Hallo Susan,
bevor ich für meine Antwort auch etwas aushole, möchte ich vorausscicken, dass ich der Meinung bin, dass es für einen Heimeinzug im Grunde nie einen wirklich „richtigen“ Moment gibt. So ein Einzug ist fast immer mit negativen Gefühlen gekoppelt. Auch wenn diese Gefühle vollständig normal sind, sind sie jedoch keineswegs notwendig.
Nun gibt es aber das Problem, dass meine Oma überhaupt nicht
damit klar kommt, dass ihr Lebensgefährte abgebaut hat (sie
ist nämlich noch sehr rüstig, streitlustig, geht einmal die
Woche in die Sauna und zum Schwimmen) und statt sich um ihn zu
kümmern, motzt sie ihn wegen jeder Kleinigkeit an („Wie kannst
Du das nicht mehr wissen!“ etc).
Du schreibst, dass es für deine Oma ein sehr großes Problem ist, dass sie mit der Demenz ihres Lebensgefährten - ich nenne ihn jetzt auch Hans - konfrontiert ist. Ich schätze, es ist im Grunde ihre eigene Angst, selbst dement zu werden. Gerade in der heutigen Zeit, in der das Leben immer schneller und unüberschaubarer wird, ist es nicht nur für sehr selbständige Menschen ein großes Problem, ihre Selbstbestimmtheit und Selbständigkeit aufzugen - oder wohl eher zu verlieren. Desweiteren vermute ich, dass deine Oma sich durch dieses Krankheitsbild bedroht fühlt. Hinzu kommt zudem noch, dass es bereits einen Fall von demenziellen Erkrankungen in ihrer eigenen Familie gibt, was die Sache noch um einiges angsteinflößender macht.
Diese Ängste und diese Bedrohung der eigenen Gesundheit, des eigenen Lebens und des eigenen Selbst, welche sich bei den Menschen in ihrer Umgebung manifestiert, bezieht deine Oma vielleicht auf sich. Eine natürliche Reaktion ist der Aufbau von Ablehnung und Zorn, welche sie dann an ihrem Lebensgefährten auslässt.
Zudem könnte es auch sein, dass deine Oma mit der Situation überfordert ist, ständig mit Hans konfrontiert zu sein. Auch wenn sie nun die Möglichkeiten zum Ausgleich hat, wie Schwimmen oder Sauna, so wird sie doch stets wieder mit ihm und seiner Situation konfrontiert.
Da ich deine Oma, ihr Wesen und ihre Situation jedoch nur aus deinen Schilderungen kenne, sind das alles aber nur Vermutungen, was sein könnte.
Der behandelnde Neurologe riet meiner Mutter, sich jetzt schon
einmal um einen Pflegeplatz zu kümmern.
Generell ist es keine schlechte Idee, sich nach einem Pflegeplatz umzusehen, da die guten Pflegeheime nicht selte auch in der heutigen Zeit Wartelisten haben. Man sollte durchaus auch schon die einzelnen Heime angucken, Termine für Besichtigungen und Beratungen machen. Ideal ist es, wenn man bereits Bekannte in diesen Einrichtungen hat, mit denen man Kontakt hat. Zudem ist mein persönlicher Tipp, sich nicht nur auf das Beratungsgespräch zu verlassen. Ich würde immer noch ein zweites Mal ohne einen Termin wiederkommen und mir die Einrichtung „im Normalbetrieb“ angucken; nicht nur im „Präsentationsmodus“. Viele Einrichtungen bieten auch offene Cafés am Nachmittag oder etwas vergleichbares an.
Ihr solltet zudem auch auf jeden Fall versuchen, mit den Bewohnern in Kontakt zu treten und sie fragen, ob sie in der Einrichtung zufrieden sind. Denn die müssen es wissen. Macht es nicht direkt, vielleicht eher durch die Blume. Aber so könnt ihr euch das realistischte Meinungsbild verschaffen.
Aber meine Mutter und ich wissen einfach nicht, was für „Hans“
das Beste ist? Körperlich ist er topfit, geht jeden Tag in
seiner gewohnten Umgebung spazieren, kommt hier vorbei und
holt sich seinen Tee und „Streicheleinheiten“ ab (meine Mutter
und ich sind die einzigen, die noch auf ihn eingehen). Er ist
sehr kontaktfreudig. Aber er registriert auch die „Angriffe“
meiner Oma.
Es ist nicht selten so, dass Menschen mit einer demenziellen Erkrankung ihre Erinnerungen, die nahe und mittlere Vergangenheit betreffend verlieren, die Informationen zum Erhalt der Körperpflege, der Kleidung, der Umgebung noch erhalten bleiben.
Obgleich diese Dinge noch vorhanden sind, können sie jedoch auch Stück für Stück verloren gehen. Das muss man immer im Hinterkopf behalten.
Es ist immer eine gute Ressource, sehr kontaktfreudig zu sein. Gerade im Falle einer Demenz ist es gut gegen Isolation, welche eine Demenz in ihrem Verlauf sehr häufig verschlimmert. Das hängt damit zusammen, dass durch Isolation die einzelnen Hirnregionen oft nicht mehr hinreichende Stimulation erfahren und die Nervenbahnen und -zentren mit dem Abbau beginnen.
Demenzerkrankte zeichnen sich ebenfalls nicht selten durch eine sehr große Sensibilität für emotionale Situation, Mimik, Gestik und die nonverbale Kommunikation zwischen den Menschen aus. Auch wenn sie Sachinhalte vielleicht nicht mehr richtig fassen. Gefühle verstehen sie zumeist. Das meint nicht nur die schönen Gefühle und deren Vermittlung, wie Lachen, Umarmen oder ein Kuss, sondern auch die negativen Gefühle, wie Schreien, Streiten oder aber auch Angriffe, wie du schreibst.
Wir fragen uns jetzt, ob Hans in einem Heim nicht besser
aufgehoben sei - ohne meine Oma.
Oder sollten wir ihn so lange, wie es möglich ist, in seiner
gewohnten Umgebung lassen?
Es ist lobenswert, dass ihr euch mit dieser Frage außeinandersetzt. Ich denke jedoch, dass man deine Fragen nicht mit einem einfachen Ja oder einem einfachen Nein beantworten kann.
Generell ist ein Heimeinzug stets ein traumatisches Erlebnis für alle Beteiligten. Das meinst sowohl die Angehörigen, als auch die Pflegebedürftigen selber. Es ist ein Einschnitt in die aktuelle Lebenssituation, Gewohnheiten werden auf massivste Weise geändert, Tagesabläufe neu strukturiert.
Ihr solltet euch eine Pro-/Contraliste machen, die die Argumente für und gegen einen Heimeinzug enthält. Diese Liste darf dabei aber am Schluss nicht mathematisch gegeinander aufgerechnet werden, um eine Entscheidung zu fällen. Viele Argumente haben nämlich unterschiedlich Gewicht. Sie sollte viel eher als eine Art „Entscheidungshilfe“ oder etwas vergleichbares funktionieren, die die Fakten zusammenstellt.
Der Ansatz, Hans in seiner gewohnten Umgebung zu lassen, ist sehr gut. Dadurch, dass alte Reize vorhanden bleiben, ist gewährleistet, dass die Vertrautheit der Situation vorhanden bleibt. Ihr beiden (du und deine Mutter) jedoch solltet mit deiner Oma reden. Konfrontiert sie mit ihrem Verhalten, achtet aber darauf, keine Vorwürfe zu machen. Fragt sie, warum sie so reagiert. Geht ihrem Verhalten auf den Grund. Nehmt euch falls notwendig, professionelle Hilfe dazu. Es gibt ausgebildete Kräfte, die in solchen Situationen häufig ein gutes Händchen beweisen können.
Neben dem Heimeinzug möchte ich noch eine weitere Möglichkeit ins Spiel bringen. Wie wäre es, wenn ihr Hans für ein oder zwei Tage in der Woche in eine Tagespflege gebt? Dieses sind Einrichtungen, bei denen die Gäste tagsüber bleiben. Sie werden hier häufig vollständig versorgt und sind dann zum Abendessen wieder zu Hause. Häufig sind Tagespflegen normalen Heimen angeschlossen, so dass ihr da auch schon einen „Fuß in der Tür hättet“, was einen späteren möglichen Einzug erleichtern könnte. Sowohl vom organisatorischen Standpunkt, als auch vom emotionellen.
Je nach dem Angebot der einzelnen Tagespflegen, könnten sie sogar den Pflegedienst ersetzen, da viele die Körper- und Behandlungspflege ebenfalls durchführen können. Da ich jedoch nicht genau weiß, wozu der Pflegedienst kommt, kann ich da nichts genaues sagen.
Ich hoffe, ich konnte etwas helfen.
Liebe Grüße und alles Gute,
Steffen 