Philosophie der Chassidim nicht verstanden

Hallo,

letztes Jahr habe ich mich schon etwas in die Philosophie verschiedener jüdischer Strömungen zwischen Mittelalter und Neuzeit eingelesen. Und um ehrlich zu sein habe ich von Anfang an nicht wirklich verstanden, worum es den Chassidim ging.

Nun begegnen sie mir gerade in einem Buch von Agnon wieder, und zwar in der Form eines chassidischen Schlossers, der gerne und viel lacht und der außerdem die Angewohnheit hat, pro Tag nur eine Arbeit auszuführen.

Ist das eine persönliche Macke von ihm, oder hat es möglicherweise irgendeinen religiös motivierten Grund, den ich nicht kenne?

Und worum geht es den Chassidim genau? Gibt es da eine (leicht verständliche) Website, auf der ich mir das nochmal durchlesen könnte?

Schöne Grüße

Petra

Chassidismus: Lebenseinstellung
Hi Petra,

da du dich „eingelesen“ hast, aber dennoch:

von Anfang an nicht wirklich verstanden, worum es den Chassidim ging

wird dir sowas

eine (leicht verständliche) Website

ja auch nicht viel nützen.

Eine Philosophie des Chassidismus gibt es nicht und gab es auch nicht. Es ist vielmehr eine besondere Art frommer Lebenseinstellung, Denkweise und vor allem Praxis.

Für einen Einblick in die Besonderheiten kann ich nur wärmstens Martin Buber empfehlen: ISBN 978-3717510628 Buch anschauen

Gruß
Metapher

Hallo Petra.

Und worum geht es den Chassidim genau? Gibt es da eine (leicht
verständliche) Website, auf der ich mir das nochmal durchlesen
könnte?

Wie Metapher schon sagt, bedeutet „Chassidim“ erst einmal nur, eine besonders fromme Lebenseinstellung. So gab es zu verschiedenen Zeiten im Judentum Bewegungen des Chassidismus, welche meist nichts miteinander zu tun haben, ebenso wie einzelne Persönlichkeiten welche den Beinamen „Chassid“ bekamen.

Hinzu kommt, dass die heutige Bewegungen wiederum so viele Anhänger hat, dass denen alleine eine besonders fromme Lebenseinstellung zu unterstellen, wohl etwas zu weit geht. Hier geht es dann wiederum eher um Anhängerschaft zu den eigentlichen Chassidim. Ursprünglich geht diese Bewegung auf den Baal Schem Tow (Rabbi Israel ben Elieser) zurück, welche sich aber schon zu seinen Lebzeiten in verschiedene Gruppen aufspaltete, welches noch immer anhält, auch wenn einige grössere Gruppen ab-und-zu kleiner Gruppen schlucken.

Für Aussenstehende sind diese Gruppen kaum unterscheidbar, wenn man vom radikalen Antizionismus der meisten Satmerer und der Modernität von Lubawitsch absieht. Dieses betrifft Äusserlichkeiten, wie Kleidung, aber auch Philosophien und Schriften. Hier gibt es fliessende Übergänge und auch die alte Abgrenzung/Kampf zu den Misnagdim hat sich überlebt bzw. teilweise sogar ins Gegenteil verkehrt. So gehen heute Litvisch zu Rebben bzw. deren Rabbiner haben manchmal einen ähnlichen Rang wie ein Rabbe oder es gibt chassidische Gruppen, welche keinen Rebbe haben und auch ansonsten mystischen Elementen eher fern stehen.

In diesem Sinne müsstest du dich mit mindestens den folgendne Gruppen auseinandersetzen, um etwas über heutigen Chassidismus zu erfahren:

  • Chabad
  • Satmar
  • Belz
  • Breslow

Grob gesagt (aber auch sehr allgemein) geht es darum, G’tt in diese Welt zu bringen, in dem alles in dieser Welt seine Heiligkeit erfährt. G’tt ist also nicht fern im Himmel, sondern hat Zugang zu dieser Welt und wir können ihn hierzu näher bringen. Dieses geschieht dann durch Konzentration auf „positive Gefühle und Einstellungen“, durch Freude, durche Lebensbejahung, durch G’ttvertrauen, durch Tanz, durch Gesang, durch Sex (vor allem) usw.

Gruss,
Eli

Hallo Petra

Und worum geht es den Chassidim genau?

In Ergänzung zu den Hinweisen von M. und E.
möchte ich noch auf eine eher unkonventionelle
Quelle zum Verständnis der verschlungenen
Wege bei der Entstehung und Entwicklung
der Chassiden hinweisen.

Ilja Ehrenburg beschreibt in „Visum der
Zeit“ (gegen Ende der 20’er Jahre) seine
Erfahrungen und Erkenntnisse über die
Chassidim aus seinen eigenen Erlebnissen
und aus den lokalen Geschichten der
jeweiligen Gebiete.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ilja_Grigorjewitsch_Ehr…

 ...
 Erfolgreicher war eine Artikelserie, die nach Reisen 
 durch Polen und die Slowakei in der sowjetischen 
 Zeitschrift Krasnaja Now erschien. Diese und 
 andere Reiseberichte aus den letzten Jahren 
 fasste Ehrenburg in dem Band Visum der Zeit 
 zusammen, den Kurt Tucholsky in seiner Weltbühne-
 Kolumne „Auf dem Nachttisch“ enthusiastisch besprach
 ...

Das ist m.E. außerordentlich interessant,
weil damit sehr nette Details der nicht
mehr existenten chassidischen Gemeinden
der Nachwelt überliefert sind.

Vielleicht kann Dir ja jemand hier
mal ein paar Seiten einscannen und
hier anhängen, ich komme erst am
Wochenende dazu.

Grüße

CMБ

Hallo ihr drei,

ich antworte mal hier gesammelt. Vielen Dank für die Erklärungen.

Wie Metapher schon sagt, bedeutet „Chassidim“ erst einmal nur,
eine besonders fromme Lebenseinstellung.

Ah ok. Also besonders fromm und/oder in der Tradition des Baal Schem Tov. Bis jetzt wusste ich weder, dass es diese Unterscheidung gibt, noch dass sich die Chassidim in viele Untergruppen aufsplittern. Ich dachte, das wären alles Anhänger des Baal Schem Tov.

Nur gut, dass ich in der Klausur im Sommer nicht näher auf dieses Thema eingegangen bin! Da hätte ich sonst ja voll danebengelegen.

In diesem Sinne müsstest du dich mit mindestens den folgendne
Gruppen auseinandersetzen, um etwas über heutigen Chassidismus
zu erfahren:

  • Chabad
  • Satmar
  • Belz
  • Breslow

Ok, ein paar Tage bleibt dieser Thread ja noch sichtbar. Da habe ich ja noch genug Zeit, google zu füttern :smile:

Grob gesagt (aber auch sehr allgemein) geht es darum, G’tt in
diese Welt zu bringen, in dem alles in dieser Welt seine
Heiligkeit erfährt. … Dieses geschieht dann durch Konzentration auf
„positive Gefühle und Einstellungen“ …

Nun macht das Sinn, dass der Schlosser in meinem Buch ein chassidischer Jude ist. Er wird nämlich als Mensch charakterisiert, der gern und oft lacht. Da hat sich der Autor wohl entschieden, das Eine mit dem Anderen zu verbinden.

In dem russischen Buch würde ich übrigens schon mal stöbern, nur jetzt im Moment habe ich nicht so viel Zeit, weil ich noch mit dem Umzug beschäftigt bin.

Schöne Grüße

Petra

Hallo Petra,
da gibt es ein wunderschönes Buch, welches die Denkweise der Chassidim sehr schön zur Geltung bringt:

„Der Rabbi, über den der Himmel lachte“

Gruß, Susanne