Hallo Sax,
ich schreibe mal die Fürs und Widers, die sich in meinen Augen aus diesem Konzept ergeben auf. Mein Alterseinschätzungen bitte ich eher tendenziell als absolut zu verstehen, natürlich gibt es immer Ausnahmen.
Wichtig für Krippenkinder ist vor allem eine Bezugsperson, welche die Konzeption ja auch vorsieht. Kinder unter drei (stärker noch Kinder unter zwei Jahren) brauchen zwingend eine stabile Bindungspartnerin in der Krippe.
An selbstständigen Aktivitäten weg von den Bezugspersonen sind unter Zweijährige eher nicht interessiert, einen eigenmotivierten Raumwechsel halte ich in dieser Altersgruppe (und zu weiten Teilen auch noch bei den unter Dreijährigen) für kaum realistisch. Nach und nach neue Räume mit der Bezugserzieherin zu erkunden, empfinde ich allerdings als gute und auch erfolgversprechende Idee. Dass die beiden „Raumerzieherinnen“ aber häufig Besuch von anderen Kindern bekommen werden, die alleine unterwegs sind, würde ich in dieser Altersgruppe eher nicht erwarten.
Auch halte ich die freie Raum- und Aktivitätswahl in diesem Ausmaß für eine Überforderung in dieser Altersgruppe. Entscheidungen zwischen nur zwei Alternativen zu treffen, schaffen Kinder frühestens ab ca. zwei Jahren. Mit einer solchen Vielfalt an Räumen zurechtzukommen führt nach meiner Einschätzung eher zu einer Reizüberflutung.
Bliebe man primär bei dem Prinzip, alle paar Wochen mit der Bezugserzieherin den Raum zu wechseln (und dort zu bleiben) hätten die Kinder hingegen ausreichend Gelegenheit, nach und nach die Räume zu erkunden, ohne von deren Angeboten erschlagen zu werden.
Übersehen sollte man auch nicht, dass Kinder unter drei kaum zweckgebunden spielen. Sie benutzen alles zu allem und vor allem unter zwei Jahren lebt ihr Spiel vom Ausprobieren und von der Wiederholung. Sie können 10 Minuten lang (und länger) Stifte vom Tisch in einen Becher stellen, diesen wieder auf den Tisch auskippen und von vorne beginnen. Ob man dazu zwingend einen Kunstraum braucht…okay.
Die Erzieherinnen sollten sich also darauf einstellen, dass die Kinder beim Raumwechsel zwar durchaus neue Impulse bekommen werden, diese aber nicht unbedingt so umsetzen werden, wie es der Raumcharakter angedacht hat. Dazu sind sie erst ab ca. drei Jahren in der Lage.
Die Notwendigkeit eine Stammgruppe hingegen wird von der Bedeutung her in meinen Augen im Krippenbereich überschätzt. Kinder entwickeln erst ab zwei Jahren so ganz allmählich ein Miteinander im Spiel und in ihrer Wahrnehmung. Sie begreifen noch gar nicht, dass sie die Mitglieder der „Käfergruppe“ sind. Das wird für Kinder ab ca. 3 Jahren bedeutsamer. Von daher spräche also nichts dagegen, auf Stammgruppen zu verzichten.
Wenn ich Dinge wie „Osternest basteln“ lese, drängt sich mir allerdings ein wenig der Verdacht auf, dass es mit der Einschätzung der Bedürfnisse von unter Dreijährigen grundsätzlich ein wenig hapert
. Derartige Angebote funktionieren nur sehr rudimentär in dieser Altersgruppe - es sei denn, die Erzieherinnen erledigen die Hauptarbeit dabei, was aber sicher nicht im Sinne der Kinder ist.
Ein Problem könnten auch die ganz Kleinen machen. Kinder, die noch nicht selbst mobil sind, reagieren möglicherweise stärker verunsichert, wenn sich ihre Umgebung immer wieder verändert. Das muss man ausprobieren. Entscheidend ist aber, dass ihnen in jedem Fall ihre Bezugserzieherinnen erhalten bleiben.
Was die Struktur betrifft: Ein Ankomm- und Abschiedsritual halte ich persönlich für wichtig. Gemeinsame Mahlzeiten sind für mich gerade in der Krippe ein Muss. Unerfahrene Erzieherinnen fühlen sich hier zu Anfang manchmal überfordert, weil sie nicht wissen, wie sie das Füttern und die restliche Bedürfnisbefriedigung der älteren Kinder unter einen Hut kriegen sollen. Das geht aber ganz problemlos, wenn man ein wenig Übung hat.
Wenn man Essen als das versteht, was es ist - ein wesentlicher Bereich der Erziehung und des Kompetzenzerwerbs - dann findet man auch den Mut, sich ausreichend Zeit dafür zu nehmen und nicht nur die Nahrungsaufnahme im Vordergrund zu sehen, die in einem bestimmten Zeitrahmen abgeschlossen zu sein hat. Krippenkinder lernen am gemeinsamen Esstisch mehr als beim Osternest- (oder sonstwas) Basteln
. Eine der besten Krippen, die ich im Rahmen der Ausbildung meiner Schülerinnen immer wieder besuche, frühstückt mit ihren Kindern zwischen 45 und 70 Minuten. Langweilen tut sich dabei niemand. Den Kindern wird dabei größtmögliche Selbstständigkeit ermöglicht, die sie auch üben dürfen. Und so sieht man Zweijährige völlig selbstverständlich mit Messer und Gabel hantieren und 8 Monate alte Babies alleine mit dem Löffel essen. Kein Drill, wohlgemerkt, sondern das Ermöglichen von Lernerfahrungen, die Kinder in diesem Alter begeistert aufgreifen. Aber ich schweife ab 
Mein Fazit: Unter der Prämisse, Kinder unbedingt und unter allen Umständen bei ihrer Erzieherin zu lassen, kann man sich an dieses Konzept sicher rantasten. Die Kinder werden selbst das beste Regulativ werden. Ganz grundätzlich halte ich es für die ab Dreijährigen besser geeignet.
Schöne Grüße
Jule