Rituale und Mythen
Hi datafox
deine speziellen Fragen kann ich dir ad hoc auch nicht beantworten - wäre viel Wühlerei in Bibliotheken nötig.
Aber etwas Allgemeines zur Grundstruktur und -bedeutung von Ritualen (kulturkreisübergreifend sozusagen) könnte vielleicht dienlich sein, um zu sehen, in welcher Richtung die Antworten zu suchen wären - insbesondere zur Frage der Ähnlichkeit zwischen rituellen Details.
Es gibt grundsätzlich drei verschiedene Prototypentypen von Ritualen (ich nehme diesen allgemeineren Ausdruck statt „Feste“. Lat. feria leitet sich von fari = „sakrales Sprechen“ ab):
- jahreszyklische Rituale (I), die an besondere astronomische Erscheinungen gekoppelt sind
- singuläre Rituale (II), die jahreszyklisch wiederholt werden (Gründungen, Einweihungen, Initiationen, Hochzeiten, Geburten usw.).
- singuläre Rituale (III), die an bestimmte wiederholte Handlungen gebunden sind (Vertragsschlüsse, Umgang mit Jagdbeuten usw.)
Zu den Ritualen I gehören insbesondere die Feste, die an die vier Jahresfixpunkte gebunden sind: die Tag-Nacht-Gleichen am Frühlings- und Herbstanfang und der längste Tag im Sommer und die längste Nacht im Winter. Alle Ritualformen, die dazugehören, haben den (mythologischen) Zweck, das Jahresende über diesen Fixpunkt hinaus mit einem neuen Jahresanfang zu verknüpfen - also sozusagen den Fortlauf der Geschichte zu garantieren.
Diese Verknüpfung „gelingt“ nach der mythisch-magischen Logik dadurch, daß dieses Ritual als im Hier&Jetzt reaktualisierte Kosmogonie verstanden wird. Die mythische Weltenstehung, die „während“ des Rituals also „jetzt“ geschieht (deshalb wird genau bei dieser Gelegenheit der Mythos auch rezitiert) garantiert, daß das Ende eines Zyklus (Tod, Weltuntergang) in einen Anfang (Auferstehung, Weltenstehung) umgewandelt wird.
Diese Formen und deren Verständnis sind sehr alt - älter als die davon abgeleiteten Formen heute aktueller Religionen und ihrer Gebräuche - und die Grundstrukturen der elementaren mythischen Kosmogonien sind die Prototypen der im Ritual vorhandenen Objekte und
Handlungen:
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Das Ur-Ei, aus dem, wenn es zerbricht, der Kosmos entsteht, findet sich bereits in Ägypten im Alten Reich und in Indien wird es in den älteren Teilen der Rgveda erwähnt
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der primordiale Weltberg (sumeru usw.), der aus dem Urwasser auftaucht, wird im Prototyp des Altars reaktualisiert (im altindischen Agni-Kult wird er aus 365 ungebrannten Ziegeln nachgebildet)
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die Zerstückelung eines primordialen Wesens (purusha, ymir, ouroboros, tiamat/tamtu usw.), aus dessen Körperteilen die Welt gebildet wird, geht über in die Opferung eines (Totem-)Tieres, das in der Regel das mit dem Schöpfergott (oder Stammesgründer oder Kultgründer) magisch identisch ist
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das primordiale Feuer, aus dessen Asche die Welt gebildet wird.
Die anderen zwei Ritualtypen sind für den Hintergrund deiner Fragen jetzt nicht so relevant. Aber immerhin geht es um die Frühlingsfeste (zu denen ja auch pesach gehört), die übrigens terminlich verschieden identifiziert bzw. werden, je nachdem, ob sie sich allein am Sonnenstand oder an einer Kombination aus Sonnen- und Mondzyklus orientieren.
Viele Formen bilden sich im Laufe der Geschichte dann durch Synkretismen: Die Vernetzung verschiedener Kulturen führen zu Superpositionen auch der Kulte. Und so haben wir im christlichen Osterfest z.B. eine Überlagerung des pesach, an das es ja ursprünglich assoziiert war, mit orientalischen Frühlings-Tieropfern (z.B. die frisch geworfenen Lämmer) und mit einem germanischen Frühlingsfest der Morgen(stern)göttin Ostara, deren Totemtier der Hase ist. Die Eier-Geschichte kommt über viele spätere Legendenbildungen und halbverstandene Mythologien letztlich aus dem primordialen kosmogonischen Ei … man erkennt das noch an vielen Zeremonien, bei denen die Eier zerstört werden.
Das Verstecken und Suchen von Geschenken ist übrigens sicherlich ein Rest einer Eigenart von Ritualen des Typs II: Zu Initiationsritualen gehört der (reale oder symbolische) zeitweilige Ausschluß des Probanden aus der sozialen Gruppe - der symbolische Tod, aus dem der Initiand dann (oft am dritten Tag des Rituals) mit Hilfe des Initiators wieder „auferweckt“ wird (nämlich zur neudefinierten Lebensrolle in der Stammesgruppe.
Der Ähnlichkeit zwischen Ritualformen liegt also generell einerseits eine Überlagerung verschiedener Kulte zu Grunde und andererseits eine weltweit verbreitete sehr alte Mythologie, die sich primär an Kosmogonien orientiert, dann - daraus abgeleitet - an bedeutsamen Handlungen (in der Terminologie: „archetypische Präzenzfälle“) von Stammesgründern und Kultgründern.
Grüße
Metapher