Erneuerung des Lebens
Hi Nike,
Also nicht, welches die geschichtlichen /theologischen
Hintergründe sind, sondern warum sie das tun.
Gibt es denn einen Unterschied zwischen den „geschichtlichen/theologischen“ Hintergrunden und den Gründen, warum sie es tun?
Denn das Pilgern ist ja etwas, was wirklich alle großen Religionen
gemeinsam haben (Judentum, Moslems, Hindu, Shintoisten, Buddhisten, Christen).
Das haben nicht nur die „großen“ Religionen gemeinsam, sondern es ist eines der zahlreichen Formen von rituellem Handeln, die - abstrahiert von jeweiliger historischer, kultureller bzw. regionaler Färbung - zu den Grundbestimmungen eines allgemeinen Religionsbegriffs gehören. Genauer gesagt zum „Kultus“, der ein Wesentlicher Teil von „Religion“ ist.
Was mit der Pilgerreise gemeint ist, wird sofort klar aus einer religionswissenschaftlichen bzw. religionspsychologischen Sicht auf den Begriff des „Rituals“ überhaupt: Jegliche Form von Ritual ist ein „Ausschnitt“ aus 1. der historischen Zeit, 2. der geografischen Landschaft und 3. aus dem alltäglichen sozialen Kontext - ein Ausschnitt, der somit ein Inneres und eine Äußeres unterschiedet: Das Innere des Aussschnitt ist das fanum, das Heilige, das nicht in der historischen Zeit und nicht in der geografischen Landschaft existert. Das Äußere ist das pro-fanum, die alltägliche Lebenswelt.
Dieser Auschnitt (lat. templum „Heiligtum, Tempel“ ist etymologisch verwandt mit griech. temnein „schneiden“, ebenfalls lat. tempus „Zeit“) ist also entweder ein heiliger, faner Ort oder eine heilige, fane Zeit, oder eben beides zugleich. Er stellt in der mythologischen Perspektive räumlich das Weltzentrum (resp. die Weltachse) dar und zeitlich den Weltanfang, die Kosmogonie.
Die Zeit vor der rituellen, fanen Zeit sowohl als der Weg hin zu einem rituellem, fanen Ort bedeutet somit eine Rückkehr zum Ursprung , zu demjenigen Ort, um den sich die pro-fane Welt dreht, auf den hin sie orientiert ist, weil sie von ihm ausgeht. Und zugleich eine Rückkehr in die Urzeit, in der der Übergang von der Nichtexistenz zur Existenz des Kosmos stattfindet.
Der Weg dorthin ist somit zugleich ein Weg des Aufgebens der realen, sozialen Existenz, ein Aufgeben auch der sozialen Einbettung (deshalb sind Pilgerreisen im Grunde eremitisch), um den kosmogonischen Ursprung zu reaktualisieren. Der Begriff „Re-Aktualisierung“ wurde von Mircea Eliade für diesen rituellen, nur mythologisch zu verstehenden Prozess gewählt, weil dieser Weg (zeitlich und räumlich) eben nur insofern ein Weg in den (symbolischen) Tod ist, als er zugleich - aber nur wenn das Ziel wirklich erreicht ist - eine Erneuerung des Lebens bedeutet - denn der Zielpunkt ist ja der Weltanfang, nicht das Weltende.
Der religionspsychologische Sinn der Reise zum sakralen Zentrum, der aus nun nachvollziehbaren Gründen von besonderen selbstgewählten Erschwernissen, Entbehrungen und Opfern begleitet wird, ist also nicht nur der Zielort der Reise, sondern der Sinn der Reise ist vielmehr vor allem die Rückkehr: Die Erneuerung des Lebens aus dem Tod.
Dieser Aufbruch zum Heiligtum, also das Verlassen der profanen Welt und des profanen Lebens zum Zweck der Erneuerung - Durchgang durch den Tod zur Auferstehung - ist Kennzeichen und Grundstruktur jeglicher kultischen, rituellen Handlungsform. Sie findet sich in allen Religionen.
Sie ist in dieser grundsätzlichen Bedeutung natürlich nicht mehr immer und überall erkennbar, weil sie kulturell gefärbt von zusätzlichen Verständnissen überlagert wird (du siehst es ja z.B. in den Links, die du selbst angegeben hast) und weil viele Religionen, darunter auch die von dir als „große“ bezeichneten (die in Wirklichkeit aber nur relativ „späte“ sind), in den Belehrungen ihrer Gläubigen den Anschein erwecken, als hätten sie diese Rituale selbst erfunden. Tatsächlich gibt es in ihnen aber kaum irgendwelche rituellen Handlungsformen, die nicht um Jahrhunderte, sogar Jahrtausende älter sind als sie selbst …
Jetzt will ich tiefergehendes erfahren.
Vielleicht dient das als ein Beitrag dazu …
Gruß
Metapher