Liebe/-r Experte/-in,
in ein paar Wochen werde ich zum Thema „Phantastische Literatur“ geprüft. Als Textgrundlage habe ich mich für Lernet-Holenias „Baron Bagge“ entschieden und suche nun noch nach einer kürzeren Erzählung des frühen 20. Jahrhunderts, die sich für diesen Themenkomplex eignet. Für Anregungen wäre ich extrem dankbar!!!
Lieber Shadowofjuly,
gerne helfe ich Ihnen. Wenn Sie einen phantastischen Text im Sinne Todorovs suchen (d.h. minimalistische Phantastik-Definition, Unschlüssigkeit des Lesers), könnten Sie von Hanns Heinz Ewers „Die Spinne“ (1908) nehmen. Ewers ist zwar sonst ein lausiger Autor, aber diese Erzählung ist nicht schlecht. Sie finden sie in Ewers’ Buch „Die Besessenen: Seltsame Geschichten“ (1908), 2. Aufl., München / Leipzig 1909, S. 99-146. Eine Analyse finden Sie in meinem Buch „Theorie der phantastischen Literatur“ (2001), 2. aktualis., korr. u. erw. Neuausgabe, Berlin 2010, S. 191-198. Schauen Sie in Ihre Uni-Bibliothek, vermutllich ist es dort vorhanden. Bei anderen Ausgaben meines Buchs können Sie im Index nachsehen, wo die Passage über Ewers zu finden ist.
Falls Sie Texte suchen, die dem (zu) ungenauen maximalistischen Phantastik-Begriff zugerechnet werden könnten (z.B. etwas ‚Übernatürliches‘ geschieht in einer realistischen Welt), empfehle ich Ihnen von Gustav Meyrink „Das Grillenspiel“ (1915), in: Ders., „Gesammelte Werke“, VI, Leipzig 1917, S. 66-86.
Auch zu Lernet-Holenias Text, der übrigens die Kriterien der minimalistischen Phantastik erfüllt, kann ich Ihnen noch eine Analyse anbieten, die ich in meiner Habil angestellt habe: Uwe Durst, „Das begrenzte Wunderbare“, Berlin 2008, S. 56-60.
Ich hoffe, ich habe Ihnen damit weitergeholfen. Wenn Sie noch Fragen haben sollten, melden Sie sich.
Freundlich grüßend
Uwe Durst
Besuchen Sie meine Homepage: http://www.uwe-durst.de
Lieber Dr. Uwe Durst,
Herzlichen Dank für die rasche und äußerst hilfreiche Antwort. Im Gewirr der verschiedensten Ansätze verliert man doch rasch den Überblick. Leicht kann es passieren, dass noch Fragen aufkommen, mit denen ich mich an Sie wende. Nochmals vielen herzlichen Dank!!!
Es war mir eine Freude. Daß Sie Probleme haben, in der terminologischen Anarchie der Phantastik-Forschung den Überblick zu behalten, ist nicht erstauntlich, sondern ein wesentliches Forschungshindernis. Natürlich können Sie sich gern wieder melden.
Freundlich grüßend
Uwe Durst
P.S.: Wenn Sie möchten, können Sie mich auch anrufen, das macht es vielleicht einfacher. Meine Telephonnummer finden Sie im Impressum meiner Homepage. Abends ab 20.00 Uhr bin ich in der Regel daheim.
Lieber Herr Dr. Durst,
intelligenterweise ist ein weiteres Thema meiner schriftlichen Magisterprüfung „Das Kunstmärchen der Romantik“. Die Texte hierzu sind u.a. Tiecks „Blonder Eckbert“ und Hoffmanns „Goldner Topf“. Der erste bereitet mir weniger Schwierigkeiten, mit dem zweiten tue ich mir schwer. Wie gelingt es, Hoffmanns Text dem Genre Kunstmärchen zuzuschlagen und ihn gegen Phantastische Literatur abzugrenzen? Reicht das Allegorie-Signal am Schluss tatsächlich schon aus?
Herzlichen Dank im Voraus!!!