Nazis Euthanasie T4 Neustadt Holstein

Guten Tag,

Meine Großmutter wurde 1934 wegen depressiver Psyche in die Anstalt Neustadt/Holstein im Alter von 27 Jahren zwangseingewiesen und sterilisiert, dann einige Jahre später von den Nazis getötet. Grundlage für die Ermordung war das Programm „T4“ im Rahmen der Euthanasie zur Reinhaltung der deutschen Rasse. Weiß jemand, wo und wie ich eine Recherche speziell für diesen Fall durchführen kann?

Vielen Dank im Voraus!

Kay Lüneburg

Hallo Kay,

Grundlage für die Ermordung war das
Programm „T4“ im Rahmen der Euthanasie zur Reinhaltung der
deutschen Rasse. Weiß jemand, wo und wie ich eine Recherche
speziell für diesen Fall durchführen kann?

Die Patienten-Akten lagerten zuerst bei der Stasi und wurden nach der Wiedervereinigung in das Bundesarchiv Berlin überführt. Dort sind sie unter der Bezeichnung Bestand „R 179“ (Kanzlei des Führers, Hauptamt II b – R 179 – „Euthanasiepatientenakten“) archiviert.
http://www.bundesarchiv.de/aufgaben_organisation/abt…
Für nächste Angehörige können sie „zur Wahrnehmung berechtigter Belange eingesehen werden“, was immer das auch heisst. Aber Du kannst ja dort mal nachfragen.
Allerdings sind viele Akten vor Kriegsende vernichtet worden.

Viele Grüße
Marvin

Hallo Kay,
hier: http://www.gedenkstaette-hadamar.de/webcom/show_arti… kann man Dir sicher weiterhelfen. Du kannst dort auch direkt einen Rechercheantrag stellen (Unterseite ‚Kontakt‘).

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo, im Landesarchiv Schleswig kannst du zu regionalen Themen etwas finden, evtl nicht direkt zur T4, aber was mit deiner Mutter passierte (Heim, Vormundschaftsregelung), die ja offenbar dann schon geboren war, könntest du dort evtl finden.
Evtl haben die auch Akten aus der Anstalt in Neustadt sichergestellt, denn Zwangssterilisation von Frauen ist ein zentrales Thema bei der Aufarbeitung des NS.

Schreib vorher eine entsprechende Anfrage an das Archiv, denn die Akten sind nicht nach Personendaten sortiert, sondern nach den entsprechenden Behörden der einzelnen Gemeinden.
Dann können die sich vorher Gedanken machen, wo etwas zu finden wäre.

Im Bundesarchiv sind dagegen Personenbezogene Krankenakten der T4 Aktion untergebracht, aber auch da ist es sinnvoll vorher eine anfrae hinzuschicken.
Was die Stasi damit zu tun haben soll ist mir schleierhaft, solang es um Westl. Gegenden geht.

Gruß die Alte

Hallo weisefrau,

Was die Stasi damit zu tun haben soll ist mir schleierhaft,
solang es um Westl. Gegenden geht.

Die Stasi hatte damit zu tun, einfach aus dem Grund, weil sie große Informationssammler waren und alles wissen wollten. Solche Akten waren für die Burschen sicher schon deshalb interessant, weil sie damit ein eventuelles Druckmittel gegen beteiligte Ärzte in der Hand hatten. Ob West oder Ost ist da erstmal uninteressant.
Hintergründe zum Thema finden sich z.B. in dem Buch von Henry Leide:
NS-Verbrecher und Staatssicherheit : die geheime Vergangenheitspolitik der DDR. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, ISBN 3-525-35018-X Buch anschauen

Viele Grüße
Marvin

Hallo, vielleicht bezog sie sich auf die Äusserung unten wegen Patientenakten, denn dass die Stasi an West-Patientenakten herankam ist wirklich ziemlich unwahrscheinlich.

Dass die DDR /Stasi sich für Naziverbrecher interessierte ist schon klar, aber hier geht es doch um ein Opfer, die vermutlich hinterher immer noch im Westen wohnten und die dürften der DDR wohl eher egal gewesen sein, sofern sie nicht durch irgendwas anderes auffällig wurden (Weihnachtspäckchen an die Verwandtschaft oder so)

Gruß Burli

Hallo burli,

Hallo, vielleicht bezog sie sich auf die Äusserung unten wegen
Patientenakten, denn dass die Stasi an West-Patientenakten
herankam ist wirklich ziemlich unwahrscheinlich.

Naja, eigentlich ist das ja für die Anfrage unwesentlich, aber da hier offenbar Mißverständnisse vorliegen nur ein paar Anmerkungen.
Erstens geht es nicht um „West-Patientenakten“, sondern um Patientenakten aus der Nazi-Zeit, Akten von Euthanasie-Opfern, die von den Ärzten damals selbst angelegt wurden. Zu der Zeit gab es „Ost“ und „West“ nur geografisch, nicht politisch :wink:
Und daß die Akten sich im Besitz der Stasi befanden, ist eine Tatsache.
http://science.orf.at/science/news/65566
Noch weiter vom Thema weg: Daß die Stasi nicht an West-Patientenakten (diesmal mit Westen tatsächlich Bundesrepublik gemeint) herangekommen wäre, wenn sie denn daran Interesse gehabt hätte, halte ich für ein Gerücht. Da sind die Burschen schon an ganz andere Unterlagen gekommen. In meiner Stasiakte z.B. habe ich zwar nicht meine Krankenakte gefunden, aber genug Details aus meiner beruflichen Laufbahn, sozusagen meine „Berufsakte“, und daß noch Jahre nach meiner Ausreise aus der DDR.

Dass die DDR /Stasi sich für Naziverbrecher interessierte ist
schon klar, aber hier geht es doch um ein Opfer, die
vermutlich hinterher immer noch im Westen wohnten und die
dürften der DDR wohl eher egal gewesen sein

Auch hier zuerst: Die Stasi hat sich für alles interessiert. Hat doch ihr Chef Mielke selbst seinen Leuten eingeschärft „Wir müssen alles erfahren! Es darf an uns nichts vorbeigehen.“
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.ht…
Aber zurück zum Thema. Keine Ahnung, wer hier was falsch versteht, aber die Opfer des Euthanasie-Programms T4 wohnten in der Regel hinterher nirgendwo, einfach schon deshalb, weil sie von den Nazis umgebracht wurden. Euthanasie war einfach ein Euphemismus für staatlich verordneten Mord an sogenannten „lebensunwerten“ Menschen.
Um alle Mißverständnisse auszuräumen, Patientenakten enthalten ja nicht nur Notizen über den Patienten, sondern ebenfalls Notizen und Unterschriften beteiligter Ärzte, und auf die kam es der Stasi an, auch wenn sie von ihren Kenntnissen erstaunlich wenig Gebrauch gemacht haben, jedenfalls nach heutigem Kenntnisstand. Auf jeden Fall war die Stasi in ihrer Informationssammelwut froh, daß diese Akten ihr, allerdings mehr zufällig, in die Hände gefallen sind. Über die genauen Umstände dieses Zufalls müsste ich erst nochmal nachlesen, aber das ist im Moment wirklich weitab vom Thema.

Viele Grüße
Marvin

Hallo nochmal, also ich habe mir jetzt nochmal den Artikel von weisefrau durchgelesen und sie schreibt dort im 1. Absatz speziell von der Klinik in Neustadt und von der MUTTER von Kay, also dem Kind der erst Sterilisierten und dann Ermordeten. Sprich dass Akten aus Neustadt in Schleswig liegen sollen, die evtl Infos für die eigene Familiengeschichte liefern. Denn sie schien schon weiterzudenken, dass neben dem Schicksal der Oma auch das der Mutter von Interesse sein könnte, wo also diese aufwuchs, ob diese auch untersucht wurde (ging ja schließlich um Erbkrankheiten), denn die Mutter schien ja überlebt zu haben, sonst gäbe es Kay ja nicht.

Solche Krankenakten wurden lange Zeit in den Klinikkellern aufgehoben, die Akte der Großmutter ging da ziemlich sicher nicht mit in die Vernichtungsanstalt (Neustadt war nur eine Zwischenstation), sondern dort wurde eine neue angelegt, die allenfalls einen Arztbrief enthielt. Die Originale Krankenakte in Neustadt dürfte aber einen Hinweis gehabt haben, dass es bereits ein Kind gab (weitere sollten ja durch die Sterilisation verhindert werden) und was mit dem Kind geschehen sollte. Neustadt war auch nach dem Krieg noch Psychiatrie und Klinikarchive sind ziemlich streng wem sie etwas an Akten aushändigen. Da müsste die Stasi schon eine Ärztin in die KLinik eingeschleust haben oder besser noch eine Archivarin.

Leider gibt es hier in SH einen Datenschutzhype in den Kliniken, so dass alle alten Krankenakten in den letzten 10 Jahren vernichtet wurden, auch solche die historisch von Interesse wären und noch schlimmer solche die medizinisch von Interesse wären (Bei Kinderpsychiatrischen Akten, obwohl diese als Erwachsene oft mit demselben oder daraus folgenden Problemen wiederkommen, auch mal 10 - 30 Jahre nach dem letzten Psychiatriebesuch - ok hier ist es nun wirklich off topic - aber es hat mich damals aufgeregt, als in der Klinik in der ich arbeitete ausgemistet wurde)

Erst im unteren Absatz spricht weisefaru speziell von der T4 Aktion, als weiteren Aspekt, dass DIE Akten im Bundesarchiv sind, das dürften diejenigen sein, die in der namengebenden Tiergartenstrasse 4 gelagert waren.

Soweit ist das doch korrekt, mag sein dass ihr nicht bekannt war, dass die über die Stasiarchive dorthin gelangten, oder dass sie nur darauf hinweisen wollte, dass in der Stasiunterlagenbehörde /bei Fr. Birthler nichts derartiges (mehr) ist, da es eben im Bundesarchiv liegt. In deinem Artikel auf den sie wohl anspricht hörst du dich an als hätte die Stasi alle alten Nazipatientenakten gesammelt und das ist definitiv falsch. Diejenigen aus den Kliniken die später in der BRD lagen kann sie kaum bekommen haben, es sei denn, sie hat dort Spione eingeschmuggelt, die sie kopierten. Diejenigen die die Stasi hatte waren jene Akten, die entweder aus Kliniken der DDR kamen oder eben zentral verwaltet wurden, wie eben die T4 Akten in Berlin.
Wie schon gesagt, die im Westen lebenden(Kind der Ermordeten und Enkel) dürften die Stasi nicht interessiert haben, zumindest nicht in dem ZUsammenhang, allenfalls neues hätte da interessiert, wie wenn sie Kontakte zu DDRlern hatten. Da interessierten sie aber auch eher die eigenen Bürger. Ebenso wie du offenbar weiter beobachtet wurdest, anchdem du ausgereist bist. Das ist doch logisch, du warst quasi eine ehemalige Geisel, die nun frei herumlief und damit eine potentielle Bedrohung.

Fakt ist, dass weisefrau sinnigerweise auf ein weiteres Archiv aufmerksam machte, das noch etwas haben könnte. Und Schleswig ist wegen der eigenen STadtgeschichte an Euthanasiegeschichte ziemlich interessiert.
Da Schleswig und Neustadt ab einem gewissen Zeitpunkt Aussenstellen der Uniklinik Kiel waren gehören die sie im Grunde zusammen. Doch in der Psychiatrie in Kiel ist definitiv nichts mehr. Die Akten der Kieler Frauenklinik, die zu einem gewissen Zeitpunkt wegen Bombenschäden nach Neustadt ausgelagert wurde, sind aber in Schleswig.
Es wäre zu klären ob die Oma über die Psychiatrische Abteilung oder direkt über die Gyn.klinik nach Neustadt kam (das würde sich aus der Art der Krankheit einschätzen lassen). Sterilisiert wurde sie dann wohl über die Gyn Abteilung, so dass in den Akten der Frauenklinik ziemlich sicher was zu finden wäre. Und wenn sie über die Psychiatrie kam, dann wäre auch in den Psychiatrieakten (eigene Klinik, eigene Akten) was gewesen, wenn es sie denn noch gäbe.

Gruß
Burli

Hallo, ähm, ich sollte öfter reinschauen wenn ich ein paar kurze Gedanken hier reinschreibe.
Ich meinte schon, dass mir schleierhaft ist, was die Stasi mit der Klinik in Neustadt zu tun haben soll, denn die lag ja nicht auf DDR-Gebiet. Und selbst wenn, so genau hat die da offenbar auch nicht hingeguckt, wenn man sich mal den Kinderarzt Ibrahim in Jena anschaut.
Der passte vermutlich ins antifaschistische Konzept, so dass man lieber nicht nachbohrte.

Mir war beim Schreiben nicht aufgefallen, dass das ein Rückgriff auf meinen initialen Gedanken war, das der Fragesteller noch mal in Schleswig anfragen sollte und es daher nicht zu meinem letzten Satz passte.

Ich hab mich noch nicht so mit der Erwachseneneuthanasie befasst. Berufsbedingt denk ich eher an die Kinder und hier gab es ja offenbar auch noch ein Kind, dass nicht direkt Opfer wurde. Das wunderte mich, denn wenn die Mutter sterilisiert wurde und dann getötet, ist es schon ein kleines Wunder, dass es dem Kind nicht auch so erging. Inzwischen hab ich mir dazu gedacht:
Vielleicht war das Kind noch zu klein oder es war ein Junge, oder beides. Denn Depressionen galten damals als typisch weibliches Leiden, noch von der alten Hysterie-Idee aus

http://books.google.de/books?id=pnwDWFUIVu0C&pg=PA34…

Das kann dann schon sein, dass ein Sohn ungeschoren davonkam.
Ansonsten hätte hier wohl der Fragesteller nicht nach seiner Oma fragen können.

Ich finde es mutig, da mehr wissen zu wollen, denn das Ergebnis kann wirklich sehr schmerzhaft werden, wenn ein persönlicher Bezug da ist.

Gruß die alte