Lieber Reiko,
es gibt nur wenige Sendungen im deutschen Fernsehen, die sich
intensiv bemühen, an der Aufklärung eines Verbrechens zu
beteiligen. Fahndungsakte war da nicht schlecht, aber es war
halt auch eine Quotensendung.
Stimmt und stimmt. Und da sind wir gleich beim ersten Diskussionspunkt: Quoten. Emotionen.
Ich habe unzählige Gespräche mir Opfern geführt. Denn trotz (vorhandener) Seriösität: Auch die Fahndungsakte war auf Quoten angewiesen (übrigens ist sie mittlerweile eingestellt…).
Bei einer ausschließlich sachlichen Berichterstattung, so traurig das ist (und ich finde es wirklich traurig) schaut kaum jemand hin.
Die Quoten, die ja sekündlich verfolgt und ausgewertet werden, zeigen: Bei Emotionen wird hingeschaut. Das ist menschlich, Reiko.
Was tut man also, wenn man für eine Sendung wie Fahndungsakte arbeitet und Quoten leider nicht ignorieren kann? Große Richtlinie: Opferinterviews bekommen!
Ich habe es mir zur Regel gemacht, die Opfer nie zu drängen. Manche wollten von Anfang an selbst: Um zu helfen, den Täter zu fassen, oder auch, um aufzuarbeiten.
Andere waren unsicher. Psychologisch konnte ich ihnen nur unmaßgeblich in Gesprächen versuchen, zu helfen.
Was aber den potentiellen Erfolg betrifft: Ob es gut ist oder nicht, bei der Fahndungsakte haben wir immer wieder festgestellt, daß nicht nur die Quoten, sondern auch die Hinweise sich deutlich häuften, je emotionaler ein Bericht war. Und auf die Hinweise kommt es wirklich an.
Das ist eine schwierige Gratwanderung. Aber wir haben festgestellt, daß es auch möglich ist, einen emotionalen Bericht zu machen, der dennoch faktisch und informativ einwandfrei ist. Schwierig, ja. Unmöglich, nein.
Das heißt nicht, daß Fahndungsakte die tollste aller Sendungen in dieser Richtung war. Auch XY nicht. Aber wenn man die Medien nutzt, sollte man versuchen, es verantwortungsbewußt zu tun.
Nicht immer ist das gelungen. Auch redaktionsintern gab es immer wieder Diskussionen, ob das jetzt zu viel war. Auch dort sind Fehler passiert, von Ermittlern und von Redakteuren gleichermaßen.
Die Sender, die über das Verschwinden eines Kindes, über deren
Eltern, über die Situation, über das Leiden berichtet, stellen
dies alles dar, glasklar und actionreich, damit der
TV-Zuschauer am Bildschirm bleibt.
Was auch wichtig ist, wenn man das Ziel verfolgt, Hinweise zu erhalten.
Wenn man dieses Ziel nicht verfolgt, sondern nur die „Unterhaltung“ der Massen: Dann sind wir uns einig, Reiko. Das muß nicht sein.
Ich sehe hier nur die Lust am Berichterstatten, ernsthafte
Hilfe bringen diese Berichte nie und nimmer. Letztlich sind es
die Eltern, die dann drunter leiden müssen, dass Armeen von
Reporten ein kleines Dorf belagern, den Mitbewohnern das Leben
zu Hölle machen. Siehe den aktuellen Fall. Die Eltern sind auf
einmal Schuld, wenn ein Dorf kein normales Leben mehr führen
kann.
Das führt zu einer ganz generellen Frage, nicht wahr? Wie sehr darf ein Medium (meistens geht’s ja ums Fernsehen) ein Privatleben an die Öffentlickeit zerren? Aber das ist hier nicht das konkrete Thema… das können wir auf einem anderen Brett diskutieren. 
Wie ich sagte, die Ermittlungen und die Nachforschungen finden
auch ohne Medien statt. […]
Ja, sie finden auch ohne die Medien statt. Aber daß die breite Öffentlichkeit, die ein Medium wie das Fernsehen erreicht, auch hilfreich sein kann, zeigen ja oft die ermittelnden Behörden selbst. Oft genug sind die Beamten an uns herangetreten, mit der Bitte, einen Fall zu behandeln, weil sie sich neue Hinweise oder Anregungen durch die Einbeziehung der Öffentlichkeit erhofften.
So, wie auf der von Dir genannten Seite im Internet nach vermißten Kindern gesucht wird, kann das auch im Fernsehen geschehen. Und es kann, wenn die Hinweise aus der Bevölkerung nachlassen, helfen, um das Bewußtsein wieder zu wecken. Zumindest glaube ich immer noch, daß das möglich ist… wenn man die Gratwanderung schafft. Ich gebe zu, daß auch ich sie nicht immer zu meiner Zufriedenheit geschafft habe… aber ich habe es immer ehrlich versucht. Ich will mich noch im Spiegel ansehen können, wenn ich morgens aufstehe.
Nichts gegen die Berichtung über den Fortgang eines solches
Falles, endet dies aber ein einer sauber vorbereiteten,
gestellten Inszenierung eines Dramas, dann ist Schluss.
Inszenierung im Sinne von Medieninszenierung, oder im wirklichen Sinn? Die Fahndungsakte hat ja mit inszenierten Filmen gearbeitet (Doku-Fiction). Übrigens das bei weitem aufwendigste, sowohl bei der Recherche wie auch bei der Realisation.
Der Sinn einer solchen Inszenierung (außer dem, es spannend zu gestalten, zugegebenermaßen) ist: Wiedererkennungswert! Nach Möglichkeit an Originalschauplätzen gedreht, die Requisiten akribisch zusammenrecherchiert und besorgt, die Schauspieler rein auf Ähnlichkeit gecastet… um bei möglichen Zeugen Erinnerungen wachzukitzeln.
Die wenigsten wichtigen Zeugen waren ja bei dem Verbrechen life dabei. Aber vielleicht gibt es jemand, der das Opfer - oder den Täter vorher gesehen hat? Dem im Zusammenspiel des Films von Kleidung, Haarfarbe, Location plötzlich einfällt „Mensch, war das nicht damals, als ich von der Stammkneipe nach Hause ging? Habe ich da nicht so jemanden gesehen?“ Assoziationsmechanismen. Das ist der Sinn einer Inszenierung.
Solltest Du Die Inszenierung des Spektakels auf allen Kanälen meinen: Da gebe ich Dir recht. Das sind Brot und Spiele für’s Volk.
Gerade das TV wäre daran beraten, regelmässig Spots zu senden,
in denen die vermissten Kinder gezeigt und
Kontakttelefonnummern gesendet werden. Mehr nicht.
Das halte ich für eine ganz hervorragende Idee! Wer hat die Milchtütenaktion in den USA denn gesponsort? Denn, wie leider alles, wäre das bei Sendern vornehmlich eine Geldfrage… 
*derdieDiskussiondamitfeierlicheröffnet*
Fein. Sehr schön, ich freu mich.
)
Liebe Grüße, Nike