Panikattacken zu Hause

Huhu!

Ich bin ein Panikattacken-Patient. Vor allem wenn ich reisen muss oder an Orten/in Situationen bin, wo ich nicht ohne weiteres raus kann. Das schon seit, ich glaube, 7 Jahren.

Ich hatte die Sache gerade in den letzten Monaten immer besser im Griff. Ich bin ein großer Vermeider und hab angefangen, Kleinigkeiten wieder zu machen, z.B. eine Strecke mit dem Rad zurückzulegen, die ich sonst mit dem Auto fahren würde, weil ich dann mobiler bin und schneller weg kann.

Nun hab ich einen Job angenommen, der wirklich toll zu mir passt. Es fiel mir am Anfang ein bischen schwer (es handelt sich um eine kleine Videothek, also bediene ich alleine dort), aber es war wirklich toll. Viel „einfacher“, als ich es mir gedacht habe. Einen Monat lang ging das wunderbar, manchmal mit ein bischen Unwohlsein, aber ich war wirklich stolz. Nun vor zwei Wochen habe ich am Ende einer Schicht eine Panikattacke bekommen und musste raus. Ein Kollege konnte einspringen. Eine Woche später war meine nächste Schicht und die war ganz schrecklich. Und ich musste eine Stunde eher zumachen, weil mich niemand ablösen konnte und ich es nicht mehr aushielt.

Ich hab mein Problem nun meinen Kollegen mitgeteilt und die sind auch wirklich cool. Die reagieren sehr verständnisvoll und wollen mir auch Zeit geben, mich wieder reinzufuchsen. Sollte also eigentlich kein Problem sein.

Aber: Seit der letzten beschriebenen Panikattacke, taucht die Panik auch immer häufiger zu Hause auf! Nicht direkt als „ich muss raus“ Panikattacke, aber mir geht es schlecht. Mir ist übel und ich fühle mich schwindelig und meine Gedanken kreisen und landen auch immer wieder bei der Arbeit. Und ich habe Angst, meinen sicheren Ort zu verlieren. Denn bisher war es zu Hause eben immer OK, mein Rückzugsort halt, egal was los ist.

Ich hatte gestern eine weitere Schicht, die war zwar schwer, aber ich hab sie durchgestanden und war danach auch echt kaputt, aber froh, dass ich es durchgehalten habe. Aber dann abends so gegen neun Uhr kam das schlechte Gefühl doch wieder.

Hat da jemand Tipps? Ich habe echt Angst, dass ich mich daran „gewöhne“, zu Hause Sorgen zu haben. Dann weiß ich nicht mehr, wo ich hin soll.

Liebe Grüße
Lockenlicht

PS: Ich bin in Behandlung, habe aber erst in zwei Wochen den nächsten Termin (der weiß auch noch nichts von der Arbeit usw, denn er war im Urlaub und bei mir war ja bis dato alles OK). Außerdem sind wir da eher auf Ursachenforschung ausgerichtet. Da kriege ich leider keine direkten Verhaltenstipps bei einer Attacke, oder wie ich die aktiv vermeiden kann.

Liebe Lockenlicht, wenn du schon seit 7 Jahren Panikattacken-Patientin bist, hast du doch sicher auch Therapieerfahrung. Was hast du denn sonst immer gemacht, wenn es schlimmer wurde. Irgendetwas an der neuen Situation scheint dich sehr zu irritieren. Und das zieht seine Kreise, so dass du auch zu Hause damit zu tun hast. Angststörungen haben ja die unangenehme Angewohnheit, sich auszudehnen. Ich würde also sagen, ab zum Verhaltenstherapeuten und zwar schnell, nicht dass du die neue Stelle noch verlierst. Wenn du offen für alternative Verfahren bist, würde ich dir auch eine Familienaufstellung emfpehlen. Schon mal davon gehört? Falls nein, lies dich mal ein, z. B. bei Wikipedia oder - kürzer - hier http://www.rudolfpraxis.de/topics/familienaufstellun… bzw. hier http://www.sorge-dich-nicht-liebe.de/familienaufstel…. Ein sehr gutes kleins Büchlein ist auch „Wie hilft Familien-Stellen“ von Ulsamer und Hell.
Gute Besserung wünscht Toewanda

Hallo Lockenlicht,

auch wenn es schrecklich klingen mag: Vielleicht ist es notwendig, dass es keinen „sicheren Ort“ mehr gibt. Dann wäre dir nämlich die Möglichkeit genommen, dich zurückzuziehen und zu meiden. Und so angsterfüllend sich das im Augenblick anhören mag: Das kann auch dein Weg aus der Panik werden.

Nachdem du nicht erst seit gestern Panikattacken hast, weißt du vermutlich längst, dass die Angst immer wieder neue Wege findet, zuzuschlagen. Hat man in eine Richtung mühsam ein wenig Boden gut gemacht, erwischt sie einen plötzlich eiskalt aus einer anderen.

Letzten Endes ist der einzige Weg aus der Spirale aus Angst und Angst vor der Angst, die Attacken auszuhalten. Denn so schrecklich sich eine Panikattacke anfühlt, so harmlos ist sie unterm Strich auch. Deine Psyche - sorry - verarscht dich. Sie signalisiert dir Lebensgefahr, der du derzeit nur durch Flucht zu entkommen vermagst. Fakt ist: Wenn du bleibst, wird dir nichts passieren. Das Haus wird nicht einstürzen, du wirst nicht ersticken und auch von keinem Säbelzahntiger gefressen werden.

Natürlich weißt du das längst. Das Problem ist, dass dieses Wissen nicht ausreichend tief in deine Psyche eindringen kann, um die Panikattacken zu beenden. Ich weiß nicht, ob du ein Instrument spielst oder tanzt. Es genügt nicht, Noten lesen zu können und zu wissen, wohin man die Finger setzen oder welche Schrittfolgen man ausführen muss, um es zu beherrschen. Der Körper muss irgendwann übernehmen, während das Denken in den Hintergrund tritt.

Das geschieht durch Übung. Indem man (zum Teil stupide) Dinge immer und immer wieder tut, lernt der Körper irgendwann, sie zu automatisieren, so dass man nicht mehr drüber nachdenken muss.

Ähnliches muss geschehen, um mit Panikattacken umgehen zu können. In den seltensten Fällen verschwinden diese völlig, wenn sie sich erst mal breit gemacht haben. Man kann sich aber Techniken aneignen, die dabei helfen, dass sie nicht mehr das Leben bestimmen. In aller Regel reduziert man ihr Auftreten damit auch deutlich.

Das Aushalten funktioniert so, dass man die Panik ganz bewusst anfluten lässt, anstatt zu versuchen, sie zurückzudrängen. Solange man das tut, lauert sie permanent im Hintergrund und löst das Gefühl aus, das dir momentan zu Hause soviel Sorge macht: Die Angst vor der Angst. Wenn es gelingt, die Welle anrollen zu lassen und sie bewusst wahrzunehmen, passiert das, was bei jedem starken Reiz passiert: Der Reiz ermüdet und die Welle ebbt ab. Dazu muss man gar nichts tun, das macht der Körper von ganz allein.

Man ist anfangs danach sehr geschafft, denn der Körper hat sich ja gerade eingebildet, in einer lebensbedrohlichen Situation gewesen zu sein. Aber: Mit zunehmender Übung lernt er, dass der Zustand gar nicht lebensbedrohlich war.

Dazu gehört, dass man versucht, eine Panikattacke willentlich auszulösen. Anstatt innerlich verkrampft ständig in der Angst vor der nächsten Attacke zu leben, setzt man sich in einer gerade angstfreien Situation hin und versucht, sie JETZT kommen zu lassen. In den allermeisten Fällen klappt das nicht. Panikattacken mögen es nicht, wenn sie nicht aus dem Hinterhalt angreifen können.

Sie „ernähren“ sich davon, durch die Angst vor der Angst nach und nach immer mehr Adrenalin auszuschütten. Wenn die Attacke schließlich kommt, ist das, wie wenn man am Computer die „Reset“-Taste drückt: Der Körper will das Adrenalin loswerden. Das klappt ja auch, denn anschließend ist man geschafft, als wäre man grade um sein Leben gerannt.

Und damit bin ich bei einer weiteren Möglichkeit, mit Attacken umzugehen: Den Fluchtreflex ausleben, indem man rennt. Wenn man Zeit und Platz hat, kann man dabei Strecke machen, aber es funktioniert auch auf der Stelle. Wenn die Attacke anrollt, lässt man sie kommen und beginnt gleichzeitig zu laufen, so schnell man kann. Je nach Kondition gelingt das mehr oder weniger lang - und die Attacke flaut ab.

Der Körper kriegt die Möglichkeit, das Adrenalin schnell loszuwerden. Danach japst man, aber die Attacke ist vorbei. Eine Bekannte von mir hat das ritualisiert: Wenn sie merkte, dass eine Attacke kam, sagte sie zu sich sinngemäß: „Okay Angst, lass uns rennen“ und lief los. Wenn sie auf der Arbeit war, lief sie ins Klo oder den Kopierraum und rannte dort auf der Stelle. Sie ist heute nahezu panikfrei.

Am Anfang kann es sehr hilfreich sein, das unter therapeutischer Begleitung zu machen. Eine gute Gelegenheit, mal zu versuchen, eine Panikattacke willentlich auszulösen :smile:. Wenn das nicht klappt, muss man alleine durch.

Schöne Grüße,
Jule

Huhu!

Vorweg: Du kannst dir sicher denken, dass ich das meiste von dem, was du geschrieben hast, in der Theorie weiß :wink:

auch wenn es schrecklich klingen mag: Vielleicht ist es
notwendig, dass es keinen „sicheren Ort“ mehr gibt. Dann wäre
dir nämlich die Möglichkeit genommen, dich zurückzuziehen und
zu meiden. Und so angsterfüllend sich das im Augenblick
anhören mag: Das kann auch dein Weg aus der Panik werden.

Ich habe halt vor allem Angst, weil ich zu Generalisierung tendier, dass ich mich dran gewöhne, dass mir zu Hause unwohl ist. Es ist keine richtige Panikattacke sondern nur ein Dauerunwohlgefühl. Und es ist einfach furchtbar ermüdend. Ich hab z.B. seit Samstag nichts mehr im Haushalt gemacht, abgesehen davon, mir n Brot zu schmieren. Ich hab Angst, da in ne Depression zu rutschen. Kann mich aber gleichzeitig auch nicht aufraffen, was zu tun. Obwohl ich weiß, dass es das besser machen würde.

Letzten Endes ist der einzige Weg aus der Spirale aus Angst
und Angst vor der Angst, die Attacken auszuhalten. Denn so
schrecklich sich eine Panikattacke anfühlt, so harmlos ist sie
unterm Strich auch. Deine Psyche - sorry - verarscht dich. Sie
signalisiert dir Lebensgefahr, der du derzeit nur durch Flucht
zu entkommen vermagst. Fakt ist: Wenn du bleibst, wird dir
nichts passieren. Das Haus wird nicht einstürzen, du wirst
nicht ersticken und auch von keinem Säbelzahntiger gefressen
werden.

Weiß ich.

Natürlich weißt du das längst. Das Problem ist, dass dieses
Wissen nicht ausreichend tief in deine Psyche eindringen kann,
um die Panikattacken zu beenden. Ich weiß nicht, ob du ein
Instrument spielst oder tanzt. Es genügt nicht, Noten lesen zu
können und zu wissen, wohin man die Finger setzen oder welche
Schrittfolgen man ausführen muss, um es zu beherrschen. Der
Körper muss irgendwann übernehmen, während das Denken in den
Hintergrund tritt.

Ja, die Analogie kann ich musikalisch nachvollziehen.

Das Aushalten funktioniert so, dass man die Panik ganz bewusst
anfluten lässt, anstatt zu versuchen, sie zurückzudrängen.
Solange man das tut, lauert sie permanent im Hintergrund und
löst das Gefühl aus, das dir momentan zu Hause soviel Sorge
macht: Die Angst vor der Angst. Wenn es gelingt, die Welle
anrollen zu lassen und sie bewusst wahrzunehmen, passiert das,
was bei jedem starken Reiz passiert: Der Reiz ermüdet und die
Welle ebbt ab. Dazu muss man gar nichts tun, das macht der
Körper von ganz allein.

Das ist eben das Ding - das mit dem Reiz und dem Adrenalin usw ist mir auch klar. Und das kann ich mir auch, wenn es los geht, noch gut sagen und es beruhigt. Aber z.B. gestern hab ich 3 Stunden gearbeitet und gerade das Aufschließen und die erste Zeit war ich extrem alamiert. Es wurde dann besser, aber ich hatte die ganzen drei Stunden, wie so eine Wellenbewegung immer wieder Probleme. Und der untere Peak der Sinuskurve war alles andere als entspannt. Dann zweifel ich, dass dem Körper irgendwann die Luft ausgeht. Ich hab es ja nun zweimal am Stück gemerkt, dass ich panisch bin. Nicht so panisch, dass ich komplett zumache und nicht mehr arbeiten kann und denke, dass ich jeden Moment umkippe, aber einfach panisch genug. Ich weiß nicht, wie lange ich das aushalten kann und will, so auf lange Sicht.

Man ist anfangs danach sehr geschafft, denn der Körper hat
sich ja gerade eingebildet, in einer lebensbedrohlichen
Situation gewesen zu sein. Aber: Mit zunehmender Übung lernt
er, dass der Zustand gar nicht lebensbedrohlich war.

Darauf habe ich gestern gehofft. Dass ich abends zu Hause und müde und kaputt bin und so eine Art „Auflösung“ fühle. Das war aber nur von kurzer Dauer. Das kenne ich so noch nicht. Für Gewöhnlich stellte sich da auch immer ein Aufatmen ein.

Dazu gehört, dass man versucht, eine Panikattacke willentlich
auszulösen. Anstatt innerlich verkrampft ständig in der Angst
vor der nächsten Attacke zu leben, setzt man sich in einer
gerade angstfreien Situation hin und versucht, sie JETZT
kommen zu lassen. In den allermeisten Fällen klappt das nicht.
Panikattacken mögen es nicht, wenn sie nicht aus dem
Hinterhalt angreifen können.

Hab ich früher versucht, da ging es nicht. Im Moment, weil ich immer alamiert bin, muss ich nur an die richtigen Schlüsselreize denken, dann geht das wunderbar. Allerdings mache ich mir damit auch noch mehr Angst vor der nächsten Schicht.

Und damit bin ich bei einer weiteren Möglichkeit, mit Attacken
umzugehen: Den Fluchtreflex ausleben, indem man rennt. Wenn
man Zeit und Platz hat, kann man dabei Strecke machen, aber es
funktioniert auch auf der Stelle. Wenn die Attacke anrollt,
lässt man sie kommen und beginnt gleichzeitig zu laufen, so
schnell man kann. Je nach Kondition gelingt das mehr oder
weniger lang - und die Attacke flaut ab.

Nun ja, richtige Attacken, in denen ich kein Stück rational mehr bin, passieren vor allem „in der Öffentlichkeit“. Bei mir hat das meist eine soziale Komponente. Dementsprechend kann ich da ja nicht einfach wegrennen, wenn da eine Schlange Kunden steht (versteh mich nicht falsch, ich kann gut mit Leuten und noch besser mit Kunden umgehen - nur, wenn eine Panik langsam anschwelt, wirken viele Leute wie Brandbeschleuniger)

Der Körper kriegt die Möglichkeit, das Adrenalin schnell
loszuwerden. Danach japst man, aber die Attacke ist vorbei.
Eine Bekannte von mir hat das ritualisiert: Wenn sie merkte,
dass eine Attacke kam, sagte sie zu sich sinngemäß: „Okay
Angst, lass uns rennen“ und lief los. Wenn sie auf der Arbeit
war, lief sie ins Klo oder den Kopierraum und rannte dort auf
der Stelle. Sie ist heute nahezu panikfrei.

Darf ich fragen, wovor sie Angst hatte? Also ich meine, die Konsequenz? Ich könnte gut auf der Stelle laufen bei den Schichten, die ich im Moment habe. Ich habe recht menschenfreie Schichten (was meiner Panik dann auch wieder gut in dem Krams passt „Hahaaa, da kommt nieeemand, der dich ablenken kann!“), da kann ich rennen. Aber: Ich habe ja Angst vor dem ohnmächtig werden -was ich eine ganze Zeit lang in der Pubertät und vereinzelt auch noch später oft erlebt habe- und ich würde mir dann, wenn ich kaputt bin, vermutlich einreden, dass ich mich übernommen habe und nun noch näher an der Ohnmacht bin. Und verstärke mich dann wieder. Es ist wirklich verkniffelt. Ich werde es bei der Arbeit mal langsam versuchen.

Vermutlich bin ich dann auch wohl alleine der Meinung, dass ich das mit dem Job erst mal lassen sollte, was? :wink: Ich bin nach einer halben Woche der Unruhe hier zu Hause schon so durch, dass ich am liebsten nur irgendwas einschmeißen würde, das mich zu nem Zombie macht, aber einem glücklichen:smile: Und ich habe bisher -abgesehen von ganz am Anfang meiner Panikkarriere- nichts außer pflanzlichen Helfern genommen.

Ich fühl mich so rückschrittig im Moment.

Danke für deine Antwort, die hat mich zumindest für im Moment entlich mal wieder entspannt. Unter anderem, weil ich endlich mal weinen konnte. Das hilft immer immens, aber leider kann ich mich nicht so leicht dazu bringen:wink:

Liebe Grüße
Lockenlicht

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zum Umgang mit Ängsten
Hi,

ich habe vor einiger Zeit ein Brevier zum Thema Ängste verfasst, und werde ein paar Stellen daraus zitieren. Ich hoffe, es nützt dir und anderen Lesern etwas.

Das meiste sind meine Formulierungen, aber teilweise sind dies Passagen aus Büchern. Ich bin mir nicht ganz klar, wie es dabei mit dem Urheberrecht steht.

Für alle, die nicht so viel Zeit zum Lesen haben:

  1. Schließ Freundschaft mit der Angst, sie nervt zwar, tut dir aber nichts.
  2. Die Angst ist zwar lästig, muss dein Handeln aber nicht einschränken. So, wie man mit einem Klumpfuß wandern kann, kann man auch mit Angst arbeiten oder andere Dinge tun. Der Körper zickt dann zwar herum und es fühlt sich nicht gut an, aber kuschen musst du trotzdem nicht. Du machst eben dein Ding, ob mit oder ohne Schweißausbruch und Herzklopfen. Nach einer halben Stunde ist das Theater ja auch wieder vorbei.

Ein angstfreies Leben ist den Irren vorbehalten. Angst gehört zum Leben
dazu. Was das Leben mehr einschränkt, als die Angst selbst, ist ihre Vermeidung.
Der heilende Umgang mit der Angst liegt darin, sich zunächst die eigenen
Ängste ohne Beschönigung, Verleugnung oder Projektion einzugestehen,
sie dann von Vermeidung und Rückzug zu trennen, und sie schließlich
zu ignorieren, d.h. ohne Rücksicht auf sie zu entscheiden und zu handeln.
Kontraphobisches Verhalten löst die Phobie aber nicht. Gewaltsam gegen
die Angst vorzugehen funktioniert nicht.

Wer seine Angst akzeptiert, der ist schon einen wesentlichen Schritt weiter.
Wenn eine Frau zwar immer noch errötet, wenn sie einen Fremden, der ihr
gefällt, anspricht, aber sich nicht mehr sonderlich an diesem Erröten stört,
dann hat sie schon ein großes Stück Freiheit und Lebensqualität gewonnen.
Es ist nicht das Ziel völlig angstfrei zu sei, sondern sich von der Angst nicht
allzusehr behindern zu lassen, also trotz ihrer frei entscheiden zu können.
Sie wird zwar immer ein Hindernis und eine Unannehmlichkeit sein, aber
keine, die das Handeln diktiert.
Zwar müssen wir uns unseren Ängsten stellen, weil die Vermeidung sie festigt
und das Leben verkompliziert, aber trotzdem ist es wichtig, es mit der
Tapferkeit nicht zu übertreiben. Wir müssen uns Rückzugsmöglichkeiten
lassen.

Wie wird man die unsinnige Angst nun also los? Einfach ist’s nicht, soviel
vorweg. Und Vermeiden hilft auch nicht, sondern führt über kurz oder lang
zu immer heftigeren Ängsten, zu Isolation und schließlich zur Depression.
Eine leichte bis mittlere und als unbegründet erkannte Angst ignoriert man
am besten. Man macht alles so, als wäre sie nicht da. Die leichte bis mittlere
Angst ist vergleichbar damit, mit einem Stein im Schuh zu laufen: Der
Stein stört und man wäre ihn gerne los, aber man kann trotz seiner laufen.
Das ist auch ein realistischeres Therapieziel als sich ganz und gar von der
Angst zu befreien. Bei ausgewachsenen Phobien funktioniert das Ignorieren
allerdings nicht mehr.
Natürlich ist es nicht immer möglich, der Angst zum Trotz zu handeln.
Denn manchmal wird die Angst so heftig, dass sie den Körper lähmt. Er gehorcht
dann dem Willen nicht mehr.

Wenn Angst auch extrem belastend und unangenehm sein kann, so sehr,
dass mancher einen Herzinfarkt einer Panikattacke vorzöge oder durch Aufschneiden
der Arme die Angst in körperlichen Schmerz umwandelt, so ist
sie doch im Grunde ungefährlich. Das ist etwas, woran man fest glauben
muss, auch während einer Panikattacke. Wen sie so richtig packt, der gelangt
schnell zur Überzeugung, er werde völlig verrückt, sein Leben werde
ihm entgleiten und er werde den Rest seiner Tage angefüllt mit Beruhigungsmitteln
im Irrenhaus verbringen. Aber wenn sie sich nach einer halben
Stunde ausgetobt hat, dann denkt man zwar ‚was für ein Teufelsritt‘, aber der
Gedanke ans Irrewerden ist schon weit weniger realistisch.
Die Tapferen begegnen einer Panikattacke mit Humor: Achterbahn, Hurra!
Ja, komm nur Puls, geht’s nicht noch schneller! Schwitzen will ich wie in
der Sauna und Zittern wie unter Strom.

Die Angst vor der Panik vervielfacht sie. Wer aber mit einer wenn auch nur
gespielten Furchtlosigkeit und der Zuversicht, dass es bald wieder vorüber
sein wird, einer aufkeimenden Panik begegnet, der kann dadurch oft verhindern,
dass sie sich zur Maßlosigkeit steigert.

Ein anderes Bild ist das des Korkens auf den Angstwellen. Auch wenn die
Angst sich noch so hoch auftürmt und den Korken herumwirft, er wird nicht
untergehen. Er braucht sie nur vorüberrollen zu lassen.

Das eigentliche Problem ist ja gar nicht so sehr die Angst vor z.B. dem Fliegen,
sondern die berühmte Angst vor der Angst. Die Angst vor dem Fliegen
ist eine Sache, ein ganz andere aber die Vorstellung dann im Flugzeug eingezwängt
zu hocken, das Herz pochen zu spüren, zu schwitzen, die Blicke
der Leute ertragen zu müssen, zu hyperventilieren, also die Vorstellung,
dass der Körper in der Öffentlichkeit peinliche Kapriolen schlägt. Die
Angst, dass das Flugzeug abstürzen könnte, ist dann oft geringer als die,
dass dann die Panik wiederkommt.
Und diese Angst vor der Angst verselbständigt sich gerne und kann dann
auch ganz woanders auftreten, z.B. nachts im Bett.

Allgemeine Ängstlichkeit wird geringer durch Ablenkungen, Beschäftigtsein
und körperliche Anstrengungen wie Sport. Nun liegt hierin auch wieder
die Gefahr des Vermeidens und des Übertreibens. Hinter fanatisch betriebenem
Sport oder Arbeitswut stehen ja oft Ängste, die immer wieder bewusst
werden, sobald man zur Ruhe kommt. Hinzu kommt dann auch gerne die
Angst vor dem Verlust dieser Angstvertreiber. Wer den Sport braucht, um
weniger Angst zu haben, der fürchtet die Krankheit, wer den Job braucht,
die Arbeitslosigkeit. Wie schon gesagt, ein Leben ohne Angst ist kaum möglich.

Richtig tritt man der Angst, besonders panischer Angst, mit vier Verhaltensweisen
gegenüber: Sich ihr stellen, sie akzeptieren, sich durch die Angst
treiben lassen, Zeit vergehen lassen. Statt dieser Verhaltensweisen handelt
der Ängstliche oder Paniker aber eher so: Vor der Angst fliehen, gegen sie
ankämpfen, sie genau beobachten, ungeduldig sein.

Akzeptieren heißt, die Angst gelassen hinnehmen. Sie ist eben da. Das ist
nicht dasselbe wie die Angst zu ertragen, mit zusammengebissenen Zähnen
ungeduldig darauf zu warten, dass sie wieder verschwinde.
Akzeptieren - das ist Unterwerfung, Waffen strecken, den Tiger herankommen
lassen und dabei gleichgültig bleiben. Jemand, der eine Behinderung
hat, im Rollstuhl sitzt, findet sich irgendwann damit ab. Er lebt und arbeitet,
trifft Freunde usw. so gut es geht. Er hadert nicht mehr mit seinem Schicksal,
sondern macht das beste daraus, bis die Behinderung für ihn Normalität
geworden ist. Das ist Akzeptanz. Erreicht man diese Einstellung hinsichtlich
der Angst, dann verhungert sie, und verschwindet mit der Zeit.

Mit „sich durch die Angst treiben lassen“ ist gemeint, sich von dem angstgeschüttelten
Teil seines Körpers zu separieren und trotz der Behinderung
durch ihn, in größtmöglicher Ruhe das zu tun, was man vorhat. Anstatt dies
mit Anstrengung und Gewalt zu tun, lässt man den Körper einfach von einem
Punkt zum nächsten treiben. So kann z.B. derjenige mit Agoraphobie
vor die Tür gehen und einkaufen. Wer sich nicht soweit entspannen kann,
der sollte sich nicht zur Entspannung zwingen. Das funktioniert ohnehin
nicht. Was er aber tun kann, ist, sich nur vorzustellen, er würde sich entspannen.
Das hilft auch schon.
Übrigens kann man auch seinen Gedanken gegenüber die Einstellung einnehmen:
„Es sind nur Gedanken.“ Wenn das Herz pocht, dann kann man
sich sagen, dass nur das Herz poche, ohne sich davon allzusehr beunruhigen
zu lassen. Ebenso kann man zu einem beängstigenden, erschreckenden Gedanken
sagen: „Du bist nur ein Gedanke.“

Zwei Verhaltensweisen ist es zuzuschreiben, weshalb Phobien nicht durch
„Selbstheilung“ einfach wieder verschwinden. Die eine ist die Vermeidung.
Sie verhindert die Erfahrung, dass die Angst unbegründet ist. Außerdem festigt
sie noch den Aberglauben (Gut, dass ich nichts gesagt habe, sonst hätte
ich mich bestimmt blamiert). Die andere sind gewaltsame, falsch dosierte
Anstrengungen, sich der Angst entgegenzuwerfen, also z.B. mit großer Höhenangst
eine gefährliche Gebirgswanderung zu unternehmen. Wer dies
ausprobiert, will diese Angst dann nie wieder erleben und sagt sich, dass
dies gerade nochmal gut gegangen sei. Und auch wenn er sich dies nicht
sagt, so ist seine emotionale Erfahrung doch negativ.

Einsicht ist nur eine Komponente der Angsttherapie. Solange aber die Emotionen
nicht mitziehen, geht auch die Angst nicht weg. Die Emotionen lassen
sich von Gesprächen und Gedanken nur wenig beeindrucken, weshalb
bei Ängsten und besonders bei Phobien Gesprächstherapien, z.B. die tiefenpsychologisch
fundierte Psychotherapie nicht viel helfen.

Phobisches Vermeiden ist das beste Mittel, die Angst zu behalten. Ungewollt
und ohne es zu wissen, arbeiten die meisten Phobiker ihrer Angst zu.
Das Vermeidungsverhalten (Flucht), das die Angstgefühle verringert, verstärkt
die Macht der Angst, und bei der nächsten Provokation wird sie nur
noch heftiger zur Flucht drängen. Das Vermeiden wird in gewisser Weise
zur Sucht. Aber es tarnt sich gern: „Ich gehe nicht gern zu Abendveranstaltungen,
weil man sich dort nur über uninteressante Dinge unterhält.“ „In der
U-Bahn ist es mir zu heiß und es stinkt.“ Natürlich kann man solche Abneigungen
haben, aber oft sind es Rationalisierungen, in diesem Fall die eines
Sozialphobikers.

Eine Frau mit Flugangst, die gezwungen war, von Zeit zu Zeit nach
Amerika zu fliegen, fragte regelmäßig die Stewardessen, ob nicht ein Arzt im
Flugzeug sei, oder ob sie neben jemandem sitzen könne, der gerne viel rede,
um sich so von ihrer Angst abzulenken. Dies sind aber auch nur Vermeidungen,
wenn auch abgeschwächte, denn diese Beruhigungsmittel bringen die
Frau um die Erfahrung, dass auch dann nichts geschehen wird, wenn sie absolut
gar nichts macht. Sie muss am eigenen Leib erfahren und nicht nur
theoretisch verstehen, dass keine nennenswerte Gefahr besteht, auch dann
nicht, wenn kein Arzt und kein Gesprächspartner da sind. Sie würde dann
die Angst in sich spüren, spüren, wie diese langsam wieder abflaut und wie
nichts Bedrohliches geschieht.
Zum Vermeiden gehört nicht nur das Umgehen von ängstigenden Situationen,
sondern auch das Vermeiden von Bildern oder Gesprächen oder von
Aufregungen, weil sie das Herz zum Pochen brächten.

Wir alle werden gelegentlich von plötzlichen Gefühlen des Unbehagens befallen,
von Nervosität, Herzklopfen, Schwitzen, Beklemmungen, von dem
Wunsch, einer Situation zu entkommen. Manchmal kommen uns auch komische
Gedanken, z.B. denken wir beim Autofahren: „Was wäre, wenn ich
plötzlich Lust bekäme, das Lenkrad herumzureißen und diesem Impuls
nicht widerstehen könnte?“ Oder wir lehnen uns an ein Geländer in großer
Höhe und spielen einen Moment mit dem Gedanken, sich einfach so hinab
zu stürzen3. In einem Vortrag befällt uns vielleicht die Sorge, den Faden zu
verlieren und dumm dazustehen. Es passiert den meisten auch immer mal
wieder, dass sie einen Schmerz oder irgendein Symptom wahrnehmen und
einen Augenblick oder länger bekommen sie Angst, es handle sich um etwas
Schlimmes.
Aber normalerweise dauern diese Momente nicht an und entwickeln keine
allzu große Intensität. Nur manchmal steigern sie sich ins Maßlose. Ein erschreckender
Gedanke folgt auf den nächsten, Tod, Irrenhaus, wir fühlen
uns in größter Gefahr, der Körper spielt verrückt, Schmerzen in der Brust,
Mund und Kehle völlig ausgetrocknet, Würgereiz, Zittern am ganzen Leibe,
Erstarrung, Wahrnehmungsstörungen; alles gerät völlig aus den Fugen.
Ein solches Erlebnis vergisst man nicht so einfach. Es ist äußerst beunruhigend
und natürlich taucht die Frage auf: Was, wenn das wieder passiert?
Nein, so etwas Schreckliches darf nicht wieder passieren. Aber wie kann
man vorbeugen? Tja, gar nicht. Es kam ja beim ersten Mal schon wie ein
Blitz aus heiterem Himmel, wie ein Raubtier aus dem Hinterhalt. Kein
Wunder, dass einem nun die Angst im Nacken sitzt. Wo die Panik den Geplagten
wieder erwischt, ist künftig der Ort, den er meidet.
Entspannungsübungen helfen meistens nicht, denn wenn der Paniker zur
Ruhe kommt, allein mit seinen Gedanken und seinem Körper ist, dann wird er sehr nervös (War das ein normales Herzklopfen? Irgendwie fällt mir das Atmen schwer.)

Im Laufe ihres Lebens machen etwa fünfzehn Prozent aller Menschen eine
Panikattacke mit. Oft bleibt es bei einer, die dann als Nervenzusammenbruch
in die persönliche Geschichte eingeht. Aber bei einigen ist dieser eine
Anfall der Anfang einer Panikstörung, die von der Angst vor weiteren Anfällen
und deren tatsächlichen Wiederkehr geprägt ist.
Leider geht so eine Panikstörung nur selten von alleine wieder weg. Sie entwickelt
sich manchmal sogar noch weiter in eine Agoraphobie (Platzangst),
die nicht nur darin besteht, Angst vor großen offenen Räumen zu haben,
sondern sich auch als Angst äußern kann, allein zu Hause zu sein, in einer
Warteschlange zu stehen, in einem Flugzeug zu sitzen, das nicht abhebt, in
einer stehengebliebenen U-Bahn festzustecken usw.
Durch das Meiden solcher Situationen lassen sich zwar die Panikattacken
verhindern, aber die Freiheit wird immer geringer. Und sollte der Betroffene
es dann doch mal wieder versuchen, z.B. die U-Bahn zu nehmen, dann folgt
die Panik prompt und er wird es nicht wieder probieren.

Was ist nun also am besten zu tun, wenn uns eine Panikattacke ereilt? Weiter
oben habe ich ja schon geschrieben, dass man fest daran glauben muss,
dass sie bald wieder vorbei sein wird und uns nicht schaden kann. Wenn
man sich wieder einigermaßen beruhigt hat, sollte man genau die Situation
recht bald erneut aufsuchen, um sich zu überzeugen, dass nichts Schlimmes
geschieht. Hat jemand z.B. einen Anfall in einem Fahrstuhl, dann sollte er
diesen am selben Tag wieder nehmen. Auch in Gedanken sollte er das Geschehene
noch einmal durchspielen und sich vergewissern, dass die Angst
unbegründet war.

Eine Therapie kann die Überzeugungen ändern. Ein beginnendes Schwindelgefühl
ist ein sicheres Zeichen für eine nahende Ohnmacht. ? Ich habe
häufig leichten Schwindel, das ist zwar unangenehm, aber nicht schlimm.
Meist passiert das, wenn ich müde oder gestresst bin.

Es hat sich gezeigt, dass bei Phobien und „einfachen“ sozialen Ängsten die
kognitive Verhaltenstherapie am effektivsten ist, obwohl es auch die Kritik
gibt, sie sei nicht nachhaltig genug. Jedenfalls scheint eine monate- und jahrelange
Aufarbeitung der Kindheit nur wenig an den Ängsten ändern zu
können, sodass also psychoanalytische oder tiefenpsychologische Verfahren
nicht besonders gut geeignet sind.

Die alte These, dass Einsicht zum Verschwinden
des Problems führt, ist einfach nicht wahr, jedenfalls nicht bei
Ängsten. Die Einsicht hilft beim Akzeptieren und ist sicher auch beim Bekämpfen
der Angst nützlich, aber nur praktische emotionale Erfahrungen
können das überempfindliche Alarmsystem umprogrammieren.

Bei der Therapie von Angst geht es hauptsächlich, vielleicht ausschließlich,
darum, die Angst vor der Angst zu lindern. Sie ist es ja auch, die unser Leben
einschränkt, auf die wir unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit und
Sorge richten. Man kann wohl sagen, dass wir meistens viel mehr über die
Reaktionen unseres Körpers erschrecken, als über deren Auslöser, also das
Objekt der Angst. Wer gelernt hat, diesem Aufstand des Körpers nicht zu
viel Bedeutung zu schenken, der hat den wesentlichen Schritt getan.

Die folgenden zehn Gebote helfen, die Angst zu besiegen: Gehorche der
Angst nicht. Erkunde genau, was dir Angst macht. Toleriere die Angst vor
der Angst. Mache dir klar, dass die Angst übertrieben ist und keine reale
Grundlage hat. Leiste der Angst nach festen Regeln Widerstand. Bringe deine
Mitmenschen dazu, die Angst zu respektieren. Versuche zu verstehen,
welche Ursache die Angst hat. Lebe so normal wie möglich und genieße das
Leben. Treibe Sport und entspanne dich. Bemühe dich dauerhaft.
Es geht nicht darum, gar keine Angst mehr zu haben, sondern darum, sie auf
ein normales Maß zu verkleinern. Wer beispielsweise Prüfungsangst hat,
sollte nicht erwarten, ohne die kleinste Nervosität in eine wichtige Prüfung
zu gehen, denn jeder ist nervös, wenn er eine Prüfung hat. Das Ziel besteht
darin, die Nächte vor der Prüfung gut schlafen zu können, keinen Durchfall
zu haben, in der Prüfung geistesgegenwärtig zu sein und das Gelernte sinnvoll
wiedergeben zu können.

Die Angst zu akzeptieren bedeutet, dass man ihr gelassen begegnet, sie zunächst
hinnimmt und darauf vertraut, dass sie nach und nach weniger werden
wird, weil man ihr zuleibe rückt. Zur Akzeptanz gehört auch, sich der
Angst nicht zu schämen. Sie ist wie die schon häufig erwähnte Allergie oder
wie Kurzsichtigkeit oder hoher Blutdruck.

Weil Verhaltenstherapien wohl nur symptomatisch wirken und nicht lehren,
wie Angst in das Leben integriert werden kann, um dieses vielleicht sogar
zu bereichern, geht die Acceptance and Commitment Therapy andere Wege.

Die drei Bausteine sind Accept, Choose und Take Action.
Accept: Gefühle, besonders Ängste, sind einfach nur da. Sie sind Teil unseres
Erlebens. Wir sträuben uns nicht gegen sie, sondern nehmen sie zunächst
ohne Bewertung hin.
Choose: Hier geht es darum, unserem Leben die richtige Richtung zu geben.
Wir müssen uns deutlich machen, was wir wegen der Angst aufgegeben haben,
wie sie uns hindert zu tun, was wir eigentlich wollen, wie sie uns Zeit
raubt. Das ganze Leben mit den wesentlichen Bereichen Freunde und Familie,
Arbeit, Partnerschaft, Erholung, Gesundheit, Spiritualität wird beleuchtet
und sortiert.
Take Action: Wir müssen anfangen, unsere Ziele zu verfolgen. Wir können
dies sofort tun und müssen nicht warten, bis die Ängste verschwunden sind.
Je erfüllter das Leben wird, desto weniger Zeit und Energie bleiben für die
Ängste übrig.

Tychi

Hallo Lockenlicht,

Vorweg: Du kannst dir sicher denken, dass ich das meiste von dem, was du geschrieben hast, in der Theorie weiß :wink:

Davon bin ich ausgegangen :smile:. Nach meiner Erfahrung hilft es aber manchmal, wenn man bestimmte Dinge immer mal wieder von anderer Seite hört.

Ich habe halt vor allem Angst, weil ich zu Generalisierung tendier, dass ich mich dran gewöhne, dass mir zu Hause unwohl ist. Es ist keine richtige Panikattacke sondern nur ein Dauerunwohlgefühl.

Angst schützt sich selbst. Dein Schritt raus in die Welt, mit dem Versuch, wieder zu arbeiten, stellt eine Bedrohung für die Angst dar. Deswegen werden nun alle möglichen Mechanismen in Gang gesetzt, um den Status Quo aufrecht zu erhalten. Da du bereits dran denkst, nicht mehr zu arbeiten, funktioniert das System bestens :smile:.

Natürlich ist nicht „die Angst“ der Gegner, sondern du selbst. Indem du dich in diesem Zustand gefangen hältst, sorgst du dafür, nichts anderes (und niemand anderen) an dich heranzulassen. Selbstverständlich passiert das nicht bewusst, das wäre ja zu einfach :smile:.

Dann zweifel ich, dass dem Körper irgendwann die Luft ausgeht

Eine typische Angst bei vielen Angstpatienten.

Nun ja, richtige Attacken, in denen ich kein Stück rational mehr bin, passieren vor allem „in der Öffentlichkeit“.

Ich phantasiere mal: Fremde Menschen sind gefährlich. Sie verletzen und nehmen keine Rücksicht. Sie wollen nichts mit mir zu tun haben und finden mich sowieso komisch. Zu erwarten habe ich von ihnen jedenfalls nichts Positives. Wenn ich versage, bin ich nur peinlich. Bloß nicht die Kontrolle verlieren.

Darf ich fragen, wovor sie Angst hatte?

Vor dem Ohnmächtigwerden, dem Erbrechen und Herzinfarkt.

Aber: Ich habe ja Angst vor dem ohnmächtig werden

Was genau wäre schlimm wenn es passieren würde?

Schöne Grüße,
Jule

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Natürlich ist nicht „die Angst“ der Gegner, sondern du selbst. …

Wie meinst du das genau?
Die Persönlichkeit von Lockenlicht ist also das Problem? Wer soll denn aber jetzt dann das Problem lösen?

Etwa die Persönlichkeit Lockenlicht, welche identisch ist mit dem Gegner? Das macht irgendwie keinen Sinn für mich.

Wer aber soll das Problem denn dann lösen?

Verwirrte Grüße

Huhu!

Ich verstehe das nicht auf die Persönlichkeit bezogen. Sondern eher…hm…auf meine Entscheidungsfindung. Auf die Entscheidungen, die ich vor allem treffe, nicht wenn ich Panik habe, sondern bei Angst vor der Angst.

Dass ich z.B. vermeide anstatt in die Situation zu gehen. Weil mir das keiner abnehmen kann.

Dann zweifel ich, dass dem Körper irgendwann die Luft ausgeht

Eine typische Angst bei vielen Angstpatienten.

Naja, aber es ist ja auch irgendwie eine Erfahrung. Im Bezug auf gestern: Ich hab zwar keine unkontrollierbare Panikattacke gehabt, aber eben die ganze Zeit Angst. Und das war die Woche zuvor bei den 7 Stunden genauso, nur, dass das irgendwann „aufgebrochen“ ist. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir uns da richtig verstehen.

Ich phantasiere mal: Fremde Menschen sind gefährlich. Sie
verletzen und nehmen keine Rücksicht. Sie wollen nichts mit
mir zu tun haben und finden mich sowieso komisch. Zu erwarten
habe ich von ihnen jedenfalls nichts Positives. Wenn ich
versage, bin ich nur peinlich. Bloß nicht die Kontrolle
verlieren.

Nicht ganz. Ich kann gut mit Menschen, mit Fremden fast noch besser. Ich bin gut im Kundengespräch, unverbindlichem Smalltalk, den Gegenüber ein wenig zum Lachen bringen, den meisten ein ganz gutes Gefühl geben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich gut ankomme. Bei der damaligen Diagnose der sozialen Angst war ich (und auch meine Umgebung) erst mal überrascht. Aber ja, Kontrolle und vor allem Peinlichkeiten & Blamage sind riesen Themen bei mir. Dass ich früher schließen musste, bei der einen Attacke, fand ich am allerschlimmsten an der ganzen Sache. Das ist peinlich, unprofessionell und könnte Leute verärgern (vor rechtlichen/finanziellen Folgen hatte ich da keine Sorgen).

Was genau wäre schlimm wenn es passieren würde?

In erster Linie ist das ein ganz furchtbares Körpergefühl. Weniger die Ohnmacht, mehr das Aufwachen. Das kenne ich, wie gesagt, und das mag ich nicht. Natürlich kommt die Angst vor dem Blamieren noch dazu.

Liebe Grüße und vielen Dank (ich hab durch passives Mitlesen ne hohe Meinung von deiner Sicht und Formulierungen und ich werde hier bei meinem persönlichen Problem nicht enttäuscht:wink: )

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Richtige Therapie?
Huhu,

ich geh nun nicht auf alles ein. Das meiste ist mir im Prinzip klar und dein Artikel zeigt (ich vermute unabsichtlich) sehr gut die Zerrissenheit. Fast jeder Absatz ist ein „einerseits…aber andererseits…“. So zirkuliert auch meine Denke, wenn es mir angstmäßig nicht gut geht.

Aber dies hier:

Akzeptieren heißt, die Angst gelassen hinnehmen. Sie ist eben
da. Das ist
nicht dasselbe wie die Angst zu ertragen, mit
zusammengebissenen Zähnen
ungeduldig darauf zu warten, dass sie wieder verschwinde.
Akzeptieren - das ist Unterwerfung, Waffen strecken, den Tiger
herankommen
lassen und dabei gleichgültig bleiben.

So weit verstanden, theoretisch. Aber wie macht man das praktisch? Wie gelangt man in diesen Zustand und wie fühlt er sich an?

Ach mist, nun habe ich den Teil mit der passenden Therapie hier gelöscht und kann es nicht mehr kopieren. Ich mach nun mal kein neues Thema auf, sondern frage hier:

Mach ich dann überhaupt die richtige Therapie? Ich weiß nicht genau, wie meine Therapieform heißt, aber ich mache nichts aktives, höchstens, wenn ich mir selbst „Hausaufgaben“ ausdenke. Wir versuchen rauszukriegen, welche meiner Verhaltensweisen mich selbst dazu bringen, Panik zu kriegen - nicht in einer bestimmten Situation, sondern eher „global“. Z.B. dass ich es gelernt habe, eher zielorientiert zu agieren und nicht so sehr emotional. Und dann versuchen wir, zu schauen, wo ich das heute ein wenig lockern kann/in welchen Situationen ich heute weniger praktisch und mehr gefühlsmäßig agieren kann. Das aber eher unabhängig von der Panik. Also „Wenn Sie sich mehr erlauben, im Alltag irrational zu sein, dann erscheint die Irrationalität in Form der Panik nicht mehr“.

Wäre eine Therapie sinnvoller, wo ich aktiv an Paniksituationen arbeite?
Ich habe mich das schon gefragt und auch den Theraueputen; aber der sagt natürlich, dass so die richtige Herangehensweise ist (er würde es ja auch nicht so machen, wenn er es nicht für richtig hielte).

Ach, alles kniffelig.

Liebe Grüße

Hallo,

Die Persönlichkeit von Lockenlicht ist also das Problem?

Jein. Ein nicht zu unterschätzendes Problem bei Angststörungen ist, das die Betroffenen sich weigern, die Verantwortung für sich und ihre (psychische) Gesundheit zu übernehmen. Sie bleiben häufig gefangen in der Rolle des Opfers, fühlen sich ausgeliefert und hilflos. Die Angst vor dem Ohnmächtigwerden hat nicht selten mit dem eigenen Erleben von Ohnmacht zu tun.

Viele ertragen lieber dauerhafte Angstzustände und lassen zu, sich immer erschöpfter, verzweifelter und isolierter zu fühlen, als sich einer (therapeutisch begleiteten) Konfrontation zu stellen. Sie blenden dabei aus, dass die nicht enden wollende Angstspirale, in der sie sich befinden, sie unterm Strich sehr viel mehr kostet und ungleich anstrengender ist, als sich darum zu bemühen, der Angst zu begegnen.

Nicht selten empfinden sich Angstpatienten als starke Kämpfer, weil sie täglich mit der Angst leben müssen, aber in Wahrheit kämpfen sie nicht gegen die Angst, sondern mit ihrem Zustand des Leids und der scheinbaren Ohnmacht.

Es hat nicht mit Kämpfen zu tun, eine Panikattacke zu überstehen. Das schafft der Körper von ganz allein und ohne jegliches aktive Zutun. An Panikattacken stirbt man nicht, sie kommen und gehen. Natürlich ist es mega anstrengend und kräfteraubend - aber ein Kampf im Sinne von Widerstand leisten ist es nicht. Weil es aber so erschöpfend ist, während der Zustand sich nicht bessert, sondern eher verschlimmert, steigt mit jeder Attacke auch die Verzweiflung und Mutlosigkeit darüber, diesem Zustand nicht entgehen zu können. Das kann bis zur völligen Selbstaufgabe und zum Suizid führen, ohne dass jemals tatsächlich ein ernsthafter Versuch, der Angst zu begegnen stattgefunden hätte.

Die meisten Angstpatienten hoffen auf ein Wunder, nämlich darauf, dass die Angst eines Tages einfach vorbei ist. In diesem Zusammenhang ist oft der Satz zu hören „Bis dahin müssen wir halt weiterkämpfen“. Im Klartext bedeutet das aber lediglich, dass die Angstattacken eben so lange ausgehalten werden müssen, bis eines Tages die Angst weg ist. Da das so gut wie nie passiert, ist dauerhaftes Leid vorprogrammiert.

Wer soll denn aber jetzt dann das Problem lösen?

Natürlich sie selbst, wer sonst? Auch ein Angstpatient hat eine Wahl. Die erste Kunst ist, eine Motivation zu finden, die ausreichend groß ist, sich dafür anzustrengen. Anstrengen, nicht nur aushalten, denn hierbei lässt man nur mit sich geschehen.

Die Motivation kann einerseits die Hoffnung auf ein besseres Leben sein, andrerseits aber auch die Abkehr vom bisherigen Schlechten.

Die zweite Kunst - und das ist die wahrhaft schwierige - ist, nicht mit einem „alles-oder-nichts“- Anspruch an die Sache ran zu gehen und vor allem nicht von sich zu verlangen, das alleine hinzukriegen. Gerade Angstpatienten scheinen eine Neigung dazu zu haben, sich ihre Stärke auf diese Art beweisen zu müssen :smile:. Kein Mensch, der schwer krank ist, kommt ohne die Hilfe eines Arztes wieder auf die Beine - warum sollte das bei einer psychischen Erkrankung anders sein?

Wichtig ist aber, eine Entscheidung zu treffen. Man kann sich auch dafür entscheiden, nichts zu tun. Dann muss man mit den Konsequenzen leben. Entscheidet man sich aber dafür, etwas zu unternehmen, dann muss der Verstand die Oberhand behalten, denn das Gefühl wird nicht mitspielen. Ein Kampf gegen die Angst fühlt sich immer schlimmer an, als die vertraute Angst, die man bisher ausgehalten hat.

Etwa die Persönlichkeit Lockenlicht, welche identisch ist mit dem Gegner?

Letzten Endes ist es genau das. Den Kampf gegen die Angst aufnehmen heißt immer auch, gegen eigene Verhaltens- und Denkmuster, eigene Komfortzonen und eigene Grenzen zu arbeiten. Das macht es ja so schwer.

:smiley:as macht irgendwie keinen Sinn für mich.
Für mich schon :smile:

Schöne Grüße,
Jule

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Liebe Lockenlicht, wenn du schon seit 7 Jahren
Panikattacken-Patientin bist, hast du doch sicher auch
Therapieerfahrung. Was hast du denn sonst immer gemacht, wenn
es schlimmer wurde.

Viel trinken, Panik-Bonbons, -tropfen, -globoli, was zuckriges essen, mir sagen, dass der Körper den Panikzustand nicht lange aufrechterhalten kann, mit der Panik im Geiste reden und sie weiter anfeuern )„wie, mehr kannst du nicht??“, zwei Punkte in einem Raum suchen und die Augen pendeln lassen, usw. Und wenn es eine richtige Attacke ist, wo ich die Kontrolle verliere: Raus.

Irgendetwas an der neuen Situation scheint
dich sehr zu irritieren. Und das zieht seine Kreise, so dass
du auch zu Hause damit zu tun hast.

Ich denke heute schon an die nächste Schicht am Montag. Zumindest, wenn ich nicht aufpasse, ertappe ich mich wieder dahin abschweifen.

Angststörungen haben ja
die unangenehme Angewohnheit, sich auszudehnen. Ich würde also
sagen, ab zum Verhaltenstherapeuten und zwar schnell, nicht
dass du die neue Stelle noch verlierst.

Ich bin in der komfortablen Situation, dass ich nicht abhängig von der Stelle bin. Zumindest nicht finanziell. Ich hab sie angenommen, um zu schauen, ob und wie es geht und einen Monalt lang war es völlig ok.

Wenn du offen für
alternative Verfahren bist, würde ich dir auch eine
Familienaufstellung emfpehlen. Schon mal davon gehört? Falls
nein, lies dich mal ein, z. B. bei Wikipedia oder - kürzer -
hier
http://www.rudolfpraxis.de/topics/familienaufstellun…
bzw. hier
http://www.sorge-dich-nicht-liebe.de/familienaufstel…. Ein
sehr gutes kleins Büchlein ist auch „Wie hilft
Familien-Stellen“ von Ulsamer und Hell.

Ich bin nicht so offen für alternative Verfahren (wobei, NLP hat mir gut geholfen). Abgesehen davon analysiere ich recht gut und wir haben das auch schon in der Therapie immer mal wieder angesprochen, wie so die Familiendynamik bei uns ist und was davon Teil des Problems ist. Da gibt es nicht mehr viel an Erkenntnis zu holen :smiley: Wenn ich nun das Prinzip richtig verstanden habe. Ich wünschte manchmal, ich hätte irgendein Ereignis aus der Kindheit oder irgendeine Person von der ich mich lösen müsste - halt irgendeinen Knackpunkt von dem aus ich arbeiten kann. Aber bei uns ist es nicht normaler oder unnormaler als bei der gewöhnlichen, glücklichen Querschnittsfamilie:wink:

Gute Besserung wünscht Toewanda

Vielen Dank. Ich bemüh mich:wink:

Liebe Grüße
Lockenlicht

Für mich schon :smile:

Für mich auch. Nur das gleiche Problem wie weiter oben: Die Theorie versteh ich. Das macht Sinn für mich und ich finde mich wieder.

Auf der kognitiven Ebene verstehe ich das, aber ich lese trotzdem diesen Text, als ob man einem Blinden Farben erklärt. Ich kann mich nicht da reinversetzen, also mich als Betroffene, die das ändern will (oder nicht will? Woher weiß ich, ob ich das schon genug ändern will?). Ich weiß nicht, was in meinem Tagesablauf der erste Schritt sein sollte, oder wo ich ansetzen müsste oder welche Fragen ich mir stellen müsste.

Schwer zu beschreiben. :smile:

Hi Lockenlicht,

ich geh nun nicht auf alles ein. Das meiste ist mir im Prinzip
klar und dein Artikel zeigt (ich vermute unabsichtlich) sehr
gut die Zerrissenheit. Fast jeder Absatz ist ein
„einerseits…aber andererseits…“.

Wirklich? Ich nehme das gar nicht so wahr. Es gibt erst vier Regeln und weiter unten 10 Regeln, die sich auch nicht widersprechen.

Die Umsetzung ist natürlich nicht so leicht. Jemanden zu sagen: „Bitte hebe diese 200-kg-Hantel vom Boden auf Hüfthöhe“ ist ganz klar und einfach, aber es dann zu tun, den meisten unmöglich.

Aber dies hier:

Akzeptieren heißt, die Angst gelassen hinnehmen. Sie ist eben
da. Das ist
nicht dasselbe wie die Angst zu ertragen, mit
zusammengebissenen Zähnen
ungeduldig darauf zu warten, dass sie wieder verschwinde.
Akzeptieren - das ist Unterwerfung, Waffen strecken, den Tiger
herankommen
lassen und dabei gleichgültig bleiben.

So weit verstanden, theoretisch. Aber wie macht man das
praktisch? Wie gelangt man in diesen Zustand und wie fühlt er
sich an?

Ich weiß es selbst nicht so genau. Vielleicht bist du zufällig einmal in einem Zustand, in welchem dir deine Panik egal ist. Diesen Zustand müsstest du dir merken und irgendwie zu halten versuchen. Vielleicht gelingt dir das dann immer öfter.

Mach ich dann überhaupt die richtige Therapie? Ich weiß nicht
genau, wie meine Therapieform heißt, aber ich mache nichts
aktives, höchstens, wenn ich mir selbst „Hausaufgaben“
ausdenke.

Die Angststörungen lassen sich in vier Gruppen sortieren: die spezifischen Phobien (Spinnen, Blut,…), die sozialen Phobien (Angst vor den Blicken und Urteilen anderer Menschen), die Panikstörung (plötzliche Panik, oft ohne erkennbaren Auslöser) und die generalisierte Angststörung (ständige, unspezifische Angst und Unruhe, oft ohne Objekt, der Betroffene macht sich Sorgen um alles und jeden, die Zukunft wirkt bedrohlich).

Phobien ist noch recht leicht beizukommen. In einer Verhaltenstherapie finden schrittweise Annäherungen an das Objekt der Angst statt. Der Höhenängstliche stellt sich auf den Stuhl, dann auf den Tisch, dann mit dem Therapeuten auf einen Turm und schließlich auf eine wacklige Leiter. Der Spinnenphobiker wird schrittweise an die Spinnen herangeführt.

Bei dir liegen die Dinge leider anders. Du scheinst von sozialen Ängsten zur Panikstörung gekommen zu sein, die jetzt wohl keinen spezifischen Auslöser mehr hat, zumindest keinen, der dir bewusst wäre.

Hier liegen die Therapiemöglichkeiten darin, mit den Panikattacken umgehen zu lernen, zu lernen, keine Angst mehr vor ihnen zu haben. Sie sind eben da, wie das Husten des Rauchers oder der Buckel des Buckligen. Wenn du solchen Gleichmut ihnen gegenüber entwickeln kannst, dann verschwinden sie wie Gespenster, vor denen sich niemand mehr fürchtet. Und selbst wenn sie nicht verschwinden: Sie sind dir ja egal geworden, sie schränken dein Leben nicht mehr ein, so dass es einerlei ist, ob du ab und zu Panik hast oder nicht.

Der richtige Ansatz wäre also, die Panikattacken hinzunehmen oder sogar zu Übungszwecken zu provozieren. Darüber solltest du mit deinem Therapeuten sprechen.

Außerdem wären wohl Konfrontationen zu deinen sozialen Ängsten sinnvoll.

Expositionsübungen für Sozialphobiker:
Sich eine viertel Stunde lang von einer Gruppe anderer Patienten schweigend beobachten lassen. Am besten, der Phobiker schaut den Mitgliedern der Gruppe in die Augen. Hierbei muss er ertragen, im Zentrum der Aufmerksam zu stehen, ohne sich schützen oder von sich ablenken zu können. Weiterhin kann er vor der Gruppe einige Minuten lang aus dem Stegreif sprechen, vielleicht eine Anekdote erzählen, oder einen Standpunkt verteidigen. Dann kann die Gruppe ihn mit verunsichernden Kommentaren provozieren („du bist ganz rot geworden“, „du hast sehr oft äh gesagt“, „ich habe mich schrecklich gelangweilt“). Er sollte dabei versuchen, dies gleichmütig hinzunehmen und nicht mit Wut oder Unterwürfigkeit reagieren.

Als nächste Übung sollte er über sich selbst sprechen, über seine Vorlieben und Abneigungen, seine Stärken und Schwächen. Normalerweise vermeiden Sozialphobiker dies ja, weil sie sich für uninteressant halten und sich ihrer selbst schämen.

Dann soll er alle Gruppenmitglieder um etwas bitten. Diese schlagen ihm den Wunsch rundweg ab. Das fällt der Gruppe allerdings auch schwer, denn jedem normalen Menschen ist es unangenehm, jemanden zurückzuweisen. Einen Wunsch abzuschlagen, wird oft als Zurückweisung des Bittenden empfunden.

Schließlich soll der Phobiker etwas vorführen, also etwas singen, etwas rezitieren, vor allen tanzen. Je weniger er das beherrscht, umso besser. Selbstverständlich sind alle diese Übungen nicht nacheinander am selben Tag zu absolvieren, sondern über Wochen und Monate verteilt.

Es hilft dem Sozialphobiker auch, normale Menschen zu beobachten, wenn diese in peinliche Situationen geraten. Z.B. kann er dann lernen, dass auch andere rot werden oder sich bei einer Rede versprechen und dass diesen dann nichts Schlimmes passiert. Sie sind vielleicht ein wenig peinlich berührt, aber sie haben es einfach so hingenommen.

Um sich weniger zu schämen, gibt es shame-attacking-exercises wie z.B.: Einen Fremden fragen, ob man bei ihm zu Hause duschen dürfe. Im Bus laut die Stationen ausrufen. Eine Banane an einer Schnur hinter sich herziehen. Sich komisch kleiden. Zu einer Gruppe von Leuten bewusst etwas Dummes sagen. Schlecht zubereitetes Essen in die Restaurantküche zurückbringen.

Phobiker nehmen die Realität verzerrt wahr. Jemand, der sich übermäßig vor Hunden fürchtet, beginnt unweigerlich zu schlottern, wenn er einen Hund sieht, auch wenn dieser ganz harmlos aussieht und angeleint ist.

Deshalb ist neben den Expositionen auch das regelmäßige Hinterfragen und Entlarven der falschen Annahmen und Wahrnehmungen nötig. Wenn jemand z.B. glaubt, alle würden sich über ihn lustig machen oder gering von ihm denken, dann sollte er prüfen, welche Beweise oder auch nur Anzeichen es für diese Vermutungen gibt. Und selbst, wenn er solche finden sollte, dann müsste er genau begründen, was eigentlich so schlimm daran wäre, wenn andere Menschen zu abschätzigen Ansichten gelangen. Warum ist ihm deren Meinung so wichtig? Ist ihnen seine Meinung denn auch so wichtig?

Die Einsichten, die sich aus derartigen Gesprächen ergeben, können die Ängste nicht beseitigen, wohl aber lindern, und im Verbund mit den Konfrontation sind sie wirkungsvoll.

Ob das alles das Richtige für dich ist, kannst du ja mit deinem Therapeuten besprechen.

Tychi

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Hallo Lockenlicht,

hast du für dich schon geklärt, was du von der Therapie erwartest? Damit meine ich nicht nur den allgemeinen Wunsch danach, dass es dir besser geht :smile:. Hast du mit deinem Therapeuten diese(s) Ziel(e) besprochen? Ist dir klar, warum ihr so miteinander arbeitet, wie ihr es tut? Passt dies zu dem, was du dir von der Therapie erhoffst?

Ich finde es wichtig, dass hinsichtlich des Ziels ein Konsens zwischen Therapeut und Patientin besteht. Wenn ihr den gefunden habt, wäre die nächste Frage, welche Wege dorthin dein Therapeut für gangbar und sinnvoll hält. Hier ist er der Profi, der die Richtungen aufzeigen muss. Den Weg, den du beschreiten willst, entscheidest wiederum du. Wenn dein Therapeut einen anderen für besser hält, kann er erklären, warum. Die Entscheidung sollte wiederum bei dir liegen.

Manchmal zeigt sich erst im Verlauf einer Therapie, dass man die Richtung ändern oder das Ziel neu definieren muss. Scheue dich nie, zu thematisieren, wenn es für dich irgendwo klemmt. Man kann nämlich wunderbar Zeit miteinander vergeuden :smile:.

Ganz grundsätzlich sind bei Ängsten Verhaltenstherapien das Mittel der Wahl. Das muss aber nicht bedeuten, dass es in Einzelfällen nicht durchaus Sinn macht, Ursachenforschung zu betreiben. Du solltest nur nicht erwarten, dass mit dem Wissen um die Ursachen automatisch die Angst verschwindet. Das kommt leider nur selten vor.

Wichtig ist, dass der Therapeut dir nichts überstülpt. Es ist durchaus möglich, dass er schlicht und ergreifend nicht auf Verhaltenstherapien spezialisiert ist. Wenn das aber das wäre, was du dir wünscht, wäre ein Wechsel des Therapeuten eine Option. Ein guter Therapeut erkennt derartige Dinge selbst und handelt entsprechend. Leider ist nicht jeder Therapeut auch gut.

Den richtigen Therapeuten zu finden, halte ich für essentiell. Hier lohnt es sich, die probatorischen Sitzungen zu nutzen und zu suchen.

Schöne Grüße,
Jule

Vielen Dank!

Da sind einige gute Hinweise dabei, die ich vielleicht für mich in meine Richtung hinbiegen kann. Das ist doch schon mal was handfestes:smile:

Liebe Grüße
Lockenlicht

Danke auch dir!

Ich hab immer mehr das Gefühl, dass ich da tatsächlich mal was ändern muss. Ich bin schon ein oder zwei Jahre bei ihm und ab und an habe ich auch das Verplemper-Gefühl.

Ich bin nur ganz schlecht in „Konfrontation“ jeglicher Art und kann mich gegenüber einer Autorität, die er für mich ist, schlecht durchsetzen. Mal sehen, ob ich „THE Talk“ mal anschneiden kann und es dann auch durchziehe.

Eine letzte Frage und dann ist es auch gut gewesen für heute: Wie ist das denn praktisch? Kann man ganz einfach mittendrin wechseln? Die Suche nach einem neuen Therapeuten mal ganz außen vor, das dauert in meiner Gegend gut 8 Monate, aber wie ist es mit der laufenden Therapie und der Krankenkasse? Falls das wichtig ist, ich bin in Niedersachsen.

Liebe Grüße
Lockenlicht

Etwa die Persönlichkeit Lockenlicht, welche identisch ist mit dem Gegner?

Letzten Endes ist es genau das. …

Aber ist das nicht analog zu: Sich selbst mit den eigenen Händen an den Haaren aus den Sumpf ziehen? Wohlwissend, dass dies unmöglich ist?

Wenn Lockenlicht mit dem Gegner identisch ist, warum sollte Lockenlicht, dann überhaupt ein Interesse daran haben, dass Problem loswerden zu wollen? Das Problem will sich bestimmt nicht selbst loswerden!

Also ich fände es sinniger, wenn wir von Persönlichkeitsanteilen reden würden. Ein Persönlichkeitsanteil ruft die Panikattacken hervor und ein anderer Persönlichkeitsanteil möchte diese Panikattacken unterbinden und ein anderer Persönlichkeitsanteil möchte damit umgehen lernen etc…

Hier sieht man dann ja auch den Konflikt ganz deutlich. Der eine Anteil will dies und der andere will das genaue Gegenteil…

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Hallo Lockenlicht,

Ich bin nur ganz schlecht in „Konfrontation“ jeglicher Art und kann mich gegenüber einer Autorität, die er für mich ist, schlecht durchsetzen.

Therapeuten sind diesbezüglich als prima Übungsfeld zu betrachten :smile:. Die müssen nämlich von Berufs wegen damit zurechtkommen können :smile:.

Kann man ganz einfach mittendrin wechseln?

Das solltest du am besten mal in Ruhe mit deiner Krankenkasse besprechen. Die ist in aller Regel nämlich nicht an Therapien interessiert, die nichts bringen.

Schöne Grüße,
Jule

Liebe Lockenlicht,

Ich bin nicht so offen für alternative Verfahren (wobei, NLP
hat mir gut geholfen). Abgesehen davon analysiere ich recht
gut und wir haben das auch schon in der Therapie immer mal
wieder angesprochen, wie so die Familiendynamik bei uns ist
und was davon Teil des Problems ist. Da gibt es nicht mehr
viel an Erkenntnis zu holen :smiley: Wenn ich nun das Prinzip
richtig verstanden habe. Ich wünschte manchmal, ich hätte
irgendein Ereignis aus der Kindheit oder irgendeine Person von
der ich mich lösen müsste - halt irgendeinen Knackpunkt von
dem aus ich arbeiten kann. Aber bei uns ist es nicht normaler
oder unnormaler als bei der gewöhnlichen, glücklichen
Querschnittsfamilie:wink:

Du hast ja hier schon viele Tipps bekommen, mit welchen Verfahren man bei Ängsten gut weiterkommt. Probiere das aus, was dich am meisten anspricht. Ich habe halt die Erfahrung gemacht, dass man mit Analysieren oft nicht weiter kommt. Daher bin ich beim Familienstellen gelandet, da das auf einer anderen Ebene ansetzt, also eher der „Bauch“-Ebene. Mir hat das sehr weiter geholfen. Familienaufstellungen bringen einem oft nochmal ganz neue Erkenntnisse und Lösungswege.

Ich kann dir nur raten, dranzubleiben, weiter nach Hilfe zu suchen und nach Verfahren, die dir wirklich weiter helfen. Nicht aufgeben!!! Hartnäckigkeit unterscheidet oft die Erfolreichen von den Erfolglosen.

Also in diesem Sinne nochmals gute Besserung,
Toewanda