Ohne Reagan kein Gorbatschow?

Hallo und Guten Tag,

wer vor etwa 1970 geboren wurde, der wird sich vielleicht noch daran erinnern, wie kritisch in den 1980er Jahren der damalige Präsident der USA, Ronald Reagan in Deutschland aber auch im Rest Europas gesehen wurde. Reagans extrem martialisch „Säbelrassen“ gegenüber dem Ostblock, seine aggressives Aufrüsten gegenüber der damals noch bestehenden Sowjetunion passten so gar nicht zu damaligen Stimmung der Friedensbewegung in Deutschland bzw. Westeuropa. Zum einen, weil ein dritter Weltkrieg den Weltuntergang, zumindest aber den Untergang Europas bedeutet hätte, zum anderen, weil Reagans extreme soziale Kälte den damals noch mehr als heute sozialstaatlich orientierten Europäern völlig fremd war.

Hier ein paar „Spiegel“-Titel zu Ronald Reagan aus den 1980er Jahren:

http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1981-34.html

http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1981-44.html

http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1982-23.html

http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1983-45.html

http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1984-46.html

Und hier das Lied „Sonne statt Reagan“ aus dem Jahr 1982, gesungen von Joseph Beuys:

http://www.youtube.com/watch?v=DQ1_ALxGbGk

Als dann 1985 in der Sowjetunion Michail Gorbatschow an die Macht kam wurde er fast wie ein „Messias“ gesehen und als 1989 die Mauer in Deutschland fiel, wurde Gorbatschow dafür gefeiert und nicht etwa Reagan.

Nun gibt es offensichtlich immer mehr in Deutschland, die der Meinung sind, Reagan sei der eigentliche „Held“ gewesen, er habe mit seinem aggressiven Auftreten und Aufrüsten gegen die Sowjetunion diese quasi im Alleingang „in die Knie“ gezwungen, überhaupt habe sich die Weltanschauung Ronald Reagans in jeder Hinsicht im Rückblick als gut, wahr und richtig erwiesen.

U.a. meinen dies Gideon Böss:

http://www.welt.de/debatte/weblogs/Boess-in-Berlin/a…

und Joachim Steinhöfel:

http://www.steinhoefel.de/blog/2011/02/happy-birthda…

Ist bzw. war Ronald Reagan also ein „verkannter Held“ und Gobartschow nur die „fleischgewordene Kapitulation“ des „Reichs des Bösen“, wie Reagan ja die UdSSR zu nennen pflegte?

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich Reagan nach wie vor nicht besonders sympathisch finde. Seine damalige Innenpolitik kann meiner Meinung nach kein sozial empfindender Mensch gutheissen, und sein Rüstungsfanatismus, bei dem die SU offenbar weder weiterhin mithalten konnte noch wollte, ist auch m.E. auch im Nachhinein ethisch fragwürdig.

Dennoch würden mich mal die Meinungen hier interessieren:

Wäre es ohne Ronald Reagan und dessen aggressive Rüstungspolitik nicht zu Michail Gorbatschow und dessen Reformen gekommen?
In Nordkorea und Kuba herrschen ja auch immer noch die alten kommunistischen Systeme, obwohl beide Länder zweifellos den USA noch weit unterlegener sind als die Sowjetunion es war.

Ist Reagan ein „verkannter Held“, dem eigentlich tiefe „Ehrerbietung“ gebührt, weil er Europa die Freiheit gebracht hat? Und ist Deutschland Reagan gegenüber „undankbar“, weil es angeblich seiner aggressiven antikommunistischen Politik die Wiedervereinigung zu verdanken hat? Aber ist die Kehrseite der Medaille nicht, dass Reagan in Ländern der dritten Welt, etwa in Nicaragua oder Angola, durch seine „covert actions“, auch viel Leid über die Menschen gebracht hat?

Vielen Dank im Voraus für Antworten und Meinungsäußerungen,

Jasper.

Hallo Jasper,

kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, war damals Student und selber politisch sehr engagiert - war schon eine aufregende Zeit damals, die Zeit der Friedensbewegung und riesigen Demos - sowas kann man sich heute kaum noch vorstellen.

Ich gehörte damals zu einer kleinen, gerade in studentischen Kreisen verschwindend kleinen Minderheit, von CDU und RCDS-Mitgliedern und Befürwortern des Nato-Doppelbeschlusses. Mehrfach sass ich, als einziger Vertreter diesre Position auf einem Podium um mit Grünen, Jusos (damals viel weiter Links als heute), MSB Spartakus (wie man heute weiß DDR finanziert), Autonomen und anderen radikal Linken und „Friedensbewegten“ über dieses Thema zu diskutieren. Nicht nur einmal flogen mir dabei Eier und faule Tomaten um die Ohren - und nicht nur um…

Trotzdem war ich nicht gerade ein Fan von Ronald Reagan und seinen „Star Wars“ - Phantasien. Seine Wortwahl fand ich oft eher gefährlich und seine Sozial und Wirtschaftspolitik war auch in meinen Augen völlig daneben. Andererseits, was will man erwarten, in einem Land, in dem Krankenversicherungspflicht auch heute noch als Bedrohung der Freiheit empfunden wird.

Auf der anderen Seite war ich schon der Meinung, dass man dem Ostblock deutlich machen sollte, dass man seiner aggresiven Rüstungspolitik etwas entgegen zu setzen hatte - ich lag damals diesbezüglich voll auf der Linie von Helmut Schmidt. Mein persönliches politisches Vorbild war damals übrigens Heiner Geißler - damals noch lange nicht so populär wie heute.

Damals (wie heute) war ich der Meinung, dass die Rüstungsbestrebungen des Ostblocks von schweren innenpolitschen Problemen ablenken sollten. Auch war mir damals schon sehr bewusst, dass der Rüstungswettlauf ein finales Stadium erreicht hatte. Die Wirtschaftssysteme des Ostblocks gaben die unglaublichen Ressourcen, die damals in die Rüstung gesteckt wurden einfach nicht mehr her. In den staatlich gelenkten Planwirtschaften des Ostens verursachten die Rüstung einfach nur immer immensere Kosten. Im kapitalischen Wirtschaftssystem des Westens wirkte sich Rüstung dagegen als Konjunkturspritze erster Güte aus - sorgte für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze (das begann damals, nach den ersten Ölkrisen durchaus wichtig zu werden) und war eigentlich ein gutes Gegenmittel gegen Reagonmics - Reagans irre Wirtschaftspolitik, der sich damit selber konterkarierte.

Was ich damals unglaublich ungerecht fand, und was auch objektiv schlicht falsch war, ist dass uns Befürwortern des NATO-Doppelbewschlusses vorgeworfen wurde wir seien gegen den Frieden und wollten gar den nächsten Krieg. Tatsächlich waren nur die Meinungen über die Methode wie man den Frieden am besten erhalten kann unterschiedlich. Was-wäre-wenn-Fragen bringen natürlich nicht viel, Tatsache ist aber, dass die Abschreckung funktioniert hat.

Im Rückblick bin ich schon der Meinung, dass die damalige harte Politik der NATO-Staaten die Entwicklungen im Ostblock, bis hin zu Gorbatschow und lettzlich dem Mauerfall beschleunigt hat. Vermutlich hätte sich das ähnlich auch so entwickelt, denke allerdings, dass es anders vielleicht ein paar Jahre länger gedauert hätte.

Man darf darüber allerdings sicher nicht die Verdienste der Bürger der Ostblockstaaten vergessen. Man denke an die Solidarnosc (deren Aufkleber in den 80er-Jahren groß auf meinem Auto prangte) und Lech Walesa in Polen.

Und ohne das Engagement der Bürgerrechtbewegung und der Menschen in der DDR stände die Mauer heute noch. Ein paar Jahre früher wäre die Bürgerrechtsbewegung und die Montagsdemonstranten vielleicht vom Militär niedergeknüppelt worden. Trotzdem, die Mauer wurde von den Bürgern der ehemaligen DDR zu Fall gebracht, wir Westler haben dazu, soweit ich mich erinnern kann, sicher nur einen ganz kleinen Beitrag geleistet.

Gruß
Werner

Hallo Werner,

mir ging es nicht nur um den NATO-Doppelbeschluss an sich, sondern speziell um die Person Ronald Reagan. Nämlich die immer weiter sich verbreitende Behauptung, dass man eigentlich Reagan so hätte feiern sollen wie man Gobartschow gefeiert hat (wobei ich die seinerzeitigen Lobgesänge auf Gorbatschow natürlich auch übertrieben fand).

Hier ist noch so eine Reagan-Glorifizierung, diesmal von Hannes Stein:

http://www.welt.de/print/wams/vermischtes/article124…

Ich finde Reagans Politik nach wie vor unsozial und selbstgerecht, vor allem weil seine Bezeichnung der SU als „Reich des Bösen“ offensichtlich implizieren sollte, die USA seien das „Reich des Guten“, und nicht nur so manches Dritt-Welt-Land da anderer Meinung sein dürfte.

Nein, ich finde die seinerzeitige Kritik an Reagan auch im Nachhinein angemessen und behaupte, Gorbatschow wäre auch ohne Reagan und dessen SDI an die Macht gekommen.

Oder?

Gruß Jasper.

Hallo und Guten Tag zurück,

du bringst das ja richtig zu Reagans 100. Geburtstag :wink:)
Wie meist, ist nichts monokausal. Dass Reagans harte Politik dazu beigetragen hat, ist wohl richtig. Aber Brandts Ostpolitik hat mindestens den gleichen Beitrag geleistet. Ebenso die schlichte Einsicht der „jüngeren Generation“ von und um Gorbatschow, dass es so nicht weiter gehen kann. Vor Gorbatschow gab es ja nur eine Gerontokratie in der SU. Denen wiederum steckte noch der 2. WK in den Knochen. Und die Friedensbewegung hatte sicher auch einen Anteil dadurch, dass sie entsprechende Bewegungen im Osten motiviert hat. Also - es gab eine Reihe von Gründen, Reagans Anteil schätze ich daher gering ein.
Wir Deutsche haben schlicht Glück gehabt, dass es nicht zum großen Knall gekommen ist. Wie hat der Ex-US-Verteidigungsminister McNamara gesagt? „Die Deutschen müssen wissen, dass ihr Siedlungsgebiet im Falle eines Ost-West-Konflikts völlig verwüstet wird!“

Nun gibt es offensichtlich immer mehr in Deutschland, die der
Meinung sind, Reagan sei der eigentliche „Held“ gewesen, er
habe mit seinem aggressiven Auftreten und Aufrüsten gegen die
Sowjetunion diese quasi im Alleingang „in die Knie“ gezwungen,
überhaupt habe sich die Weltanschauung Ronald Reagans in
jeder Hinsicht im Rückblick als gut, wahr und richtig
erwiesen.

Der Konservatismus erfreut sich z.Zt. nicht nur in den USA einer Blüte.

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich Reagan nach wie vor nicht
besonders sympathisch finde.

Aber die Amerikaner fanden ihn sehr sympatisch. Ihn als zweitklassigen Schauspieler abzuqualifizieren, ist auch daneben.

Seine damalige Innenpolitik kann
meiner Meinung nach kein sozial empfindender Mensch
gutheissen, …

Er machte damit nur das, was nicht nur konservative Amerikaner denken: „Jeder kann es doch! Und wenn er es nicht kann, dann ist er selber schuld!“ Ich habe da von amerikanischen Freunden ziemlich neben der Realität liegende Meinungen gehört: „Die Clinton-Gang hat die seit Generationen vom Welfare-System lebenden Leute noch unterstützt!“ Dabei hat gerade Clinton das drastisch eingeschränkt.
Die andere Seite ist die enorme Hilfsbereitschaft der Amerikaner in ihrem Umfeld, in ihrer Gemeinde.

… und sein Rüstungsfanatismus, bei dem die SU
offenbar weder weiterhin mithalten konnte noch wollte, ist
auch m.E. auch im Nachhinein ethisch fragwürdig.

Man ist natürlich schnell bei der Hand zu sagen, dass dahinter nur die Geld verdienen wollende Rüstungsindustrie dahinter steckt. Aber schon Dwight D. Eisenhower hatte in den 50er (!) Jahren vor der Macht des militärisch-industriellen Komplexes gewarnt. Heute brauchen wir wohl nicht mehr viel darüber zu diskutieren.

Wäre es ohne Ronald Reagan und dessen aggressive
Rüstungspolitik nicht zu Michail Gorbatschow und dessen
Reformen gekommen?

Was wäre wenn - hatten wir vor kurzem hier. Da gibt es auch ein Buch (oder viele) drüber.

In Nordkorea und Kuba herrschen ja auch immer noch die alten
kommunistischen Systeme, obwohl beide Länder zweifellos den
USA noch weit unterlegener sind als die Sowjetunion es war.

Was eher zeigt, dass die Einsicht der neuen Leute in der SU größer war und mehr bewirkt hat als anderes.

Ist Reagan ein „verkannter Held“, dem eigentlich tiefe
„Ehrerbietung“ gebührt, weil er Europa die Freiheit gebracht
hat? Und ist Deutschland Reagan gegenüber „undankbar“, weil es
angeblich seiner aggressiven antikommunistischen Politik die
Wiedervereinigung zu verdanken hat?

Lies nochmal die o.g. Aussage von McNamara, dann meinst Du vielleicht auch, dass wir, knapp an der Verwüstung vorbeigeschrammt sind, ganz schön unseren Kopf hingehalten und damit hinreichend Dank erwiesen haben.

Aber ist die Kehrseite der
Medaille nicht, dass Reagan in Ländern der dritten Welt, etwa
in Nicaragua oder Angola, durch seine „covert actions“, auch
viel Leid über die Menschen gebracht hat?

Das ist nicht neu, das war vorher auch schon so, und unter Bush/Cheney ist’s noch gesteigert worden. Lies mal das Buch „Angriff auf die Vernunft“ (2007) von Al Gore. Wenn nur ein Bruchteil der dort gemachten Aussagen wahr ist …

Gruss
Laika