Hallo Winkel
Hallo Winkel,
> > > die Philosofie wird eine andere sein.
> > Das wollen wir doch hoffen, oder?
> da hab ich bei dir doch meine Zweifel, du weißt warum:
> denn solange alle neuen Philosophen erstmal alles denken müssen, was die alten gedacht haben,
> dann sind sie alt oder vielleicht schon tot, bevor sie anfangen können neues zu denken.
das beruht auf einem Missverständnis der Funktionsweise von Philosophie, denn Philosophie bedeutet eben nicht, dass jeder so denken darf, wie er gerade kann, und jeder alles sagen darf, ohne sich um Methodologie wenigstens zu bemühen.
Um ein „neuer“ Philosoph zu sein, braucht man keineswegs alles denken zu müssen, was andere gedacht haben (das geht ja auch gar nicht). Um diese These zu belegen, brauche ich wohl nur auf die Lektüregewohnheiten von Kant und Wittgenstein hinzuweisen, die beide vergleichsweise wenig gelesen haben und dennoch Neues gedacht haben. Problematisch ist, wenn die vermeintlichen „Neuerer“ erreichte Standards ohne Not – und vor allem ohne zureichende Begründung – zurückschrauben, ein Vorwurf, den man z. B. (jetzt sage ich doch kurz etwas über ihn, bevor ich zu Ende gelesen habe) Wilber durchaus machen kann.
Wilber schreibt im Grunde nur eine neue Monadologie im Sinne von Leibniz, ohne aber die Standards der Nachfolger zu beherzigen, was Leibniz ja logischerweise noch nicht konnte. Er zitiert zwar viel, er hat also auch viel gelesen, was ihn unter den Esoterikern hervorhebt. Dennoch ist das, was er treibt, keine gute Philosophie, weil er wesentliche Momente der Funktionsweise eben außer Acht lässt. Und „neu“ ist das, was er schreibt auch nicht wirklich!
Nun wirst du mich fragen, wo ich selbst denn nun so etwas wie „neue“ Philosophen sehe. Mir fallen da schon einige Namen ein, die aber auch nicht unumstritten sind. Ich halte z. B. sehr viel von der Synthese von Hegels Dialektik und Apels Transzendentalpragmatik, wie sie von Vittorio Hösle angeregt wurde. Gleichwohl halte ich die darin enthaltene Relativierung im Sinne einer lediglich gegebenen Intersubjektivität allenfalls für vorläufig und nicht ausreichend. Entscheidend ist, dass man darüber diskutieren kann. Ich halte viel von Seyla Benhabib, die Habermas und Kant wieder zusammenführt, lehne aber ihren Feminismus ab. Ich halte viel von Philippa Foot, die Aristoteles wiederbelebt hat. Ich schätze Martha Nussbaum, die Gefühlen bei Beurteilungen einen Platz einräumt und Rawls in seine Schranken weist. Und nicht zuletzt denke ich an Parfit, der drängende ethische Probleme mit neuen Mitteln zu erfassen sucht.
Alle Genannten weisen sich als (gute) „Philosophen“ aus (ja, ich weiß auch, dass es „schlechte“ Philosophen gibt), indem sie nicht versuchen, die ganze Welt in toto zu erklären, sondern stückchenweise an Problemen arbeiten. Und sie weisen sich dadurch als „neue“ Philosophen aus, dass sie auf dem Grunde des bisher Erreichten neue Ansätze versuchen.
Herzliche Grüße
Thomas Miller