Hallo Miriam,
habe ich das richtige brett erwischt?
Weiß ich nicht, ich schaue hier z.B. nur sporadisch herein. Egal.
Wenn man die Erwartungen und Anforderungen des Prüfers erfüllt, ergibt das nach landläufigen Kriterien eine gute Bewertung.
Will man eine sehr gute erreichen, muss man den Prüfer mit unerwarteten Gedanken oder Kenntnissen überraschen.
Folgende Anregungen hierzu:
Zunächst würde ich, Hannes’ Anregung folgend, die einzelnen Merkmale jeweils an einer besonderen Kurzgeschichte erläutern, um die Breite deiner Kenntnis zu zeigen.
Außerdem: Die Aufgabestellung und Ausführung auch kritisch erörtern und kommentieren:
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Bei der Darlegung der Merkmale der Kurzgeschichte handelt es sich um Gattungspoetik, die ist jedenfalls seit dem 18. Jhd. nicht normativ, sondern deskriptiv. Will für unser Beispiel sagen: Kurzgeschichten folgen nicht sklavisch einem Schema, sondern sind (literarische) Kunstwerke und als solche jeweils nach Form und Inhalt original. Die Gattungs-Merkmale sind also nur sehr allgemeine Zusammenfassungen und treffen auf die einzelne Geschichte immer nur mehr oder weniger zu.
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Die Besonderheiten der Gattung lassen sich am besten antithetisch verdeutlichen, durch den Vergleich mit einer anderen Gattung.
Hier bietet sich vorzüglich die Novelle an.
Nimmt man z.B. die Novelle „Michael Kohlhaas“ von Kleist, so folgt sie im Aufbau einem klassischen Drama:
- Exposition: Beantwortung der fünf „W-Fragen“: Wer tut was (bzw. was geschieht mit wem) wann, wo, warum?
- Steigende Handlung: Dem Kohlhaas widerfährt Unrecht, seine Frau findet den Tod, er übernimmt „das Geschäft der Rache.“
- Peripetie: Wiederaufnahme des Verfahrens, Kohlhaas’ Verhaftung.
- Fallende Handlung: Das Hin- und Her und die Kompetenzrangeleien um das Verfahren, Genugtuung und Verurteilung.
- Katastrophe und Schluss: Kohlhaas wird hingerichtet, seine Söhne werden geadelt.
Das ist im Prinzip die Struktur einer Geschichte, bei der vermeldet wird, was sich auf einer Zeitachse zwischen einem Anfang und einem Schluss ereignet. Damit hat die Kurzgeschichte wenig Gemeinsamkeiten.
Legt man dieses strukturale Prinzip zugrunde, ist der Begriff „Kurzgeschichte“ eigentlich irreführend, richtiger wäre es, von einer Teilgeschichte oder einem Geschichten-Ausschnitt zu sprechen.
Ebenso irrig und paradox ist eigentlich die gängige Charakterisierung: „offener Schluss“. Ein Schluss ist dadurch gekennzeichnet, dass er geschlossen ist. Die Kurzgeschichte hat insofern in der Regel überhaupt keinen Schluss, sondern endet abrupt, „und alle Fragen bleiben offen.“
Die Aufzählung von stilistischen Merkmalen hat nur dann einen Erklärungwert, wenn sie funktional sind für die Erzählung im dialogischen Gefüge Autor-Text-Leser. Man kann hier - mit den gebotenen Einschränkungen - auch wieder im Gegensatz zur Novelle sagen: Durch den narrativen Stil und die in der Regel hypotaktische Syntax der Novelle stellt der Autor die logischen und Sinn-Verknüpfungen der Geschichte her, macht, wie die Strukturalisten sagen, aus dem „Geschehen“ eine „Geschichte“. Durch die parataktische Aneinanderreihung von knappen Sätzen, zumal, wenn sie nicht durch Konjunktionen verbunden sind (exemplarisch hierfür etwa: Borchert, Das Brot), liefert der Autor eher nur das Geschehen, den Sinnzusammenhang der Geschichte herzustellen bleibt dem Leser überantwortet.
In diesem Zusammenhang könnte die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit (z.B. bei Lämmert) und der strukturalistischen Zeitachse mit Geschichte und Subgeschichten erhellend sein.
Oder du machst dir mal die Mühe des kreativen Schreibens und machst aus einer Novelle eine Kurzgeschichte und aus einer Kurzgeschichte eine Novelle. Mit den Einsichten, die du dabei gewinnst, kannst du gut und gerne eine Klausur füllen. Ein jedes Geschehen lässt sich eben mehr oder weniger episch breit, durch erläuternde und parallele Subgeschichten, oder knapp erzählen.
Die knappste Kurzgeschichte, die ich kenne und bei der der Sinn nur durch die Vorstellungskraft des Lesers erschlossen wird, ist folgende:
Mr. Smith zündete Streichholz an, um nachzusehen, ob noch Benzin im Tank sei. Benzin war vorhanden. Alter: 56 Jahre.
Ich hoffe, dass ich nicht gelangweilt habe, sondern die eine oder andere Anregung geben konnte. Das weiß man hier bei solch offenen Fragen ja nie.
Grüße
oranier