'Offenes Konzept' in Kinderkrippe

Hallo Experten,

was haltet ihr von einem „offenen Konzept“ in einer Kinderkrippe (für Kinder im Alter von 6 Monaten bis 3,5 Jahren).

Erst mal ein Überblick über das Konzept:
Als „offenes Konzept“ wird im vorliegenden Fall der Ansatz bezeichnet, dass jeweils 4-5 Kinder zwar einer Erzieherin als Primär-Bezugsperson zugeordnet werden, aber keine klassische Einteilung in Gruppenräume mehr vollzogen wird (also keine Käfer-Gruppe, Bienen-Gruppe, etc.).

Das Angebot erfolgt vielmehr raumspezifisch, d.h. es gibt einen Kunstraum, einen Märchenraum, einen Ruheraum, einen Werkraum, einen Musikraum, etc. Die Kinder können sich frei zwischen den Räumen bewegen.

Die Idee ist, dass die Kinder das Angebot je Bedürfnis selbst „abgreifen“ können, anstatt dass der Gruppe „übergestülpt“ wird, was zu tun ist. So wird dann auch nicht mehr von der ganzen Gruppe zu Ostern ein Osternest gebastelt, sondern die Kinder haben die Möglichkeit z.B. ein Osterbild im Kunstraum zu malen oder eben z.B. irgend etwas „Osterspezifisches“ im Werkraum zu basteln.

Pro Raum sind 2 ErzieherInnen anwesend plus noch zwei „Springer“, die bei hohem Bedarf zusätzlich einspringen können. Weiterhin wechseln alle ErzieherInnen die Räume alle zwei Wochen, so dass z.B. gerade kleine Kinder, die sehr an der Bezugsperson hängen, mit der ErzieherIn durch die Räume wechseln.

Die Benutzung des Gartens und der Außenbereiche ist ähnlich frei organisiert.

„Strukturbildende“ Maßnahmen, also „Ankerpunkte“ im Tagesablauf, sind vornehmlich die Essenszeiten und die Ruhezeiten. Wobei diese auch insofern aufgeweicht werden, dass die Kinder auch zwischendurch etwas zu essen bekommen und auch nicht zu einem Nachmittagsschläfchen gezwungen werden.

So nun zu meinen Fragen:

  • Habt ihr persönliche Erfahrungen mit so einem Konzept in so einer jungen Altersgruppe?
  • Was haltet ihr generell davon?
  • Wo liegen die „Gefahren“ und was kann man als Eltern machen, um diesen Gefahren „vorzubeugen“ bzw. „entgegen zu steuern“ und so das Konzept der Krippe konstruktiv zu unterstützen?

Ich als Laie habe folgende Ängste/Sorgen bei diesem Konzept:

  • Möglicherweise zu wenig Struktur für die Kleinen
  • Gerade die ganz Kleinen 6 Monate bis 1,5 Jahre könnten sich überfordert fühlen
  • Introvertierte Kinder könnten leicht von den jeweiligen Gruppen oder auch älteren Kindern ausgeschlossen werden

Sind diese Befürchtungen unbegründet?

P.S.: Die fragliche Krippe befindet sich erst im Aufbau, so dass keine Eltern nach ihren bisherigen Erfahrungen befragt werden können.

Vielen Dank schonmal!

Gruß,
Sax

Hallo Sax,

ich schreibe mal die Fürs und Widers, die sich in meinen Augen aus diesem Konzept ergeben auf. Mein Alterseinschätzungen bitte ich eher tendenziell als absolut zu verstehen, natürlich gibt es immer Ausnahmen.

Wichtig für Krippenkinder ist vor allem eine Bezugsperson, welche die Konzeption ja auch vorsieht. Kinder unter drei (stärker noch Kinder unter zwei Jahren) brauchen zwingend eine stabile Bindungspartnerin in der Krippe.

An selbstständigen Aktivitäten weg von den Bezugspersonen sind unter Zweijährige eher nicht interessiert, einen eigenmotivierten Raumwechsel halte ich in dieser Altersgruppe (und zu weiten Teilen auch noch bei den unter Dreijährigen) für kaum realistisch. Nach und nach neue Räume mit der Bezugserzieherin zu erkunden, empfinde ich allerdings als gute und auch erfolgversprechende Idee. Dass die beiden „Raumerzieherinnen“ aber häufig Besuch von anderen Kindern bekommen werden, die alleine unterwegs sind, würde ich in dieser Altersgruppe eher nicht erwarten.

Auch halte ich die freie Raum- und Aktivitätswahl in diesem Ausmaß für eine Überforderung in dieser Altersgruppe. Entscheidungen zwischen nur zwei Alternativen zu treffen, schaffen Kinder frühestens ab ca. zwei Jahren. Mit einer solchen Vielfalt an Räumen zurechtzukommen führt nach meiner Einschätzung eher zu einer Reizüberflutung.

Bliebe man primär bei dem Prinzip, alle paar Wochen mit der Bezugserzieherin den Raum zu wechseln (und dort zu bleiben) hätten die Kinder hingegen ausreichend Gelegenheit, nach und nach die Räume zu erkunden, ohne von deren Angeboten erschlagen zu werden.

Übersehen sollte man auch nicht, dass Kinder unter drei kaum zweckgebunden spielen. Sie benutzen alles zu allem und vor allem unter zwei Jahren lebt ihr Spiel vom Ausprobieren und von der Wiederholung. Sie können 10 Minuten lang (und länger) Stifte vom Tisch in einen Becher stellen, diesen wieder auf den Tisch auskippen und von vorne beginnen. Ob man dazu zwingend einen Kunstraum braucht…okay.

Die Erzieherinnen sollten sich also darauf einstellen, dass die Kinder beim Raumwechsel zwar durchaus neue Impulse bekommen werden, diese aber nicht unbedingt so umsetzen werden, wie es der Raumcharakter angedacht hat. Dazu sind sie erst ab ca. drei Jahren in der Lage.

Die Notwendigkeit eine Stammgruppe hingegen wird von der Bedeutung her in meinen Augen im Krippenbereich überschätzt. Kinder entwickeln erst ab zwei Jahren so ganz allmählich ein Miteinander im Spiel und in ihrer Wahrnehmung. Sie begreifen noch gar nicht, dass sie die Mitglieder der „Käfergruppe“ sind. Das wird für Kinder ab ca. 3 Jahren bedeutsamer. Von daher spräche also nichts dagegen, auf Stammgruppen zu verzichten.

Wenn ich Dinge wie „Osternest basteln“ lese, drängt sich mir allerdings ein wenig der Verdacht auf, dass es mit der Einschätzung der Bedürfnisse von unter Dreijährigen grundsätzlich ein wenig hapert :smile:. Derartige Angebote funktionieren nur sehr rudimentär in dieser Altersgruppe - es sei denn, die Erzieherinnen erledigen die Hauptarbeit dabei, was aber sicher nicht im Sinne der Kinder ist.

Ein Problem könnten auch die ganz Kleinen machen. Kinder, die noch nicht selbst mobil sind, reagieren möglicherweise stärker verunsichert, wenn sich ihre Umgebung immer wieder verändert. Das muss man ausprobieren. Entscheidend ist aber, dass ihnen in jedem Fall ihre Bezugserzieherinnen erhalten bleiben.

Was die Struktur betrifft: Ein Ankomm- und Abschiedsritual halte ich persönlich für wichtig. Gemeinsame Mahlzeiten sind für mich gerade in der Krippe ein Muss. Unerfahrene Erzieherinnen fühlen sich hier zu Anfang manchmal überfordert, weil sie nicht wissen, wie sie das Füttern und die restliche Bedürfnisbefriedigung der älteren Kinder unter einen Hut kriegen sollen. Das geht aber ganz problemlos, wenn man ein wenig Übung hat.

Wenn man Essen als das versteht, was es ist - ein wesentlicher Bereich der Erziehung und des Kompetzenzerwerbs - dann findet man auch den Mut, sich ausreichend Zeit dafür zu nehmen und nicht nur die Nahrungsaufnahme im Vordergrund zu sehen, die in einem bestimmten Zeitrahmen abgeschlossen zu sein hat. Krippenkinder lernen am gemeinsamen Esstisch mehr als beim Osternest- (oder sonstwas) Basteln :smile:. Eine der besten Krippen, die ich im Rahmen der Ausbildung meiner Schülerinnen immer wieder besuche, frühstückt mit ihren Kindern zwischen 45 und 70 Minuten. Langweilen tut sich dabei niemand. Den Kindern wird dabei größtmögliche Selbstständigkeit ermöglicht, die sie auch üben dürfen. Und so sieht man Zweijährige völlig selbstverständlich mit Messer und Gabel hantieren und 8 Monate alte Babies alleine mit dem Löffel essen. Kein Drill, wohlgemerkt, sondern das Ermöglichen von Lernerfahrungen, die Kinder in diesem Alter begeistert aufgreifen. Aber ich schweife ab :smile:

Mein Fazit: Unter der Prämisse, Kinder unbedingt und unter allen Umständen bei ihrer Erzieherin zu lassen, kann man sich an dieses Konzept sicher rantasten. Die Kinder werden selbst das beste Regulativ werden. Ganz grundätzlich halte ich es für die ab Dreijährigen besser geeignet.

Schöne Grüße
Jule

Servus Jule,

vielen Dank!

Im Grunde bestätigst Du meine Einschätzung wo die Grenzen dieses Konzeptes liegen.

Das Problem ist vor allem, dass man sich momentan das Konzept noch nicht in der Praxis ansehen kann wir gleichzeitig uns aber schon jetzt entscheiden müssen, ob unsere Kleine nächstes Jahr dort hingeschickt wird. So „kauft“ man ein wenig die „Katze im Sack“.
Alternativen sind auch eigentlich nicht vorhanden (außer zwei sehr unsympatische Tagesmütter).

Ich bin eher dafür, es mal auszuprobieren. Sollte es nicht klappen, können wir immer noch umdisponieren.

Gruß,
Sax