Wider der Skandalisierung kritischen Nachdenkens
Hallo!
Ich habe die Sendung gesehen, aber nicht aufgezeichnet. Ich fand sie zuerst irritierend, dann sehr gut. Den „Skandal“ um Walser und seine Bemerkungen über die „Instrumentalisierung der Schande“ fand ich schon damals aufgeblasen. Klaus von Dohnanyi hat es richtig erfaßt, wenn er von einer mangelnden Zivilcourage und einer gesellschaftlichen Feigheit spricht. Wieviele haben Walser während der Rede applaudiert und ihn hinterher nicht verteidigt! Nicht nur, daß ich die Übertragung der Rede damals selbst mitverfolgt habe, es ist auch in Ton und Bild nachvollziehbar, was sich da abspielte. Und deshalb ist der eigentliche Skandal, daß die meisten mit auf den Zug der allgemeinen Menschenjagd aufgesprungen sind, die nichts weiter war, als kritische Worte über den von manchen Personen zur „Drohroutine“ umgemünzten Umgang mit dem Holocaust umzudrehen und zu instrumentalisieren für eine Infamie sondergleichen.
Dieses und andere Beispiele wurden in der Sendung besprochen und die Bedeutsamkeit von Zivilcourage und wirklich kritischem Umgang mit Inhalten aufgezeigt. Es kann nicht sein, daß ein Nachdenken über schwierige Themen dadurch verhindert wird, daß jedes Nachdenken darüber in bestimmten Floskeln enden muß, weil sonst die Effekthascherei, der Erregungsjournalismus und political correctness-Walzen über einen hereinbrechen. Nein! Es muß möglich sein, routinisierte Verbalübungen zu durchbrechen, ohne gleich verbal ans Kreuz genagelt zu werden. Diese Forderung auszusprechen, war längst überfällig und ihre Anerkennung als Notwendigkeit in einer liberalen, toleranten Gesellschaft muß dringend erfolgen. Die Umsetzung der Forderung in konkretes Verhalten ist Aufgabe für jeden. Ein Verstecken in der Masse geistloser öffentlicher Meinung darf nicht möglich sein. Geistlose öffentliche Meinung ist der Skandal, nicht Nachdenken über sie.
Grüße,
Oliver