Protest vs. Glaubwürdigkeit!?

Hi,

ich habe mich heute mal gefragt, was so ein Durchschnitts-Traktor für einen Kraftstoffverbrauch hat. Die Dinger sind ja schon relativ schwer im Vergleich zu einem Golf TDI den mann -wenn man denn so will- mit 5L/100km fahren könnte.

Anlass für die Überlegung war die heutige Nachricht, dass unzählige Landwirte sich mit ihren Maschinen auf den Weg nach Belgien gemacht haben um gegen die zu hohen Milchpreise zu demonstrieren.

Als Student, weiß ich wie wichtig demonstrieren sein kann. Das Bildungssystem wird an den Unis jedes Semester auf’s neue kaputt-reformiert und ich ärgere mich dann oft, wie viele Studenten nicht für ihr recht auf die Straße gehen, weil sie die Studiengebühren zum Beispiel nicht interessieren, Papa zahlt schon.

Bei den Landwirten ärgert mich das ganze Demonstriere aber zunehmend. Wenn ich mich recht erinnere wurde vor gerade mal einem Monat der Willen der Landwirte durchgesetzt, den „teuren“ Agrardiesel wieder zu Subventionieren (durch neue Schulden!), zu dem Zeitpunkt, fand ich’s eher lustig, dass die trotz ihres Anliegens die großen Maschinen nicht in der Scheune stehen lassen konnten.Mit einem verwunderten Kopfschütteln war die Sache für mich erledigt. Jetzt verschleudern die den subventionierten Spritt, da Sie scheinbar wieder am Rande ihrer Existenz stehen.

Finde nur ich das merkwürdig? Ich meine, ein Hungerndes Volk, wird doch mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Hungerstreik antreten!? Greenpeace wird nicht anfangen Waale zu schlachten und Amnesty International wird nicht foltern oder hinrichten um auf ihre Belange aufmerksam zu machen.

Mich macht das irgendwie sauer, es gibt heutzutage immer mehr Menschen die am Rande der Existenz stehen, bei denen die Zehenspitzen schon über den Rand hinausschauen, und um diese Menschen überhaupt erkennen zu können bräuchten manch jammernder Landwirt ein ordentliches Fernglas.

Vielleicht kann mir das ganze hier ja jemand erklären, möglicherweise fehlt mir das nötige Hintergrundwissen, genau deswegen frag ich hier nach.

Dieses Board hab ich gewählt da es ja im großen und ganzen um Agrarpolitik geht, hoffe die Moderatoren sind nich sauer, wenn’s nicht so ganz rein passt.

MfG, Flo.

Hallo Flo,

das Thema ist ein bisschen komplexer als es aussieht.
Da müsste man einiges Bedenken.

Zum einen muss man wissen dass der Milchmarkt ein Markt ist bei dem das Angebot größer ist als die Nachfrage, das heißt die Nachfrage diktieren die Preise.

Jetzt könnte man sagen es gibt zuviel Angebot, das muss dann gesund schrumpfen und das ganze passt sich ganz einfach an.

Das allerdings ist ein Problem, denn zum einen konkurrieren Deutsche Milchbauern mit allen anderen Milchbauern. Wenn die Deutsche Landwirtschaft kaputt geht stellt sich die Frage wer betreut denn dann die Wiesen, will heißen wer betreibt Landschaftspflege, und was kostet das?

Unterm Strich ist es unter Umständen sinnvoll Agrarsubventionen zu zahlen da es die billigste Gesamtlösung sein kann.

Das Problem an der ganzen Thematik für Leute die nicht direkt drin sind ist das abschätzen, genaue Zahlen, Kostenanalysen etc. gibts leider nicht…

Medienwirksamkeit
Moin moin,

viele Traktoren auf den Straßen haben den Effekt eines Bummelstreiks. Jeder Arbeitnehmer, der streikt, bekommt Streikgeld, aber eben nicht so viel, als ob er arbeiten würde. Bei den Bauern ist es ähnlich. Die Aussenwirkung, mit den Traktoren medienwirksam auftreten zu können (die Zuordnung Trecker=Bauer fällt sogar jedem Stadtkind leicht) ist dabei höher einzuschätzen als die zusätzlichen Dieselliter. Übrigens sind die Subventionen für Diesel keine Subventionen sondern einfach nur Steuererleichterungen, das heisst, der Staat gibt nichts, sondern nimmt nur weniger ein. Und da Traktoren üblicherweise auf eigenem Grund und Boden laufen, könnte man sie auch wie eine Heizung betrachten, aber wie Heizöl wird Agrardiesel nun leider nicht besteuert.

Alles nicht so ganz einfach.

Gruß

ALex

Die Aussenwirkung, mit den
Traktoren medienwirksam auftreten zu können (die Zuordnung
Trecker=Bauer fällt sogar jedem Stadtkind leicht) ist dabei
höher einzuschätzen als die zusätzlichen Dieselliter.

Genau, das ist mir auch eingefallen aber eher mit dem Gedanken „Negativwerbung ist auch Werbung“. Ich meine, wenn man in der Vergangenheit täglich einmal die Tagesschau gekuckt hat, kann man glaub ich behaupten, dass Bauern so oder so medienwirksam sind. Ich denke sogar es würde noch mehr aufsehen erregen, würden sich alle Landwirte auf ihren Drahtesel schwingen und damit ihre runden durch die Stadt drehen. Hat man hundert Radfahrer zusammen, ist es kein Problem mehr den Fluß der bestbefahrene Straße der Stadt etwas auf Eis zu legen. Und die -meiner Meinung nach- Heucheleu, bzw. der Widerspruch „Diesel zu teuer - Diesel verschwenden“ wäre ausgeblieben.

Und mit der Definition von Wiki (ja ich weiss, zählt nicht als verlässliche Quelle) ist der Steuervorteil nichts anderes als eine Subvention („Subventionene […] sind materielle Vorteile ohne unmittelbare Gegenleistung, die von einem Staat an Unternehmen oder andere Staaten geleistet werden“)

Moin,

… die -meiner Meinung nach- Heucheleu, bzw. der Widerspruch
„Diesel zu teuer - Diesel verschwenden“ wäre ausgeblieben.

Diesen Widerspruch sieht aber praktisch niemand bzw. er wird
durch die Aussenwirkung des in der Innenstadt ungewohnten
Traktors weitgehend überlagert.

Und mit der Definition von Wiki (…) ist der Steuervorteil
nichts anderes als eine Subvention

Das kann wohl keiner bestreiten.

Um die Lage zu verstehen, musst du nicht nur die verzweifelte
wirtschaftliche Lage vieler Bauern sehen, sondern auch die
spannungsgeladene Lage innerhalb des Bauernverbandes (und
damit den immensen Druck auf dessen Funktionäre) sehen.

Jahrzehntelang hat der Bauernverband in der Politik fast nur
die Interessen der Agrarindustrie wahrgenommen und Klein- und
Nebenerwerbsbauern bestenfalls als Folkloreelement betrachtet.
Jetzt ist diese schöne Ordnung in Gefahr und die Bauernfunk-
tionäre rufen, um der eigenen Macht willen, zu möglichst spek-
takulären Protesten auf. Als Vorbild dient da Frankreich mit
seinen Autobahnsperrungen und LKW-Plünderungen durch Bauern.

Das Grundproblem liegt ja nicht bei den Dieselsubventionen
sondern bei den extrem unterschiedlichen Produktionskosten
für Milch (zwischen 30 und 50 Cent pro Liter) innerhalb
Deutschlands. Dies führt, zusammen mit einem Überangebot,
zu Preisen, bei denen die einen Bauern reich und die anderen
Bauern pleite werden.

Viele Grüße

Jake

Dies führt, zusammen mit einem Überangebot,
zu Preisen, bei denen die einen Bauern reich und die anderen
Bauern pleite werden.

Und genau das macht mich nämlich auch stutzig. Erst mal nur zur Info, ich komm selber vom Land,vom tiefsten Land (und finde es auch gut da!), wohne jetzt nur unter der Woche an meinem Studienort.

Genau das kann ich auf jeden Fall in meinem Heimatort auch beobachten, es sind genau die Bauern, denen ohnehin schon das Geld aus den Taschen quillt, die sich Beschweren. Die kleinen sympathischen Bauernhöfe verschwinden zunehmend, da es selbst als nebentätigkeit nicht mehr haltbar ist.

Meine Vermutung ist halt, dass eben diese armen Bauern nicht auf die Idee kommen würden, ihre großen Maschinen anzuschmeißen um sich auf den doch relativ weiten Weg nach Belgien zu machen.

Sollte die Situation wirklich so sein, wäre ein solcher Protest der „Bauern-Oberschicht“ doch eigentlich eine Schweinerei, gerade in der heutigen Situation (man beachte den Konjunktiv)!?

Hallo,
der ganze Ansatz deiner Kritik ist ziemlich seltsam.
Mit dem Gleichen Recht könnte man ja fragen welcher Irrsinn es ist durch Lohnverzicht - während eines Streiks - für höhere Löhne zu streiken.
Da könnte ich auch sagen wenn der Lohn nicht reicht, dann löst doch die Streikkassen auf und zahlt daraus einen Zuschuss.

Protestieren kosten fast immer Geld und sei es indem man an dem Tag nicht arbeitet. Natürlich kann man sich über die effektvsten Protestformen streiten und dabei spielt sicher auch das Kostenargument eine Rolle, aber wohl kaum in der Frage ob da ausgerechnet Diesel verfahren werden darf.

Gruß
Werner

Dies führt, zusammen mit einem Überangebot,
zu Preisen, bei denen die einen Bauern reich und die anderen
Bauern pleite werden.

Und genau das macht mich nämlich auch stutzig. Erst mal nur
zur Info, ich komm selber vom Land,vom tiefsten Land (und
finde es auch gut da!), wohne jetzt nur unter der Woche an
meinem Studienort.

Vom Land heisst in diesem Fall vom Bauernhof? Ich stamme vom selbigen (der heute keiner mehr ist), glaube mir also auch ein Urteil bilden zu können.

Genau das kann ich auf jeden Fall in meinem Heimatort auch
beobachten, es sind genau die Bauern, denen ohnehin schon das
Geld aus den Taschen quillt, die sich Beschweren.

Naja, das mit dem Geld aus der Tasche quellen ist relativ, da Dir vermutlich die genauen Renditezahlen fehlen, und ein Daimler lässt sich auch leasen. Allerdings sind in der Tat die Zeiten von kleinen Nebenerwerbsbauern, wie mein Vater bis zu seiner Rente einer war, vorbei. Hier gilt aber das Prinzip wie bei den Tante Emma Läden. Diese wurden von Lebensmittelmärkten und später von Discountern abgelöst, weil nur noch über Masse bzw. Menge etwas zu verdienen ist.

Die kleinen
sympathischen Bauernhöfe verschwinden zunehmend, da es selbst
als nebentätigkeit nicht mehr haltbar ist.

Warum ist ein kleiner Bauernhof eigentlich sympathischer als ein großer?

Meine Vermutung ist halt, dass eben diese armen Bauern nicht
auf die Idee kommen würden, ihre großen Maschinen
anzuschmeißen um sich auf den doch relativ weiten Weg nach
Belgien zu machen.

Also ich weiss allein von zweien mit mehr als 100 ha Land und entsprechenden Viehbeständen, die sich auf dem Weg gemacht haben.

Sollte die Situation wirklich so sein, wäre ein solcher
Protest der „Bauern-Oberschicht“ doch eigentlich eine
Schweinerei, gerade in der heutigen Situation (man beachte den
Konjunktiv)!?

Ab wann zählt man denn bei Dir zur Oberschicht?

Aber keine Angst, durch die seit heute zugängliche Veröffentlichung der EU Subventionen werden sich die Bauern sowieso gegeseitig zerfleischen. Du kannst Dir ja mal die Dir bekannte Bauern-Oberschicht anschauen:

http://www.agrar-fischerei-zahlungen.de/Suche

In der Presse werden zwar nur die großen Unternehmen jetzt an den Pranger gestellt, aber jeder Bauer wird sich die anderen Bauern in seinem Dorf ansehen und denken „Warum er so viel und ich so wenig“.

Gruß

ALex