Pilgerreise / Wallfahrt - warum?

mal genauer
Hi Hardy,

Eine Pilgerfahrt, oder noch besser zu Fuss bringt eine
event.Belohnung vom angebeteten Objekt in Aussicht. Je härter
die absolvierte Selbstquälung, desto grösser die Belohnung, ob
im Paradies oder schon auf Erden !!

Hast Du aus diesem Grund eine Pilgerfahrt gemacht? Das wäre tatsächlich recht spannend, denn für alle Menschen, mit denen ich bisher gesprochen habe, die eine Wallfahrt gemacht haben, hat es nun mit Selbstkasteiung gar nichts zu tun gehabt.

Wäre spannend, wenn Du das erläutern könntest.

Liebe Grüße,
Nike

Hi Metapher,

ein sehr interessanter und spannender Artikel!

Bloss hier gerate ich ein wenig ins grübeln:

Der Weg dorthin ist somit zugleich ein Weg des Aufgebens der
realen, sozialen Existenz, ein Aufgeben auch der sozialen
Einbettung (deshalb sind Pilgerreisen im Grunde eremitisch),
um den kosmogonischen Ursprung zu reaktualisieren. :

Eremitisch? Aufgeben der sozialen Einbettung?
Meine Assoziationen sind die jüngsten Fernsehbilder
aus Mekka. Du verstehst was ich meine?
Die Flut meiner Gedanken würden den Rahmen sprengen.
Ein ganzer Fragenkatalog taucht mir auf.
Haben diese ritualisierten Traditionen, ob nun Mekka
oder der Jakobsweg etc. den „Weg“ verlassen?
Wird hier nicht gerade das Gegenteil betrieben?
Vom Aufgeben der sozialen Einbettung hin zum
Gruppenzwang?

Viele Grüsse
P.

brilliant
Hi Metapher,

Gibt es denn einen Unterschied zwischen den
„geschichtlichen/theologischen“ Hintergrunden und den Gründen,
warum sie es tun?

Ja, mir ist nun im Nachhinein (nachdem ich bereits einige Antworten bekommen habe *g*) aufgefallen, daß meine Frage ungeschickt formuliert war. Das mag daran gelegen haben, daß ich mir selber nicht klar war, was ich genau wissen wollte. Genau genommen suchte ich den Unterschied zwischen den :„geschichtlichen/theologischen Hintergrunden“ und den psychologischen. Aber genau das hast Du ja auch so erkannt. :smile:

Das haben nicht nur die „großen“ Religionen gemeinsam, sondern
es ist eines der zahlreichen Formen von rituellem Handeln, die

  • abstrahiert von jeweiliger historischer, kultureller bzw.
    regionaler Färbung - zu den Grundbestimmungen eines
    allgemeinen Religionsbegriffs gehören. Genauer gesagt zum
    „Kultus“, der ein Wesentlicher Teil von „Religion“ ist.

Ja, eben das war mir aufgefallen: Daß es eben abstrahiert davon bei allen ein wesentlicher Bestandteil ist. Und das fand ich phaszinierend.

Der religionspsychologische Sinn der Reise zum sakralen
Zentrum, der aus nun nachvollziehbaren Gründen von besonderen
selbstgewählten Erschwernissen, Entbehrungen und Opfern
begleitet wird, ist also nicht nur der Zielort der
Reise, sondern der Sinn der Reise ist vielmehr vor allem die
Rückkehr: Die Erneuerung des Lebens aus dem Tod.

Also hat es tatsächlich auch viel mit Abschied und Neubeginn zu tun? Ich habe mit einigen Pilgern gesprochen (übrigens auch Menschen, die überhaupt nicht gläubig waren), die den Jakobsweg gepilgert sind, um einen großen Verlust zu verarbeiten.

Dieser Aufbruch zum Heiligtum, also das Verlassen der profanen
Welt und des profanen Lebens zum Zweck der Erneuerung -
Durchgang durch den Tod zur Auferstehung - ist Kennzeichen und
Grundstruktur jeglicher kultischen, rituellen Handlungsform.
Sie findet sich in allen Religionen.

Auch in kleineren oder Naturreligionen? Ich habe gelesen, daß sogar die Germanen zu ihren heiligen Hainen pilgerten.

Vielleicht dient das als ein Beitrag dazu …

Das war genau das, was ich suchte, vielen vielen Dank!

Liebe Grüße,
Nike

Hallo

Die Religionen haben immer versucht, das äußere Ritual für jene die nicht dazu bereit waren den inneren Weg zu gehen, zu ersetzen. Diesen inneren Weg, der esoterische Kern, kann man nur als Einzelperson gehen, wobei diese ‚stirbt‘ und die neue Person geboren wird (Zweite Geburt).

Im gemeinschaftlichen Ritual wird lediglich die innere Wahrheit, symbolisch in äußere Formen übertragen.

gruß
rolf

Hallo Herr Branden,

ich hoffe, es stört das eigentliche Threadthema nicht zu sehr, wenn ich doch noch einmal auf Ihre Antwort meinerseits etwas sage.

Ja, wiegesagt, jeder auf seine Art. Aber ich denke, die
Kirhcenfunktionäre knnen uns diese Wahrheiten genauso wenig
nahebringen wie die Politiker. Irgendwie klingen mir beide
„professionals“ da immer recht hohl.

Das ist es ja ganz genau, was Sie damit ausdrücken. Letztlich liegt es unter diesen Umständen - ich nenne es gerne diesen „Urwald“ an Aussagen - nur an einem selber, heraus zu finden, wer einem diese Antwort tatsächlich „nahe“ bringen kann.
Wenn Sie die „offiziellen“ Stellen jetzt so betrachtet haben, dann kann das eben von dieser Seite nicht der Fall sein, oder gewesen sein.
Dort muss also sozusagen irgend ein Wurm drinnen sein, weil es damit ja nicht nur Ihnen so geht.
Nur denke ich halt, dass dann die eigene Schlussfolgerung nicht sein kann, dass es überhaupt keinen sinnvollen Bezug zu dieser augenscheinlich ja jeden bewegenden Frage geben kann. DORT offensichtlich nicht wirklich.
Das Warum? wäre dann ja wieder eine andere Frage.

Ich denke halt, daß, wenn es das Wort gibt, dann auch etwas
Eineindeutiges geben muß, daß damit in „Verbindung“ stehen muß
und eher der Zwang von verschiedenen Seiten, etwas Diffuses
dazu „glauben“ zu MÜSSEN, das Problem darstellt.

Sie meinen wahrscheinlich das „Wort“ der Bibel. Die Bibel
halte ich für eine Art Lose-Blatt-Sammlung, aer eben nicht
alks Lose-Blatt-Sammlung gekennzeichnet.

Nein eigentlich nicht so. Das, was ich meine, ist, daß das deutsche Wort „Gott“ ja nur eine Wortschöpfung darstellt, die ihrerseits auf ein anderssprachliches Wort in noch fernerer Vergangenheit und Region zurück geht.
Und um DIESES Wort, vielleicht könnte man es als das „Urwort“ benennen, geht es mir. Denn wenn ein solches wann immer einmal entstanden ist, dann kann es nur deswegen gebildet worden sein, weil damit ein Bezug, eine „Verbindung“ zu etwas Bestimmten ausgedrückt worden sein wollte.
Es kann nur so sein, egal welche Wortschöpfung man so analysieren möchte. Keines entsteht aus bloßem Jux,
Dass in weiterer Folge, und das drücken Sie ja sehr gut aus, jedes Wort so verdreht werden kann, dass es plötzlich zu ganz was anderem in Bezug gesetzt wird, führt wieder dazu, dass z.B. wir heute vor genau diesem Problem stehen.
Die offiziellen Kirchen, und da stimme ich mit Ihnen vollkommen überein, haben ganz augenscheinlich wegen der bekannten Geschichte, jeden Bezug zum ursprünglichen Wort verloren.
Wie will man aber wem anderen etwas vermitteln, was man offensichtlich selber längst verloren hat?

Sie merken vielleicht schon, dass ich kein Atheist bin (sonst
würden wir hier nicht darüber sprechen), aber auch nicht
gerade ein Anhänger der Kirchen.

Da haben wir etwas gemeinsam. Ich für meinen Teil denke halt, daß dieser ursprüngliche Bezug deswegen nicht völlig verschwunden sein kann, nur halt wo anders aufzustöbern sein muss.
Aber ich meine auch, dass diese „Bezugssuche“ letztlich jeder nur selber für sich von dem Standpunkt aus bewerkstelligen kann, auf dem er sich gerade befindet.
Oder es natürlich auch bleiben lassen kann.
Für mich selber habe ich zumindest einmal einen Regulator dabei definiert: dort, wo mich wer dabei zu bevormunden versucht, da drehe ich gleich wieder um.

So, jetzt störe ich hier am Thread aber nicht mehr. War aber jedenfalls für mich eine interessante Unterhaltung.

Herzliche Grüße
Michael

Hallo,
Ic stimme dir grds. zu, aber möchte zu den folgen Sätzen von dir etwas hinzufügen oder besser aus islamischer Selbssicht korrigieren.

Das haben nicht nur die „großen“ Religionen gemeinsam, sondern
es ist eines der zahlreichen Formen von rituellem Handeln, die

  • abstrahiert von jeweiliger historischer, kultureller bzw.
    regionaler Färbung - zu den Grundbestimmungen eines
    allgemeinen Religionsbegriffs gehören.

Sie ist in dieser grundsätzlichen Bedeutung natürlich nicht
mehr immer und überall erkennbar (…) und weil
viele Religionen, darunter auch die von dir als „große“
bezeichneten (die in Wirklichkeit aber nur relativ „späte“
sind), in den Belehrungen ihrer Gläubigen den Anschein
erwecken, als hätten sie diese Rituale selbst erfunden.
Tatsächlich gibt es in ihnen aber kaum irgendwelche rituellen
Handlungsformen, die nicht um Jahrhunderte, sogar Jahrtausende
älter sind als sie selbst …

Ich weiss nicht ob andere große Religionen so tun als ob sie das selbst erfunden hätten…tatsache ist der Islam tut genau dies nicht.

Jedem Moslem wird gelehrt dass in Mekka zuvor Götter der Polytheisten waren und diese von Polytheisten bepilgert (?) wurden. Also wir erkennen damit an, dass das Pilgern an sich nicht unsere neue Erfindung ist.

Auch wird erzählt dass Mekka seit Zeiten Abrahams bepilgert wurde.

Auch wird jedem Moslems gelehrt, dass die beiden anderen abrahamitischen Religionen einen Zentrum kennen zu dem sie „pilgern“ können, nämlich Jerusalem.

Das heisst das pilgern wird nicht als „unsere“ Erfindung ausgegeben, weder der Ort an dm wir pilgern müssen noch das pilgern an sich, ist für uns keine neue religiöse Sache.

DIe Neuigkeit dieser Sache bei Islam wird durch andere Sachen begründet.

MfG

Hi Metapher,

ein sehr interessanter und spannender Artikel!

Bloss hier gerate ich ein wenig ins grübeln:

Der Weg dorthin ist somit zugleich ein Weg des Aufgebens der
realen, sozialen Existenz, ein Aufgeben auch der sozialen
Einbettung (deshalb sind Pilgerreisen im Grunde eremitisch),
um den kosmogonischen Ursprung zu reaktualisieren. :

Eremitisch? Aufgeben der sozialen Einbettung?
Meine Assoziationen sind die jüngsten Fernsehbilder
aus Mekka. Du verstehst was ich meine?

Ich versteh es nicht?

MfG

Hi Rolf,

das will ich nicht abstreiten, aber ist das nicht generell so? In fast allen Religionen verknüpft man den inneren Weg mit „äußerlichen“ Ritualen. Die Meditation (die sich ja auch in allen Religionen, wenn auch mit unterschiedlichem Gesicht) findet, ist ja auch ein äußerliches Verhalten, das innere Wandlung herbeiführen soll.

Liebe Grüße,
Nike

Grundformen von kultischem Handeln

Dieser Aufbruch zum Heiligtum, also das Verlassen der profanen
Welt und des profanen Lebens zum Zweck der Erneuerung -
Durchgang durch den Tod zur Auferstehung - ist Kennzeichen und
Grundstruktur jeglicher kultischen, rituellen Handlungsform.
Sie findet sich in allen Religionen.

Auch in kleineren oder Naturreligionen?

Ja, wie schon gesagt. Die Differenz des Fanum gegen das Profanum ist eine Grundbestimmung des Begriffs „Religion“ überhaupt.

Ich habe gelesen, daß sogar die Germanen zu ihren heiligen Hainen pilgerten.

„sogar“ ist gut: Das. bzw unter anderem soetwas, ist ja gerade der Zweck solcher Haine. Jedes Heiligtum hat diese Funktion: Einige spezifische Grundformen räumlicher, zeitlicher, dinglicher, personaler und sprachlicher Art machen mit ihren regionalen Varianten das gesamte Spektrum religiöser ritueller Formen aus…

Gruß

Metapher

historisches Wissen
Hi Sina,

Ich weiss nicht ob andere große Religionen so tun als ob sie
das selbst erfunden hätten…tatsache ist der Islam tut genau
dies nicht.

Ich meinte damit, daß nicht explizit gelehrt wird, daß diese Verhaltensformen Übernahmen aus anderen bzw. viel älteren kultischen Formen sind. Dasselbe gilt von der Kenntnis über die Aneignung vormaliger Kultorte überhaupt.

Daher ist es sehr interessant, von dir zu hören, daß es im Islam üblich ist, zu lehren und zu wissen, was Mekka (und der schwarze Stein in der Ka’ba, und die Tradition des Umlaufs um den Stein und vieles andere Wichtige mehr) vor Mohammed war.

Daher danke ich dir für diese Information. Ich halte allgemeines religionshistorisches Wissen über andere Religionen ebenso wie über die je eigene für die Voraussetzung einer nicht-aggressiven religiösen Koexistenz.

Gruß

Metapher

Hi Sina,

Ich weiss nicht ob andere große Religionen so tun als ob sie
das selbst erfunden hätten…tatsache ist der Islam tut genau
dies nicht.

Ich meinte damit, daß nicht explizit gelehrt wird, daß diese
Verhaltensformen Übernahmen aus anderen bzw. viel älteren
kultischen Formen sind. Dasselbe gilt von der Kenntnis über
die Aneignung vormaliger Kultorte überhaupt.

Daher ist es sehr interessant, von dir zu hören, daß es im
Islam üblich ist, zu lehren und zu wissen, was Mekka (und der
schwarze Stein in der Ka’ba, und die Tradition des Umlaufs um
den Stein und vieles andere Wichtige mehr) vor Mohammed war.

Die Vermittlung genau dieses WIssens macht den Kern der Lehre bzgl. Kaaba aus.

Ganz kurz religiöser hintergrund:
Die Kaaba wurde von Abraham und seinem Sohn Ismail gebaut als Haus Gottes und war seither Pilgerort. Nach ner Zeit hat der wahre abrahamitische Monotheismusglaube nicht mehr Anerkennung gefunden was sich auch auf die Pilger bzgl. Kaaba auswirkte. Man hat dort Götzen aufgebaut und diese Götzen bepilgert.
So und nun kam der letze Prophet hat dort die Götzen (wie Abraham zuvor die Götzen seiner Gesellschaft vernichtet hatte) zerschlagen so nach dem Motto genau hier hat Abraham angefangen und genau hier fängt die „bereinigung“ an.
Als nichtmoslem definierst du dies natürlich als Übernahme „heidnischer“ Kulte. AUs islamischer SIcht ist es eher die Überwindung der zeitweilig aufgetretenen falschen Götzendienst und die Rückkehr zur abrahamistischen Tradition.

MfG

Kirchgang
Hiho,

Das. bzw unter anderem soetwas, ist ja gerade
der Zweck solcher Haine. Jedes Heiligtum hat diese Funktion:
Einige spezifische Grundformen räumlicher, zeitlicher,
dinglicher, personaler und sprachlicher Art machen mit ihren
regionalen Varianten das gesamte Spektrum religiöser ritueller
Formen aus…

Im Grunde ist also auch der sonntägliche Kirchgang eine kleine Pilgerreise vom Profanen zum Fanen?

Interessant, nochmal danke.
Liebe Grüße,
Nike