notwehr sind alle maßnahmen zu unmittelbaren abwehr von
angriffen auf leben und gesundheit deiner person.
Ja, aber nicht ausschließlich. Ich habe für mein Blog (www.n-ius.de) einen Text dazu verfasst, der aber noch nicht veröffentlicht wurde, weil er noch überarbeitet werden muss.
Die Rohfassung kanst du ja schon mal lesen:
In einem Internetforum tauchte kürzlich die Frage auf, ob, wer unentwegt durch Worte beleidigt wird, dagegen in Notwehr körperliche Gewalt anwenden darf. Ich nehme jetzt diese Fragestellung und dieses Beispiel zum Anlass, die Notwehr (§ 32 StGB) zu erläutern.
Vorab fragen wir uns, worum es eigentlich geht: Wer z.B. vorsätzlich einen Menschen tötet, erfüllt damit den Tatbestand des Totschlags (§ 212 StGB) oder Mordes (§ 211 StGB). Die Tatbestandsmäßigkeit, so sagen die Juristen, indiziert dabei die Rechtswidrigkeit. Soll heißen: Es wird zunächst einmal davon ausgegangen, dass die Tat auch rechtswidrig war.
Doch es gibt Ausnahmen. So macht sich ein Chirurg nicht etwa einer Körperverletzung (§ 223 StGB) schuldig, wenn er mit Einverständnis seines Patienten eine Operation durchführt. Der chirurgische Eingriff ist zwar durchaus tatbestandsmäßig, aber eben in diesem Fall nicht rechtswidrig. Und eben darum wird der Operateur auch nicht bestraft.
Das Nämliche gilt für die Notwehr: Wer in Notwehr handelt, erfüllt mit seiner Tat zwar einen Tatbestand. Er wird aber nicht bestraft, weil seine Tat ausnahmsweise erlaubt, d.h. nicht rechtswidrig war. Doch was sind nun die Bedingungen dafür, dass eine Tat durch Notwehr gerechtfertigt ist?
Zunächst einmal muss der Täter (gemeint ist damit derjenige, der in Notwehr handelt, denn er begeht ja eine Tat, wenn auch eine erlaubte) angegriffen werden. Angriff meint dabei die Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten. Kein menschliches Verhalten wäre z.B. der Angriff eines Hundes, es sei denn, er wurde von seinem Halter aufgehetzt («Fass, Bello, fass!»). Das soll nicht heißen, dass man sich gegen wild gewordene Hunde nicht verteidigen darf, nur hat das dann eben nichts mit Notwehr zu tun. Auch kein menschliches Handeln liegt vor bei reinen Reflexbewegungen oder sonstigem «Verhalten», das nicht vom Willen gesteuert wird. Zu beachten ist noch, dass der Angriff gegenwärtig sen muss. Es genügt nicht, wenn er bereits stattgefunden hat oder irgendwann einmal stattfinden könnte. De Frage, wann ein Angriff gegenwärtig ist, kann im Einzelfall schwierig zu beantworten sein. Es genügt nämlich, wenn eine bedrohliche Lage unmittelbar bevorsteht und bereits unmittelbar in eine Verletzung umschlagen könnte. Ob das aber etwa schon der Fall ist, wenn eine Horde bewaffneter Gangster das Haus des X umstellt, ist sehr fraglich. Wenn X schon jetzt mit Schüssen beginnt, sich zu verteidigen, dürfte Notwehr mangels gegenwärtigen Angriffs eher ausscheiden (zu denken wäre dann aber eine Rechtfertigung wegen Notstandes, § 34 StGB). Notwehr soll außerdem nur gegen einen Angriff möglich sein, der selbst rechtswidrig ist. Das ist unter den Gelehrten zwar nicht ganz unumstritten, aber in einem Punkt besteht Einigkeit: Wenn wirklich Rechtswidrigkeit des Angriffs erforderlich ist, dann setzt diese nicht voraus, dass das geschützte Rechtsgut durch einen Straftatbestand geschützt wird.
Was bedeutet das für unser Beispiel? Dafür, dass man seine Ehre in Notwehr verteidigen darf, ist nicht erforderlich, dass sie strafrechtlich geschützt wird. Dann aber muss sie erst recht notwehrfähig sein, wenn sie sogar doch strafrechtlich geschützt wird. Und genau das ist sie: § 185 StGB stellt es unter Strafe, einen anderen zu beleidigen. Die Notwehr ist also im Grunde auf Ehre anwendbar. Fraglich wird dabei regelmäßig der gegenwärtige Angriff sein. Zwar ist eine Beleidigung ein Angriff, aber er ist nicht mehr gegenwärtig, wenn die Beleidigung bereits erfolgt ist. Ich denke, dass Notwehr in der Praxis genau deswegen in den allermeisten Fällen ausscheidet. Aber in unserem Beispielfall? Der Täter wird hier «unentwegt» beleidigt. Er steht oder sitzt also da und wird in einem unaufhörlichen Fluss mit Schimpfwörtern überschwemmt. Der andere hört und hört nicht auf. Dann, so meine ich doch, ist ein gegenwärtiger Angriff auf ein notwehrfähiges Gut gegeben.
Dagegen darf sich der Täter also grundsätzlich wehren. Doch natürlich nicht nach Belieben, sondern nur soweit, wie es «geboten» ist. Das Gesetz sagt an dieser Stelle nicht ausdrücklich, dass die Verteidigungshandlung auch «erforderlich» sein muss; doch kann sie ohne Erforderlichkeit erst recht nicht geboten sein, so dass die Erforderlichkeit also von einer Notwehrtat verlangt wird. Was aber bedeutet das? Erforderlich ist die Handlung, die geeignet ist, den Angriff endgültig zu beenden und dabei einen möglichst geringen Schaden anrichtet. Es sei also gleich eines der ganz großen Missverständnisse angesprochen: Eine grundsätzliche Abwägung zwischen dem Rechtsgut, das die Notwehrtat schützen soll, und dem, das durch sie verletzt wird, findet nicht statt! Es ist z.B. nicht wahr, dass man sein Eigentum nicht dadurch schützen kann, dass man einen potenziellen Dieb tötet. Entscheidend ist vielmehr und grundsätzlich nur die Frage, welches Mittel zur Verteidigung des Eigentums sicheren Erfolg verspricht. Von den Mitteln, die gleich wirksam sind, ist dasjenige zu wählen, das den geringste Schaden anrichten wird. Wenn also ein bewaffneter Bodybuilder durch einen unbewaffneten und normal kräftigen Mann beraubt zu werden droht, dann stehen dem Bodybuilder mehrere Abwehrmaßnahmen zur Verfügung, die allesamt denselben Erfolg versprechen: Er kann ihn festnehmen, er kann ihn niederschlagen, er kann ihn mit der Waffe bedrohen, er kann ihn mit der Waffe vorsätzlich töten. Insbesondere die Tötung ist ohne Zweifel unverhältnismäßig und damit nicht «erforderlich». Aber: Eine schimpfliche Flucht wird niemandem zugemutet. Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen, der Bodybuilder darf sich verteidigen.
Auch in unserem Beispiel muss der Täter nicht fliehen, sondern darf sich wehren. Er darf dabei nur das relativ mildeste Mittel zur Verteidigung anwenden, das sicher den Erfolg verspricht. Ob gutes Zureden die Beleidigungen stoppen würde, ist mehr als fraglich, mit anderen Worten «nicht sicher». Darauf muss sich der Täter also keineswegs verlassen. Da erscheint körperliche Gewalt, vielleicht eine kräftige Ohrfeige, als das mildeste Mittel zur (sicheren) Gefahrenabwehr.
Doch auch eine erforderliche Verteidigungshandlung ist im Ausnahmefall nicht «geboten» und daher auch nicht von der Notwehr gedeckt. Manchmal ist eine Ausnahme von dem oben dargestellten Grundsatz zu machen, dass eine Abwägung zwischen bedrohtem und geschütztem Rechtsgut (z.B. Eigentum vs. Leben) nicht stattfindet. Ein solcher Fall liegt z.B. bei Bagatellangriffen vor (z.B. Drängeln in der U-Bahn) oder bei Angriffen durch Kinder. Auch hier ist Notwehr möglich, doch werden an die Verteidigungshandlung erhöhte Anforderungen gestellt. So kann etwa ein Ausweichen zumutbar sein, und die Verteidigung muss proportional sein. Ähnlich ist es im Fall der Notwehrprovokation: Wer eine Notwehrlage herbeiführt, um dann quasi «in Notwehr» verletzten oder töten zu dürfen, darf sich zwar noch verteidigen, muss aber ggf. erst auszuweichen versuchen, bevor er Schutz- und schließlich im Notfall noch Trutzwehr übt. Einschränkungen des Notwehrrechts gibt es auch zwischen Personen mit enger persönlicher Beziehung (z.B. Eheleute) oder ausnahmsweise bei einem besonders krassen Missverhältnis zwischen dem bedrohten und dem verteidigten Rechtsgut. Zu beachten ist hierbei der Ausnahmecharakter der Einschränkung des Notwehrrechts: Wie ich schon schrieb, kann durchaus auch Eigentum durch Töten geschützt werden; die Grenze der Gebotenheit wäre aber verletzt, wenn etwa der Besitzer eines Kirschbaumes auf Kinder schießen würde, die ihm ein paar Früchte vom Baum stehen wollen. Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbietet es übrigens, einen Menschen vorsätzlich zu töten; eine Einschränkung des Notwehrrechts geht damit aber nicht einher, weil die Konvention nur die Staaten bindet, nicht deren Bürger.
Auch in unserem Fall liegt kein solcher Fall vor. Es handelt sich weder um einen Bagatellangriff, noch liegt besagtes krasses Missverhältnis vor.
Aber immer noch stellt sich eine Frage, nämlich die nach dem so genannten subjektiven Rechtfertigungselement. Die meisten Juristen sagen, eine Tat könne nur durch Notwehr gerechtfertigt sein, wenn der Täter weiß, dass er gerade angegriffen wird, und wenn seine Tat auch gerade dazu dient, sich zu verteidigen. Das macht Sinn, denn sonst wäre es ja Zufall, wenn jemand nach seinem Empfinden eine Straftat begeht und gar nicht merkt, dass er zufällig etwas Erlaubtes tut. Die Tat kann also nicht erlaubt sein. Wohlgemerkt würde dann zwar eine Rechtfertigung durch Notwehr ausscheiden, der Täter würde aber nur wegen Versuchs bestraft (weil nämlich der Erfolgsunwert seiner Tat entfällt).