Hallo Stefan,
mir ist aufgefallen, daß es viel mehr Literatur gibt zum Thema, wie eine Beziehung funktioniert - also wenn das Verlieben bereits stattgefunden hat, als über den Vorgang des Verliebens selbst. Selbst für die Wissenschaft scheint dies noch weitgehend ein Mysterium zu sein. Davon weiter unten mehr.
Mein Eindruck ist, daß man oft jemanden trifft oder sieht, in den man sich verlieben könnte. Diese im Keim bereits vorhandene Verliebtheit bleibt oft, oder meistens unbewußt, und es gibt einen Zeitpunkt, an dem die Entscheidung getroffen wird, diese Verliebtheit zuzulassen oder nicht - meistens wird sie nicht zugelassen. Zu Anfang kann man noch ziemlich leicht eine solche Entscheidung treffen.
Vermutlich trifft es auch auf jene zu, die sich laut eigener Aussage nie oder äußerst selten verlieben, und boshaft, aber nicht ganz unzutreffend könnte man meinen, die betreffenden Personen sind schlicht zu ängstlich oder zu feige, um sich auf die Verliebtheit mit ihren Konsequenzen einzulassen - sie unterdrücken aufkommende Verliebtheitsgefühle bereits im Keim, bevor sie richtig bewußt werden.
Es gibt vielleicht keine besondere Gesetzmäßigkeit darüber, wann eine Verliebtheit gegenseitig ist. Natürlich hätte man ein starkes Argument dafür, eigene Verliebtheitsgefühle zuzulassen, wenn man Signale der Verliebtheit auch beim Anderen wahrnimmt.
In dem Buch von Klaus Grawe, „Neuropsychotherapie“ gibt es ein kurzen Abschnitt, betitelt „Verliebtheitsgefühle“. Es wird eine Studie geschildert an Verliebten. Ihnen wurden Fotos ihrer jeweiligen Geliebten und anderer ihnen sympathischer Personen (Freunde) vorgelegt, und ihre Hirnaktivität mittels fMRI aufgenommen.
Ergebnis: das beobachtete Hirnaktivitätsmuster unterscheidet sich von allen in sonstigen Untersuchungen beobachteten Mustern, auchvon denen bei anderen positiven Emotionen, oder denen bei sexueller Erregung. Jedenfalls sind Bereiche wie z. B. die Amygdala deaktiviert, die bei Zuständen von Trauer, Depression und Angst besonders aktiv sind. Von außen sind die Reize (Fotos von Menschen) nicht zu unterscheiden, es wird ihnen eine höchst private Bedeutung gegeben. Mehr steht da nicht, außer der Anmerkung, daß auch solche subjektiven Erlebnisse einer neurowissenschaftlichen Untersuchung im Prinzip zugänglich seien.
Dann habe ich noch das Buch „Wie die Liebe anfängt - die ersten drei Minuten“, von Lukas Michael Möller. Daraus zitiere ich nur kurz:
„Was geschieht, wenn es zwischen zweien funkt? Die Liebe auf den ersten Blick zeigt es in aller Offenheit: In wenigen Sekunden unbewußter Kommunikation ist alles geschehen, das heißt wechselseitig vermittelt. Was? Die Gesamtheit zweier Lebensgeschichten. Das Bewußtsein vieler hinkt hinterher und merkt erst Tage, Wochen, ja oft genug Jahre später, was wirklich war. … - Unbewußtes erkennt Unbewußtes irrtumslos, sagt die Psychoanalyse.“
Befragungen (warum sich jemand verliebt) haben, glaube ich, wenig Erkenntniswert. Du kennst die optischen Täuschungen, wo das Gehirn unvollständig dargestellte Strukturen vervollständigt, und auch die Tatsache, daß unvollständige Erinnerungen im nachhinein beim Erzählen vervollständigt werden, ohne daß es der Betreffende merkt. Sodaß wir in unserem Gehirn unsere Wirklichkeit, wenn schon konstruieren, so doch zumindest komplettieren. Und bei einer Frage nach den Gründen seines Verliebtseins muß doch jeder überfordert sein.
Grüße,
I.