Opfer - Genugtuung oder Rache

Hallo,

ich habe eine Frage im Zusammenhang mit den Diskussionen zu Missbrauch und Kindesmissbrauch oder dem Bubackfall.

Wenn man sich die Diskussionen zu den Themen anguckt, trifft man sehr oft, eigentlich überwiegend auf Kommentare wie: Das oder die Opfer sollen es auch mal gut sein lassen. Opfer, die auch nach längerer Zeit noch Taten vor Gericht bringen wollen oder Genugtuung und Gerechtigkeit fordern, wird Rache unterstellt, also Negatives. Gleichzeitig wird von vielen erwartet, dass die Opfer irgendwann einmal den Tätern verzeihen müssten.

Das wird sogar in Fällen erwartet, wo die Täter über Jahre hinweg ihre Taten geleugnet haben, die Opfer aber jahrelang leiden mussten und sogar noch leiden.

Verständnis wird aber geäußert, wenn Opfer oder ihre Angehörige echte Rachegedanken äußern oder sie sogar umsetzen, der Vater oder die Mutter, die den Vergewaltiger des Kindes totschlägt oder erschießt.

Woher kommt dieser Unterschied? Wieso sind die Leute einmal so archaisch und einmal so darauf aus, dass der Mantel des Vergessens ausgebreitet wird, auch dann, wenn der Täter nie bereut hat oder für seine Tat büßen brauchte?

Gibt es dafür einen psychologischen Grund? Oder ist der Grund woanders zu suchen?

LG

Marina

Hi,

du vergleichst dsa ein bisschen Äpfel mit Birnen.
Wenn man Opfern von Géwalt sagt, sie müssten irgendwann mal dem Täter verzeihen, dann tut man das, um dem Opfer zu helfen, die Tat zu bewältigen: Es ist nämlich völlig egal, was dem Täter geschieht - erst, wenn das Opfer für sich selbst Ruhe findet, wird es zu einem normalen Leben zurückfinden können. Dieses Verzeihen muss stattfinden, unabhängig davon, ob der Täter betraft wird oder nicht und wie hoch die eventuelle Strafe ausfällt.

Wenn man Verständnis äußert für Racheakte von Opfern, dann ist das lediglich eine Meinungsäußerung zu dieser Tat - mann sieht einen nachvollziehbaren Grund. Diese Meinungsäußerung ist eben eine Meinungsäußerung. Das hat aber nichts damit zu tun (zumnidest hoffentlich…) das man sowas empfiehlt. Und die Rache befriedigt ur ein erstes Aufwallen von Gefühl - sie hilft aber nicht beim Bewältigen der Tat.

die Franzi

Es ist nämlich völlig egal, was dem
Täter geschieht - erst, wenn das Opfer für sich selbst Ruhe
findet, wird es zu einem normalen Leben zurückfinden können.
Dieses Verzeihen muss stattfinden, unabhängig davon, ob der
Täter betraft wird oder nicht und wie hoch die eventuelle
Strafe ausfällt.

Die Ausgangsfrage scheint sehr berechtigt zu sein, wenn man sich deine Antwort anguckt. Es ist mitnichten so, dass das Opfer dem Täter verzeihen muss, um seinen Frieden zu finden! Das ist eine Forderung, die aus der Gesellschaft kommt und wohl auch ihren Ursprung in einer christlichen Prägung hat. Für Betroffene ist diese Forderung nach verzeihen Müssen bzw. der damit ausgeübte Druck, das sei der einzige Weg zur „Erlösung“ mehr Last als Erleichterung.

sie hilft aber nicht beim Bewältigen der Tat.

Das tut Verzeihen auch nicht. Kommen Betroffene dahin, dass sie dem Täter verzeihen (wollen!) können, ist das allenfalls Ausdruck dafür, dass sie an einem bestimmten Punkt der Verarbeitung angelangt sind. Man darf hier aber nicht Symptom und Therapie verwechseln.

Tatsächlich gibt es andere, wesentlich geeignetere Wege, den Frieden zu finden, bei denen oft genug der Aspekt des „Verzeihens“ für Betroffene überhaupt keine Rolle mehr spielt.

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Hallo,

das ist alles ein wenig, nennen wir es mal „unwissenschaftlich“ - bitte nicht übel nehmen!

Zunächst machen Deine persönlichen Beobachtungen (die auch selektiv sein können) keine Aussage darüber, ob es die gleichen Menschen sind, die eine direkte Rache eher befürworten als eine späte Anzeige. Das wäre allerdings ein wichtiger Aspekt.

Viele Grüße

Hallo Franzi,

du vergleichst dsa ein bisschen Äpfel mit Birnen.

Das sehe ich auch so.

Wenn man Opfern von Géwalt sagt, sie müssten irgendwann mal
dem Täter verzeihen, dann tut man das, um dem Opfer zu helfen,
die Tat zu bewältigen: Es ist nämlich völlig egal, was dem
Täter geschieht - erst, wenn das Opfer für sich selbst Ruhe
findet, wird es zu einem normalen Leben zurückfinden können.
Dieses Verzeihen muss stattfinden, unabhängig davon, ob der
Täter betraft wird oder nicht und wie hoch die eventuelle
Strafe ausfällt.

Man sagt in der Regel nicht, dass man von den Opfern erwartet, dass sie verzeihen (schreibt der UP) oder dass sie dem Täter verzeihen MÜSSEN, noch dass dies der einzige Weg ist Frieden zu finden. Man kann ihnen nur den Rat geben, aber es ist nicht der einzige Weg. Wenn man nicht verzeihen kann - ich denke an die Pressemeldungen über Väter, die ihre Kinder töten, weil sie mit einer Trennung nicht leben können oder ein Unfall, wo das Opfer hätte gerettet werden können, wenn der Fahrer nicht Fahrerflucht begangen hätte. Es muss noch nicht einmal ein Tötungsdelikt oder Missbrauch (Tötung der Seele) sein. Ich verzeihe nicht, wenn jemand hinter meinem Rücken (unbegründet) schlecht über micht redet, sondern ich schneide diese Person und finde meine Mitte. Verzeihen würde bedeuten, dass ich mit ihn in Kontakt treten muss und es ist nachvollziehbar, dass das nicht immer möglich ist.
Wenn Du es aus Richterseite betrachtes, dann gibt es kein Verzeihen. So kann man auch, wenn man sich seiner persönlichen Bindung zu der Tat loslöst auch in Frieden weiterleben - ohne zu verzeihen.

Wenn man Verständnis äußert für Racheakte von Opfern, dann ist
das lediglich eine Meinungsäußerung zu dieser Tat - mann sieht
einen nachvollziehbaren Grund. Diese Meinungsäußerung ist eben
eine Meinungsäußerung. Das hat aber nichts damit zu tun
(zumnidest hoffentlich…) das man sowas empfiehlt. Und die
Rache befriedigt ur ein erstes Aufwallen von Gefühl - sie
hilft aber nicht beim Bewältigen der Tat.

Ja, da stimme ich auch zu.

Viele Grüße

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Hallo,

das ist alles ein wenig, nennen wir es mal
„unwissenschaftlich“ - bitte nicht übel nehmen!

Ich habe nicht den Anspruch angemeldet, wissenschaftlich zu posten. Ist das Bedingung? Ich habe von meiner Wahrnehmung geschrieben.

LG

Marina

Hallo,

du vergleichst dsa ein bisschen Äpfel mit Birnen.
Wenn man Opfern von Géwalt sagt, sie müssten irgendwann mal
dem Täter verzeihen, dann tut man das, um dem Opfer zu helfen,
die Tat zu bewältigen:

Die Leute, die ich meinen, tun das nicht, um den Opfern zu helfen. Sie tun das mit der Begründung, man müsse auch dem Täter und seiner Familie mal die Ruhe lassen. Wie ich schon geschrieben habe: Es müsste mal gut sein. Deshalb frage ich nach. Was motiviert die Leute. Ist es angenehmer, sich nicht mehr mit dem Vorwurf auseinander zu setzen, dass da jemand ungestraft mitten unter uns lebt?

Es ist nämlich völlig egal, was dem
Täter geschieht - erst, wenn das Opfer für sich selbst Ruhe
findet, wird es zu einem normalen Leben zurückfinden können.
Dieses Verzeihen muss stattfinden, unabhängig davon, ob der
Täter betraft wird oder nicht und wie hoch die eventuelle
Strafe ausfällt.

Entschuldige bitte. Ich glaube, du weißt nicht, wovon du schreibst. Ich glaube nicht, dass du mal mit solchen Opfern zu tun hattest oder dich mit ihnen intensiver beschäftigt hast.

LG Marina

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Hallo,

ich habe auch nicht gemeint Dich böswillig zu kritisieren. Ich wollte Dich lediglich darauf aufmerksam machen, dass die Wahrnehmung verzerrt ist, wenn man sich darauf fixiert, dass Rache geduldet wird und die Anzeige nicht - vor allem wenn es nicht die gleichen Personen sind, die dies äußern.

Viele Grüße

Varianten der Abwehr
Hallo schuckschuck,

ich persönlich glaube, dass beide Varianten sehr viel mit eigener Hilflosigkeit zu tun haben.

Steht man vor einem Opfer, dass Gewalt erfahren hat, kann man als Außenstehender ja recht wenig tun, außer zuhören, trösten und eventuelle Wege aufzuzeigen. Damit kann man aktiv werden.
Wenn jedoch ein Opfer länger leidet und man bekommt das mit, fühlt man immer mehr die eigene Hilflosigkeit, nichts aktiv tun zu können um das Leid erträglicher zu machen. Dieses Gefühl auszuhalten ist schwer, weil es Ohnmacht bedeutet.

Ich glaube, dass auf Grund dessen dann so Sprüche kommen wie: „es muss ja mal gut sein“, das ist Ausdruck der eigenen Ohnmacht.

Aus diesem Grunde wird dann wahrscheinlich auch dem aktiven Gedanken an Rache zugestimmt, weil es zu Aktivitäten kommt und man nicht hilflos daneben stehen muss. Jede Aktivität ist besser als Hilflosigkeit und Ohnmacht, sogar Rachegedanken.

Deshalb denke ich, dass beide Varianten den gleichen Hintergrund haben, sich selbst von dem eigenen Hilflosigkeitsgefühl zu befreien.

Ich persönlich kenne diese Sprüche auch und sie sind verletzend, mit dem Wissen über die Motivation der Sprücheklopfer kommt man da besser mit klar.

Lg
schiwa

Hallo

Die Leute, die ich meinen, tun das nicht, um den Opfern zu helfen. Sie tun das mit der Begründung, man müsse auch dem Täter und seiner Familie mal die Ruhe lassen.

Je nachdem, wie derjenige zum Täter oder zum Opfer steht, kann es auch sein, dass sie einfach selber Ruhe haben wollen vor den unguten Gefühlen, die das Opfer hat und zwangsläufig irgendwie äußert; oder man steht auf seiten des Täters und will von der Tat endlich gereinigt sein.

Wenn es aber Leute äußern, die weder mit dem einen noch mit dem anderen zu tun haben, kann ich nur vermuten, die sagen das möglicherweise stellvertretend für eine eigene Schuld, von der sie meinen, dass da nach irgendeiner gewissen Zeit ‚endlich mal gut‘ sein muss.

Viele Grüße

Hallo

Tatsächlich gibt es andere, wesentlich geeignetere Wege, den Frieden zu finden, bei denen oft genug der Aspekt des „Verzeihens“ für Betroffene überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Welche denn zum Beispiel? Würde mich interessieren.

Viele Grüße

Ich hatte die Nachfrage übersehen.

Welche denn zum Beispiel? Würde mich interessieren.

Das Erleben eines traumatischen Ereignisses ist etwas, das Vorstellungsvermögen und vor allem die Verarbeitungsfähigkeit völlig sprengt. Was genau passiert, damit könnte man (und werden :wink:) Bücher gefüllt. Verkürzt kann man sagen, etwas grauenhaft Monströses so zu bearbeiten, dass es so ins eigene „Haus“ integriert werden kann und damit eine akzeptierbare Form gefunden wird, mit diesen Schaden zu leben. Dieser Teil hebt zunächst nur auf das Ereignis als solches ab und ist unabhängig davon, wer oder was das Ereignis verursacht hat. Also auch, wenn bspw. ein Tsunami Auslöser ist. Die Täter-Opfer-Frage stellt sich hier erst einmal nicht.

Ist ein solches Ereignis Menschen gemacht, dann kommt eine weitere Dimension hinzu. Dann muss nicht nur das Ereignis als solches verarbeitet werden, sondern es ist - je nach Nähe zum Täter - ein unterschiedlich starker Schweregrad auf der Beziehungsebene zu verarbeiten. Besonders dann, wenn eine enge Beziehung zum Täter bestand, wird mit einem solchen Ereignis das Vertrauen in die Sicherheit einer sozialen Beziehung angegriffen. Ganz besonders schwer, wenn es um das Urvertrauen des Kindes in seine Eltern geht. Noch gravierender dann, wenn so genannte Double-bind-Situationen hinzu kommen, also solche aus denen gleichzeitig positive wie negative Signale kommen, die aufgrund der Paradoxie nicht mehr verarbeitet werden können, was u.a. die sehr fatale Folge hat, dass der eigenen Wahrnehmung nicht mehr getraut wird.

Das mag bis dahin zunächst keine direkte Antwort auf die Frage sein. Aber vielleicht wird deutlich, dass die Frage nach dem Verzeihen hier überhaupt keinen Raum hat. Es geht zunächst um ganz anderes, viel existenzielleres. Und das ist durchaus sehr ernst gemeint. Für viele Betroffen, gerade wenn es um die völlige Schutzlosigkeit und Orientierungslosigkeit im Zusammenhang mit dem Verlust an Vertrauen und Selbstvertrauen geht, ist das eine echte Überlebensfrage, zumindest phasenweise Suizidalität eher die Regel denn die Ausnahme.

Wenn es im Rahmen einer Therapie um die Täter-Opfer-Beziehung geht, dann geht es darum, das Opfer aus der Opferrolle herauszuholen. Sprache der Sprachlosigkeit entgegen zu setzen. Wehrhaftigkeit der Wehrlosigkeit. (Selbst-)Schutz der Schutzlosigkeit. Aktion der Paralyse. Auch hier passt das „Verzeihen“ nicht hinein. Hier passt eher hinein, das Opfer soweit zu bestärken und zu befähigen, Grenzen zu ziehen, den Täter anzuzeigen. Passieren muss dies auf ganz unterschiedlichen Ebenen, kognitiv, analytisch, auf Verhaltensebene… (weshalb Traumapsychologie auch zu den Gebieten gehört, in denen Schulen übergreifende Ansätze noch am ehesten zu finden sind)

Verzeihen ist etwas, das doch zunächst dem Täter hilft, in dem dieser von seiner Schuld entlastet wird. Unabhängig davon, dass hierfür zunächst Voraussetzung sein sollte, dass der Täter überhaupt seine Schuld eingestanden hat. Dem Opfer nutzt dieses Verzeihen nur dann, wenn es für die weitere Beziehung zum Täter eine Rolle spielt.

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