Proteste gegen den Krieg - was danach?

Die Frage wurde eben im Radio aufgeworfen. Die Jugendlichen seien gar nicht unpolitisch, engagieren sich stark gegen den Krieg. Aber was bleibt nach dem Krieg?

Ich denke, die große Ernüchterung:

Erstens haben die Proteste von Millionen keinerlei Einfluß auf die Kriegführenden, jedenfalls habe ich davon noch nichts gemerkt. Die wenigen Personen in entscheidenden Positionen sind so unendlich viel klüger als die ganzen Millionen, daß sie sich nicht darum kümmern - bestimmt sind sie ja auch Führer geworden, weil sie uns so unendlich überlegen sind.

Zweitens ist gerade durch den Krieg erkennbar, daß unsere westlichen Demokratien Scheingebilde sind. Wir haben in Deutschland nur Glück, daß unser derzeitiger Regierungschef so standhaft ist. Wenn die Bundestagswahl anders ausgegangen wäre, sähe es hier nicht viel anders aus als in Spanien oder England, Merkel und Koch sagen es ja ganz deutlich. Aznar z.B. ist bestimmt nicht gewählt worden, um den Irak zu überfallen. Aber wo ist in einer Demokratie die Notbremse, wenn ein gewählter Regierungschef plötzlich den Verstand verliert?

Also: Proteste ungehört, Demokratien sind gar keine - das muß doch geradezu zur Abwendung von der Politik führen.

Gruß
Hans

Hallo Hans,

Die Frage wurde eben im Radio aufgeworfen. Die Jugendlichen
seien gar nicht unpolitisch, engagieren sich stark gegen den
Krieg. Aber was bleibt nach dem Krieg?

Das bleibt danach:
Politisches Interesse ist bei den Kids geweckt worden. Positionen beziehen, sich engagieren, für eine Sache eintreten, lernen das Protest nicht alles ist, dass man nicht immer etwas ausrichten kann. Umgang mit Hilflosigkeit und Ohnmacht, Grenzen erfahren und jede Menge Erfahrungen in der Gemeinschaft für ein und das selbe Ziel zu kämpfen, Streiten, Schlichten, übereinkommen, hinterfragen…
Ja, was willst Du denn noch mehr. Ich finde es einfach klasse, was unsere „Schüler“ da im Moment machen. Hier lernt man mehr als in jedem Unterricht.

Ich denke, die große Ernüchterung:

Nein, s.o. Es wurde wichtiges fürs Leben gelernt. Nichts ist umsonst.

Erstens haben die Proteste von Millionen keinerlei Einfluß auf
die Kriegführenden, jedenfalls habe ich davon noch nichts
gemerkt.

Wenn Hunderttausende überall auf der Welt für etwas einstehen geht das nicht spurlos an den Regierenden vorbei. Es bleibt immer etwas! Im Übrigen denke ich nicht, dass es vorrangig wichtig ist Staatsmänner zur Umkehr zu bewegen, davon gehen wohl die wenigsten aus. Das sind zumindest die Stimmen, die ich so bei den Demos und Veranstaltungen höre. Mein Eindruck ist vielmehr, dass die Leute, auch die Schüler, etwas tun wollen gegen ihre eigene Hilflosigkeit, Ohnmacht. Mir gibt es ein Gefühl von Genugtuung, wenn ich Am. Produkte boykottiere, demonstriere. Ich sehe nicht „tatenlos“ zu. Es hilft mir persönlich damit klar zu kommen, meine Wut und Enttäuschung muss ja irgendwo hin??

Bin ich auf der Welt um zu sagen: Ich kann ja doch nichts ausrichten, also halte ich meine Klappe und leg mich aufs Sofa?

Die wenigen Personen in entscheidenden Positionen

sind so unendlich viel klüger als die ganzen Millionen, daß
sie sich nicht darum kümmern - bestimmt sind sie ja auch
Führer geworden, weil sie uns so unendlich überlegen sind.

Ich finde überhaupt nicht, dass sie uns überlegen sind. Sie wirken auf mich manchmal klein, lächerlich, dumm. Ein Politiker (und davon gab es ja zuletzt genug) den man der Steuerhinterziehung oder sonstiger Machenschaften überführt, wirkt wie ein Häufchen Elend, das in die Mikrofone stammelt.

Zweitens ist gerade durch den Krieg erkennbar, daß unsere
westlichen Demokratien Scheingebilde sind. Wir haben in
Deutschland nur Glück, daß unser derzeitiger Regierungschef so
standhaft ist. Wenn die Bundestagswahl anders ausgegangen
wäre, sähe es hier nicht viel anders aus als in Spanien oder
England, Merkel und Koch sagen es ja ganz deutlich. Aznar z.B.
ist bestimmt nicht gewählt worden, um den Irak zu überfallen.
Aber wo ist in einer Demokratie die Notbremse, wenn ein
gewählter Regierungschef plötzlich den Verstand verliert?

Solange Deutsche Politiker, egal wer, auch die der Regierungsparteien, passiv zusehen, stehen sie direkt neben Bush, Blair und Co. Sie sprechen von Völkerrechtsverletzung und sagen wir betreiben keine Juristerei.
Neben mir wird jemand umgebracht, aber ich zeige ihn nicht an.

Also: Proteste ungehört, Demokratien sind gar keine - das muß
doch geradezu zur Abwendung von der Politik führen.

oder zu noch mehr Engagement??

Gruß

Frank

Aber wo ist in einer Demokratie die Notbremse, wenn ein
gewählter Regierungschef plötzlich den Verstand verliert?

Diese Notbremse heißt bei uns Art. 20, Absatz 4 GG:
»Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.«
Sie ist für einen Fall wie 1933 vorgesehen, wenn die Regierung die im GG verankerte deokratische Grundordnung über den Haufen wirft.

Moin Hand,

kleine Geschichte am Rande:

„Sag mir, was wiegt eine Schneeflocke“ fragte die Tannenmeise die Wildtaube. „Nicht mehr als ein Nichts“, gab sie zur Antwort. „Dann muß ich Dir eine wunderbare Geschichte erzählen“, sagte die Meise. „Ich saß auf dem Ast einer Fichte, dicht am Stamm, als es zu schneien anfing; nicht etwa heftig im Sturmgebraus, nein, wie im Traum, lautlos und ohne Schwere. Da nichts Besseres zu tun war, zählte ich die Schneeflocken, die auf die Zweige und auf die Nadeln des Astes fielen und darauf hängenblieben. Genau dreimillionensiebenhunderteinundvierzigtausendneunhundertzweiundfünfzig waren es. Und als die dreimillionensiebenhunderteinundvierzigtausendneunhundertdreiundfünfzigste Flocke niederfiel, nicht mehr als ein Nichts, brach der Ast ab.“ Damit flog die Meise davon. Die Taube, seit Noahs Zeiten eine Spezialistin in dieser Frage, sagte zu sich nach kurzem Nachdenken: „Vielleicht fehlt nur eines einzelnen Menschen Stimme zum Frieden der Welt.“

ja, ich weiss, sehr sentimantal.
Aber selbst wenn der Ast nicht bricht, ist die Erfahrung, mal Schneeflocke gewesen zu sein, vielleicht ein Wert an sich.

Gruss
Marion

Diese Notbremse heißt bei uns Art. 20, Absatz 4 GG:
»Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen,
haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere
Abhilfe nicht möglich ist.«
Sie ist für einen Fall wie 1933 vorgesehen, wenn die Regierung
die im GG verankerte deokratische Grundordnung über den Haufen
wirft.

Wichtig an dem Satz ist v.a. eines: "wenn andere
Abhilfe nicht möglich ist.«

Also erst wenn alles andere - sprich v.a. die Justiz versagt.

Ich glaube nicht, dass das in einem der genannten Staaten der Fall ist.

Aufgrund der aktuellen Lage wäre das wohl eher ein Staatsstreich…

Gruß Ivo

…die große Ernüchterung:

Erstens haben die Proteste von Millionen keinerlei Einfluß auf
die Kriegführenden…

Hallo Hans,

die Kriegführenden haben die Einflüsse möglicherweise noch nicht realisiert. Tatsächlich aber - so hoffe ich wenigstens - werden die Karten der Machtverteilung neu gemischt. Zu vielen Menschen, darunter auch Staats- und Regierungschefs, ist deutlich geworden, wie die unkontrollierte Macht der USA mit dem Rest der Welt nach Belieben verfährt. Die USA haben sich traditionell u. a. Freiheit auf die Fahnen geschrieben. Wohl jeder hat begriffen, daß man in den USA darunter nur die eigene Freiheit versteht. So werden sich neue Machtblöcke bilden, vorbei an den USA und einer dieser Machtblöcke wird hoffentlich Europa heißen und wird seine Macht auch, aber hoffentlich nicht nur auf Militär stützen.

Gruß
Wolfgang

Die Frage wurde eben im Radio aufgeworfen. Die Jugendlichen
seien gar nicht unpolitisch, engagieren sich stark gegen den
Krieg. Aber was bleibt nach dem Krieg?

Am Rande: sich gegen den Krieg zu engagieren, bedeutet nicht gleichzeitig, politisch zu sein.

Ich denke, die große Ernüchterung:
Erstens haben die Proteste von Millionen keinerlei Einfluß auf
die Kriegführenden, jedenfalls habe ich davon noch nichts
gemerkt.

Glaube ich nicht. Die Demo in der niederrheinischen Provinz-Turnhalle mag nicht in die Staaten schwappen, die Masse an weltweiten Protesten aber bleibt auch den gerne mit Ignoranten gleichgesetzten Staatsführern nicht verborgen. Die Frage ist, was ein George W. Bush in diesem Moment tun soll - jegliche mögliche Rechtfertigung des Krieges mal außen vor gelassen: Bei 70 Prozent Unterstützung innerhalb seines Volkes und nur noch kurzer Zeit bis zu den Wahlen eine Rede an die Nation halten und sagen, er habe dem internationalen Druck nachgegeben? Der Wunsch danach ist verständlich, aber unrealistisch.

Die wenigen Personen in entscheidenden Positionen
sind so unendlich viel klüger als die ganzen Millionen, daß
sie sich nicht darum kümmern - bestimmt sind sie ja auch
Führer geworden, weil sie uns so unendlich überlegen sind.

Letztere Aussage stimmt tatsächlich in vielen Fällen - nur nicht in allen, wie eben jene Präsidentschaft und unsere Bundesregierung zeigt. Das alles reflektiert aber nur die Problematik eines gewählten Volksvertreters: man weiss nie, was man bekommt, wenn man sein Kreuzchen macht. Letzten Endes ist er der Entscheidungsträger, und wenn die Stimmung in seinem Lande nicht höchst deutlich umkippt, bekommt er die Quittung (wenn überhaupt) erst bei den nächsten Wahlen.

Zweitens ist gerade durch den Krieg erkennbar, daß unsere
westlichen Demokratien Scheingebilde sind. Wir haben in
Deutschland nur Glück, daß unser derzeitiger Regierungschef so
standhaft ist.

Und sich die Wählermeinung gegen den Krieg ausspricht.

Wenn die Bundestagswahl anders ausgegangen
wäre, sähe es hier nicht viel anders aus als in Spanien oder
England, Merkel und Koch sagen es ja ganz deutlich.
Aznar z.B.:ist bestimmt nicht gewählt worden, um den Irak zu überfallen.
Aber wo ist in einer Demokratie die Notbremse, wenn ein
gewählter Regierungschef plötzlich den Verstand verliert?

Das frage ich mich schon lange.

Also: Proteste ungehört, Demokratien sind gar keine - das muß
doch geradezu zur Abwendung von der Politik führen.

Eben nicht. Proteste stärken eine Gemeinschaft ungemein, gerade wenn sie sich gegen einen großen, starken Feind richten. Es geht doch an allen Orten Hoffnung durch die Medien: plötzlich engagieren sich DOCH wieder Leute aus dieser satten Gesellschaft, plötzlich gibt es wieder klare Meinungen. Das ist - unabhängig vom Ergebnis - sehr gesund für einen Staat, ganz gleich, welche Meinung er weltpolitisch vertritt.

Gruß
Hans

Gruss, Joachim

Hi

Ich denke, die große Ernüchterung:

ich auch

Erstens haben die Proteste von Millionen keinerlei Einfluß auf
die Kriegführenden, jedenfalls habe ich davon noch nichts
gemerkt.

Möglichkeit a)
Die Proteste haben Erfolg, die Allianz zieht sich zurück. Saddam Hussein hat den Krieg gewonnen und über den Irak werden neue Säuberungswellen Stalin’scher Qualität hereinbrechen.
Vermutlich würde man das aber im Westen gar nicht zur Kenntniss nehmen. …und das Kriegsende als Erfolg ansehen. Insofern wären vermutlich nur wenige (zu recht) ernüchtert.

Übrigens dürfte genau dieses Szenario der Grund sein, weshalb sich die Iraker nicht gegen ihren Diktator auflehnen werden. Sie wurden schon einmal verraten.

Möglichkeit b)
Die Proteste haben keinen Erfolg. Der Krieg wird siegreich beendet und der Irak versinkt im Chaos, weil sich Europa und die USA beide (!) nicht darauf einigen können, ihre Partikulärinteressen hinten an zu stellen. In sofern auch hier grosse Ernüchterung.

Im Rückblick wird man übrigens auch Europas Fehler anders bewerten. Europa hat genauso wie die USA seine eigenen Interessen vor das allgemeine Interesse gestellt und so einen Alleingang der USA erst ermöglicht. Ein Kampf zwischen Europa und den USA um die ökonomische Dominanz wird zur Zeit auf dem Rücken der Irakis ausgetragen (So wurde z.B. eine Lösung in der UNO von US und EU Seite verunmöglicht). Hier sollten wir uns als Europäer nicht moralisch überlegen fühlen.

2 cents
Rossi

kleiner Irrtum…
hallo Rossi,

Übrigens dürfte genau dieses Szenario der Grund sein, weshalb
sich die Iraker nicht gegen ihren Diktator auflehnen werden.
Sie wurden schon einmal verraten.

nein, nicht aus Angst. Das ist auch der Überlegungsfehler, den die Allierten z.Zt. machen. Ein Beispiel ist Deutschland im 2. Weltkrieg (und auch davor): 90 % der Deutschen hielten fest zu ihrem „Führer“ und wurden erst nach 1945 zu Gegnern und Widerstandskämpfern.

Grüße

Raimund

Hi

nein, nicht aus Angst. Das ist auch der Überlegungsfehler, den
die Allierten z.Zt. machen. Ein Beispiel ist Deutschland im 2.
Weltkrieg (und auch davor): 90 % der Deutschen hielten fest zu
ihrem „Führer“ und wurden erst nach 1945 zu Gegnern und
Widerstandskämpfern.

Du hast da schon recht. Im Irak gibt es aber mehrere Volksgruppen. Für viele dürfte das zutreffen, was du gesagt hast. Nur sind eigentlich die Schiiten wohl wirklich Feinde von S.H. und werden von ihm unterdrückt und gesäubert. Aber so wie sich die Aliierten 1991 verhalten haben kann man nur sagen: Wenn Du solche Freunde hast, brauchst Du keine Feinde mehr.
Insofern ist da auch wenig Freundschaft zu erwarten.

Ciao Rossi

Wichtig an dem Satz ist v.a. eines: "wenn andere
Abhilfe nicht möglich ist.«

Also erst wenn alles andere - sprich v.a. die Justiz versagt.

Sonst wäre es auch kein Notbremse sondern nur eine Bremse.

Nur sind eigentlich die Schiiten wohl wirklich Feinde
von S.H. und werden von ihm unterdrückt und gesäubert.

Sie sind aber auch Feinde der USA. Wer weiß schon, wen sie momentan mehr hassen?

hallo RoS,
da hast du allerdings Recht!
Was mich wundert, ist, dass die Kurden gegen SH kämpfen und damit denen helfen, die sich schon mal vertragsbrüchig erwiesen haben und auch noch ihre Feinde, die Türken unterstützen. Und rate mal, was die Türken machen werden, wenn der Irakkrieg evtl. von den Agressoren gewonnen wird?
Grüße
Raimund

so wie es z.Zt. aussieht die Amis!
Denn 1. sind das Kreuzritter, den Islam ausrotten wollen (so töntßs von der Kanzel) und zweitens haben die auch mitbekommen, dass die amis 12 Zivilisten (Frauen und gaaaanz gefährliche Kinder) ermordet haben.
Da helfen sie lieber Saddam
Grüße
Raimund

Moin Frank,

Hans’ Frage war ja sehr weit gefasst. Du beschränkst sie auf Deutschland.

In England und Spanien kann dies sicherlich zu Verdrossenheit führen. Allerdings wird es in Spanien wohl zur Abwahl Aznars führen. In GBR ist es schwieriger, aber nach Kriegsausbruch sind die meisten Briten ja auch für den Krieg (man kann nicht gegen die eigenen Soldaten sein). Da liegt es dann auch am Volk.

In Deutschland wird es wohl zu keiner Verdrossenheit führen (auch nicht Frankreich). Wir konnten den Krieg nicht verhindern, aber wir konnten verhindern, dass sich Frankreich und Deutschland am Krieg beteiligen. Mehr konnten wir nicht erhoffen.

Ciao

Ralf