Hallo!
Die Überschwemmungen an der Oder sind noch in Erinnerung und Hochwasserschäden an der Elbe und ihren Zuflüssen übertreffen alles bisher Bekannte. Allerorten ist die Rede von einer Naturkatastrophe, die ihre Ursache womöglich in der Erwärmung der Atmosphäre hätte. Das mag ja sein und die zu beobachtende Zunahme witterungsbedingter Ereignisse legt die auch Vermutung nahe. Also kann man dagegen nichts machen, schon gar nicht kurzfristig und auf nationaler oder regionaler Ebene?
Nach meiner Einschätzung geht solche Diskussion am Thema vorbei. Es war schon am Oderbruch zu sehen. Dort brachen Deiche. Eingedeicht ist das Gebiet seit Jahrhunderten, ein ehemaliges Sumpfgebiet, ein Überschwemmungsbebiet der Oder. Wenn man den Fluß zwecks Schiffbarmachung begradigt und eindeicht, wird die Fließgeschwindigkeit vergrößert. Statt in die Fläche zu gehen, steigt das Wasser. Mit jedem zusätzlichen Deich steigt das Wasser weiter.
Seit Jahrhunderten steckt in den Köpfen „wer nicht will deichen, muß weichen“. Hinterfragt wird der Spruch offenkundig nicht. Kaum geht das Hochwasser zurück, werden die Deiche verstärkt, werden beschädigte Bauwerke wieder hergerichtet. „Volk ohne Raum“ haben die Leute auch einmal geglaubt. Gerade im Osten haben wir aber eine weithin von Entvölkerung gekennzeichnete Entwicklung.
Ein ähnliches Bild an der Elbe. Die Elbtalauen um Boizenburg sind eines der letzten Überschwemmungsgebiete der Elbe und heute zum Glück als Naturpark geschützt. Das vorhandene Überschwemmungsgebiet ist Anlaß für Gelassenheit in z. B. Geesthacht und Hamburg. Bevor das Elbwasser dort steigt, wird es in der Fläche entschärft sein. Aber an vielen hundert Kilometer Flußoberlauf gibt es diese Flächen nicht mehr. Es gibt nur noch Deiche.
Man wird gewiß nie verhindern können, irgendwo nasse Füße zu bekommen, aber die katastrophalen Auswirkungen von starker Wasserführung eines Flusses, die Tatsache, daß überhaupt Hochwasser entstehen kann, ist von Menschen verursacht, nämlich durch Flußbegradigung und Eindeichung. Herr Schily erzählte gerade im Fernsehen, so ein Hochwasser hätte es seit 1000 Jahren nicht gegeben. Richtig! Vor 1000 Jahren gabs die Deiche noch nicht. Da gabs kein Hochwasser, sondern flache, überschwemmte Auen. Hochwasser entsteht erst durch den vermeintlichen Schutzbau!
Natürlich muß man Dresden eindeichen, aber doch nicht den ganzen Fluß der Länge nach! Gebraucht werden ein paar hundert Quadratkilometer Überschwemmungsbebiet am Oberlauf und an den Zuflüssen der Elbe. Dorfteichgröße reicht natürlich nicht. Ausreichend große Flächen sind in dünn besiedeltem Gebiet überall vorhanden. Außerdem sind solche Flächen keineswegs verloren. Sie müssen nur naturnah belassen werden und es darf dort keine Wohn- und Industriebebauung geben. Dann erledigt sich das Hochwasser-Problem restlos und die an vorhandenen Städten gebrauchten Deiche müssen nicht einmal besonders hoch sein. Wasser, das in die Fläche kann, steigt nicht mehr. Es gibt ein paar feuchte Wiesen und das ist schon alles. Gleichzeitig bilden sich an Flora und Fauna reiche Gebiete, eben Naturparadiese. Wer es nicht glaubt, werfe einen Blick in den Naturpark Elbtalauen.
Wir müssen also nicht auf den weltweiten Rückgang des Spraydoseneinsatzes warten (das ist trotzdem noch ein sinnvolles Ziel). Wir müssen bei uns im Land und in den Nachbarstaaten umdenken und für die paar Lastkähne eben nicht mehr 1000 km Flußlauf viele Meter hoch eindeichen.
Wir haben es nicht mit einer Jahrhundertflut zu tun, sondern mit den Folgen von jahrhundertelang getriebenen Unfugs mit der Besiedelung von Feuchtgebieten. Es muß wohl eine Sperre im Denken der Menschen geben. Für einen Braunkohle-Tagebau werden ganze Ortschaften geopfert. Ein vergleichbares Opfer, nämlich Umsiedelung in einigen von der Natur gebrauchten Gebieten, scheint jenseits des Vorstellbaren zu liegen. Lieber stopft man mehrstellige Millionenbeträge in neue Deiche und verschärft das Problem weiter. Ein paar Quadratkilometer an geeigneten Stellen der Natur überlassen und wir können auf 1000 Kilometer Deich ersatzlos verzichten, ohne daß auch nur ein einziger Keller mit Flußwasser voll läuft. Es muß endlich Schluß damit sein, daß man buchstäblich um jeden Preis jeden Quadratmeter Land vor natürlichen Einflüssen zu schützen versucht.
Gruß
Wolfgang
PS: Bevor jemand glaubt, da erzählt ein Blinder von den Farben: Ich lebe im Naturpark Elbtalauen!