Negative Dialektik als Leitkultur

Könnte man die negative Dialektik ab 1945 als deutsche Leitkultur sehen ?

Z.B. Alles negative bzw. inhumane bzw. hitlerische etc. anprangern und die Antwort schon wissend.

Ich denke an eine hyperkritsche Kulturbeschreibung a la Heinrich Böll…Herbert Achternbusch…

Wird dann die eigene Kultur wird durch beisende Kritik so unbeschreibbar, dass man nach Irland oder Grönland fliehen muss

Oder ist negative Dialektik eine Form von hilfloser Ironie.

Z.B. Nazis raus ! Aber wohin ?

Hi Norman

Könnte man die negative Dialektik ab 1945 als deutsche
Leitkultur sehen ?

Z.B. Alles negative bzw. inhumane bzw. hitlerische etc.
anprangern und die Antwort schon wissend.

Es gibt ja ein Buch von Adorno, welches da heißt „Negative Dialektik“.
Aber er und die Frankfurter Schule überhaupt zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie eben nicht neue fertige „bessere“ Weltbilder oder Gesellschaftsutopien oder philosophische Ideen gebracht haben, das wollten sie garnicht. Sie wollten einfach schonungslos die gegenwärtige Gesellschaft analysieren.
Gruß,
Branden

Aber er und die Frankfurter Schule überhaupt zeichnen sich ja

dadurch aus, dass sie eben nicht neue fertige „bessere“
Weltbilder oder Gesellschaftsutopien oder philosophische Ideen
gebracht haben, das wollten sie garnicht. Sie wollten einfach
schonungslos die gegenwärtige Gesellschaft analysieren.

Merci

Wie würdest du die exakte logische Haltung beschreiben. Etwa

So wie das gestrige nicht !

Ich meine das schwierige Wort ist -Gestrig- . Es meint doch dass es heute noch halbwaegs existiert und sich heute oder morgen aendern sollte.

Ist diese Haltung nicht eine typisch deutsche Ironie ?

Negative Dialektik
Hallo Branden und Norman,

Aber er und die Frankfurter Schule überhaupt zeichnen sich ja
dadurch aus, dass sie eben nicht neue fertige „bessere“
Weltbilder oder Gesellschaftsutopien oder philosophische Ideen
gebracht haben, das wollten sie garnicht. Sie wollten einfach
schonungslos die gegenwärtige Gesellschaft analysieren.

das Programm der Negativen Dialektik von Adorno wendet sich gegen den Herrschaftscharakter von Begriffen - so weit so gut, aber man kann natürlich einwenden, dass es sich hier schon um ein Programm handelt, um den Versuch, alles (!) unter dem Aspekt der Herrschaft zu denken.

Es ist schon richtig, dass es gelegentlich (!) sinnvoll ist, so zu fragen, aber es fehlen (bei Adorno) die Kriterien, die dafür sorgen, dass dieser Ansatz an der richtigen Stelle angewendet wird (und nicht an einer falschen, was ja die allseitige Anwendung einschließt). Die Berufung auf die Unmittelbarkeit der Kunst am Ende des Werkes verschärft dieses Problem nur und hebt es nicht auf.

Die Grundkritik an Adorno richtet sich also gegen die Widersprüchlichkeit des Versuchs, Kriterien für Kriterienlosigkeit aufzustellen.

Zur Frage, ob dies Konzept sich zu einer Leitkultur eignet, kann man aus meiner Sicht also durchaus verneinen. Das sie eine Leitkultur sein wollte und auch teilweise so gewirkt hat, ist unbestritten. Aber: Auch eine Dialektik der Aufklärung will selbst Aufklärung sein; insofern ist ein Rückzug ins Private eines Kunstverständnisses geradezu ein Missverständnis der eigenen Theorie und die Kultur der Kritik hier eine Gegenkultur ihrer selbst.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Norman

Wie würdest du die exakte logische Haltung beschreiben. Etwa

So wie das gestrige nicht !

Ja, so ungefähr in Kürze :wink:

Ich meine das schwierige Wort ist -Gestrig- . Es meint doch
dass es heute noch halbwaegs existiert und sich heute oder
morgen aendern sollte.

Ist diese Haltung nicht eine typisch deutsche Ironie ?

Ist sie das? Und ist sie typisch deutsch? Und ist sie ironisch zu verstehen?
Ich ahne, was Du meinst, weiß es aber nicht wirklich.
Vielleicht sagst Du noch mehr dazu.
Gruß,
Branden

Hallo Thomas
Natürlich stimme ich Deiner Kritik partiell zu: Um „L’art pour l’art“ darf es nicht gehen, sonst würde sich der honorige Versuch der Frankfurter Schule, die gesellschaftliche Gewaltenverteilung zu analysieren, ad absurdum führen.

das Programm der Negativen Dialektik von Adorno wendet sich
gegen den Herrschaftscharakter von Begriffen - so weit so gut,
aber man kann natürlich einwenden, dass es sich hier schon um
ein Programm handelt, um den Versuch, alles (!) unter dem
Aspekt der Herrschaft zu denken.

Nun ja, er wendet sich ja nicht nur gegen den Herrschaftscharakter von BEGRIFFEN, sondern letztlich ja gegen HERRSCHAFT ÜBERHAUPT. Der eminent sozialpolitische Charakter dieser Philosophenschule sollte dabei ja nicht aus dem Auge verloren werden :wink:.
Adorno selbst ist mir in seiner „verwöhntes-Einzelkind-philosophiert-hölderlinartig-im-Elfernbeinturm“- Schreibe und Denke auch manchmal zu abgehoben; vielleicht schadet er zuweilen dadurch „der Sache“, aber die soziale, soziologische, humansitische Seite der Frankfurter ist doch unverkennbar und - unumstößlich, finde ich.
Gruß, Branden

Hallo Branden,

Nun ja, er wendet sich ja nicht nur gegen den Herrschaftscharakter
BEGRIFFEN, sondern letztlich ja gegen HERRSCHAFT ÜBERHAUPT. Der
eminent sozialpolitische Charakter dieser Philosophenschule sollte
dabei ja nicht aus dem Auge verloren werden :wink:.

Herrschaft überhaupt wird nach Adorno vornehmlich über Begriffe ausgeübt, zumindest in der Philosophie, denn die Systembildung - und das ist ja der Knackpunkt der N. D. - funktioniert mit Begriffen.

aber die soziale, soziologische, humansitische Seite der Frankfurter
ist doch unverkennbar und - unumstößlich, finde ich.

Der Ansatz ist ja auch nicht falsch, er darf nur nicht verabsolutiert werden, weil er sich dann als selbstwidersprüchlich erweist. Daher kann ich ihn nicht „unumstößlich“ finden, sondern gerade nur sinnvoll in gewissen Einschränkungen.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Adorno ist eine Figur, die negative Dialektik eine
bestimmte Denkweise…man sollte sich nicht so an Adorno festhalten…

gestrig -meint doch noch nicht wirklich vorrüber und das idealistische Wort morgen kommt garnicht vor…

Ist diese Haltung nicht eine typisch deutsche Ironie ?

In diesen nur ausgesprochener Kritik liegt eine Ironie …
es verbleibt unverwirklichter Sophismus…

Wir haben in Deutschland eine ganze Sammlung von zynischer und überkritischer Autoren…Ich denke an diejenige Ironie welche
Kierkegaard von Sokrates ableitete…und Kierkegaard hat schon ein
paar Ansaetze deutsche möglicher deutscher Ironie in den -Brocken-
aufgezeigt…
Generell gesagt ist es die Praezision welche deutsche Philosophen vorgeben zu haben, die Umfangreichheit ihrer Kritik…von Feuerbach an…aber sie haben noch nicht einmal eine guten utopischen Begrifflichkeit…das ist die Ironie…eine Kritik die sich dadurch selbst verwirklichen will …indem sie durch praezis gesteigerte die Kritik des Negativen…etwas Neues heraus kitzeln will…

Aber besser könnte man sich entspannt unter einen Baum legen und sich etwas schönes Neues ausdenken. Dass aber würden doch die vielbeschaeftigen umso mehr kritisieren…

Ist sie das? Und ist sie typisch deutsch? Und ist sie ironisch
zu verstehen?
Ich ahne, was Du meinst, weiß es aber nicht wirklich.
Vielleicht sagst Du noch mehr dazu.
Gruß,
Branden

bestimmte Denkweise…man sollte sich nicht so an Adorno
festhalten…

Da sind wir (Du, Thomas Miller und ich) uns wohl sigar einig!

gestrig -meint doch noch nicht wirklich vorrüber und das
idealistische Wort morgen kommt garnicht vor…

Eben weil das Wort „morgen“ so idealistisch war, nahm man (zunmindest die Frankfurter) zunächst enmal davon Abstand und konzentrierte sich aufs „heute“. Die ganzen morgen-Utopien (z.B. Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“, welches ich SEHR kritisch betrachte - es hält kaum einer „anständigen Analyse“ stand heutzutage) haben sich ja oft genug schnell in Nebel aufgelöst.

es verbleibt unverwirklichter Sophismus…

Ich denke schon, dass die Frabkfurter Schule wirklich über Sophismus erhaben ist :wink:.

Wir haben in Deutschland eine ganze Sammlung von zynischer und
überkritischer Autoren

Das mag sein; die Frankfurter Schule gehört gewiss nicht dazu. Und ich habe den Eindruck, dass Zyniker in der Philosophie weniger werden…An wen denkst Du konkret? Sloterdijk etwa?

Aber besser könnte man sich entspannt unter einen Baum legen
und sich etwas schönes Neues ausdenken. Dass aber würden doch
die vielbeschaeftigen umso mehr kritisieren…

Bin mir da nicht so sicher. Vielleicht würdest Du damit das Herz aller Philosophen erfreuen. :wink:
Gruß,
Branden

Hallo Thomas

Herrschaft überhaupt wird nach Adorno vornehmlich über
Begriffe ausgeübt, zumindest in der Philosophie, denn die
Systembildung - und das ist ja der Knackpunkt der N. D. -
funktioniert mit Begriffen.

Ich glaube, da sind wir gar nicht weit voneinander entfernt. Mich interessiert dieses Abstrakte daran im Grunde auch sehr wenig (wie Du ja ohnehin weißt :wink:) und ich halte mich mehr an die konkrete Gesellschaftskritik der FS. Nun, Adorno starb 1969, und man merkt eben auch, dass das schon eine Weile her ist und viel Wasser die Spree, die Seine und auch den Styx *gg* runtergeflossen ist…
Marcuse ist mir eh lieber, der ist nicht so blutleer und immer schön konkret. Starb auch erst 10 Jahre später, hat also noch mehr „Gegenwart“ mitgenommen :wink:. Habernmas lebt immer noch und hat ja gerade wieder einiges gesagt respektive geschrieben zur Situation HEUTE (z.B. "Der gespaltene Westen, „Glauben und Wissen“ usw.), was mir zwar arg kopfert (theoretisch-moralisch) vorkommt beom angestrengten Lesen, aber jedenfalls zeitpolitisch relevant ist und konkrete Bezüge hat.
Ebenso herzlichen Gruß von
Branden

Marcuse
Hallo Branden,

Ich glaube, da sind wir gar nicht weit voneinander entfernt.
Mich interessiert dieses Abstrakte daran im Grunde auch sehr
wenig (wie Du ja ohnehin weißt :wink:) und ich halte mich mehr an
die konkrete Gesellschaftskritik der FS.

wir sind da nicht weit voneinander entfernt, wo es um Adorno geht. Deine Abneigung gegen „Abstraktes“ - wie du es nennst - hingegen halte ich für einen unnötigen und eigentlich auch recht gefährlichen Kunstgriff, der einem zwar das Leben (bzw. das Denken) erleichtern kann, allerdings nur um den Preis der Ungenauigkeit und im Grunde der Zufälligkeit. Denn worauf stützt sich den „konkrete Gesellschaftskritik“? Doch auf Ideale, und diese Ideale haben Gründe, warum sie Ideale sind. Und wenn man nicht in der Lage ist zu begründen, warum diese Ideale gute Ideale sind, dann ist da ein Rechtfertigungsproblem, dem man sich nur durch Konsens entziehen kann (zumindest zeitweise), das aber immer schwierig zu handhaben bleibt.

Marcuse ist mir eh lieber, der ist nicht so blutleer und immer
schön konkret.

Ich würde Marcuse auch Adorno vorziehen, aber das heißt ja nicht, dass Marcuse unproblematisch ist (höchstens weniger problematisch als Adorno *g*). Der Naturalismus, den Marcuse mitschleppt und den Habermas zu Recht an ihm kritisiert hat, ist im Grunde genommen ein Ausläufer der bei Adorno schon beschriebenen Problematik. Man kann die Vernunft nicht umgehen, indem man sie in etwas anderes einbettet, denn dadurch wird die Vernunft notwendig unvernünftig. Man muss die Vernunft reflexiv begründen. Dass das schwierig ist, weiß ich auch, aber es lässt sich eben nicht wegdiskutieren.

Die psychoanalytische Kritik an Marcuse dürfte dir ja bekannt sein. Ich gehe darauf auch nicht näher ein, weil es ein intern-psychologisches bzw. intern-psychoanalytisches Problem ist, das philosophisch nicht viel hergibt. Aber in Verbindung mit dieser Kritik steht auch die Frage, ob man wirklich alles politisieren muss. Es ist natürlich richtig, dass es Irrationales an der Rationalität gibt, aber diese Irrationalität trifft nur die Ausübung der Rationalität, nicht aber sie selbst. Allenfalls könnte man sagen, dass die Ratio an diesen Stellen an eine Grenze ihres Vermögens komme, die systemimmanent wäre, aber das scheint mir aufgrund der reflexiven Struktur nicht angemessen zu sein.

Habernmas lebt immer noch
und hat ja gerade wieder einiges gesagt respektive geschrieben
zur Situation HEUTE (z.B. "Der gespaltene Westen, „Glauben und
Wissen“ usw.), was mir zwar arg kopfert (theoretisch-moralisch)
vorkommt beom angestrengten Lesen, aber jedenfalls zeitpolitisch
relevant ist und konkrete Bezüge hat.

Du vermisst also an der Philosophie den Gegenwartsbezug? Das wundert mich sehr, denn das trifft allenfalls für die akademische Philosophie und eigentlich auch nur für Teile von ihr zu. Und die Aktualisierung gehört auch nicht zu den vorrangigen Aufgaben der akademischen Philosophie. Von einem theoretischen Physiker würdest du ja auch nicht verlangen, dass er dir deinen Herd anschließt, weil dafür Elektriker da sind. Aber ohne die Arbeit der theoretischen Physiker könnten wir hier nicht kommunizieren, weil es keine PCs gäbe, und ich bin mir nicht sicher, ob jeder theoretische Physiker die Hardware seines Computers versteht. Genauso ist es mit der Philosophie, die Theoretiker sind nicht unbedingt die besten Didaktiker und umgekehrt. Während aber die Theoretiker ohne Didaktiker gut vor sich hin leben könnten, hätten die Didaktiker ohne die Theoretiker einen schlechten Stand.

Um zu Marcuse zurückzukommen: Ohne Hegel, Husserl und Heidegger ist Marcuse nicht denkbar. Er verlegt ja lediglich die von ihm selbst zu Recht angeprangerte Eindimensionalität in den konkreten Menschen und überlässt den abstrakten Teil der Soziologie. Das ist im Grunde genommen genauso einseitig. Als eigene Leistung scheint mir das unbestreitbar, aber ich meine nicht, dass man da stehenbleiben darf.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

heute -morgen multistabile Systeme Utopie

Eben weil das Wort „morgen“ so idealistisch war, nahm man
(zunmindest die Frankfurter) zunächst enmal davon Abstand und
konzentrierte sich aufs „heute“.

„Heute“ ist sehr spontan und überheblich, finde ich …so schnell wird doch keine Arbeit fertig…
wir sagen " heute sind wir gescheitert, aber morgen machen wir weiter"

Wir haben in Deutschland eine ganze Sammlung von zynischer und
überkritischer Autoren

Das mag sein; die Frankfurter Schule gehört gewiss nicht dazu.
Und ich habe den Eindruck, dass Zyniker in der Philosophie
weniger werden…An wen denkst Du konkret? Sloterdijk etwa?

Ich denke es gibt eine ganze Generation davon, ich denke da jetzt weniger an bekannte Namen…sondern auch an Studenten in den Vorlesungsraemen…(auch an eine gewisse Satire Zeitschrift)…dazu zaehlt auch eine gewisse Anzahl von auslaendischer Studenten…ein überzeugter Marxist z.b. musste nach
Pol Pot einen gewissen Zynismus entwickeln…und zumindestens 70…80
traf man zwischen der Uni Leipzig -Prag eine spezielle Art lustiger Ironiker… inoffiziel war alles hochgradig witzig…

Utopie unter den Akazien
In den Anfangsjahren der DDR gab es einen beindruckenden idealistischen Kybernetismus… multistabile System…I loved it…
von den DDR Funktionaeren wurden die „Loops“ abgelehnt, aber nicht so unbegründet…denn sie waren gewissermassen auch Systemkritik…mir viel auf das die „Bedürfnis Rückführung“ nur stabilisiert werden konnte, wenn sich der Konsum steigert…ein zentraler Punkt…aber genau dies war höchstens morgen möglich…

Im Prinzip aber ist das die -Negative Dialektik- etwas mit dem unsere Ironiker von einen -negativen- zum anderen gut weitermachen können…Auschwitz,Pol Pot,Dafour …anyway

Hallo Thomas

Ich würde Marcuse auch Adorno vorziehen,

das freut mich, überrascht mich gleichzeitig irgendwie…Ich dachte, der wär Dir zu konkret *g*

aber das heißt ja

nicht, dass Marcuse unproblematisch ist (höchstens weniger
problematisch als Adorno *g*).

Wohl wahr *g*

Die psychoanalytische Kritik an Marcuse dürfte dir ja bekannt
sein.

Offen gestanden NICHT. Aber ich denke mal, dass ein Teil der Psychoanalytiker (und ich rechne mich dazu) Marcuse mögen, nicht zuletzt weil er ja der „psychoanalytischste“ unter den „Freudomarxisten“ der Frankfurter Schule ist.

Ich gehe darauf auch nicht näher ein, weil es ein

intern-psychologisches bzw. intern-psychoanalytisches Problem
ist, das philosophisch nicht viel hergibt.

Findest Du? Schade eigentlich :wink: Dazu hätte ich vielleicht etwas mehr beitragen können :wink:

Aber in Verbindung

mit dieser Kritik steht auch die Frage, ob man wirklich alles
politisieren muss.

„Jein“ -es ist eh alles politisch :wink:- mehr oder weniger. Aber ich denke auch nicht nur in diesen Kategorien, wie Du weißt.

Du vermisst also an der Philosophie den Gegenwartsbezug?

Sagen wir mal so: Ich freue mich zuweilen, wenn die Philosophie „herabsteigt“ und sich um die Gegenwart kümmert. :wink:

Aber ohne die Arbeit der theoretischen Physiker könnten

wir hier nicht kommunizieren, weil es keine PCs gäbe, und ich
bin mir nicht sicher, ob jeder theoretische Physiker die
Hardware seines Computers versteht. Genauso ist es mit der
Philosophie, die Theoretiker sind nicht unbedingt die besten
Didaktiker und umgekehrt. Während aber die Theoretiker ohne
Didaktiker gut vor sich hin leben könnten, hätten die
Didaktiker ohne die Theoretiker einen schlechten Stand.

Tja, mag sein. Hier im Philo-Brett musst Du Dich (und wir auch) jedenfalls mit einer ganz speziellen Mischung aus Theretikern und Laien auseinandersetzen. Manhcmal kommt es mir vor, als sei dies wahrlich nur hier in diesem Brett so extrem gemixt. Im Psychologie-Brett beispielsweise gibt es Fragen von Laien, die sind ganz klar laienhaft und Antworten von Experten. Das ist manchmal recht angenehm unkompliziert, aber manchmal auch etwas langweilig (für mich jedenfalls). Vielleicht driufte ich deshalb auch mehr in dieses Brett hier ab.

Um zu Marcuse zurückzukommen: Ohne Hegel, Husserl und
Heidegger ist Marcuse nicht denkbar.

Ich weiß. Er war ja anfangs Heidegger-Schüler. Und ich finde Heidegger auch nach wie vor spannend.
Er verlegt ja lediglich

die von ihm selbst zu Recht angeprangerte Eindimensionalität
in den konkreten Menschen und überlässt den abstrakten Teil
der Soziologie.

Naja, das ist mir etwas zu negativ bzw. zu schmal ausgelegt. Ich sehe es eher so, dass Marcuse da stellenweise durch die gesellschaftliche und politische Dimension über Heiudegger hinausgeht. Natürlich nur teilweise. Zum Teil geht auch Heidegger über Marcuse und Adorno hinaus, das ist ein weites Feld und berührt auch die „Geschmacksfrage“. Wer sich mehr offen für Mystik empfindet, wird natürlich Heidegger umso mehr schätzen. Ich bin da kein Gegner, bin höchstens ambivalent dazu.
Es grüßt Dich
Branden

Hallo Norman

„Heute“ ist sehr spontan und überheblich, finde ich …so
schnell wird doch keine Arbeit fertig…
wir sagen " heute sind wir gescheitert, aber morgen machen
wir weiter"

Das gefällt mir zum Teil sehr, wie Du das ausdrückst, zum anderen Teil wieder nicht. Klar, heute ist spontan, aber überheblich finde ich das Gegenwarts-Denken und -Empfinden nun nicht gerade.

In den Anfangsjahren der DDR gab es einen beindruckenden
idealistischen Kybernetismus… multistabile System…I
loved it…

Klingt interessant…Auch in der Medizin gab es „bio-kybernetisches“ Denken, insbesondere in den alternativen Heilmethoden und der psychosomatischen Medizin.

von den DDR Funktionaeren wurden die „Loops“ abgelehnt, aber
nicht so unbegründet…denn sie waren gewissermassen auch
Systemkritik…mir viel auf das die „Bedürfnis Rückführung“
nur stabilisiert werden konnte, wenn sich der Konsum
steigert…ein zentraler Punkt…aber genau dies war höchstens
morgen möglich…

Kompliziert…Als Gegner dieses ewigen „Wachstum-Gedankens“ bin ich da mehr bei den Grünen gewesen, die den Wahnsinn des jährlichen Wachstums als erste erkannten.

Im Prinzip aber ist das die -Negative Dialektik- etwas mit dem
unsere Ironiker von einen -negativen- zum anderen gut
weitermachen können…Auschwitz,Pol Pot,Dafour …anyway

Ist mir fremd…Versteh ich nicht so ganz…Vielleicht liegts daran, dass ich KEIN Zyniker bin und eigentlich - auch kein negativer Dialektiker. Bin oft froh darüber, durch mein Fach (Medizin) immer wieder auf das konkrete Mensch-zu-Mensch-Verhältnis zu kommen.
Es grüßt Dich
Branden

Hallo Branden,

Ich würde Marcuse auch Adorno vorziehen,

das freut mich, überrascht mich gleichzeitig irgendwie…Ich
dachte, der wär Dir zu konkret *g*

das erscheint dir nur so, weil du mich in eine Kiste steckst, von der du meinst, dass ich in die hineingehöre … :smile:

Die psychoanalytische Kritik an Marcuse dürfte dir ja bekannt
sein.

Offen gestanden NICHT. Aber ich denke mal, dass ein Teil der
Psychoanalytiker (und ich rechne mich dazu) Marcuse mögen,
nicht zuletzt weil er ja der „psychoanalytischste“ unter den
„Freudomarxisten“ der Frankfurter Schule ist.

Die Ablehnung bezieht sich vor allem auf den Pessimismus Marcuses und dessen Vernachlässigung der therapeutischen Aspekte der PA, ferner darauf das Marcuse Unbewusstes und Verdrängung nicht beachtet, sondern sofort soziologisch wendet. Ich kann dir im Moment leider keine Quelle angeben, aber so habe ich es in Erinnerung.

Hier im Philo-Brett musst Du Dich (und wir
auch) jedenfalls mit einer ganz speziellen Mischung aus
Theretikern und Laien auseinandersetzen. Manhcmal kommt es mir
vor, als sei dies wahrlich nur hier in diesem Brett so extrem
gemixt.

Das liegt daran, dass sich in der Philosophie mehr Menschen für kompetent halten als in anderen Bereichen. Und ein Grund dafür liegt darin, dass man jedem erzählt, dass ohnehin jeder philosophiere, und in der Folge hält man dann sogar das Lösen von Kreuzworträtseln für Philosophie :smile: . Dies ist übrigens auch eine Folge der Frankfurter Schule, meine ich, jedenfalls in dieser Vehemenz. Allerdings hat es das teilweise auch früher schon gegeben.

Ich sehe es eher so, dass Marcuse da stellenweise durch die
gesellschaftliche und politische Dimension über Heiudegger
hinausgeht. Natürlich nur teilweise. Zum Teil geht auch
Heidegger über Marcuse und Adorno hinaus, das ist ein weites
Feld und berührt auch die „Geschmacksfrage“.

Dass beide in gewisser Hinsicht über einander hinausgehen, kann ich noch unterschreiben, dass es sich um eine Geschmacksfrage handelt, allerdings nicht. Denn gerade das ist ja der Streitpunkt, den Adorno neu auslöste, der Rückzug der Vernunft in die Bildlichkeit, in die Kunst. Infolgedessen meinen manche, wir hätten zuviel Vernunft in der Welt, aber das Gegenteil ist der Fall.

Wer sich mehr offen für Mystik empfindet, wird natürlich Heidegger
umso mehr schätzen.

Heidegger als Mystiker zu bezeichnen, ist leider immer noch modisch, aber ich halte diese Kennzeichnung für völlig verfehlt. Lies mal die Vorlesungen zu Heraklit z. B. - mehr Begriffsarbeit gibt es kaum. Oder - vielleicht für dich interessanter - schau mal in die Zollikoner Seminare. Die Diskussionen mit Medard Boss sind alles andere als mystisch.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas

Die Ablehnung bezieht sich vor allem auf den Pessimismus
Marcuses und dessen Vernachlässigung der therapeutischen
Aspekte der PA, ferner darauf das Marcuse Unbewusstes und
Verdrängung nicht beachtet, sondern sofort soziologisch
wendet.

Das sehe ich völlig anders. Marcuse ist für mich nicht generell pessimistisch (auch wenn er FREUDs Todestrieb-Idee ernsthaft durchdenkt), sondern eigentlich der optimistischste Philosoph der FS. Zumindest der vitalste. Er macht es sich nur nicht zu leicht. Er glaubt z.B. ja auch ncht an die unbedingte Abfolge Kapitalismus-Kommunismus, wie sein schöner Spruch „Die Geschichte ist keine Versicherungsanstalt“ zeigt. Er sagte: Es kann so oder so kommen, es kann auch noch Jahrhunderte lang enen Turbo-Kaptalismus geben. Da spielen so viele Unwägbarkeitebn mit hinein. Gut, aber das wird jetzt zuviel Politik…

Hier im Philo-Brett musst Du Dich (und wir
auch) jedenfalls mit einer ganz speziellen Mischung aus
Theretikern und Laien auseinandersetzen. Manhcmal kommt es mir
vor, als sei dies wahrlich nur hier in diesem Brett so extrem
gemixt.

Das liegt daran, dass sich in der Philosophie mehr Menschen
für kompetent halten als in anderen Bereichen.

Nein, das erklär es meiner Ansicht nach nicht vollständig. Ich weiß, dass Du diesen Gedanken gern hier postest :wink: und in gewissem Maß trifft das auch zu, aber erklärt nicht hinlänglich diese Chose.
Und ein Grund

dafür liegt darin, dass man jedem erzählt, dass ohnehin jeder
philosophiere, und in der Folge hält man dann sogar das Lösen
von Kreuzworträtseln für Philosophie :smile: . Dies ist übrigens
auch eine Folge der Frankfurter Schule, meine ich, jedenfalls
in dieser Vehemenz.

Ich möchte fast sagen: Im Gegenteil. Die Frankfurter Schule hat mit ihrer Ernsthaftigekit und ihrem hohen Niveau die „spielerischen Salon-Philosophen“ eher vertrieben. :wink:
Allerdings hat es das teilweise auch

früher schon gegeben.

Das meine ich abe auch! *g* wiegesagt.

Heidegger als Mystiker zu bezeichnen, ist leider immer noch
modisch, aber ich halte diese Kennzeichnung für völlig
verfehlt. Lies mal die Vorlesungen zu Heraklit z. B. - mehr
Begriffsarbeit gibt es kaum. Oder - vielleicht für dich
interessanter - schau mal in die Zollikoner Seminare. Die
Diskussionen mit Medard Boss sind alles andere als mystisch.

Ich denke insbesondere an den späten Heidegger. Aber versteh mich richtig: Gerade diese „mystische“ Seite bei Heidegger eröffnet mir eine Dimension…Lies mal Hans-Peter Hempel (Berlner Philosoph).„Heidegger und Zen“.
Medard Boss mag ich übrigens garnicht. Habe einiges von ihm gelesen.
Gruß,
Branden

Hallo Branden,

Das sehe ich völlig anders. Marcuse ist für mich nicht
generell pessimistisch (auch wenn er FREUDs Todestrieb-Idee
ernsthaft durchdenkt), sondern eigentlich der optimistischste
Philosoph der FS. Zumindest der vitalste.

was die Vitalität angeht, magst du Recht haben, was den Pessimismus angeht, hat Marcuse das meiner Erinnerung nach selbst so gesehen. Nämlich gerade weil er nicht an die

Abfolge Kapitalismus-Kommunismus

glaubt, und das macht ihn schon sympathisch.

Und ein Grund

dafür liegt darin, dass man jedem erzählt, dass ohnehin jeder
philosophiere, und in der Folge hält man dann sogar das Lösen
von Kreuzworträtseln für Philosophie :smile: . Dies ist übrigens
auch eine Folge der Frankfurter Schule, meine ich, jedenfalls
in dieser Vehemenz.

Ich möchte fast sagen: Im Gegenteil. Die Frankfurter Schule
hat mit ihrer Ernsthaftigekit und ihrem hohen Niveau die
„spielerischen Salon-Philosophen“ eher vertrieben. :wink:

Mein Vorwurf ist auch nicht direkt auf die Schulvertreter gemünzt gewesen, sondern auf die Epigonen oder die, die sich dafür halten (keine Angst, ich meine dich nicht).

Ich denke insbesondere an den späten Heidegger.

Auch hier würde ich nicht von Mystik sprechen, aber ich habe mit dem späten Heidegger auch meine Probleme.

Medard Boss mag ich übrigens garnicht.

Die Zollikoner Seminare sind ein Jahrhundertereignis gewesen, eine der seltenen Sternstunden, wo man das Zusammentreffen zweier Disziplinen, die sich sonst selten begegnen, beobachten kann. Da ist es zweitrangig, ob man Boss oder Heidegger mag: Die protokollierten Gespräch ist zumindest sehr anregend.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas,

was die Vitalität angeht, magst du Recht haben, was den
Pessimismus angeht, hat Marcuse das meiner Erinnerung nach
selbst so gesehen. Nämlich gerade weil er nicht an die

Abfolge Kapitalismus-Kommunismus

glaubt, und das macht ihn schon sympathisch.

Ja, ohne Zweifel. Er wirkt dadurch nicht so verbissen wie die „Kaderschmiede“ und ist auch da realistischer.

Die Zollikoner Seminare sind ein Jahrhundertereignis gewesen,
eine der seltenen Sternstunden, wo man das Zusammentreffen
zweier Disziplinen, die sich sonst selten begegnen, beobachten
kann. Da ist es zweitrangig, ob man Boss oder Heidegger mag:
Die protokollierten Gespräch ist zumindest sehr anregend.

Haben wir beide in diesem Zusammenhang eigentlich schon einmal über dieses dicke Buch von GION CONDRAU gesprochen? „Sigmund Freud und Martin Heidegger“ heißt es und da drin gehts natürlich unter anderem auch um Medard Boss, um Bisnwanger und „die ganze Blase“ (ich weiß, jklingt etwas respektlos, ist aber nicht ganz so gemeint). Aif den ersten Leseblick fand ich das Buch ganz spannend, beim zweiten Mal sah ich es dann schon erheblich kritischer. Die mühsame Betulichkeit der „daseinsanalytischen“ und „existenzanalytischen“ Therapie-Schulen geht mir irgendwie ganz schön auf den Wecker, wenn ich mal so sagen darf. Trotzdem hab ich mich immer mal wieder auch damit beschäftigt und werde es (die Dosis machts *g*) auch hin und wieder tun. Es scheint mir ein ehrenwerter, aber auch irgendwo überflüssiger (?) Versuch, die Psychoanalyse und die Existenzphilosophie konstruktiv zusammenzubringen. Anfangs hat es mich fasziniert, weil ich dachte: DIE beiden ichtungen, die so dicht an der Wahrgeit sind, wenn man die zusammenführen könnte, dann… Das muss auch Andere fasziniert haben, eben Leute wie Condrau, vielleicht auch Medard Boss.
Aber das ist ja nichts Neues, wenn Leute versuchen, zwei große Welterklärungen zu vereinen, siehe Freudomarxisten usw.
Es grüßt Dich
Branden

Ergänzung
Übrigens und nichtsdestotrotz finde ich sowohl FREUD (diesbezüglich nichts neues von mir *g*)und HEIDEGGER wirklich originell und originär im Denken, egentlich kann man hier wirklich mal dieses inflationäre Wort (welches ich selber sehr vorsichtig und selten verwende) „genial“ benutzen.
Es gibt ja einige viel- und ganz-gut-schreibende Leute aus diesem Dunstkreis, die ich aber für LÄNGST nicht so originelle Denker halte, z.B. den verehrten Karl JASPERS. Ich habe einiges von ihm mit Interesse gelesen, nicht zuletzt das wirklich dicke Buch PSYCHPATHOLOGIE. Fast jeder meint, DER müßte mir doch liegen, der Jaspers, weil er Philosoph und Psychiater war. Aber ich finde ihn viel langweiliger, konventioneller und bürgerlicher als Freud oder als Heidegger beispielsweise. Kannst Du das nachvollziehen?
Es grüßt Dich abermals
Branden

Hier und nichts

Das gefällt mir zum Teil sehr, wie Du das ausdrückst, zum

anderen Teil wieder nicht. Klar, heute ist spontan, aber
überheblich finde ich das Gegenwarts-Denken und -Empfinden nun
nicht gerade

Das Spontane ist bisweilen vom Hier und Nichts gepraegt…man dreht sich um -Hier etwas- noch mal zurück - Hier nichts-…
daraus kann man schwer etwas ableiten…man braucht eine Spanne der Zeit um eine Tendenz zu sehen…

Kompliziert…Als Gegner dieses ewigen „Wachstum-Gedankens“
bin ich da mehr bei den Grünen gewesen, die den Wahnsinn des
jährlichen Wachstums als erste erkannten.

Nur die Detailloops sind kompliziert… Wachstum ist vielleicht kein guter Begriff…bei Konsum geht es viel mehr um Essen/Verbrauch…das kann genauso gut Verfall sein…

Im Prinzip aber ist das die -Negative Dialektik- etwas mit dem
unsere Ironiker von einen -negativen- zum anderen gut
weitermachen können…Auschwitz,Pol Pot,Dafour …anyway

Ist mir fremd…Versteh ich nicht so ganz…Vielleicht liegts
daran, dass ich KEIN Zyniker bin und eigentlich - auch kein
negativer Dialektiker. Bin oft froh darüber, durch mein Fach
(Medizin) immer wieder auf das konkrete
Mensch-zu-Mensch-Verhältnis zu kommen.

Ein Philonthrop würde auch keinen Zynismus zugeben …
Das erste Dogma des Ironikers ist jedoch unerschütterlich; Jedes beliebige System geht irgendwann kaputt…aber es geht nicht alles kaputt…und er weis auch das die Hilfstruppen des Guten gelegentlich mehr Schaden anrichten…UNO Truppen und Prostutition etc…Ich denke aber nicht das ein Ironiker Zyniker sein kein…Ironie und Zynismus sind zwei verschiedene Dinge…denn der Zyniker ist meistens nur darauf konzentriert dass das System kaput geht, waehrend der Ironiker im selben Augenblick das neue System sehen kann…