Hallo,
Also nicht für eine Leistung „wertfreier“ Wissenschaft.
bei geisteswissenschaftlichen Preisen scheint mir die Wertfreiheit der Wissenschaft selten der Anlass gewesen zu sein, denn diejenigen, die, die so arbeiten, sind in der Regel nicht prominent. Habermas ist ein guter Vergleichspreisträger, denke ich. Auch bei ihm wird man vieles annehmen können, gleichwohl aber nicht Wertfreiheit. Wenn man auf den Werturteilsstreit vor 30 Jahren zurückblickt, dann hat man ja auch nur zu 50% die Möglichkeit, Vertreter der Wertfreiheit zu ehren, weil die andere Hälfte von Vertretern der Wertgebundenheit besetzt ist. Und gerade in politischen Fragestellungen vertreten natürlich sogar die Vertreter der Wertefreiheit Werte (z. B. Popper), nur würden sie dafür eben nicht den Terminus „Wissenschaft“ verwenden.
Um zu erfahren, warum gerade ER unter den vielen Marx-
„Renegaten“ den Preis erhielt, bedürfte es wohl eines genaueren
Einblicks in seinen Werdegang und sein Werk im Westen.
Oder genügt die Chronologie und der Einfluss seiner Schriften ?
Dass er sozusagen ein „Pionier“ war.
Hast Du dafür eine Antwort ?
Ich denke schon, dass das „genügt“, wobei solche Entscheidungen ja selten objektiv sind. Kolakowski ist halt international anerkannt, was bei Philosophen nicht so häufig ist. Ich habe hier folgende - sehr allgemeine - Formulierung für die Kennzeichnung seiner Leistung gefunden: „Die Souveränität und Themenbreite seines Werkes haben K. zu einem prominenten Denker europäischer Dimension gemacht, was in zahlreichen Ehrungen, z. B. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1977, zum Ausdruck kommt.“ (Philosophie der Gegenwart 1999)
Wenn man die Dynamik solcher Preisverleihungen kennt, dann dürfte es nicht überraschen, wenn zumindest eine Empfehlung von Habermas kommt. Das allein hat bei solchen Vergaben doch schon Gewicht. Das ist wie bei der Verleihung des Friedensnobelpreises, wo grundsätzlich nicht immer objektiv entschieden werden kann, sondern ein subjektiver Rahmen bleibt.
allerdings hält er an der Bedeutung des Frühwerkes von Marx fest
Naja, nicht verwunderlich: der junge Marx war ja noch kein Marxist.
Genau so.
Was Du oben aufgezählt hast, klingt aber zunächst einmal nicht
sehr unbequem - in meinen Ohren. Oder meinst Du, dass er in
Polen als junger Professor Dinge geäussert hat, die für das
damalige Regime und in Folge für ihn unbequem waren ?
Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite hat es auch meinen Respekt, wenn sich ein Werk so entwickelt, wie das von Kolakowski. Sein Denken ist ständig in Bewegung. Wo Popper sich gerne ausgeruht hat und ein weiteres Mal auf seinen Frühschriften aufbaut, wo Habermas zum widerholten Mal recht wertlose Bücher veröffentlicht (ich meine seinen historischen Überblick, den er sich auch hätte sparen können), für die sich die Mühe nicht lohnt, da ist Kolakowski immer bemüht, seine früheren Einsichten erneut zu überprüfen. So hat er sich den einzelnen Axiomen des Marxismus einzeln genähert und sie sukzessiv demontiert.
Wenn man von den lediglich polnischsprachig veröffentlichten Werken einmal absieht, die mir leider verschlossen bleiben, dann habe ich den Eindruck, dass er wirklich bemüht ist, in jedem Aufsatz und jedem Buch etwas Neues zu sagen. Das vermisst man bei manchen anderen Gegenwartsautoren schon. Und da er niemandem seine Meinung aufdrängt, sondern in der Tat seine Analysen als Diskussionsmaterial ansieht, das keinen Anspruch auf Absolutheit fordert, ist mir der Mann nicht gerade unsympathisch.
Möchtest du den Preis an Texteditoren vergeben sehen, die gar keine Meinung haben?
Herzliche Grüße
Thomas Miller