Jaspers
Hallo Branden,
GION CONDRAU
nein, das kenne ich nämlich noch nicht, aber ich habe es gerade bestellt.
Die mühsame Betulichkeit der
„daseinsanalytischen“ und „existenzanalytischen“
Therapie-Schulen geht mir irgendwie ganz schön auf den Wecker,
wenn ich mal so sagen darf.
Ich würde es nicht so ausdrücken, meine aber zu wissen, was du meinst. In dieser Hinsicht würde mich dein Engagement für die Balintgruppe interessieren. Die ist ja - soweit ich es gelesen habe - vornehmlich gegen Übertragungen gerichtet und also ergänzend gedacht. Und da ich die Schulen Binswanger und Boss auch als Ergänzungen sehe, könnte ich mir denken, dass du sie so durchaus interpretieren könntest, weshalb mich jetzt wundert, dass du die so negativ darstellst.
Es scheint mir ein ehrenwerter, aber auch irgendwo überflüssiger (?)
Versuch, die Psychoanalyse und die Existenzphilosophie konstruktiv
zusammenzubringen.
Balint wäre ja auch überflüssig, wenn man keine Übertragungen fürchten müsste, oder? Und bei Binswanger und Boss ist es eben die Deutung der eigenen Erlebnisse im Gesamtzusammenhang der Existenz, der ergänzend zur Standard-PA hinzutritt.
Aber das ist ja nichts Neues, wenn Leute versuchen, zwei große
Welterklärungen zu vereinen, siehe Freudomarxisten usw.
Mir geht es da weniger um Welterklärungen, weshalb mir der freudomarxistische Ansatz suspekt ist, sondern eher darum, Eigenerleben im Kontext, unter einem anderen Blickwinkel zu sehen. Biswanger und Boss sind für mich inhaltlich auch nur da interessant, wo sie über Heidegger hinausgehen, und das tun sie allemal in ihrer therapeutischen Absicht.
> sowohl FREUD … und HEIDEGGER wirklich originell und originär im
> Denken
Naja, das ist eigentlich unbestritten, wenn man einmal von hartgesottenen Positivisten und Sprachanalytikern einer gewissen Couleur absieht.
> JASPERS
> das wirklich dicke Buch PSYCHPATHOLOGIE
> Fast jeder meint, DER müßte mir doch liegen, der Jaspers, weil er
> Philosoph und Psychiater war. Aber ich finde ihn viel langweiliger,
> konventioneller und bürgerlicher als Freud oder als Heidegger
> beispielsweise. Kannst Du das nachvollziehen?
Ohne Frage. Die Allgemeine Psychopathologie ist bedeutend und ich schätze sie sehr, finde sie nur leider zu teuer, um sie mir anzuschaffen. Glücklicherweise ist sie hier in der UB vorhanden, sodass ich einfach nachschlagen kann, denn das Buch hat seit Jahren außer mir hier niemand ausgeliehen.
Aber ansonsten finde ich Jaspers eher banal, wenn man einmal von einem gewissen didaktischen Geschick in einigen Publikationen über andere Philosophen absieht. Auf der anderen Seite ist er natürlich wichtig als philosophischer Zeitzeuge gegen den Nationalsozialismus und in diesem Zusammenhang auch in Bezug auf Heidegger und dessen Rolle im Dritten Reich. Freilich würde ich auch in dieser Hinsicht (betreffend Heidegger) Jaspers Meinung nicht in jeder Form für richtig halten, aber darüber müsste man gesondert nachdenken.
Jaspers’ Wahrheitsbuch (plus Ergänzungen) habe ich vor ein paar Wochen anlässlich eines Seminars wieder einmal zur Hand genommen und finde es zwar stellenweise anregend, aber im Ganzen eher ärgerlich. Und das letzte, was ich von ihm vor kurzem gelesen habe, war seine Beurteilung der Dissertation von Hannah Arendt in der Neuauflage - zwiespältig.
Insgesamt finde ich Jaspers als Mediziner lesenswert, als Philosophen eher durchschnittlich.
Herzliche Grüße
Thomas
P. S. Per Fernleihe habe ich mir eine gewisse Dissertation über die Metapher aus dem Jahre 1984 bestellt. Sie liegt auch schon in der UB vor, ich bin nur noch nicht dazu gekommen, sie abzuholen. Die anderen vier auf der Seite des Autors angegebenen Werke sind allerdings in keiner Bibliothek vorhanden. Handelt es sich um Broschüren oder Privatdrucke?