Zeitreise und Stimmungsmache
Soviel kann man natürlich nicht von der Blue Collar Schicht erwarten. Aus diesem Grund behauptet sie ja, Mehrarbeit sei ein Rückschritt. Nun ja, sie gehen nach der Stechuhr. Es ist ein Rückschritt für sie, täglich eine Stunde später am Zapfhahn zu sein.
Ein ordentliches Vorurteil ist was feines und ein gut gepflegtes Ego auch.
Gehen wir mal ein paar Jahre zurück: Der Arbeitnehmer war kein Arbeitnehmer sondern ein Arbeiterbettler. Für ein paar Pfennige schuftete er 16 Stunden am Tag, 6-7 Tage die Woche, um dann rentenschonend mit Anfang 40 in die Grube zu fahren.
Irgendwann kam man dann auf den Trichter, daß das vielleicht nicht ganz so ein toller Plan ist und Gewerkschaften sei Dank wurden allmählich die Arbeitsbedingungen etwas besser, so daß Mitte der 70er des letzten Jahrhunderts die Wochenarbeitszeit um die 40-45 Stunden lag. Eine feine Sache, so hatte der Arbeitnehmer Zeit, seine Kohle auszugeben, mit seinen Kindern hin und wieder ein paar Worte zu wechseln und im Extremfall auch mal ein Buch zu lesen.
Alle waren zufrieden, nur die Gewerkschaften nicht. Der entrechtete Lohnsklave war zum durch viele Gesetze geschützten und geschätzten Mitarbeiter mutiert und letztlich satt und einigermaßen zufrieden. Was tun, um schöne Büros, Dienstfahrzeuge und sechsstellige Gehälter zu schützen? Man dachte ein wenig nach und legte schließlich ein Lineal an den Verlauf der Wochenarbeitszeit über die Jahrzehnte und stieß ein paar Zentimeter weiter auf interessante Zahlen auf der Y-Koordinate: 38, 37,5 und 35.
Fortan quakte jeder Gewerkschafter dem späteren „18%-Westerwelle“ als Vorbild das Wort „fünfunddreißig“. „fünfunddreißig“, „fünfunddreißig“, „fünfunddreißig“, „fünfunddreißig“, „fünfunddreißig“, „fünfunddreißig“, „fünfunddreißig“, „fünfunddreißig“, „fünfunddreißig“. Und das über Wochen und Monate und Jahre, bis schließlich alle bequakten daran glaubten und so 1978 erstmals für „fünfunddreißig“ streikten.
In den Folgejahren war das einzige, was die Gewerkschaften auf ihren Fahnen stehen hatten - abgesehen von mehr Lohn und Gehalt - Arbeitszeitreduzierung. Das war das Allheilmittel - gegen Arbeitslosigkeit, gegen Fachkräftemangel, gegen Mundgeruch und das Ozonloch.
25 Jahre später sieht das nicht anders aus. An jeder Ecke tönt es von Arbeitszeitverkürzung und derartige Plattitüden werden geglaubt, zumal die Argumentation nachvollziehbar ist: Weniger Arbeitszeit mit gleich viel Geld: Gut für den Arbeitnehmer. Weniger Arbeitszeit pro Mitarbeiter bei konstantem Arbeitsanfall = Mehr Mitarbeiter. Perfekt. Und jeder, der was anderes erzählt, ist ein Ausbeuter und Kapitalist. So steuert man Meinungsbildung.
Dumm nur, daß es im Osten inzwischen alternative Standorte gibt und die großen und mittleren Unternehmen mit vertretbarem Aufwand und Risiko Betriebe dorthin verlagern können. In diesen konkreten und prominenten Einzelfällen sind dann die Gewerkschaften zu Kompromissen bereit. Was sich im kleinen abspielt, ist egal. Während auf der einen Seite Mitarbeiter durch flexiblere Leiharbeitskräfte ersetzt werden, schreit der Betriebsrat und der Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat nach Arbeitszeitverkürzung und mehr Geld. Schließlich habe man durch die Leiharbeiter so viel eingespart…
Welcher Ing. kann aber das von sich behaupten? Wer arbeitet 35h die Woche? Das dürften weniger als 1% sein. Regelarbeitszeiten von 40…60h sind da normal. Und frag einen Ing., ob er ständig auf die Uhr schaut.
Sind Ingenieure tolle Arbeitnehmer, ich bin beeindruckt. Allerdings habe ich im Bekanntenkreis genauso stinkendfaule Ingenieure wie auch bienenfleißige „Handarbeiter“.
Seltsamerweise ist es so, je höher die Intelligenz steigt, desto weniger spielt die Arbeitszeit eine Rolle. Ich kenne auch einige Profs, die haben schon mal im Labor übernachtet. Ichbin auch schon mal Sa. und So. zur Arbeit erschienen. Diese Tage bekommt man natürlich ersetzt, aber bei den Blue Collars wäre hier ein 100%iger Aufschlag fällig.
Das könnte natürlich daran liegen, daß der Prof ungefähr das dreifache von dem verdient wie eine Hilfskraft. In meinem Arbeitsvertrag steht jedenfalls „Mit dem Gehalt sind alle anfallenden Überstunden abgegolten“.
Gruß,
Christian