Hallo Nanii,
im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst?
„Die Befreiung der wegen Landesverrats verurteilten Polen ist eine der Errungenschaften des Berliner Märzkampfes, und zwar eine der wesentlichsten, da die konstitutionelle Verfassung, die Pressefreiheit und Maßregeln zur Einigung Deutschlands bereits vor Ausbruch des Kampfes gesichert waren.“
-> bezieht sich das „Landesverrats der Polen“ auf den Aufstand 1830 der Polen gegenüber Russland, der allerdings blutig niedergeschlagen wurde und Russland die Polen in Gefangenschaft geschickt hat?
Nein, das bezieht sich auf den Großpolnischen Aufstand (der freilich 1846 über das Planungsstadium nicht weit hinaus kam) und den Krakauer Aufstand von 1846. Nach Niederschlagung wurde 1847 gegen insgesamt 254 Beteiligte vor dem Berliner Kammergericht wegen Hochverrrat Anklage erhoben (sog. Polenprozess). Die wichtigsten Angeklagten waren Ludwik Mierosławski und Karol Libelt. Es wurden 2 Todesurteile, u.a. gegen Mierosławski (die freilich nicht vollstreckt wurden) und zahlreiche hohe Haftstrafen verhängt.
-> warum haben die Preußen die Polen befreit?
Der polnische Unabhängigkeitskampf erhielt seit 1830 viel Unterstützung aus dem liberalen Bürgertum, vor allem in den sog. Polenvereinen, die der humanitären Unterstützung polnischer Flüchtlinge dienten aber auch ein Kristallisationspunkt für liberale Bestrebungen waren. Zu den Forderungen des Hambacher Festes (1832) gehörte u.a. Polens Freiheit. Am 20.03.1848 wurden auf Druck der Bevölkerung die Verurteilten des Polenprozesses – die als Kämpfer gegen den preußischen Absolutismus verstanden wurden und große Sympathie bei den Berliner Revolutionären genossen - freigelassen und amnestiert. In unmittelbarer Folge (noch am gleichen oder nächsten Tag) wurde in Posen ein polnisches Nationalkomitee gebildet, woraus sich rapide der Großpolnische Aufstand von 1848 entwickelte.
„Die Berliner haben die Polen mit ihrem Blute befreit und sie dann eigenhändig im Triumph durch die Stadt gezogen; zum Dank dafür standen die Befreiten bald darauf an der Spitze von Banden, welche die deutschen Einwohner einer preußischen Provinz mit Plünderung und Mord, […] heimsuchten.“
-> was soll das von den Polen? Ist das ein Rachezug, weil Preußen unteranderem durch die polnischen Teilungen polnische Bezirke bekommen haben?
Nein. Mal abgesehen davon, dass das weitgehend Greuelpropaganda ist - auch in Posen kam es zunächst zu Solidaritätsbekundungen aus der deutschsprachigen Bevölkerung. Ein dezidiert polnischer Nationalismus und die Vorbereitung der Ausweitung des Aufstands auf die russisch-polnischen Gebiete (Kriegsgefahr) sorgte für Abkühlung. Man hatte von Seiten vieler Deutscher wohl damit gerechnet, Posen würde zwar von Preußen unabhängig, aber auch Mitglied des Deutschen Bund werden (so kam es dann auch, bis zur Olmützer Punktation). Der Bruch wurde nach dem 6.April (Ablehnung der Integration Posens in den Deutschen Bund durch die Ständeversammlung des Großherzogtums Posen) unvermeidlich und als das polnische Nationalkomitee die Aufnahme von Deutschen (und Juden) ablehnte, wurde zur Wahrnehmung eigener Interessen ein deutsches Nationalkomitee in Posen gebildet.
„Eine nationale Entwicklung des polnischen Elements in Polen kann kein anderes vernünftiges Ziel haben, als das, einer Herstelleung eines unabhängigen polnischen Reichs zur Vorbereitung zu dienen. Man kann Polen in seinen Grenzen von 1772 herstellen wollen, ihm ganz Posen, Westpreußen und Ermeland wiedergeben; dann würden Preußens beste Sehnen durchschnitten und Millionen Deutscher der polnischen Willkür überantwortet sein, um einen unsicheren Verbündeten zu gewinnen, der lüstern auf jede Verlegenheit Deutschlands wartet, um Ostpreußen, polnisch Schlesien, die polnischen Bezirke von Pommern für sich zu gewinnen.“
-> was meint Bismarck mit „unsicheren Verbündeten, der lüstern auf jede Verlegenheit Deutschlands wartet“?
Die (am 20. April noch vorhandenen) deutschen Befürworter eines unabhängigen polnischen Nationalstaates argumentierten u.a. damit, ein durch territoriale Zugeständnisse gewonnener verbündeter polnischer Nationalstaat wäre ein strategisch vorteilhafter Puffer gegen Russland. Bismarck sagte voraus, ein solches Polen werde sich nicht mit Posen, Westpreußen und Ermland zufriedengeben, sondern jede Gelegenheit nutzen, um weitere territoriale Erweiterungen auf Kosten Preußens zu erzwingen.
„Ich halte dafür unsere jetzige Politik in Bezug auf Posen, auch wenn man jeden einzelnen Deutschen daselbst dem Deutschen Bund vorbehält, auch wenn man nur den kleinsten Teil des polnisch redenden Anteils dem übrigen Staat durch Sondereinrichtungen entfremdet, für die bedauerlichen Donquixoterie, die je ein Staat zu seinem und seiner Angehörigen Verderben begangen hat. Die Regierung hat mit Ordnung dieser Angelegenheit einen mehr polnisch als deutsch gesinnten Mann beauftragt, dessen Benehmen die Armee mit Entrüstung, das Land mit Misstrauen erfüllt und dessen bei der günstigsten Annahme schwach zu nennendes Verfahren den Missgriffen in dieser Angelegenheit die Krone aufsetzt und sie sanktioniert. Die letzte pomphafte Erklärung dieses Kommissars, in der er sich rühmt, durch seine Bemühungen diese Frage friedlich gelöst zu haben, erscheint in den Blättern gleichzeitig mit dem Hilferuf von Behörden und Privatleuten, die fortdauernd von Totschlag und Plünderung der Deutschen und von bewaffneten Konflikten mit dem Mitlitär zeugen. Wird das verantworliche Ministerium des Königs der Nationalversammlung gegenüber die Verantwortung für alles das übernehmen, was Herr von Willisen in Posen getan und unterlassen hat, und für die ganz bis jetzt verfolgte Richtung unserer polnischen Politik? Dann wäre es wichtig, sich darüber aufzuklären, ob in Preußen noch dieselben Rechtsgrundsätze gültig sind, welche in dem Polenprozess des vorigen Jahres gegen die Angeklagten zur Anwenung kamen.“
-:> versteh ich irgendwie alles nicht /: die Sätze sind so komisch, aber auch inhaltlich …
Bismarck plädiert für eine kompromisslose Niederschlagung des Aufstandes / der nationalen Erhebung und greift den preußischen Befehlshaber General Wilhelm von Willisen wegen dessen nachgiebiger Haltung an – vor allem wendet er sich gegen den Plan einer Teilung Posens in einen deutschen (dann dem Deutschen Bund zugeschlagenen) und einen polnischen Teil. Diesem Plan hatte König Freidrich Wilhel IV. ca. eine Woche vor der Rede (am 14. April) zugestimmt.
Die Verweise auf Hilferufe, die „fortdauernd von Totschlag und Plünderung der Deutschen […] zeugen“, sind natürlich vor allem propagandistische Stimmungsmache. Die ganze Rede ist nur Augenwischerei – die Entscheidung war bereits getroffen und die militärische Auseinandersetzung hatte schon am Vortag der Rede, dem 19. April, begonnen. Am 9. Mai kapitulierten die Truppen Ludwik Mierosławskis und der Aufstand war – bis auf vereinzelte Scharmützel – beendet. Mierosławski wurde auf Intervention Frankreichs nach dort abgeschoben und begann eine Karriere als internationaler Berufsrevolutionär – u.a. kämpfte er im Juni 1849 als Oberbefehlshaber der badischen Revolutionsarmee wieder gegen die Preußen.
Freundliche Grüße,
Ralf