Phänomenologische Ontologie

Mit welcher Begründung rechtfertigt Sartre sein Werk „das sein und das Nichts“ als meiner Ansicht nach vollkommen wiedersprüchliche Bezeichnung „phänomenologische Ontologie“ zu kennzeichnen?

Ich bin gerade mal knapp an der Hälfte angelangt, und vielleicht urteile ich ja zu schnell, aber dennoch stellt sich mir andauernd diese Frage.

Beides sind doch Methoden, die auf einer ganz anderen Sichtweise aufbauen, soviel ich Verstanden habe bildet eine Phänomenologie allein Aussagen, wie sich die Dinge uns subjektiv darbieten - es werden allso allein die „Projektionen der Gegenstände auf unsere Wahrnehmung“ untersucht. Wie kann hieraus eine ontologische Aussage geltend gemacht werden?
Sehe ich die phänomenologische Betrachtung zu ähnlich mit der erkenntnistheoretischen?

Danke für jeden Versuch einer Erläuterung meines Problems.

Hallo,

Vorbehalt: ich bin kein großer Sartre-Kenner.

Mit welcher Begründung rechtfertigt Sartre sein Werk „das sein
und das Nichts“ als meiner Ansicht nach vollkommen
wiedersprüchliche Bezeichnung „phänomenologische Ontologie“ zu
kennzeichnen?

Du sagst es selbst: Der Widerspruch liegt in Deiner Meinung, nicht in der Sartes :wink:

Heidegger programmatisch in „Sein und Zeit“, sicher einer, vielleicht der größte, Impulsgeber für Sartres „Das Sein und das Nichts“:
„Sachhaltig genommen ist die Phänomenologie die Wissenschaft vom Sein des Seienden - Ontologie“ (S. 37)

Ich bin gerade mal knapp an der Hälfte angelangt, und
vielleicht urteile ich ja zu schnell, aber dennoch stellt sich
mir andauernd diese Frage.

was bleibt von Deiner Frage nach dieser Information, also nach der Gleichsetzung von Phänomenologie mit einer Form von Ontologie, die nach dem Sein des Seienden fragt?

Beides sind doch Methoden, die auf einer ganz anderen
Sichtweise aufbauen, soviel ich Verstanden habe bildet eine
Phänomenologie allein Aussagen, wie sich die Dinge uns
subjektiv darbieten

Eben darum der Doppelbegriff „phänomenologische Ontologie“, der ein Begriff ist …
Sartre in „Das Sein und das Nichts“, „Schlussfolgerungen“ (S. 1062):
„Wir haben ja gezeigt, dass sich das An-sich und das Für-sich nicht in Juxtaposition befinden. Ganz im Gegenteil, das Für-Sich ist ohne das An-sich so etwa wie ein Abstraktum … ein Bewusstsein, das Bewusstsein von nichts wäre, wäre ein absolutes nichts“

  • es werden allso allein die „Projektionen
    der Gegenstände auf unsere Wahrnehmung“ untersucht. Wie kann
    hieraus eine ontologische Aussage geltend gemacht werden?

Ich verstehe, ehrlich gesagt, Dein Problem nicht;

Eine der Grundaussagen Sartres ist doch (meiner Erinnerung nach auch schon im ersten Teil des Werks), dass man nicht von einem reinen Bewusstsein sprechen könne (also auch nicht wie Du von „unserer Wahrnehmung“), sondern immer von einem Bewusstsein von … sprechen muss.

Also von einem „Bewusstsein von Etwas“, über dessen Sein durchaus Aussagen getroffen werden können, weil mit der Annahme des Bewusstseins notwenig auch die Annahme eines Etwas gesetzt werden muss.

Die Bewusstseinsinhalte sind also für Sarte gerade keine „Projektionen der Gegenstände auf unsere Wahrnehmung“, weil Gegenstände und deren Wahrnehmung gerade nicht trennbar sind.

lies doch, bevor Du linear weitergehst, erstmal die „Schlussfolgerungen“, ganz am Ende, wo beispielsweise wiederum fast ganz am Ende zu lesen ist, dass die Ontologie helfen könne, der Klippe des „reinen Immanentismus“ einer idealistischen Lesart Husserls zu entgehen, indem man das Phänomen als zugleich immanent und transzendent betrachtet:
„Die Immanenz wird immer durch die An-Sich-Dimension des Phänomens begrenzt sein und die Transzendenz durch seine Für-Sich-Dimension“

Viele Grüße
Franz

Hi oath
Ergänzend zum bekanntlich von mir geschätzten F.Ben Hechenrieder möchte ich noch anmerken, dass Sartre in diesem Werk ja auch zum Ausdruck bringen möchte, dass die Dinge schon auch so sind, wie wir sie sehen und nicht noch eine davon ganz abgetrennte Tiefendimension haben. Damit geht er gleichsam in Kontroverse zu Leuten wie C.G. jung etc.
Psychodynamisch betrachtet befindet sich Jean-Paul Sartre -wenn überhaupt- ziwcshen Sigmund Freud und Alfred Adler. Das ist jetzt nicht von mir da hinein interpretiert, sondern Sartre äußerte sich dahingehend selbst ziemlich deutlich.
Ich finde das -neben der etwas abstrakten philosophischen Stellung von Sartre- doch ganz interessant. Sartre war ja AUCH ein eminent praktisch-politisch-psychologisch-literarisch arbeitender Mensch.
Gruß,
Branden

Hi, danke für die antwort

auch so sind, wie wir sie sehen und nicht noch eine davon ganz
abgetrennte Tiefendimension haben.

Das ist mir zwar durchaus bewusst, das das Sartres intention ist, allerdings kann ich mir das nicht ganz so vorstellen. Ich mein, schließlich macht für Sartre meines erachtens ein Baum ein Geräusch wenn er umfällt und ihn niemand hört. Oder ist das nur so zu verstehen, dass es kein „Ding an sich“ als abstrakten Träger des Phänomens gibt, sondern nur eben das konkrete Phänomen (unabhängig ob wahrgenommen)?

Psychodynamisch betrachtet befindet sich Jean-Paul Sartre
-wenn überhaupt- ziwcshen Sigmund Freud und Alfred Adler.

Soweit ich das verstanden habe distanziert sich Sartre aber bedeutend von Freud (zumindest im Teil mit den Trieben im Bewusstsein), da er ja ein Unbewusstes grundlegend ablehnt.

mfg

Hi, Ich beginn mal ganz beim 1. das ich nicht so ganz versteh.

Gerade dieser Satz

„Sachhaltig genommen ist die Phänomenologie die
Wissenschaft vom Sein des Seienden - Ontologie“
(S. 37)

kommt mir nicht ganz einleuchtend vor - zumindest wenn man noch im Kantischen modell bleibt. Vorweg: ich verstehe den satz so, dass ich das Sein als das „wesen“ auffasse, und das Seiende als das „Phänomen“

Natürlich ist es, wenn das Seiende gleichgesetzt wird mit dem Phänomen, eine Ontologie (einfach weil es nichts grundlegenderes gibt als dieses). Aber wieso darf Sartre das überhaupt?
Ich habe die Phänomenologie eher als philosophische Methode gesehen, genauso wie Ontologie, oder Erkenntnistheorie eine Methode ist sich der „Welt“ zu nähern - ich dachte allerdings die würden parallel funktionieren. Eine Phänomenologie schließt doch ein Ding an-sich nicht von vorne herein aus - sondern „umgeht“ und „vernachlässigt“ es nur geschickt.

Hab ich da was Massiv falsch verstanden oder was?
Danke für die Aufklärung.

Hi,

Ich beginn mal ganz beim 1. das ich nicht so ganz versteh.

Gerade dieser Satz

„Sachhaltig genommen ist die Phänomenologie die
Wissenschaft vom Sein des Seienden - Ontologie“
(S. 37)

halt Dich nicht an diesem Heidegger-Zitat auf, es geht ja um Sartre; ich habs gebracht, weil ich damit ausdrücken wollte, dass die Verknüpfung von Phänomenologie und Ontologie schon ganz klar bei Heidegger auftritt, nicht erst bei Sartre (bei dem m.E. die Verknüpfung ohnehin eine etwas andere ist, nämlich durch Hegel vermittelt, aber in diesem Kontext egal …)

„Sachhaltig genommen ist die Phänomenologie die
Wissenschaft vom Sein des Seienden - Ontologie“
(S. 37)

kommt mir nicht ganz einleuchtend vor - zumindest wenn man
noch im Kantischen modell bleibt. Vorweg: ich verstehe den
satz so, dass ich das Sein als das „wesen“ auffasse, und das
Seiende als das „Phänomen“

Ich tu mich schwer, Heidegger spontan aus dem Ärmel zu schütteln, vielleicht findet sich hier ja ein Experte.

Nein, das Sein ist bei Heidegger sicher nicht das „Wesen“ (als Essenz verstanden), und das Seinende sicher nicht das „Phänomen“;

im Gegenteil ist gerade, die von Heidegger als das Sein vergessende, am Seienden klebende, Metaphysik eine solche Wesenserforschung (Sartre unterscheidet ja übrigens durchaus ähnlich zwischen Metaphysik und Ontologie!).

Vielleicht trifft diese Definition in etwa:
das Heideggersche Sein ist nicht das Wesen (im Sinne der traditionellen Metaphysik als Essenz verstanden) des Seienden, sondern es ist das Ensemble der Bedingungen der (für-uns-)Erscheinung der Seienden, das überhaupt auch nur als Erscheinendes ist, existiert.

Eine Phänomenologie
schließt doch ein Ding an-sich nicht von vorne herein aus -
sondern „umgeht“ und „vernachlässigt“ es nur geschickt.

Nein, sehe ich nicht so;
anders als für Kant, bei dem das Phänomenon auf ein Noumenon verweist, ist das Phänomen bei Sartre nichts Mangelhaftes, sondern etwas Volles, sich selbst genügendes;
das Phänomen verbirgt nichts, und es verweist auf nichts;
die Welt ist so, wie sie im „Bewusstsein von Etwas“ (nicht im „Bewusstsein“!) auftritt, nichts anderes.

Sartre: „Es versteht sich, dass dieses Sein kein anderes ist als das transphänomenale Sein der Phänomene und nicht ein noumenales Sein, das sich hinter ihnen versteckte. Es ist das Sein dieses Tischs, dieses Tabakpäckchens, der Lampe, allgemeiner das Sein der Welt, das durch das Bewusstsein impliziert ist. Es verlangt einfach, dass das Sein dessen, was erscheint, nicht lediglich existiert, insofern es erscheint. Das transphänomenale Sein dessen, was für das Bewusstsein ist, ist selbst an sich“ (Das Sein und das Nichts, S. 37)

Also: Klar hat Sartre einen an-sich-Begriff, aber eben keinen Kantischen; allein Sartres „Primat der Existenz über die Essenz“ schließt einen Kantischen Dualismus, damit ein Kantisches Ding-an-sich aus.

Viele Grüße
Franz

Hi oath

Ich
mein, schließlich macht für Sartre meines erachtens ein Baum
ein Geräusch wenn er umfällt und ihn niemand hört.

Das wär für mich noch kein WEiderspruch und ich sympathisiere selbst mit dieser Ansicht (diese alte ZEN-Frage habe ich auch eher so beantwortet. Egal, ob ich da bin oder nicht - die Welt existiert ja weiter. Auch wenn ich tot bin, machen die Bäume Geräusche, wenn sie umfallen und auch dann, wenn kein Schwein mehr zuhört *g*).

Oder ist
das nur so zu verstehen, dass es kein „Ding an sich“ als
abstrakten Träger des Phänomens gibt, sondern nur eben das
konkrete Phänomen (unabhängig ob wahrgenommen)?

Auch dies könnte ich (auch aus Sartres Sicht) bejahen - im Gegensatz zu Platon. :wink:

Soweit ich das verstanden habe distanziert sich Sartre aber
bedeutend von Freud (zumindest im Teil mit den Trieben im
Bewusstsein), da er ja ein Unbewusstes grundlegend ablehnt.

Er lehnt es in dieser Tiefendimension zwar ab und sieht es eher als einen Übergang ins Verleugnen wie bei Alred Adler *g*, aber er lehnt, soweit ich mich erinnere, Freud nicht gänzlich ab. Es gibt ja da auch zuviele Übereinstimmungen in der Kritik an der Gesellschaft, insbesondere, wenn du die Frankfurter Schule dazunimmst. Sowohl Sartre als auch die Frankfurter Schule haben ja gewissermaßen eine Verbidung von marxistischem und analytischem Denken vollzogen. Da mögen zwar ein paar scheinbar grundlegende Unterscgiede sein, weil Sartre ja vom Existentialismus und von der Phänomenologie herkommt bzw. erteren mit gegründet hat, aber im „Ergebnis“ sind sie sich sehr nahe. Im Ergebnis wiederum entfernt sich ja Sartre sehr von seinen Quellen (Heidegger, Husserl etc.).
Gruß,
Branden

sich der Welt nähern …
Ein Schlüsselsatz in diesem thread:

sich der „Welt“ zu nähern

Wie kann man sich mit derart differenzierten Richtungen beschäftigen, ohne ein eigenes Bild, eine eigene Meinung zu haben, ein eigenes Konzept zu haben? … oder willst Du erst alles lesen und Dir dann Deine eigene Meinung bilden, oder willst Du nur fremdes Wissen anhaüfen?

… wie, also näherst Du Dich der Welt?
Was ist das, „Sein“, Deinem Dafürhalten nach?

und noch …
… um was „Welt“ genau geht es eigentlich?
… das „Sein“ von Welt?
… das überhaupt sein von überhaupt Irgendetwas?
… das Sein von Welt im Bewußtsein von uns Menschen oder unsere Wahrnehmung von Welt?
… das „Sein von Welt“ jenseits, unabhängig von menschlicher Beurteilung oder Beobachtung?
… den letzten Urgrund allen Seins, den Ursprung von Welt, also des Universums und von Allem?
WAS REDEST DU DA GENAU?