Paradoxon beim Siedepunkt ?

Liebe zwei Experten der Physikalischen Chemie (mehr waren nicht zu finden !),

ich habe eine Frage bezüglich der Siedepunktserhöhung aufgrund eines gelösten Stoffes.
Das klingt zuerst natürlich so einfach, dass jeder wohl sagt „Hol doch den Atkins aus dem Regal und guck nach“ - und tatsächlich, da ist es ja auch sehr schön über den herab gesetzten Dampfdruck beschrieben - über die Gibbs-Helmholtz-Gleichung kann man ja auch einfach sehen, dass bei einer Erhöhung der Entropie die freie Enthalpie abnimmt und damit die Lösung „stabiler“ wird - ebenso gibt es das schöne Diagramm, dass die Abhängigkeit des chemischen Potentials von der Temperatur zeigt … und wenn der zugegebene Stoff nur in der flüssigen, nicht aber in der festen und in der Gasphase auftritt, dann wird nur das chemische Potential der flüssigen Phase abgesenkt -> Schnittpunkte zu den anderen Graden verändern sich -> bekannte Effekte erfolgen.

OK, das heißt - ich habe nicht GAR keine Ahnung, ich könnte das Ganze in einer Prüfung auch so erklären, dass jeder meint, ich hätte es voll verstanden - das Problem ist nur, dass mir eine andere Argumentation in den Kopf gekommen ist - mit der ich nun leider zu anderen Ergebnissen komme.
Und da das nun mal nicht sein kann, wollte ich die Experten fragen, wo denn nun mein Denkfehler liegt !

Mein Gedankengang:
Also (ich lasse hier den Dampfdruck mal ganz außen vor) - der Aggregatzustand des reinen Stoffes hängt von der Entropie ab, blöd gesagt - wie nah sich die Teilchen beieinander befinden. Hat die Entropie aufgrund Erwärmung einen bestimmten Wert erreicht, so ist der gasförmige Aggregatzustand erreicht.
Ich stelle mir jetzt einen Zahlenstrahl vor, auf dem ich z.B. den aktuellen Entropiewert des Stoffes verzeichne so wie den besagten, der dem Dampf entspricht - die Strecke dazwischen gibt ja an, um wie viel ich die Entropie (durch Erwärmung) erhöhen muss, damit der Wert erreicht wird, bei dem der gasförmige Zustand vorherrscht.

Nun wird in den Lehrbüchern schön und anschaulich erklärt, warum die Entropie beim Lösen eines anderen Stoffes nun ZUnimmt. Das ist mir zwar klar, auch, dass dadurch der Dampfdruck sinkt - NUR …
Wenn ich jetzt wieder den imaginären Zahlenstrahl hernehme und dort wieder den Entropiewert, jetzt der LÖSUNG markiere, so ist dieser größer und damit NÄHER dran an dem Wert, bei dem es in den gasförmigen Zustand geht ! Der Abstand der beiden Entropien ist geringer geworden !

Ja - es steht im Atkins: " Weil ja ein zusätzlicher Entropiebeitrag entsteht ist das Bestreben zur Verdampfung geringer…"

Bleibe ich aber bei meiner Vorstellung von dem Zahlenstrahl, so müsste ich doch schlussfolgern: Wenn jetzt ein GERINGERER Entropie-UNTERSCHIED zwischen der Lösung und dem Dampf liegt (denn der zugegebne Stoff darf ja nicht in die Gasphase über gehen) - dann muss ich doch, verdammte Axt, WENIGER thermische Energie aufwenden, um den „Dampf-Entropiebetrag“ zu erreichen !!!

Ja, ich kenne die Argumentationen aus den Lehrbüchern und die entsprechenden Formeln - aber ich halte meine Argumentation AUCH für logisch - und ich würde zu gerne wissen, was hieran falsch ist !!!

Für alle Tipps und Antworten bin ich zu tiefst dankbar !!

Viele Grüße, Bettina

Hallo Bettina,

auf den ersten Blick gibt es bei der Überlegung zwei wunde Punkte. Zum Einen liegt es innerhalb des Modells, weil nicht die Entropie des Gesamtsystems betrachtet wird, zum Anderen aber betrifft es die Aussagekraft eines Modells grundsätzlich.

Die Entropie ist eine stoffasbhängige, physikalisch messbare Größe. Der Überlegung liegt, wenn ich richtig verstehe, die folgende Modellvorstellung zu Grunde: Entropie misst Entfernung der Teilchen. (Rückfrage: welche? Es kann nicht die durchschnittlioche Entfernung sein, da diese sich ja bei einer doppelt so großen Stoffprobe ändern würde. Es kann auch nicht die kleinste Entfernung zweiser Teichen sein, da die sich, z. B. bei Gasen, ständig ändert.) Dieses Modell ist mir nicht bekannt, das spielt aber auch hier garkeine Rolle. Wenn man in dieser Vorstellung bleibt, und argumentiert, dass die Verteilung Teilchen des Lösungsmittels in der Lösung „näher“ an der Verteilung des Lösungsmittels in der Gasphase liegen müsste man auf jeden Fall auch berücksichtigen, dass die Teilchen des gelösten Feststoffes wesentlich „weiter“ voneinander entfernt sind als in der festen Phase.

Es gibt aber noch ein grundsätzlicheres Problem: Gleichgültig, wie man versucht, sich die Eigenschaft „Entropie“ vorzustellen - ich kenne z. B. den Begriff „Unordnung“ - das Modell eklärt eben stets nur einige wenige Facetten der natürlichen Erscheinung.

Keinesfalls darf man von der Natur fordern, sich an unsere Vorstellung zu halten. Anders formuliert: Wenn die Modellvorstellung den Ergebnissen des Experiments widerspricht, dann versagt das Modell hier und ist zu verwerfen.

Man denke in diesem Zusamenhang beispielsweise an die diversen Atomvorstellungen: Dalton spricht von Atomen als unteilbare, unterschiedlich große und unterschiedlich schwere (homogene) Kugeln. Das erklärt z. B. die Dichten der Stoffe und eine ganze Menge mehr, versagt aber bei der Elektrolyse. Hier wurde das Modell eben erweitert zum sog. Rosinenkuchenmodell, das zwar ionische Strukturen, nicht aber kovalente Strunkturen erklären kann usw.

Ich hoffe, ein paar Denkanstöße gegeben zu haben.

MfrG