Hallo zusammen,
der Titel ist - zugegebenermassen - ziemlich provokativ gewählt. Aber schliesslich soll er ja zum Oeffnen dieses Threads animieren.
Also: Ich verstehe das Gedöns um die sog. historisierende Aufführungspraxis nicht. Was soll das? Warum dürfen barocke Werke nicht mehr anders, d.h. mit modernem Instrumentarium, gespielt werden? Wird dies ab und zu gemacht, hagelt’s sofort Schimpf und Schande von den inzwischen zahllosen Anhängern der Historisierenden Praxis, und die sind sehr oft ziemlich unzimperlich mit ihren „Bannflüchen“!
Warum muss so musiziert werden, wie das „damals“ gemacht wurde? Opern werden ja auch nicht mehr so inszeniert, wie man das damals tat, ganz im Gegenteil. So kann man heute eine Rameau-Oper sehen, in modernster Inszenierung, musiziert in der Art und Weise von damals. Wie passt das zusammen?
Der Orchesterklang hat sich seit der Barockzeit weiterentwickelt, ebenso die Höhrgewohnheiten der Menschen. Wieso sollen wir nun plötzlich innerhalb weniger Jahre zurückentwickelt werden, weshalb soll gewaltsam ungeschehen gemacht werden, was organisch gewachsen ist? Was ich bislang an historisierender Aufführungspraxis gehört habe - und ich versuche es wirklich immer wieder! - was ich bislang gehört habe, war alles andere als organisches Musizieren. Das war musizieren mit dem Kopf, m.a.W. ein Krampf, der sich direkt auf mich als Hörer übertrug.
Der Klang, der da entsteht, empfinde ich als äusserst unschön; besonders das vibratolose „Gesäge“ der Streicher, deren in die Länge gezogenen Töne tun mir in den Ohren weh, (nicht selten kriege ich Kopfweh davon).
Abgesehen davon: Wer weiss denn wirklich ob das damals TATSAECHLICH so und nicht anders klang.
Ich meine, die historisierende Praxis ist eine Mode, mit Hilfe derer sich die „alten Schinken“ noch ein weiteres Mal sich auf CD verkaufen lassen.
Das war jetzt aber bös’!
Ich bin aber durchaus offen für einleuchtende Gegenargumente - und vor allem für wirklich überzeugende und organische Aufführungen in der historisienden Aufführungspraxis.
Michael
Hallo Michael,
wo ist das Problem? Der eine interessiert sich für historisch richtige Aufführungen, der andere mag sie vielleicht sogar, dem dritten genügt die moderne(re) Ausführung.
Aus meiner Formulierung erkennst du ja schon, dass ich mich zumindest für die historische Sichtweise einsetze. Und warum? Weil sie unsere kulturellen Kenntnisse erweitert. Dieser Sichtweise geht es erst in zweiter Linie um den musikalischen Genuss, in erster Linie hingegen um das Wissen um die ästhetischen Gewohnheiten und Möglichkeiten vergangener Epochen. Für die Renaissancemusik (die mein Spezialgebiet ist) sind diese Fragen sogar essentiell, also noch bedeutender als für die Barockmusik.
Mein Tipp: Lass die Vertreter der Historisierung schimpfen! Niemand muss so musizieren. Und nur wer mehr wissen will, sollte sich dafür interessieren.
Rameau-Oper … in modernster Inszenierung, musiziert in
der Art und Weise von damals. Wie passt das zusammen?
Da gebe ich dir völlig Recht: Wenn schon historisierend, dann auch das gesamte Werk! Wenn nicht, dann eben nicht!
Was ich bislang
an historisierender Aufführungspraxis gehört habe - und ich
versuche es wirklich immer wieder! - was ich bislang gehört
habe, war alles andere als organisches Musizieren. Das war
musizieren mit dem Kopf, m.a.W. ein Krampf, der sich direkt
auf mich als Hörer übertrug.
Auch das ist richtig, denke ich: Man kann mit dem Kopf musizieren! Warum wertest du das so ab? Mir scheint, dass du dieselbe Einseitigkeit vertreten möchtest wie diejenigen, denen du gerade eine solche Einseitigkeit vorwirfst. Das kann auch nicht richtig sein.
Der Klang, der da entsteht, empfinde ich als äusserst unschön;
besonders das vibratolose „Gesäge“ der Streicher, deren in die
Länge gezogenen Töne tun mir in den Ohren weh, (nicht selten
kriege ich Kopfweh davon).
Wie gesagt: Niemand wird gezwungen, sich danach zu richten. Wenn du es nicht magst, ist es doch in Ordnung.
Abgesehen davon: Wer weiss denn wirklich ob das damals
TATSAECHLICH so und nicht anders klang.
Das ist das Problem aller Geschichtsschreibung.
Ich meine, die historisierende Praxis ist eine Mode, mit Hilfe
derer sich die „alten Schinken“ noch ein weiteres Mal sich auf
CD verkaufen lassen. Das war jetzt aber bös’!
Genau - das war böse! Denn für mich z. B. sind diese Aufnahmen unverzichtbar. Das heißt nicht, dass ich gelegentlich auch mal einen romantischen Bach höre. Es sind eben nur zwei Paar Schuhe.
Ich bin aber durchaus offen für einleuchtende Gegenargumente -
und vor allem für wirklich überzeugende und organische
Aufführungen in der historisienden Aufführungspraxis.
Habe ich dich überzeugen können?
Herzliche Grüße
Thomas Miller
Lieber Thomas,
herzlichen Dank für Deine Zeilen.
Du hast Recht, ich war vielleicht allzu negativ in meinen Aeusserungen - vielleicht als Reflex auf die von vielen Vertretern der historisierenden Praxis dogamtisch geführten Diskussion. Deine Zeilen haben mir gut getan: Es gibt also auch Freunde der historisierenden Praxis, die beides gelten lassen. Das möchte ich eigentlich auch. Aber, ehrlich gesagt, Du bist der Erste, der sich in dieser Hinsicht so offen zeigt. Die Verfechter, die ich bis jetzt gesprochen oder gelesen habe, liessen nur die historisierende Aufführungspraxis gelten, alles andere verdammten sie in Bausch und Bogen (ich wurde auch schon regelrecht beschimpft). Vielleicht wird die Diskussion auch nur hierzulande (d.h. in der Schweiz) so dogmatisch geführt… Das Schweizer Radio z. Bsp. spielt Barock nur noch in der historisierenden Praxis.
Dein Argument, ich könne mir die Werke doch in einer mir eher entsprechenden moderner(en) Fassung ahören, sticht nur bedingt: Barockwerke werden hier fast ausschliesslich historisierend aufgeführt. Monteverdis Marienvesper, ein Werk, das ich wahnsinnig gerne mal hören möchte, kann ich mir praktisch abschminken, wenn ich es mir nicht in der hist. Fassung anhören gehe.
Eine seltene Gelegenheit ergab sich letzten Sonntag, als Helmuth Rilling mit dem Orchester der Tonhalle Zürich Händels „Messias“ aufführte (in der Mozart-Fassung). Ein wunderbares Erlebnis! Rilling ist ein Dirigent, der die Musik von innen her zum leuchten bringt - und das zählt doch! Hierzulande ist er wegen seiner „Sturheit“ und „Rückständigkeit“ von der Musikwelt nur verlacht. Komische Welt: Da musiziert einer auf höchstem Niveau, mit spürbarer Liebe zum aufgeführten Werk - wird aber geschmäht, weil er sich nicht nach der Mode richtet.
Dein Argument der Erweiterung der kulturellen Kenntnis überzeugt mich völlig. Aber dann dürfte die historisierende Praxis sich nicht so über alles erheben.
Herzlich,
Michael
Hallo Michael,
Thomas hat ja schon einiges gesagt. Manches fehlt mir allerdings noch.
Zuerst die Toleranz. Gerade einer Lehrkraft stünde es gut, mit mehr Toleranz aufzutreten.
Zugegeben: Die Toleranz der historisierenden Seite scheint manchmal auch zu fehlen.
Zweitens das Wissen. Man muss schon eine ganze Menge über die alten Instrumente wissen. Man muss wissen, wie es zu den moderneren Fassungen gekommen ist und warum. Man muss wissen, dass sich bei Verwendung historischer Instrumente ganz von selbst ein anderes Klangbild ergibt.
Hinterhältigerweise war es ja ausgerechnet der berühmteste Barock-Komponist, nämlich J.S. Bach, der den Grundstein für die moderne Musik gelegt hat, und zwar mit seinem Wohltemperierten Klavier. Die neue Stimmung führte ja in letzter Konsequenz dazu, daß es nun pro Oktave tatsächlich nur mehr zwölf Töne gibt, die in jeder Tonart völlig gleich verwendet werden. Davor war zwar das Stimmen eines Orchesters wesentlich schwieriger, aber es gab 24 Tonarten, die sich wirklich klanglich unterschieden, weil eben für jede Tonart unterschiedlich gestimmt werden musste. Wir müssen uns mühsam „einhören“ in solche Klänge, aber es lohnt sich!
Freilich ist es auch von Bedeutung, wer da musiziert. Nikolaus Harnoncourt war einer der wichtigsten Wegbereiter des Originalklangs. Sein Concentus musicus ist nach wie vor eines der besseren Ensembles, nicht unbedingt aber das beste. Es kamen Nachahmer. Und manche entwickelten sich zur Perfektion. The English Concert unter Trevor Pinnock ist m.E. eines der besten Originalklang-Orchester. Gleiches möchte ich dem Ensemble Hespèrion XX unter Jordi Savall bescheinigen. Hier ist schon soviel Selbstverständlichkeit im Spiel, dass es nicht mehr aufgesetzt oder gekünstelt wirkt. Da ist eine Dynamik drin, die mit modernen Instrumenten oft gar nicht möglich ist.
Keineswegs müssen Streichinstrumente „gesägt“ werden. Ein Vibrato ist auf einer Viola da Braccio, einer Viola da Gamba oder Viola d’Amore ganz genauso möglich. Diese Instrumente besitzen aber nicht das Klangvolumen der modernen Nachfolger. Ein Hauptfehler dürfte sein, mehr Lautstärke aus den alten Instrumenten herauszuholen als dem Klang guttut.
Ob es damals SO klang oder nicht, wissen wir freilich nicht. Wir kennen aber die Besetzungslisten mancher Hoforchester.
Das Problem mit dem „richtigen“ Klang oder auch Tempo gibt es bei jüngeren Kompositionen aber auch. Exakte Tempoangaben gibt es selbst bei Beethoven nicht immer, und damals gab es schon das Metronom.
Als Literatur empfehle ich zweimal Nikolaus Harnoncourt:
- Musik als Klangrede, 1982, ISBN 3-423-10500-3 Buch anschauen
- Der musikalische Dialog, 1987, ISBN 3-423-10781-2 Buch anschauen
Gruss
Barney
Hallo Barney,
danke für Deine Gedanken.
Thomas hat ja schon einiges gesagt. Manches fehlt mir
allerdings noch.Zuerst die Toleranz. Gerade einer Lehrkraft stünde es gut, mit
mehr Toleranz aufzutreten.
Dazu habe ich bereits an Thomas einiges geschrieben.
Ansonsten bin ich - trotz Lehrberuf - eigentlich ein ganz netter Mensch
Zugegeben: Die Toleranz der historisierenden Seite scheint
manchmal auch zu fehlen.
Eben!
Zweitens das Wissen. Man muss schon eine ganze Menge über die
alten Instrumente wissen. Man muss wissen, wie es zu den
moderneren Fassungen gekommen ist und warum. Man muss wissen,
dass sich bei Verwendung historischer Instrumente ganz von
selbst ein anderes Klangbild ergibt.
Davon gefällt mir der Klang aber auch nicht besser. Oder anders ausgedrückt: Mehr Wissen beeinflusst meine Ohren nicht dahingehend, dass sie den „unschönen“ Klang plötzlich goutieren…
Wir müssen uns mühsam
„einhören“ in solche Klänge, aber es lohnt sich!
Dieses Argument kommt immer. Ich verstehe es nicht, weil ich mich seit Jahren einzuhören versuche, ohne dass sich das lohnende Erlebnis bis jetzt eingestellt hätte. Wie lange muss man sich denn „einhören“?
Es ist ja nicht so, dass ich mich verschliesse; sobald ich ein Ensemble, ein Orchester höre, das mir gefällt, werde ich ihm auch zujubeln. Bis jetzt kommen nur William Christie und Les Arts Florissants oder Christopher Hogwood mit seiner Academy in die Nähe davon. Pinnock oder Savall und ihren Orchestern kann ich leider nicht viel abgewinnen.
Keineswegs müssen Streichinstrumente „gesägt“ werden. Ein
Vibrato ist auf einer Viola da Braccio, einer Viola da Gamba
oder Viola d’Amore ganz genauso möglich.
Vibrato, auch ein kleines, ist in diesen Kreisen aber verpönt.
Diese Instrumente
besitzen aber nicht das Klangvolumen der modernen Nachfolger.
Ein Hauptfehler dürfte sein, mehr Lautstärke aus den alten
Instrumenten herauszuholen als dem Klang guttut.
Das macht vielleicht den „Sägeeffekt“ aus…
Als Literatur empfehle ich zweimal Nikolaus Harnoncourt:
- Musik als Klangrede, 1982, ISBN 3-423-10500-3 Buch anschauen
- Der musikalische Dialog, 1987, ISBN 3-423-10781-2 Buch anschauen
Gruss
Barney
Herzlichen Dank, Barney, für Deine Erläuterungen und Deine Lesetipps. Harnoncourt schätze ich als Musikwissenschaftler mehr als als Musiker. Vielleicht sollte ich mir seine Erläuterungen mal anlesen.
Frohe Festtage,
Michael
Hallo ihr alle.
ich kenn mich leider nicht so genau aus, aber verfolge diese Diskussion mit Spannung (weil ich auch was lernen will)
Zwischendurch wurde ich auch mal wütend. Wie kann man Musikwerke und seine Gescichte so auseinaderreissen bis es keine Musik mehr ist sondern nur noch ein historisches altes Werk. Das ist sehr schade.
Wahrscheinlich geht es oftmals nur darum wer besser darüber bescheid weiss und wer seine Aussage beweisen kann. Die Leute sollen sich dafür ein anderes Thema aussuchen als Musik.
Ich musiziere ja in erster Linie für mich, und wenn ich musiziere, dann haben die anderen Still zu sein (ausser mein Lehrer vielleicht )
Das was dabei rauskommt ist das „Gemüt“ des Musikers. Jedem dem Musik etwas gibt sollte das in den Vordergrund stellen.
Natürlich ist es trotzdem Notwendig über das Stück bescheid zu wissen und sich natürich darüber zu informieren wie es vom Komponisten gedacht ist. Aber das nennt man Interesse an Musik , aber nicht Musizieren.
Wenn mir ein Stück das für Cembalo geschrieben wurde auf der Flöte auch gefällt werde ich es auch auf der Flöte spielen, was haben diese Verfechter dagegen zu sagen. es ist Musik!
naja. von demher sind wir ja jetzt aber gleicher Meinung. ich bin nur etwas wütend - weil ich nicht wusste dass es so militante Verfechter davon gibt.
Liebe grüße, Silke
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Liebe Silke,
Ich musiziere ja in erster Linie für mich, und wenn ich
musiziere, dann haben die anderen Still zu sein (ausser mein
Lehrer vielleicht)
Das was dabei rauskommt ist das „Gemüt“ des Musikers.
Für Dich allein ist das ja auch legitim und schön, aber stell’ Dir mal ein 60-Mann-/Frau-Orchester vor und jeder spielt nach seinem Gemüt?? Dem einen ist gerade die Frau weggelaufen, eine andere ist grade ungewollt schwanger geworden, einer träumt von den Seychellen und der andere denkt an seine Aktien…
Unser Chorleiter hat immer gesagt: Und wenn sie von ihren Gefühlen zu sehr überwältigt werden, denken sie an ihren Kontoauszug (wollte damit sagen: kommen Sie auf die Erde zurück und halten Sie sich an das Geprobte…).
LG,
Anja
Für Dich allein ist das ja auch legitim und schön, aber stell’
Dir mal ein 60-Mann-/Frau-Orchester vor und jeder spielt nach
seinem Gemüt?? Dem einen ist gerade die Frau weggelaufen, eine
andere ist grade ungewollt schwanger geworden, einer träumt
von den Seychellen und der andere denkt an seine Aktien…
Ja, aber Silke hat schon recht mit dem, was sie schreibt (genauso empfinde ich es nämlich auch): Im Orchester ist es halt der Dirigent oder die Dirigentin (letzteres ist eine Rarität, ich weiss…), welche den Ton bestimmt, die Stimmung evoziert, sein/ihr „Gemüt“ macht die Musik.
Genau das liess mich diesen von Helmuth Rilling dirigierten Messias so tief empfinden. Das war mit grosser Liebe für die Musik dargeboten - und die überträgt sich von Dirigenten aufs Orchester.
Da können die „Historisierer“ noch so höhnen - dieses Phänomen findet statt!
Herzliche Grüsse,
Michael
zweifelsohne ) owT
Klang )
Räumlichkeiten
Hallo,
ich denke, eine Aufführung mit historischem Instrumentarium in den entsprechenden historischen und meist sehr viel halligeren Räumen lässt die raueren aber auch leiseren Instrumente (außer dem Cembalo) korrekter klingen.
Von daher dürfte sich das Klangbild außer bei den Holzbläsern mit dem ungleichmäßigen Klangverhalten je nach Tonhöhe dann genauso anhören, wie ein modernes Ensemble in einem modernen Saal.
Gruß
Stefan
hehe, ihr habt beide recht. die Sache mit dem 60-mann Orchester hatte ich tatsächlich nicht bedacht, aber es ist eine große Kunst des Dirigenten seine Leute dann auf einen Nenner zu bringen. Respekt!
trotzdem kann man immernoch nicht sagen wie es dann auf den zuhörer wirkt.
Erst letzte Woche sagte ich zu meinem Freund, die Frau hat eine wunderbare warme Stimme und er meinte, nein, wenn ich sie höre bekomme ich immer Gänsehaut (also überhaupt nicht warm)
passt jetzt aber nicht zum Thema
Noch eine kleine blöde Frage zum Schluss: Was bedeutet „owT“ (Im Betreff)
cheers, silke
owT = Ohne Worte owT )
eigentlich: oWt )
nö. owT = ohne weiteren Text. (owT)
Hallo Michael,
wer nur einen Standpunkt gelten läßt ist einfältig und beschränkt.
Ich liebe Aufnahmen von Nikolaus Harnoncourt und ich liebe die Sachen die Glen Gould mit Bach gemacht hat. Wenn die Musik gut gemacht wird ist es immer spannend und ein Genuß.
Die ersten Aufnahmen der Brandenburgischen Konzerte z.B. hab ich ‚modern‘ gehört, fand die ‚historischen‘ Aufnahmen später aber sehr interessant und von N.H. sogar besser. Aber das ist sicher eine Geschmakfrage. Eine Aufnahmen der Brandenburgischen von Justus Franz (eine ‚moderne‘) hat mir einen Schauer über den Rücken gejagt, weil er sie im Schweinsgalopp hat spielen lassen.
Aber es ist wie immer im Leben, es gibt genausowenig nur gutes auf einer Seite wie schlechtes.
Und wenn eine ‚Historiker‘ Intolerant sind - was solls, sie stellen nicht den gesamten Musikbetrieb dar und die wirklich guten ‚Historiker‘ werden einen Teufel tun und die ‚modernen‘ verunglimpfen, das haben die nicht nötig.
Gandalf
Hi,
Ich nochmal, der Gallopierer heißt natürlich
Justus Frantz
Schönen Abend zusammen!
Ein von mir sehr geschätzter Dirigent, mit dem ich kürzlich das Weihnachtsoratorium von Bach (I-III) aufführen durfte, sagt:
„Den Bach können Sie garnicht kaputtmachen, den können S’ verjazzen, dann ist er immer noch schön.“
Er hat recht, wobei ein gut gespielter verjazzter Bach einem schlecht gespielten auf sog. historischen Instrumenten (das ist ein weites Feld: müssen es Originale aus der Zeit sein, oder gelten auch Nachbauten, dürfen bei Cembali Federkiele durch Kunststoffkiele ersetzt werden; sind Instrumente von 1760 für Bach schon keine Originalinstrumente mehr usw…) sogar vorzuziehen ist.
Ich selbst habe sowohl mit guten als auch mit mittelmäßigen als auch mit miserablen historischen Orchestern musiziert und mit modernen Orchestern ist es genauso.
Darmsaiten klingen für meinen Geschmack übrigens besser (Gustav Mahler bestand auf Darmsaiten, hat die Aufführung seiner Symphonien auf Stahlsaiten verboten; das war im 20. Jahrhundert!!), und daß Barockgeiger kein vibrato machen, stimmt schlicht nicht. Sie setzen es nur differenzierter ein.
Und was das liebevolle Musizieren bei Rilling angeht: naja… er hat immer tolle Solisten, ein perfektes Orchester und einen gut präparierten und klangstarken Chor, der dann allerdings wenig liebevolles Silbengestampfe statt cantabler Kantilenen produziert, was dem RIAS Kammerchor in den Aufnahmen mit der Akademie für alte Musik Berlin hingegen hervorragend gelingt.
Dann wäre da noch die Problematik des Stimmtons: er steigt ständig; war aber noch nie einheitlich und ist es heute auch nicht (die Wiener Philharmoniker liegen derzeit deutlich über 440Hz). Vor allem für Sänger ist das aber von Bedeutung. Kurz gesagt: je höher desto dramatischer…
Usw…
So ganz einfach kann man es sich also nicht machen. Es kommt sowohl auf die Kenntnis des gespielten Werks an als auch auf die Anpassung an die Gegebenheiten, unter denen neben den jeweiligen Stärken und Schwächen der einzelnen Musiker, der Akkustik des Raums, dem Anlass, den Hörgewohnheiten der Zeit und der Region usf. das verwendete Instrumentarium nur eine von sehr sehr vielen ist.
Soweit mein wort zum Mittwoch )
Gruß
Achim