Guten Tag!
Im Text von H. C. Artmann " Abenteuer eines Weichenstellers" taucht " Pennys-hocker" oder „Pennyshocker“. Weiß jemand, was dieses Wort bedeutet? Es gibt noch ein zweites Wort, das ich im Duden nicht finde , „Nachtertunden“.
Danke sehr
Guten Tag!
Im Text von H. C. Artmann " Abenteuer eines Weichenstellers" taucht " Pennys-hocker" oder „Pennyshocker“. Weiß jemand, was dieses Wort bedeutet? Es gibt noch ein zweites Wort, das ich im Duden nicht finde , „Nachtertunden“.
Danke sehr
Hallo Nadja,
ein „Schocker“ ist ein billiger Roman aus der Unterhaltungsliteratur, der keine literarische Qualität anstrebt, sondern darauf aus ist, mit drastischen brutalen und/oder ekelerregenden Schilderungen beim Leser heftige Sinneseindrücke zu erzeugen. Ein „Pennyschocker“ damit ein besonders billiger, meistens im Rotationsdruck hergestellter „Heftchenroman“, den man für einen Penny verkaufen kann - im Deutschen wäre „Groschenroman“ (1 Groschen umgangssprachlich für ein Zehnpfennigstück) passend.
Das andere Wort gibt es in dieser Schreibweise nicht, es ist ein Tipp- oder Druckfehler. Die Quelle dafür könnte sein, dass es in manchen Schriftarten beim Drucken mit Bleilettern eine Ligatur für „st“ gab, die beim Abschreiben für jemanden, der sie nicht kennt, aussieht, als sei noch ein Buchstabe eingefügt. Dann könnte der Text im Original „Nachtstunden“ gelautet haben.
Wie steht das Wort denn im Kontext?
Schöne Grüße
MM
Hallo MM,
im Artmann’schen Text ist eindeutig der von Dir beschriebene „Groschenroman“ gemeint.
Herzliche Grüße
Helmut
Hallo Helmut,
ja, der „Groschenroman“ ist schon klar; die Frage nach der Stellung im Kontext habe ich auf das rätselhafte „Nachtertunden“ bezogen.
(An eine Schrift, in der die „st“-Ligatur mit einer ausführlich geschwungenen Verbindung versehen ist, erinnere ich mich von Luchterhand-Büchern; das passt zu H.C. Artmann.)
Schöne Grüße
MM
Hallo Aprilfisch,
vielen Dank für die ausführliche Antwort. Ich finde jedoch die Stelle nicht mehr, wo das Wort „Nachtertunden“ auftauchte. Ich habe mich bemüht, auch mit Googeln, aber ich finde das Wort nicht mehr. Entschuldige
Schöne Grüße und Danke
Hallo Nadja,
dann bleibe ich bei meiner Vermutung, dass da ursprünglich „Nachtstunden“ mit einer „st“-Ligatur stand, das dann bei der Übertragung eines Textes nicht richtig gelesen wurde. Solche Fehler können menschlichen Lesern auch passieren, vor allem sind es aber OCR-Anwendungen, die mit einigen deutschen Eigenheiten wie dem „langen s“ im Inneren des Wortes, teilweise auch dem „ß“ und eben auch der „st“-Ligatur nicht zurechtkommen.
Hier ist ein Beispiel für eine kursive „st“-Ligatur, mit der man auf diese Weise aus „Nachtstunden“ „Nachtertunden“ machen könnte: https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/236x/48/48/be/4848be38f67b4e09e92818f84085ec91.jpg
Schöne Grüße
MM
Ich würde dieser Definition nicht im vollen Umfang zustimmen. „Schocker“ gibt es auch in der Welt-, also als gehoben geltenden Literatur. Im 19. Jahrhundert schufen z.B. Edgar Allan Poe, Robert Louis Stevenson und Jeremias Gotthelf (´Die schwarze Spinne´) Meisterwerke der Schocker-Literatur. Hier ist ein Auszug aus ´Die schwarze Spinne´:
Unterdessen aber hörte der Schmerz nicht auf, jedes Bein ward ein
Höllenbrand, der Spinne Leib die Hölle selbst, und als des Weibes
erwartete Stunde kam, da war es Christine als umwalle sie ein Feuermeer,
als wühlten feurige Messer in ihrem Mark, als führen feurige
Wirbelwinde durch ihr Gchirn. Die Spinne aber schwoll an, bäumte sich
auf, und zwischen den kurzen Borsten hervor quollen giftig ihre Augen.
Als Christine in ihrer glühenden Pein nirgends Teilnahme, die Kreisende
wohl bewacht fand, da stürzte sie einer Wirbelsinnigen gleich den Weg
entlang, den der Priester kommen musste.
Im 20 Jahrhundert schufen z.B. H.P. Lovecraft (diverse Werke), Anthony Burgess („Clockwork Orange“) und Thomas Harris („Das Schweigen der Lämmer“) Spitzenwerke der Schocker-Literatur.
Chan
Allerdings taucht ein solcher oder ähnlicher Begriff im Weichensteller-Text gar nicht auf. Ich habe unten einen Text angefügt, der meines Wissens die gesamte ´Story´ umfasst („XXV. Abenteuer eines Weichenstellers“). Das Wort ´Nachtstunden´ (so dürfte es korrekt lauten, wie auch Aprilfisch meint) hast du eventuell aus der Sekundärliteratur. Der Protagonist arbeitet in den Nachtstunden und ist dabei auf seltsame Weise mit einem Buch befasst, nämlich dem Pennyshocker „Der Mann vom Union Pacific Express“.
Siehe dazu Artmanns Text:
Die verantwortung eines weichenstellers der Union Pacific Ges. ist eine
große, ihm obliegt die sorge um mensch und vieh, aber auch sachschaden
hat er tunlichst zu vermeiden.
Der weichensteller besitzt ein buch, in dem er immer liest, 10 jahre besitzt er dieses buch, aber er beginnt nach seite 77 jedesmal wieder von vorne, weiter
würde er es nie lesen, er hat da so eine vorahnung. Blödsinn, murmelt
er, und beginnt trotzdem wieder bei seite 1.
Die meiste zeit aber raucht er seine geliebte pfeife, er hat keine
frau, er sieht den ersten stern am abendhimmel aufglänzen, er geht in
das intime grün der brennesseln hinter dem haus austreten, er ist sonst
ein frühaufsteher und trinkt nach dem essen ein bier.
Der letzte zug kommt stets um 21 Uhr 35 durch, er sieht den letzten
waggon in der ferne verschwinden, der bremser hat ihm zugewinkt, er ist
seit jahren sein freund, obgleich er noch nie mit ihm gesprochen hat.
Das buch des weichenstellers ist ein alter pennyshocker mit dem titel
Der Mann vom Union Pacific Express. Heute beschließt er, den roman bis
ans ende zu lesen, doch es schwant ihm nichts gutes.
Einmal stand ein fremder bremser auf der hinteren plattform des letzten waggons; ob er ein aushelfer war?
Gegen 23 uhr wird der weichensteller durch einen ungewöhnlichen
lichtschein aufmerksam, er geht vor das haus und sieht einen zug
anrollen, der in keinem fahrplan verzeichnet steht, er rollt vollkommen
lautlos an ihm vorbei, auf der plattform des letzten waggons steht der
fremde von damals und bläst mundharmonika.
Der weichensteller reibt sich die augen, ihm kommt das alles
eigenartig vor, er ist ja ganz allein, er geht ins haus zurück, er
trinkt ein extrabier und verklebt die seiten 78 bis 126 mit kleister.
So, meinte er, wäre es das beste.