Hallo,
ich freue mich über dein Posting, obwohl (oder weil) ich an ihm ganz klar machen kann, wo sich meine Auffassung von deiner unterscheidet. Wenn der Dialog das philosophische Prinzip schlechthin ist, dann ist das wohl auch der Sinn von philosophischen Foren.
Religion ist Dogma und Esoterik heißt „nur Eingeweihten
zugänglich“, was also sollte ein Freidenker dort posten?
ich wollte dich nicht vertreiben, sondern eigentlich nur Begründungen anmahnen, auf die es erst möglich ist, sinnvoll zu rekurrieren. Ich bin nicht ganz sicher, ob du das einräumen wirst, aber unter „Freidenker“ fällt mir sofort der Name „Anthony Collins“ (A Discours of Free-Thinking 1713, dt. erst 1965) ein, der das mit Sicherheit unterschrieben hätte. In diesem Sinne ist Nietzsche nämlich kein Freidenker, sondern eher ein Denk-Anarchist, wenn ich so sagen darf.
Philosophieren heißt: Über das Wesen der Dinge und die
Ursprünge nachdenken. Also auch die Freiheit, etwas in Frage
stellen zu dürfen, wo also sonst sollte man das tun, wenn
nicht hier?
Wie gesagt, ich wollte dich nicht vertreiben! Diese Art zu philosophieren ist aber eben nur die eine Seite der Philosophie, die sokratische, wobei die Methodik bei Sokrates mir klarer erscheint. Die andere Seite ist die platonische Seite, die aufbauende Seite, die du „dogmatisch“ nennst. Diese beiden Seiten müssen sich ergänzen. Philosophie ist - wie ich es gerne formuliere - die Beschäftigung mit zweierlei Art von Vorurteilen, 1. mit denjenigen, die man vermeiden kann (das ist die sokratische Seite) und 2. mit denjenigen, die man nicht vermeiden kann (das ist die platonisch-kantische Seite). Beiden aber liegt das Prinzip der Begründung zugrunde. Das fehlte mir in deiner Diktion.
Eben drum habe ich Nietzsche gewählt, weil er nicht der
Prototyp des Philosophen ist und somit auch nicht im Kontext,
oder anders gesagt im Fahrwasser der Philosophie schwimmt.
Dein Bild von der Philosophie erscheint mir etwas einseitig. Ich denke, dass du dich auf das beziehst, was man gemeinhin „Universitätsphilosophie“ nennt. Dazu habe ich zweierlei anzumerken: Einerseits hast du Recht, wenn du die Verabsolutierung dieser Art von Philosophie monierst, andererseits aber ist diese Art von Philosophie die Grundlage für die Kritik, die du anbringst und auch für die Kritik, die Nietzsche anbringt. Nietzsche, der ja von Hause aus Philologe und nicht Philosoph war, hat noch lange damit geliebäugelt, in Philosophie zu promovieren, sogar über Kant. Gerade das zeigt, dass die Kritik Nietzsches nicht losgelöst von seinen (universitäts-)philosophischen Grundlagen gesehen werden darf.
Also muß man besonders bei ihm, um ihn verstehen zu wollen,
nicht, wie Du sagtest den „Begriff anstrengen“, sondern auf
ihn eingehen.
Ich denke wie du, dass das gerade bei Nietzsche notwendig ist, freilich möchte auf die Begriffsanstrengung auch gerade bei ihm nicht verzichten. Nur dadurch kann man ihm - meines Erachtens - überhaupt auf die Schliche kommen.
Nur insofern man dazu in der Lage ist natürlich,
denn der Unterschied zwischen Objekt und Abbild ist jedem
philosophisch Interessierten klar.
Hier in Magdeburg treffe ich fast täglich auf Materialisten, auf Alltagsmaterialisten wie auf Universitätsmaterialisten. Denen ist der Unterschied gänzlich ungeläufig.
Unterschied zwischen einem Statement und dem subjektiven,
individuellen Verständnis.
Einverstanden, aber das darf nicht der erste Schritt sein, sondern ist eine zusätzliche, zweite Stufe. Und wer zwei Schritte auf einmal machen will, legt sich leicht hin.
Und hierauf beruhte eigentlich meine Kritik: Man gewinnt in
diesen Foren oftmals den Eindruck, daß es nur um die
Verteidigung des eigenen Images geht und nicht um die Sache.
(Bitte aber nicht persönlich sehen)
Wenn du meine Posting liest, wirst du sehen - denke ich -, dass es mir genau darum geht, dies zu vermeiden. Ein bisschen merkwürdig finde ich allerdings, dass du hiermit scheinbar die vorhin angedeutete Betonung der Subjektivität zurücknimmst. Wie weit darf/muss/soll man deiner Meinung nach subjektiv sein?
Selbst wenn man ihn 100% verstehen würde, hätte er das negiert.
Wer aber außer ihm selbst könnte das bewerten?
Dagegen steht sein Anspruch, ernst genommen zu werden - den er freilich später serh zurücknimmt -, aber das ist ein weites Feld (um einen berühmten Zeitgenossen Nietzsches zu zitieren ).
Wenn wir jetzt zu obigen Punkten
(Begriffsanstrengung) eine Verknüpfung erstellen, haben wir
ein sehr schönes praktisches Beispiel für die von mir
angestrengteProblematik.
Das sehe ich auch so, meine aber eben, dass das nur die eine Seite ist.
So unflexibel im Denken wirst du nicht sein, um den Begriff
mit dem Eisenhammer…nicht anders interpretieren zu können,
also provozierst du mich.
Nein … na gut, ein bisschen, aber auch nur, weil ich dir nicht abnehme, dass du das Verständnis der Metapher in der Tat bei jedem Menschen voraussetzt.
Und das fängt bei der Zivilcourage an, also nicht wegsehen,
wenn Neonazis etwa Ausländer bedrohen, sondern etwas tun. Und
wenn es nur ein Anruf bei der Polizei ist. Denn solange sie
immer noch Toleranz erfahren, glauben sie sich im Recht!
Soweit kann ich selbstverständlich zustimmen.
Das „Wer entscheidet“, ist schlecht formuliert, besser wäre: was
entscheidet, das ist leichter zu beantworten:
Unser ethisches Empfinden!
Das freilich halte ich für eine schwer wiegenden Irrtum, denn das bedeutet in letzter Konsequenz Lynchjustiz, die du - so nehme ich an - auch nicht willst. Ich setze als Antwort auf die Frage, wer bzw. was entscheidet, die Antwort: Entscheidend sind Prinzipien. Und diese Prinzipien müssen - so gut es geht - objektiviert werden.
Jetzt erst wird es eigentlich spannend, finde ich!
Herzliche Grüße
Thomas Miller