Offenbarungsphilosophie

Hallo!

Eher eine Plauderfrage, aber Antworten erfordern eine kleine Begründungen, wie die „Offenbarungsstruktur“ in diesem Werk angelegt ist?

Welches philosophische Werk der Neuzeit außer Hegels ‚Phänomenologie des Geistes‘ hat sich mehr oder minder bewusst, halbbewusst, unbewusst mit dem Anspruch/Gestus geschrieben, eine Offenbarungsschrift zu sein, die ‚Selbstmitteilung Gottes‘?
(Halb- und Grenzphilosophen wie z.B. Ken Wilber oder Jacob Levy Moreno können gern angeführt werden, interessieren mich persönlich jetzt aber in dem Zusammenhang nicht ganz so stark)

Spinozas Ethica?
Heideggers ‚Sein und Zeit‘?
Irgendwas von Marx?
Nietzsches ‚Also sprach Zarathustra‘?

Gruß
F.

Ich bin Techniker und kein Philosoph.
Mir erscheint die Beschäftigung mit solchen Themen sinnlos, denn die Naturwissenschaft hat hat so ziemlich alle Fragen des Universums gelöst.
Für die Beantwortung der Fragen der zwischenmenschlichen Beziehungen verweise ich auf Jesus Christus.

Was könnte auf dieser Welt noch geoffenbart werden?
Doch nur das, was am Ende des Lebens passiert und da erwähne ich noch einmal Jesus Christus.

Das ist ganz okay, aber irgendwie nicht gerade die Bedingung der Möglichkeit dafür, diese meine Frage sinnvoll beantworten zu können :wink:

Gruß
F.

Ist das so? Drückst du hier etwas mißverständlich aus? Oder hast du hier etwas mißverstanden?

Deinem Wortlaut nach fürchte ich Letzteres.

Gruß
Metapher

gab es den wirklich?
Ausser in den Aufschriften von 4 angeblichen Anhängern im hohen Alter gibt es keine Hinweise auf einen Jesus.

Immerhin haben namhafte Wissenschaftler ausgesagt, dass das NT glaubwürdig ist. Wer sich der Kritik der Kollegen aussetzt, muss schon bewiesene Ergebnisse vorweisen können.
Die Glaubwürdigkeit steht in direktem Zusammenhang mit der Wahrheit der Berichte über das Leben Jesu.

„Das Neue Testament ist der kulturell und theologisch bedeutendste Text des Abendlandes. Es ist vom 2. Jahrhundert an in einer außergewöhnlich großen Zahl von Handschriften überliefert worden. Allein vom griechischen Urtext besitzen wir heute noch ca. 5.600 Handschriften bzw. Handschriftenteile. Dazu kommen Übersetzungen in alle antiken Kultursprachen, vor allem ins Lateinische. Für die frühesten Handschriften wurde Papyrus als Beschreibstoff benutzt, der vom 3./4. Jahrhundert an von Pergament abgelöst wurde. Die Pergamenthandschriften wurden - ebenso wie die Papyri - in Großbuchstaben geschrieben und werden daher als Majuskeln bezeichnet. Vom 9. Jahrhundert ab setzt sich dann die sog. Minuskel (kursive Kleinbuchstaben) durch, die erst noch auf Pergament, später dann auf Papier geschrieben wurde. Heute sind ca. 2860 Minuskeln bekannt, außerdem über 100 Papyri und über 300 Majuskeln. Dazu kommen noch einmal ca. 2.400 Lektionare, die den Text des Neuen Testaments nicht fortlaufend enthalten, sondern die Texte in der Reihenfolge bieten, wie sie nach der Ordnung des Kirchenjahrs im byzantinischen Gottesdienst vorgetragen wurden.“
Quelle: www.uni-muenster.de/Rektorat/kalender/FBer/FBdez99.htm
„Kein historischer Text über ein Ereignis der Antike ist so gut und so früh bezeugt wie das Neue Testament“ Carsten Peter Thiede, Historiker und Papyrologe, Die Auferstehung Jesu - Fiktion oder Wirklichkeit?, 2001, S.25

Jetzt verstehe ich wiederum nicht, was du (miss)verstehst.

Gruß
F.

Deine Formulierung erweckt den Eindruck, du glaubtest, Hegel habe die Schrift PhdG als „Selbstoffenbarung Gottes“ aufgefaßt. Sozusagen wie Jakob Lorber seine „Privatoffenbarung“ oder Mohamed den Koran usw.

Nein :wink:
"Sozusagen wie Lorber und Mohamed natürlich nicht.
Es geht um Philosophie, nicht um Prophetik.

Aber, ja, die PhdG kann als „Selbstoffenbarung Gottes“ (etwa so wie Schelling in seiner Freiheitsschrift diesen Begriff prägt) gelesen werden.

Gruß
F.

Ok, aber du schreibst von Werken, die sich mit dem Anspruch geschrieben haben, „Selbstmitteilung Gottes“ zu sein.

Was du möglicherweise meinst, sind Werke, in denen irgendetwas, ein Sachverhalt oder ein Prozess o.ä. als „Offenbarung“ bzw. als „Selbstmitteilung Gottes“ interpretiert, argumentiert, dargestellt wird. Das wäre verständlich. Aber nun schreibst du wiederum ebenso mißverständlich:

Nein, die PhdG ist keine „Selbstoffenbarung Gottes“. Sie berichtet auch nicht von einer solchen. Und sie behauptet auch keine solche. Es ist die Darstellung von intrinsischen Momenten (metaphorisch könnte man „Stufen“ sagen) des Begriffs des Geistes, dessen Wesen es ist, „zu erscheinen“. Und das bedeutet in dieser Abhandlung: Eine Explikation seiner Dialektik zwischen unmittelbarem = sinnlichem Gegenstandsbewußtsein und dem absoluten Wissen („der sich als Geist wissende Geist“). Von „Offenbarung“ ist in der PhdG ausschließlich in der Stufe „offenbare Religion“ die Rede, und zwar im Zusammenhang mit der „Menschwerdung“. Die letzte Stufe dieser Begriffsexplikation (wie du weißt, nennt Hegel das später in der WdL „Selbstbewegung des Begriffs“) ist dabei sogar die „Er-Innerung“ des Geistes. Mithin zwar nicht vom Begriff her, aber vom Wort her genau das Gegenteil von „Selbstentäußerung“. (aber das sind hier auf die Schnelle bloß ein paar Stichworte)

Schellings „Selbstoffenbarung Gottes“ (die er übrigens nirgendwo in Anführungszeichen setzt), ist ein sowohl geschichtsphilosophischer als auch naturphilosophischer Begriff. Weltgeschichte und Natur (z.B. als natura naturans) ist Selbstoffenbarung, und zwar als Prozess-Begriff.

Hegels Begriffsbewegung ist dagegen kein zeitlicher Prozess. Schellings Selbstoffenbarung hat derweil tatsächlich eine gewisse Analogie zu Hegels Begriff der (Dialektik der) Weltgeschichte: Diese ist die Selbstentwicklung = Zu-sich-Kommen des Weltgeistes in der Geschichte. Das ist aber keine „Selbstmitteilung“. Und insbesondere etwas ganz anderes als die Phänomenologie. In der PhdG jedoch ist die „Weltgeschichte“ auch wiederum nur eine bestimmte Stufe in der dialektischen Struktur des absoluten Wissens bzw. Geistes. Die PhdG ist - ganz ganz kurz gefaßt - eine dialektische Theorie des absoluten Wissens. Oder besser: Die Abhandlung der Begriffsentwicklung des absoluten Wissens.

Mit einer „Selbstoffenbarung Gottes“ und erst recht mit der von Schelling gemeinten, hat das nicht das geringtste zu tun.

Was gefällt dir an dieser etwas umständlichen Formulierung nicht?
„… die sich … geschrieben haben …“ meint: strukturell, unabhängig von den Intentionen des Autors; da gehts vor allem um eine innere Systematizität des Werks, die die eigene Produktion/Publikation/Rezeption mit umfasst.

„… zu sein …“: ?

Klar ist, dass es bei meiner Frage um eine ganz bestimmte Lesart der PhdG (und auch der anderen Vorschläge) geht. Unter diesem Vorbehalt ist mein „das Werk ist“ natürlich zu sehen.
Das gilt aber natürlich auch für deine Aussage: „die PhdG ist nicht“, weil es ja unverkennbar Lektüren der PhdG gibt, schon zeitgenössisch, die darin so etwas wie eine „Selbstoffenbarung Gottes“ sehen.
Vgl. als völlig willkürliches Beispiel:

hegel

https://books.google.de/books?id=3jEYL8UGDCAC&pg=PA732&lpg=PA732&dq="selbstoffenbarung+des+absoluten+Geistes"+hegel&source=bl&ots=ZW_5abdXdf&sig=NNaPTFgEv2sAWfbrbjDULLgei2k&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjvysXawpPZAhUG16QKHWUtBpsQ6AEIKDAA#v=onepage&q="selbstoffenbarung%20des%20absoluten%20Geistes"%20hegel&f=false

Hier auf die ‚Enzyklopädie‘ bezogen, aber die Grundstruktur gilt für die PhdG (aus dieser Perspektive heraus verstanden) genauso: Selbstoffenbarung des absoluten Geistes plus Gleichsetzung von Gott und absolutem Geist.

Ich geh auf die PhdG nicht weiter ein, weils bei meiner Frage ja um etwas anderes geht, nämlich letztlich um philosophische Werke, die als „Selbstoffenbarung Gottes“ gelesen worden sind. Bei der PhdG gibt es diese Lesart, unabhängig davon, ob sie eine korrekte oder gar die dominante Lesart ist.

Johannes Scherr (1817-1886) berichtet, wie ihm als Student im „Brillant-Feuer Heinischen Witzes“ in einer Tübinger Kneipe ein neues Evangelium verkündet worden sei: Unter den Fanfaren eines übermütigen Humors wurde das Hegelsche Evangelium vom Mensch-Gott verkündigt, und ich erfuhr mit großer Genugtuung, dass die göttliche Idee in meinem Ich zum selbstbewussten vernünftigen Geist geworden sei.
http://www.d-just.de/text13.pdf

Gruß
F.

Ich hatte überlegt, ob ich auf so eine sonderlichen Frage eines „modernen“ bzw. „postmodernen“ Philosophen überhaupt reagieren soll, mit einer Spiegelung meiner verwirrten Gefühle, WIE???

Was Wilber betrifft, der spricht vielfach statt von „Gott“ lieber vom wahren Selbst (unserer innersten wahren Natur) oder vom absoluten etc., auch dessen absoluter Identität. Letztere Selbstmodellierung verwendet auch Manfred Frank in seinen Werken, speziell in seinem Buch „Selbstgefühl“.

Für Hegel wie für Schelling ist „Geist“ ebenso mit absoluter Identität gleichzusetzen, ebenfalls Fichtes absolutes Ich und Kants transzendentales Subjekt. Bei Spinoza bin ich auf Seite eines seiner Kritiker, dem Schopenhauer Arthur nämlich, soll heißen, es genügt statt von Gott bzw. göttlicher Natur (Spinozas Sprachkonstrukt) nur von Natur zu sprechen, z. B. im Sinne einer Kosmologie (Jantsch) der Selbstorganisation (vgl. auch die Biologie der Selbstorganisation im Sinne Spinozas bzw. das Buch des wohl bekanntesten Hirnforschers der Welt, Antonio Damasio „Der Spinoza-Effekt“).

Marx ist der Autor, der die von mir vertretene Sichtweise vielleicht am Klarsten von allen Philosophen in meinem Sinne formuliert (obwohl ich natürlich als Manager einen philosophisch und sozialwissenschaftlich begründeten Liberalismus vertrete - hier seit Jahrzehnten). Marx schreibt:

"Die Philosophie verheimlicht… nicht (…) ihr eigens Bekenntnis… gegen… alle Götter, die das menschliche Selbstbewusstsein nicht als die oberste Gottheit anerkennt. Es soll keiner neben ihm (dem menschlichen, meinetwegen auch „göttlichen“ Selbstbewusstsein] stehe." (Ziert aus Karl Marx, Philosophie und Ökonomie ).

(Anm.: Als ich hier mal einen Artikel postetet, mit der Überschrift: „Der letzte Gott“, zu einem wichtigen philsophischen Thema machen wollte, war der Aufruhr in diesem religiös geschwängerten Glaubensforum groß. Der User „Chan“ zum Beispiel ereiferte sich so sehr, dass auf sein permanentes Drängen , mein Artikel schließlich gelöscht wurde, mit unsinniger Begründung religiöser Fundamentalisten).

Was Nietzsche betrifft: Es genügt, statt einen in der neuzeitlichen Philosophiegeschichte „toten“ Begriff aufwärmen zu wollen (vg. den lebenden Philosophen Peter Sloterdijk und sein Werk „Nach Gott“), den existenziellen und tiefenpsychologischen Begriff von Macht - oder Wille zur Macht (zum Überleben, im Sinne von Richard Dawkins) herzunehmen und das absolute Selbstbewusstsein mit absoluter Identität bzw. Selbsterkenntnis gleichzusetzen (im Sinne des politischen Sokrates!), anstatt von einer „Offenbarungsphilosophie“ zu sprechen, was m. E. besser ins Reli-Brett passen würde, sozusagen als frommer Wunsch nach einer „Offenbarungstheologie“.

Shit for the Book
CJW

Oder der miterwähnte Moreno von „reiner Spontaneität“ …

Natürlich geht es nicht um die Buchstabenfolge G-o-t-t, sondern um die Denkfigur.

Auch das Reden von der „Selbstoffenbarung Gottes“ oder vom „neuen Evangelium“ hat im Deutschen Idealismus seine große Heimstatt.

Wenn man Spinoza nicht gerecht werden möchte, dann kann man das so machen.
Spinoza schreibt aber absolut eindeutig von „Deus sive Natura“. Wie das zu verstehen ist, ist natürlich nicht eindeutig, aber dass er Gott und Natur begrifflich nicht restlos identifiziert schon.
Dazu kommt natürlich, dass wir unter „Natur“ vornehmlich die „natura naturata“ (im Sinne Spinozas) verstehen, was dann ganz ins Falsche läuft.

Damasios Arbeit über Spinoza ist sehr interessant, weil er damit wiederum interessante Arbeiten angestoßen hat (z.B. von Heidi Ravven), und er damit ein Gebiet der Schnittstelle Spinoza-(Psychoanalyse)-Neurowissenschaften beackert das spannend ist.
Philosophisch ist sein Spinoza-Verständnis aber ein schlechter Witz bzw. ein völliges Missverständnis (was ok ist, er ist Neurowissenschaftler und Missverständnisse sind oft fruchtbarer als Verständnisse).

Nein, gar nicht.
Es geht in meiner Frage um Philosophie, nicht um Religion.

Gruß
F.

Btw. schon klar, daß es dir mit deiner Anfrage nicht primär um Hegels PhdG gegangen ist. Ich habe es nur aufgegriffen, weil es ein Beispiel für das von dir Gemeinte sein sollte. Aber genau das ist es nicht.

Ja, z.B. das von Rohls. Und damit zeigst du ein Mißverständnis. Verzeih, daß ich sogar vermute, du habest die PhdG gar nicht durchgeackert (und in der Enz. 1830 nichteinmal das Inhaltsverzeichnis!). Allein schon in der berühmten „Vorrede“ wird deutlich, worum es geht und worum gar nicht. (Diese Vorrede - nicht die „Einleitung“ - halte ich allerdings für eine der bedeutendsten, aber eben auch schwierigsten Abhandlungen in der gesamten Philosophiegeschichte, neben Platons „Parmenides“)

Sowohl in der PhdG als auch in der Enz ist nur in einem einzigen Abschnitt (bzw in einigen §§ der Enz) das Thema „Religion“ abgehandelt. Und innerhalb dieser Abhandlungen ist unter anderem vom Christentum die Rede. Und innerhalb dieses Teils wiederum wird die „Menschwerdung Gottes“ als Selbstoffenbarung Gottes dargestellt. Es ist ein rein religionssprachlicher Ausdruck, der sich auch explizit nur auf diese Religion bezieht.

Es ist nicht die gesamte Abhandlung der Phänomenologie eine Darstellung einer Selbstoffenbarung Gottes!

Das scheint mir - sorry - eklatant mißverstanden: „Gott“ ist bei H., in der Religionsphilosophie ebenso wie in den entsprechenden Kapiteln von PhdG und Enz , ein „Anderer des Menschen“. Daher die ebendort, und nur dort, die Offenbarung (der Welt bzw. dem Menschen gegenüber).

In der Selbstentfaltung (sic!) des Geistes (nicht übersehen, daß hier, in der Philosophie des absoluten Idealismus - Schelling und Hegel - der Begriff „Geist“ erst zum philosophischen Terminus wird!)) von der sinnlichen Wahrnehmung, über die Etappen der Natruwissenschaften, der Psychologie, der Gesellschaftsphilosophie, der Kunst, der Religion usw. wird erst (nicht zeitlich, sondern logisch) der Geist zum absoluten Geist. Nämlich (in der PhdG, die ja im Grunde die Einleitung zum „System“ ist; die Enz. 1817, 1827 und 1830 ist ja bloß eine didaktische zusammenfassung „zum Gebrauch neben der Vorlesung“) im „Sich-selbst-Wissen“ aka „sich als Geist wissender Geist“.

Und dieser nun absolute Geist impliziert(!), sowohl die Natur, als auch den Menschen, als auch die Wissenschaften, und insbesondere die gesamte Weltgeschichte. Die Menschen bzw. die Weltgeschichte ist damit gar nicht etwas, in das bzw. dem gegenüber sich „Gott“ offenbaren oder mitteilen könnte oder müße. Das tut er lediglich in der Form der (christlichen) Religion. Und diese ist nur eine Etappe der dialektisch-logischen Entfaltung des Begriffs „Geist“.

Soweit das …

Zu dem bei Just zitierten besoffenen Studenten: Das ist allerdings wahr, daß in der Nachfolge Hegels, unter seinen Studenten, ebenso wie teilweise unter den Mitgliedern der „Freunde und Förderer des Verewigten“, nachgerade eine Apotheose Hegels stattgefunden hat. Das hatte wohl meist seinen Grund auch darin, daß viele bei Texten, bei denen man teilweise Tage braucht, um nur eine einzige Seite durchzuarbeiten, völlig überfordert waren, und vor den oft genialen sprachlichen Kunststückchen bei der Formulierung schwierigster Inhalte einfach „in die Knie“ gegangen sind. Also konnte das Werk auch inhaltlich nur „superlunary“ sein …

Gruß
Metapher

Ja.

Zu deinem Kommentar wegen Reli-Argument: Außer Spaeman, der auch kluge philosophische Probleme beschreiben kann, ganz ohne „Gott“, kenne ich, außer Wilber vielleicht, der aber kaum in der gegenwärtigen Diskussion von namhaften Gegenwartsphilosophen ernst genommen wird, keinen, der was zu sagen hätte in Bezug auf deine Frage nach einer sogenannten „Offenbarungsphilosophie“.

Was sagt Nietzsche zu so einem Philosophieren „Nach Gott“ (Sloterdijk)???

Als Sprachanalytiker, lange vor Wittgensteins Sprachspielen, bringt Nietzsche es auf den Punkt: Wir glauben mit dem jahrtausendealten, kulturell konditionierten Begriff „Gott“ immer noch an die Grammatik (wie Soldaten, die auf Befehl schießen. Oder Pawlows Hunde, die auf Reize so reagieren, wie Soldaten es sollen durch Sprache. Der Herr Professor Pawlow machte ja bekanntlich seine Hunde-Versuche beim Militär - diese nachweisbare Konditionierung ist nicht nur tierisch, sondern auch menschlich - dazu: Vanessa Lemm „Nietzsches Philosophie des Tieres - Kultur, Politik und die Animalität des Menschen“, V. Lemm ist Prof. an Uni Sidny).

Wenn Heraklit lehrt „alles fließt“ - „du kannst nicht zweimal in denselben Fluss steigen“ und „der Weg nach oben ist derselbe wie nach unten“, frage ich dich aus der Introspektion heraus:

Wenn du nur etwas „oben“ suchst als „Offenbarung“, fehlt dir da nicht das Äquivalent einer „integrierten Philosophie“ (Wilber), dass du vielleicht den Körper und seine Bedürfnisse völlig dabei vergisst, wie z. B. Schopenhauer mit seiner Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben??? (Und wie er doch, der alte Grandler Schopenhauer, ewig leben wollte, nicht nur bis zu seinem letzten Atemzug, sondern sogar ewig leben wollte, mit Hilfe seines religiösen Glaubens an die Vedanta-Philosophie, Schopenhauers ewiger Widerspruch, wie bei dir???).

Die Enzyklopädie hab ich nie in der Hand gehalten.
Die PhdG habe ich dagegen gelesen und Teile davon (Vorrede, Einleitung und Sinnliche Gewissheit) relativ intensiv gelesen, weil sie damals Magisterzwischenprüfungs-Literatur war.
Noch heute ist „das Jetzt ist die Nacht“ ein running gag zwischen meiner Frau und mir :wink:

Völlig klar, dass du erwiesener Hegel-Experte bist und ich nicht (ich bin tatsächlich nicht einmal in der Lage, mich ohne erneute Vertiefung fundiert darüber äußern zu können), aber ich finds seltsam, dass du mir die Kenntnis so dermaßen absprichst, nachdem ich im Grunde noch gar nichts zu Hegel geschrieben habe in diesem Thread, sondern nur eine Lesart zitiert, die es ohne Frage gibt und seit jeher gibt.

Dass die PhdG die Darstellung der Selbstoffenbarung des absoluten Geistes (und selbst Ort und Teil dieser Selbstoffenbarung) ist?
oder
Dass darin die Gleichsetzung von Gott und absolutem Geist erfolgt ist?

Beides sind fraglos etablierte Lesarten. Ob sie „eklatante Missverständnisse“ sind, ist erstmal nicht von Belang.
Es ist auch nicht so, dass diese Lesarten in den Tübinger Büschen und Tavernen enden, wie deine Schlussbemerkung es suggeriert.
Das verlinkte Werk ist von 2014 und es ließen sich viele andere aktuelle Arbeiten verlinken.
Um noch ein Zitat reinzustellen, weil ich damit kürzestmöglich auf zwei von dir angesprochene Punkte eingehen kann:

Die Entwicklungsstufen des Geistes erscheinen im Verlauf der Geschichte. So spricht Hegel in seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte“ auch vom „Weltgeist“7, der die Geschichte durchwaltet und vernünftig bestimmt. Am Ende des Entwicklungsprozesses des Geistes kann im absoluten Geist auch der Bezug zu Gott hergestellt werden: Der absolute Geist ist der sich selbst wissende, selbstbewusste, sich-seiner-selbst-bewusste Geist, er ist die Identität der Identität mit der Nicht-Identität. So äußert sich im Denken des Subjekts das Absolute, also auch Gott, der im menschlichen Wissen, sofern es die höchste Stufe erreicht und absolutes Wissen wird, vollendet gedacht werden kann. Dies zeigt, dass Hegel die Ausfaltung der Religion ganz in der Philosophie ansiedelt, wodurch seine Philosophie zur religiösen Philosophie wird.

a) Identität der Identität mit der Nicht-Identität: wo bleibt denn hier überhaupt ein Ort für ein „Anderes“?
b) Natürlich kann und muss sich Gott nicht mehr „in die Weltgeschichte“ offenbaren, wenn er es „in und durch“ sie bereits „vollendet“ getan hat (das ist nicht allein zeitlich zu verstehen, aber auch).

Darüber, wo sich bei Hegel ein Ort für ein „Anderes“ finden lässt und über die Rolle der Zeitlichkeit bei Hegelund auch in der PhdG, gäbe es natürlich viel Kontroverses zu sagen (bzw. wurde und wird en masse gesagt), das bestreite ich ja nicht einmal ansatzweise.

Gruß
F.

Der Quell des Missverstehens besteht m.E. darin, dass es hier nicht um den jüdischen, christlichen, islamischen oder sonstigen Gott geht, der sich irgendwelchen Propheten im Traum offenbart oder in irgendwelchen Dornenbüschen manifestiert, sondern um „das Absolute“, das in und durch ein Werk offenbar wird, welches strukturell dermaßen in sich geschlossen ist, dass es als Ort und Teil und meinetwegen Schlussakt dieser Offenbarung zu verstehen ist.
Trotz der Einwände Metaphers bleibt für mich die ‚Phänomenologie des Geistes‘ in einer bestimmen Lesart das Beispiel par excellence dafür.

Ach, das ist doch bei Nietzsche nur eine Oberflächen-Ebene.
Als ob bei Nietzsche kein Gott mehr gefunden worden wäre …

Gruß
F.

Heidegger zum Beispiel, hat durch sein intensives Nietzsche-Studium zuerst in seinem Hauptwerk, dieses (hier speziell deines!) philosophische Problem, wie du ja weißt, mit der Zeit verbunden, was ja sowohl das individuelle als auch kollektive Sein absolut existenziell und realistisch beschreibt, weil das Sein, zunächst rein oberflächlich gesehen, ohne Zeit scheinbar nicht sein kann.

Aber, wie Kant psychologisch erkannte, ist das metaphysische Bedürfnis irgendwo tief in unserer menschlichen Natur inhärent, spricht die SINNFRAGE, wobei die heute eher psychologisch und neurologisch beschrieben wird, jedoch nicht wirklich voll erklärbar ist. Das unterscheidet ja auch die Philosophie von allen Fachwissenschaften.

Heidegger hat in seinem zehn Jahre vor seinem Tode geführten SPIEGEL-Interview ja bekanntlich den Satz als sein metaphysisches Erbe hinterlassen: „Nur noch ein Gott kann uns retten“ (diesen Satz habe ich hier im Brett mal so kommentiert: „Heidegger hat Nietzsche überhaupt nicht verstanden!“).

Der Metapher hat mal im Reli-Brett eine m. E. sehr kluge Abgrenzungsanalyse (im Sinne der modernen Sprachphilosophie) gestartet, indem er explizit zu machen versuchte, dass der Wahrheitsanspruch der Religionen gar nichts mit den Wahrheitskonzeptionen der Philosophie zu tun hätte. Und ich habe diese Immunisierung damals sowohl kritisiert als auch (sogar überwiegend!) positiv bewertet und sogar echt bewundert, denn darum geht’s ja überhaupt - um’s ÜBERLEBEN!!!

Also, warum du jetzt wieder zurückrudern willst, „vor“ Nietzsche, ist für mich insofern eine interessante Frage, weil eben die dazu fehlende „Offenbarung“ fehlt, die die Philosophie ja auch nicht bieten kann, sondern nur die Religion.

Seit Sokrates („Es gibt nur ein einziges Gut für den Menschen, die Wissenschaft, und nur ein einziges Übel, die Unwissenheit.“) unterscheidet unsere abendländische Kultur das Wissen vom Glauben.

Dass Nietzsche dem armen Sokrates die Schuld dafür gibt, dass angeblich durch ihn (aus der Sicht von Nietzsche) „Gott“ im Laufe der Philosophie und Wissenschaft durch den mechanistischen RATIONALISMUS getötet wurde, das hat m. E. Nietzsche völlig missverstanden.

Es war Platon, der von seinem Lehrmeister Sokrates dann ein geschlossenes Gesellschaftssystem konstruierte und nicht der arme, unschuldige Sokrates (schaust du in der Münchner Uni, da steht neben Goethe nicht Sokrates, sondern Platon als überlebensgroße Statue des abendländischen philosophisch-wissenschaftlichen Geistes).

Was bleibt übrig???

Vielleicht Whiteheads Satz, dass die ganze abendländische Kultur nur eine „Fußnote Platons“ ist, bisher!? Aber den Begriff „Gott“ hat auch Whitehead weitestgehend vermieden, folgerichtig und logisch, um den Begriff des WISSENS , im Unterschied zum GLAUBEN, rein zu halten, wobei ich dir absolut zustimme, dass sogar auch Nietzsche, wie auch Heidegger und viele andere, „Gottsucher“ waren - wie offensichtlich auch du.

Aber, warum suchst du „Gott“ nicht in der Religion bzw. Theologie???

Warum eigentlich?
Weil „nur noch ein Gott kann uns retten“ ein Widerspruch zu „Gott ist tot“ wäre?

Ich habe in meiner Antwort ‚Metapher‘ gegenüber Schellings Freiheitsschrift angeführt, in der von der „Selbstoffenbarung Gottes“ geschrieben steht.

Damit wollte ich nicht andeuten, dass ich Hegels ‚Phänomenologie des Geistes‘ auf genau solche Art als „Selbstoffenbarung Gottes“ verstünde (auch wenn es sicher nicht abwegig wäre, die PhdG vom frühen Schelling her zu lesen), sondern „nur“ kundtun, dass der Offenbarungsbegriff in dieser (dem Hegel zeitlich, thematisch, persönlich und philosophisch nahe stehenden) Schrift ein philosophischer ist und nicht etwas, das „nur die Religion bieten kann“.

Um den Gott des Glaubens geht es mir hier auch mit Sicherheit nicht, sondern -und dafür ist die PhdG geradezu ein vorzügliches Beispiel gewesen- um den Gott des Wissens.

Als „Gottsucher“ verstehe ich mich nicht, wenn dann, als ein Gottliebender.
Jedenfalls ist doch leicht verständlich, warum ich Gott nicht in den Religionen suche/liebe: weils mir um den Gott der Religionen nicht geht.

Gruß
F.

Ich verstehe dich!

Ich bin gerade dabei, mich dem Serienmörder Christopher Wilder näher zu befassen. Acht Morde an schönen jungen Frauen waren nachweisbar, bis zu 14 Morde und mehr, vermuten Kriminalisten.

Wilder hat sich nur die schönsten Mädchen als Opfer ausgesucht, darunter eine Schönheitskönigin, die eine Misswahl gewann. Wilder vergewaltigte das Mädchen und tötete sie anschließend. Er wurde schon als 17-Jähriger wegen Vergewaltigung verurteilt, weil er am Strand von Sydney zusammen mit anderen Jugendlichen, deren Anführer er war, ein junges Mädchen brutal vergewaltigte. Er bekam ein Jahr Gefängnis auf Bewährung. Allerdings musste er auf Anordnung des Gerichts sich einer psychiatrischen Behandlung unterziehen, mit Elektroschocks.

Weil er in Australien wegen anderer Sexualdelikte gesucht wurde, übersiedelte er in die USA, wo er alle seine Morde beging. Er gab sich als Mode-Fotograf aus und sprach nur die schönsten Mädchen an, die ihn „anmachten“. Er versprach ihnen einen Model-Vertrag und eine steile Karriere für viel Geld. Darauf fielen seine Opfer herein, die er vergewaltigte und ermordete.

Nur ein Opfer, die 16-jährige Tina Maria Risico, die er zuerst tagelang in einem Hotelzimmer pervers vergewaltigte und mit Elektroschocks folterte, ließ der Serienmörder laufen. Er kaufte ihr sogar ein Flugticket zu ihren Eltern nach Los Angeles, wo sie sofort zur Polizei ging. Christopher Wilder wurde quer durch die USA als einer der meist gesuchtesten Kriminellen von ganz Amerika vom FBI gejagt, und dann bei einem Schusswechsel erschossen.

Warum ließ er gerade ein Mädchen leben, das er zuvor mit Elektroschocks gequält hatte, wie die Psychiater ihn zuvor?

Das versuche ich nur mit der Metaphysik von Hegel zu erklären (was Schelling betrifft, finde ich seine Dialektik stark).

Fazit: Ich bin also auch wie du ein halber oder ganzer Hegelianer.
Gruß
CJW