Ich hatte die Nachfrage übersehen.
Welche denn zum Beispiel? Würde mich interessieren.
Das Erleben eines traumatischen Ereignisses ist etwas, das Vorstellungsvermögen und vor allem die Verarbeitungsfähigkeit völlig sprengt. Was genau passiert, damit könnte man (und werden
) Bücher gefüllt. Verkürzt kann man sagen, etwas grauenhaft Monströses so zu bearbeiten, dass es so ins eigene „Haus“ integriert werden kann und damit eine akzeptierbare Form gefunden wird, mit diesen Schaden zu leben. Dieser Teil hebt zunächst nur auf das Ereignis als solches ab und ist unabhängig davon, wer oder was das Ereignis verursacht hat. Also auch, wenn bspw. ein Tsunami Auslöser ist. Die Täter-Opfer-Frage stellt sich hier erst einmal nicht.
Ist ein solches Ereignis Menschen gemacht, dann kommt eine weitere Dimension hinzu. Dann muss nicht nur das Ereignis als solches verarbeitet werden, sondern es ist - je nach Nähe zum Täter - ein unterschiedlich starker Schweregrad auf der Beziehungsebene zu verarbeiten. Besonders dann, wenn eine enge Beziehung zum Täter bestand, wird mit einem solchen Ereignis das Vertrauen in die Sicherheit einer sozialen Beziehung angegriffen. Ganz besonders schwer, wenn es um das Urvertrauen des Kindes in seine Eltern geht. Noch gravierender dann, wenn so genannte Double-bind-Situationen hinzu kommen, also solche aus denen gleichzeitig positive wie negative Signale kommen, die aufgrund der Paradoxie nicht mehr verarbeitet werden können, was u.a. die sehr fatale Folge hat, dass der eigenen Wahrnehmung nicht mehr getraut wird.
Das mag bis dahin zunächst keine direkte Antwort auf die Frage sein. Aber vielleicht wird deutlich, dass die Frage nach dem Verzeihen hier überhaupt keinen Raum hat. Es geht zunächst um ganz anderes, viel existenzielleres. Und das ist durchaus sehr ernst gemeint. Für viele Betroffen, gerade wenn es um die völlige Schutzlosigkeit und Orientierungslosigkeit im Zusammenhang mit dem Verlust an Vertrauen und Selbstvertrauen geht, ist das eine echte Überlebensfrage, zumindest phasenweise Suizidalität eher die Regel denn die Ausnahme.
Wenn es im Rahmen einer Therapie um die Täter-Opfer-Beziehung geht, dann geht es darum, das Opfer aus der Opferrolle herauszuholen. Sprache der Sprachlosigkeit entgegen zu setzen. Wehrhaftigkeit der Wehrlosigkeit. (Selbst-)Schutz der Schutzlosigkeit. Aktion der Paralyse. Auch hier passt das „Verzeihen“ nicht hinein. Hier passt eher hinein, das Opfer soweit zu bestärken und zu befähigen, Grenzen zu ziehen, den Täter anzuzeigen. Passieren muss dies auf ganz unterschiedlichen Ebenen, kognitiv, analytisch, auf Verhaltensebene… (weshalb Traumapsychologie auch zu den Gebieten gehört, in denen Schulen übergreifende Ansätze noch am ehesten zu finden sind)
Verzeihen ist etwas, das doch zunächst dem Täter hilft, in dem dieser von seiner Schuld entlastet wird. Unabhängig davon, dass hierfür zunächst Voraussetzung sein sollte, dass der Täter überhaupt seine Schuld eingestanden hat. Dem Opfer nutzt dieses Verzeihen nur dann, wenn es für die weitere Beziehung zum Täter eine Rolle spielt.