Feuer und Zeit, Leben und Tod
Hi,
Wie kommt es überhaupt, dass auch in moderner Zeit so ein Feuer-Kult noch Anhänger hat?
Wie es zu dem von dir hinterfragten Olympia-Ritual des XX. Jhdts kam, ist ja inzwischen zur Genüge expliziert worden. Daß es nur rudimentär mit den Olympia-Feuerläufen der Antike konform geht, wurde ebenfalls schon geklärt.
Es wäre dann noch etwas zu deiner hier zitierten Frage zu sagen. Um sie zu beantworten wäre ein tiefer Griff in die Kiste der religionswissenschaftlichen Kultgeschichte nötig, der aber wohl kaum von großém Interesse in diesem Brett sein dürfte. Daher hier nur ein paar Andeutungen.
Daß es sich bei der Affinität zu Feuerkulten insbesondere der mit dem indogermanischen Sprachraum assoziierten Kulturen um Unfug handelt, ist ein der Unkenntnis der Kultgeschichte zuzuschreibender Intellektualismus. Feuerrituale ganz allgemein gehören zu den elementarsten und ältesten Grundstrukturen kultischer Phänomene, von denen auch die abendländische Gegenwart noch überaus zahlreiche Elemente enthält. Man kann sie durchaus zu den rituellen anthropologischen Konstanten zählen.
Wer sich dafür interessiert, möge zur ersten Einführung den Klassiker dieser Studien zur Hand nehmen:
Mircea Eliade: Das Okkulte und die moderne Welt. Zeitströmungen in der Sicht der Religionsgeschichte
ISBN 3701305625 Buch anschauen
Diverse Ausgaben, aber nur noch antiquarisch zu haben. In manchen Ausgaben war auch die Aufsatzsammlung „Der magische Flug“ enthalten. Daraus ist empfehlenswert zum Thema:
„Die Suche nach den Ursprüngen der Religion“
Besonders in den o.g. Kulturen hat sich das Thema „Feuer“ ritualisch niedergeschlagen. In Ihnen haben dabei die hauptsächlichen Assoziationen zum Feuer immer etwas mit dem Zeiterleben zu tun. Im Kontext von zyklischen, aber auch von linearen Kosmologien und Lebensanschauungen steht Feuer immer an der Nahtstelle zwischen dem Ende eines Zeitalters oder eines individuellen Lebens und dem Beginn einer neuen Zeit, eines neuen Lebens.
Die Idee dabei ist, daß der Tod bzw. der Untergang in eine Wiederauferstehung, eine Erneuerung umgestaltet werden muß. Für diese Umgestaltung ist eine Katharsis (eine „Reinigung“, in Varianten auch: eine „Verklärung“) notwendig. Und dafür ist das Feuer zuständig: Das Feuer ist sowohl Vernichtung, als auch Katharsis und damit Ursprung des erneuerten Lebens oder des neuen Zeitalters (→ „Aion“).
Beispiel: Im vedischen Kult des Gottes Agni (agni = Feuer, siehe lat. ignis) wurde zum Ende des alten Jahres ein Altar aus 365 Lehmblöcken aufgebaut, und darauf ein Feuer angezündet. Beim Umlauf der Priester um diesen Altar wurde u.a. der Satz gesprochen „Agni, du bist die Zeit“ und weitere Texte, die die Bitte enthielten, Agni solle das Ende des alten Jahres in den Anfang des neuen Jahres umwandeln. So also, daß das Feuer zugleich den Beginn der neuen Zeit aktualisierte.
Feuer ist also das Medium (= Ver_mittler_), das die Kontinuität der Zeit oder besser die infinite Fortsetzung der Zeit garantiert.
Der ambivalente Charakter des Feuers zwischen den Momenten 1. der Zerstörung, 2. der Erneuerung bleiben dabei aber immer erhalten: Der Neubeginn ist nicht möglich ohne den Tod des Bestehenden, denn zur Erneuerung gehört die Katharsis. Und Feuer ist eben dasjenige, das diese Reinigung bewirkt.
Daher sind (zumindest im o.g. Kulturraum) an allen 4 astronomischen Jahres-Eckpunkten (2 Äquinoktien, 2 Solstitien) Feuerrituale zu finden.
Und wo immer Feuer eine rituelle Rolle bekommt, da ist es sowohl Symbol für die Idee, als auch magischer Erzeuger der Wirklichkeit des Sieges über die Vergänglichkeit.
Die Ambivalenz des Feuers (mit der Katharsis als Übergangsmoment könnte man es Trivalenz nennen) zeigt sich dann auch in der sehr frühen altpersischen Awesta-Religion. Auch hier hat Feuer eine eschatologische Wertigkeit, sogar die Stellung eines Ahura, eines quasigöttlichen Wesens, das aber dem Ahura Mazda untergeordnet ist. Bezeugt ist das z.B. in den Gathas des Zarathushtra (Yasna 51.9): Den Toten erwartet ein Feuersee aus flüssigem Metall. Der, der sich für die „Wahrheit“ (Asha) entschieden hat, erlebt dieses Feuer als Wohltat, wer sich dagegen für den „Trug“ (Drug) entschieden hat, erlebt es als Qual.
Und vieles deutet daraufhin, daß sich genau von diesem zarathushtrischen Ahura-Mazda-Kult aus in Europa auch Feuerläufe und Feuerumläufe mit Fackeln tradiert haben, zumindest latent vorhandene Fackeltraditionen verstärkt haben.
Auch im griechischen Demeter-Persephone-Kult spielt die Fackel eine Rolle (als Leuchte im Totenreich: sie ermöglicht das Wiederfinden eines geliebten Toten).
In der Symbolhandlung, daß das einmal entzündete Feuer nicht mehr ausgehen darf/soll (die manchmal tatsächlich einem neurotischen Zwang sehr nahekommt) liegt eine sog. Symbol-Inversion vor: Die Flamme, die ja die Kontinuität der Zeit(en) erzeugen soll, und damit die Metamorphose des Todes in das erneuerte Leben, soll selbst zur Kontinuität genötigt werden. Das ist aber gar nicht nötig, denn erst aus der Verbrennung, aus der Asche, entsteht das neue Leben in der Sprache dieses Symbols.
Diese Übergangsfunktion des Feuers - Tod und Erneuerung - hat, wie sollte es anders sein, auch in der europäischen Dichtung mannigfaltig niedergeschlagen. Am bekanntesten dürfte Goethes „Selige Sehnsucht“ aus dem West-östlichen Diwan sein:
Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend’ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.
[…]
Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
Zu empfehlen zum Thema ist auch unbedingt das Kapitel „Feuer“ in
Norman O. Brown: Love’s Body
…
Gruß
Metapher
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