Ostpolitik Brandts

Hallo, ich habe ein paar Fragen über die Ostpolitik von Willy Brandt.
Kann Willy Brandt eigentlich als Politiker gelten, der die Einheit Deutschlands gefördert hat?
Und inwiefern hängt dann seine Politik mit der Adenauer-Ära zusammen?
Grüße!
Alex

Hallo!

Auf jeden Fall …

Bundeskanzler Willi Brandt war und ist der erste deutsche Regierungschef überhaupt ( -und wohl auch der einzigste Amtsträger weltweit bis heute, bezüglich einer vergleichbaren Geste- ), der „den Kniefall“ vor den Opfern deutscher Aggressionspolitik vollzogen hat:

http://de.wikipedia.org/wiki/Kniefall_von_Warschau

http://www.n24.de/media/_fotos/bildergalerien/002010…

Und wie damals die „Denke“ tickte, ist hier ganz brauchbar nachvollziehbar:

http://www.focus.de/politik/ausland/tid-20661/willy-…

Allein dieser Akt hat meiner Ansicht nach Ost und West und darüber hinaus Nord und Süd in der ganzen Welt und das zurecht, nachhaltig beeindruckt …

Eine Annäherung von Ost und West war in der Folge um ein Vielfaches leichter, wenn auch immer noch schwierig …

Adenauer zuvor hat versucht, mit der Einbindung in den „Westen“ Stabilität für Deutschland zurückzugewinnen. Auch hat er sich wohl um die Entlassung/Rückkehr deutscher Kriegsgefangener aus den Gulags der Sowjetunion bemüht …

Nur ein kurzer Input - aber jetzt mal an die Hausaufgabenerledigung …

Gruß

Widor

Moin,
.

Kann Willy Brandt eigentlich als Politiker gelten, der die
Einheit Deutschlands gefördert hat?

ja.

Und inwiefern hängt dann seine Politik mit der Adenauer-Ära
zusammen?

Wenig.

Gandalf

Hallo Gandalf,

Dein „wenig“ entspricht nicht dem Stand der Forschung. Ohne Adenauer, kein Brandt. Die Politik Brandt/Scheel war ja eingebunden in die allgemeine Bündnispolitik des Westens und stand in einer logischen Fortentwicklung deutscher Außenpolitik seit 1952/55.

Symbolisch war da ein Bruch (ein Emigrant, der Kniefall), tatsächlich herrschte genauso Kontinuität wie 1982ff.

Gruß,
Andreas

Moin,

Dein „wenig“ entspricht nicht dem Stand der Forschung.

kann man sehen wie man will.

Die Politik Brandt/Scheel war ja
eingebunden in die allgemeine Bündnispolitik des Westens und
stand in einer logischen Fortentwicklung deutscher
Außenpolitik seit 1952/55.

Nun ja, aber ein deutlicher Paradigmenwechsel trat schon ein mit Brandt - oder etwa nicht?!

Symbolisch war da ein Bruch (ein Emigrant, der Kniefall),
tatsächlich herrschte genauso Kontinuität wie 1982ff.

Je nuh. Pacta sunt servanda

Gandalf

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Hallo Andreas,

Symbolisch war da ein Bruch (ein Emigrant, der Kniefall),
tatsächlich herrschte genauso Kontinuität wie 1982ff.

sorry, aber als jemand der die damalige politischen Entwicklung als junger Mensch sehr bewusst miterlebte - das von Bahr entwickelte Konzept ‚Wandel durch Annäherung‘, die mit dem Warschauer Kniefall demonstrativ eingeleitete Entspannungspolitik, der Staatsbesuch in der DDR und der Grundlagenvertrag, die Ostverträge mit Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze (Voraussetzung der Aussöhnung mit Polen) - und das alles unter erbittert geführten Auseinandersetzungen im Parlament und in der Presse, Überläufer der Regierungspartei FDP zur Opposition, das an gerade mal zwei Stimmen gescheiterte konstruktive Misstrauensvotum - da kann ich Dir sagen, da von „Kontinuität“ zu reden, ist schlicht Geschichtsklitterung.

Das war ein echter Aufbruch - ein von den konservativen Erben Adenauers erbittert bekämpfter - und jeder mit ein wenig wachem Verstand spürte das. Es war der Anfang vom Ende des kalten Krieges, da ging eine Ära zu Ende und eine neue begann. Wir waren noch Schüler - und saßen manchmal stundenlang gemeinsam vor dem Fernseher, um uns Parlamentsdebatten anzuhören und das Gehörte untereinander weiterzudiskutieren. Kann sich die MTV-Generation wahrscheinlich nicht mehr vorstellen. Häufig ist es so, dass geschichtliche Brüche und Aufbrüche erst in der Rückschau deutlich werden. Hier war das anders, zu deutlich war der Paradigmenwechsel.

Natürlich war die neue Ostpolitik nur unter der Voraussetzung einer festen Einbindung in die westliche Bündnispolitik denkbar (das war unter der Bedingungen einer nur bedingten Souveränität gar nicht anders möglich), die Adenauer zu verdanken war - aber daraus wird noch lange keine „Kontinuität“. Skepsis von Seiten der Verbündeten - vor allem USA und Frankreich - gab es genug. Aber im Vergleich zu Adenauers bedingungsloser Bündnishörigkeit und dem außenpolitischen Konzept der Hallstein-Doktrin, dem schlichten Ignorieren der politischen Realität eines zweiten deutschen Staates (halboffizielle Sprachregelung: „Phänomen“) war das ein echter Bruch, kein „symbolischer“. Und die Menschen im Osten wie im Westen spürten das sehr wohl.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo,

Du gibtst ein schönes Beispiel dafür, dass die gefühlte Wirklichkeit wirklicher ist als die reale.

Schon Adenauer selbst beschäftigte sich am Ende seiner Kanzlerschaft mit der Frage, seine Deutschlandpolitik („Magnettheorie“) zu ändern („Österreichlösung“ für die DDR). Die folgenden Regierungen Erhard und Kiesinger/Brandt vollzogen bereits eine Abkehr der alten Politik bis hin zur Modifizierung der Hallsteindoktrin, die dann von der Scheeldoktrin abgelöst wurde.

Wahr ist, dass das Thema emotional diskutiert wurde, aber das betraf ja weniger den Umgang mit der DDR als die Frage der Ostgrenze. Interessant war ja, dass die Sowjetunion sich angesichts des Misstrauensantrags bereits auf Nachverhandlungen eingestellt hatte, die dann hinfällig wurden.

Und bedenke, dass ohne Strauß’ Gang zum BVerfG (nicht zur Begeisterung von Barzels CDU) verhindert wurde, dass die DDR Ausland wurde. So wäre 1989 jedenfalls nicht möglich geworden.

Die gesamten Ereigniss hat Baring, der heute mehr als Dauertalkgast berühmt-bnerüchtigt ist, in seinem Standardwerk Machtwechsel beschrieben. Sehr zu empfehlen! Beste Geschichtsschreibung.

Zur internationale Lage bleibt anzufügen, dass Entspannug das Modewort der 70er Jahre war, und gerade die republikanische Regierung Nixon sehr auf dieser Welle ritt. Insofern musste Brandt nicht viele Widerstände überwinden.

Gruß,
Andreas

Hallo Alex,

Kann Willy Brandt eigentlich als Politiker gelten, der die
Einheit Deutschlands gefördert hat?

Willy Brandt war der erste deutsche Bundeskanzler, der eine Politik der Annäherung an den Osten geführt hat. („Wandel durch Annäherung“)
Als fernes Ziel dabei hatte er auch letztendlich die Wiedervereinigung Deutschlands, also ist Brandt DER Politiker schlechthin, der die Einheit gefördert hat.
Nennenswert wären hierzu beispielsweise die Ostverträge (Moskauer Vertrag, Warschauer Vertrag, Grundlagenvertrag etc.)

Und inwiefern hängt dann seine Politik mit der Adenauer-Ära
zusammen?

Adenauer war nicht gerade ein Freund von Brandt, er hat ihn sogar teilweise heftig in der Öffentlichkeit beschimpft.
Adenauers Ansicht war, die Westintegration der Bundesrepublik sei die oberste Priorität. Dann irgendwann könne die Wiedervereinigung kommen. Brandt vertrat jedoch die SPD-Ansicht, die Wiedervereinigung sei das Wichtigste.
Adenauer ebnete letztendlich durch seine Politik der Integration der BRD in den Westen den Weg für die ab Ende der 60er durch Brandt begonnene Annäherungspolitik.

In diesem eLearning findest du eine Übersicht über Brandts Politik.

Gruß

Hallo,

Du gibtst ein schönes Beispiel dafür, dass die gefühlte Wirklichkeit
wirklicher ist als die reale.

nein, das zeigt vielmehr, dass politische und geschichtliche Prozesse sehr vielschichtiger Natur sind. In jedem historischen Wandlungsprozess gibt es selbstverständlich konstante Elemente, Elemente der Kontinuität. Ob man nun in solch einem Prozess den Paradigmenwechsel stärker gewichtet oder die Kontinuität, ist regelmäßig eine Frage subjektiver Einschätzung - und damit gelegentlich auch der politischen Grundhaltung. Hat also mit Geschichtswissenschaft grundsätzlich nur wenig zu tun.

Trotzdem sei mir die Anmerkung gestattet,

dass die gefühlte Wirklichkeit

nicht nur

wirklicher ist als die reale

  • sondern vielmehr eben diese reale Wirklichkeit selbst ist. Das, was Du da mit „realer Wirklichkeit“ meinst, ist eben nicht real, sondern theoretisches Konstrukt, ist Interpretation der ‚gefühlten Wirklichkeit‘. Natürlich kann ‚gefühlte Wirklichkeit‘ nur Anspruch auf subjektive Geltung erheben - aber die Objektivität des theoretischen Konstrukts vorgeblich ‚realer Wirklichkeit‘ ist zunächst einmal nur Anspruch. Ein Anspruch, der absolut zweifelsfrei so gut wie nie eingelöst werden kann, da eben auch die Interpretation notwendig stets eine subjektive ist. Dir als Historiker ist das Grundproblem jeder Geschichtsschreibung - die Frage nach der historischen Wahrheit - natürlich hinreichend vertraut.

Sicher, die Darstellung meiner persönlichen Erfahrung ist subjektiv und tendenziös. In Bezug auf die Ära Brandt pauschal von „Kontinuität“ zu reden ist es jedoch nicht minder. In diesem Sinne kann man auch dem Übergang von Weimarer Republik zu 3. Reich Kontinuität bescheinigen - Elemente der Kontinuität gab es auch da zuhauf.

Es ist richtig, dass bedeutende geschichtliche Wandlungsprozesse nie abrupte Brüche sind - dass sie sich über einen Bewusstseinswandel in maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppierungen mit Meinungsführerschaft anbahnen. Etwas Besonderes ist es allerdings schon, wenn diese Prozesse schlaglichtartig augenfällig werden. Zum Beispiel durch symbolische Handlungen wie Brandts Kniefall (ein vergleichbares Beispiel wäre etwa der Sturm auf die Bastille) - und durch Regelungen, die eine völlig neue Geschäftsgrundlage schaffen. Das waren in unserem Fall Grundlagenvertrag und Ostverträge.

Zu Adenauers Zeiten hatten wir ein „freies“ (aber nur bedingt souveränes) Deutschland, eine „sowjetische Besatzungszone“ (= DDR) und „Gebiete unter polnischer und sowjetischer Verwaltung“. Dem Anspruch nach ein Deutschland in den Grenzen von 1939 (die so auch in jedem Schul- und Autoatlas abgebildet waren), das auf Grund unglücklicher Umstände vorübergehend dreigeteilt war. Jeder, der diese staatsrechtliche Fiktion nicht teilte, wurde (mit Ausnahme der Sowjetunion als Siegermacht) gemäß Hallstein-Doktrin außenpolitisch als nichtexistent behandelt - das betraf den ganzen sog. Ostblock. Noch unter Kiesinger war aus der SBZ (sowjetischen Besatzungszone) allenfalls ein nebulöses, geisterhaftes „Phänomen“ geworden.

Für die Änderung dieses Zustandes, dieser irrealen und die Bundesrepublik zunehmend isolierenden Geschäftsgrundlage der Außenpolitik wurde Brandt als „Verzichtspolitiker“ (wenn nicht gleich als „Vaterlandsverräter“) beschimpft, ihm wurde „Ausverkauf deutscher Interessen“ vorgeworfen - nicht nur, aber vor allem von den politischen Erben Adenauers, den Du hier in eine Kontinuität mit Brandts Außenpolitik stellen willst. Nein - in dieser Kontinuität stand vor allem die Union, die gegen diese Politik protestierte und es fast geschafft hätte, sie durch einen Sturz Brandts zu beenden.

In Bezug auf die Außenpolitik der Regierung Brandt/Scheel von Kontinuität zu sprechen wäre allenfalls gerechtfertigt, wenn man mit einiger Berechtigung davon ausgehen könnte, dass Adenauer selbst auf diese Veränderung hingearbeitet hätte oder doch zumindest seine Partei, die CDU. Vielleicht ja - 20 Jahre später als Brandt/Scheel.

Und bedenke, dass ohne Strauß’ Gang zum BVerfG (nicht zur
Begeisterung von Barzels CDU) verhindert wurde, dass die DDR
Ausland wurde. So wäre 1989 jedenfalls nicht möglich geworden.

Umgekehrt wird ein Schuh draus - 1990 (der „Beitritt“) wäre so nicht möglich und auch nicht notwendig gewesen. Man hätte zumindest für eine Übergangszeit zwei deutsche Staaten gehabt und die Chance, auf gleicher Augenhöhe statt eines Beitritts eine tatsächliche Wiedervereinigung auszuhandeln - wobei das deutsche Volk in freier und gleicher Abstimmung als Souverän sich eine neue Verfassung hätte geben können. So, wie es von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes einmal gewollt war.

1989 wäre schon möglich gewesen. 1989 wäre jedoch ohne die Gewaltverzichtsverträge von Moskau und Warschau und die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze nicht möglich gewesen, das wäre allenfalls eine Neuauflage von 1953 geworden.

Freundliche Grüße,
Ralf

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