geht, soll es allen oder möglichst vielen schlecht gehen“.

Welche politischen Ziele sollte der Nationalsozialismus gehabt haben?

Ich finde es gab gar keine. Alles, das was als Eroberungszüge,Bevölkerungspolitik und Rassenwahn mit dem Nationalsozialismus in Verbindung stand und steht, war alles andere als ein politisches Ziel, genausowenig waren die Ergebnisse der durch den Nationalsozialismus angewandten Mittel ein Ziel.

Wenn man das nicht allgemein anerkennt, wird der Nationalsozialismus nie verdaut werden, schon gar nicht im Hinblichk auf nachkommende Generationen.
Wenn man die Themen Finanzkrise, ökologische Krise und Überbevölkerung noch dazunimmt zu dieser Erblast des Nationalsozialismus, dann zeigt sich, dass nachkommende Generationen immer mehr für die Folgen der vorangehenden Generationen zahlen müssen, auch wenn dies immer weniger offensichtlich wird.

Mein Fazit für die Zukunft: Der Begriff „politisches Ziel“ ist mit dem Nationalsotialismus nicht kompatibel.

Viele Grüße

Biala

Hallo Koch20,

Antisemitismus war leider in den 30ern recht salonfähig - auch in den USA, England… aber die Ausmaße inklusive Tötungsmaschinerie, die es bei den Nazis gab, waren zumindest außenpolitisch schlechte Propaganda und wurden ja auch innenpolitisch nicht offen artikuliert. Ich denke, dass der Nationalsozialismus ohne den brutalen Antisemitimus/Rassismus niemals in solcher Weise nach einem verlorenen Krieg diskreditiert worden wäre. Vielleicht hätte Nazideutschland auch mehr Verbündete gefunden?

Wie dem auch sei, außenpolitisch war die Verfolgung der Juden aus machtpolitischen Gesichtspunkten eher kontraproduktiv. Innenpolitisch halten sich vielleicht Vorteile (Sündenbockfunktion, Einnahmen aus Arisierung usw.)und die Nachteile (verstören z.B. vieler religiöser Kreise) die Waage.

Literatur: „Kultur als Instrument der Außenpolitik totalitärer Staaten. Das Deutsche Ausland-Institut 1933-1945“ von Katja Gesche beschäftigt sich damit, wie stark machtpolitische und ideologische Aspekte in der auswärtigen Kulturpolitik der Nazis waren und zeigt, dass der Antisemitismus auch dort nur selten* aus Kalkül heruntergefahren wurde.

Grüße
RZ

* Bsp: Antisemitische Plakate 1936 vor den olympischen Spielen entfernt, Vierteljüdin im deutschen Olympiateam usw.

Das lässt sich nicht pauschal beantworten. 1933 war beispielsweise die Mehrheit der Deutschen noch gar nicht bereit, dem ersten Juden-Boykott zu folgen. Schon damals standen SA-Leute vor den Geschäften und pöbelte Käufer an. Wie schleichend sich im Laufe der Jahre die Sprache veränderte, hat Victor Klemperer beispielsweise in „LTI“ geschildert.
Wer aber später davon profitiert hat, als vom Hausrat bis zur Häuserzeile alles verkauft wurde, was Juden gehörte, muss nicht unbedingt antisemitisch gewesen sein, um sein Schnäppchen zu machen. Vorurteile gab es allerdings seit Jahrhunderten, zu empfehlen das Buch „Der gelbe Fleck“ Rosemarie Schuder/Rudolf Hirsch.
Wer wiederum Zwangsarbeiter hatte (auf Bauernhöfen üblich) und wusste, dass er nicht dauernd Nachschub bekommt, behandelte sie oft vernünftig, um die Arbeitskraft zu erhalten. Bayern behandelten Polen oft wegen des gemeinsamen katholischen Glaubens besser als evangelische Hausmädchen (nicht in Zwangsarbeit). Insgesamt ist es wohl für jeden Staat eher negativ, sich von humanistischen Werten zu verabschieden.

Viele Grüße
G. Behrendt

Hallo,

ich denke das muss man differenzieren. Zum Einen war der Antisemithismus strategisch gesehen schon ein Vorteil um an die Macht zu kommen. Wie du schon gesagt hast. Hat Hitler die Juden für die Wirtschaftskrise und die Inflation etc. verantwortlich gemacht. Damit gab es einen Feind gegen den man direkt vorgehen konnte. Somit wirkte es, als ob die Partei erfolgreich gegen die Misstände vorgegangen wäre - was natürlich Schwachsinn ist. Hätte Deutschland nicht den Krieg verloren wäre es innerhalb der nächsten paar Jahre bankrot gegangen (außgeschlossen natürlich, man hätte gewonnen! ^^ )

Wen den Bürgern aber die Tragweite und das Ausmaß der Deportation vor Augen geführt worden wäre. Denk ich auch, hätte die Partei sofort den Rückhalt verloren. Aber eben durch gezielte Einschüchterung, Informationsblockade und diesem „Rassegefühl“ ist das alles verschwomen.

Was aber wäre passiert wenn Hitler nicht versucht hätte einen ganzen Volksstamm zu vernichten? Er hätte eine deutlich höhere Streitmacht gehabt, Resourcen für die Deportation gespart und fähige Köpfe und Wissenschaftler im Land gehalten.
Aber was hätte er dann seinen Wählern gepredigt, wie er gegen die Mißstände vorgeht. Durch Wirtschaftspolitik…?!

Ich hoffe die Antwort hat dir geholfen. Falls du noch Fragen an mich hast, kannst du sie ruhig stellen.

Gruß

Peter

Hallo!

Antisemitismus gab es schon lange vor Hitler. Er hat sich bei seiner Ideologie an Gobineau und andere Sozialdarwinisten angelehnt und die Juden als Untermenschen gekennzeichnet. Der Antisem. hat sicherlich mit geholfen aus einer heterogenen Bevölkerung eine „verschworene Volksgemeinschaft“ zu machen. Allerdings haben auch weite Teile der Bevölkerung nichts über Deportationen von Juden gewusst. Bzw. erst im Laufe der Zeit.

Gruß

B.

Hallo und danke für die interessante Frage.

Nun muss man mal deinen Text erstmal etwas auseinanderpflücken, da einige Fragen und Feststellungen aufgeworfen sind. Dann kann man die eigentliche Frage besser beantworten.

In Abschnitt 1 steht die Frage „…ob die antisemitische Ideologie hinderlich für seine politischen Ziele waren…“ - Hier ist festzustellen, daß die „Ausrottung der jüdischen Rasse in Europa“ einer seiner politisches Ziele war. Demzufolge war sie auch nicht hinderlich…

Im Abschnitt 2 geht es um die Frage, ob die Unterstützung im Volke nicht verloren gehen hätte können. Nun muss man vorweg nehmen, daß es sich um ein autokratisches System handelte. Hier hat das Volk keine wirkliche Macht, sondern in diesem Fall die Partei NSDAP unter ihrem Führer Adolf Hitler. Wer dagegen war musste natürlich Repressalien fürchten. Das ist ja sogar heutzutage in unserer Demokratie mit Meinungsfreiheit so, oder? Wenn jemand heutzutage mit der Reichskriegsflagge von 1939 auf die Straße geht, kommt er in das Gefängnis. Will nur sagen, daß es dem Regime damals wie heute im Prinzip „egal“ ist, was das Volk von ihm hält. Es zieht seine Ziele durch - bis zum Ende.

In Abschnitt 3 muss man ganz klar die Situation in Deutschland vor 1933 sehen, die geschichtlich einmalig war und absolut perfekt für den Aufstieg des Führers war. Deutschland war innerlich zerissen, Unmengen von Parteien, Inflation, Arbeitslosigkeit - ein gesellschaftlicher Siedekessel sonders gleichen. Auch aussenpolitisch total beschnitten und begrenzt durch den Versailler Vertrag usw., usw. Da kam der Mann, der das deutsche Volk wieder in den Mittelpunkt stellte und Deutschland festigte, gerade recht. Was störten da antisemitische Äußerungen? Und wie Sie schon sagten, damals konnten sich die Leute keine Meinnug im Internet oder Fernseher bilden - Sie lebten fast ausschließlich von der Propaganda. Und das über 12 Jahre!(Siehe Film „Die Welle“, mit dem wirklichen Fall aus den 70ern in den USA - da geschieht das in eine paar Wochen). Wobei man sagen muss, daß damals auch die allierte Seite über die übelsten Hetzter und Deutschhasser verfügte.

Zu Abschnitt 4 stellt sich doch die Frage, ob die Nazis nicht doch teilweise vielleicht recht hatten? Den Nationalsozialimus nur am Antisemitismus festzumachen wäre völlig falsch. Er war viel mehr. Denken Sie, heute gäbe es keinen Antisemitismus mehr? Dann fragen Sie mal einen Palästinenser oder einen Iraner usw.

Letztendlich ist zu sagen, daß der Judenhass weder Vor und Nachteil war. Er war im Programm und Weltanschauung der Nazis verankert - aber nicht der Mittelpunkt der Ideologie.