Psychologe nach Autounfall?

Guten Tag,

letzten Donnerstag hatten wir einen schlimmen Autounfall. Ein betrunkener Fahrer zog hierbei auf einer dreispurigen Autobahn ohne Blinken oder andere Anzeichen einfach auf unsere mittlere Spur (fuhren 140 km/h) mit einer viel zu langsamen Geschwindigkeit sodass unser Fahrer (ich war nur Mitfahrer) ins Schleudern kam, wir gegen die Leitplanke knallten und uns überschlugen (kamen auf dem Kopf zum stehen). Wie durch ein Wunder ist allen Insassen bis auf leichten Verletzungen nichts passiert und zum Glück ist uns keiner in den Wagen gefahren.

Mich plagen seitdem die Gedanken an diesen Unfall sehr. Ich zitter noch immer sehr stark, denke sehr oft daran und rede auch mit vielen über dieses Erlebnis (man sagte mir das soll viel helfen). Ich fahre auch schon wieder Auto, jedoch plagt mich dieses ungute Gefühl jedes mal und meine Hände sind feucht/zittrig.

War vorgestern noch einmal bei meinem Hausarzt weil ich auch sehr schlecht seitdem schlafe, einschlafen ohne Beruhigungsmittel ist so gut wie nicht möglich und ich werde Nachts sehr oft wach.
Mein Hausarzt gab mir eine Überweisung für einen Psychologen mit, da ich hierbei aber keinerlei Erfahrungen habe und nie zu einem musste würde ich mich über Antworten sehr freuen. Vielleicht braucht es auch erstmal nur seine Zeit um alles zu verarbeiten sodass ein Besuch beim Psychologen vielleicht doch zuviel des Guten wäre?

Vielen Dank im Voraus für Antworten.

Hallo Christine,

erst einmal möchte ich sagen, dass es mir sehr leid für dich tut, dass du das erleben musstest. Ich freue mich jedoch auch, dass du ohne körperliche Schäden davongekommen bist. Seelisch sieht die Sache offenbar anders aus.
Du leidest offenbar unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die oft nach einschneidenden Erlebnissen auftritt. Bei dem Unfall hast du ein Trauma erlitten.
Ich rate dir dringend dazu, einen Psychologen aufzusuchen, denn es wird nicht „mit der Zeit besser“, sondern schlimmer. Wenn sich deine Ängste manifestieren, also sozusagen einbrennen, wird es mit der Zeit immer schwieriger, das Erlebte zu verarbeiten.
Nach solchen Erlebnissen sollte man so schnell wie möglich einen Psychologen aufsuchen, damit man alles gut verarbeiten kann (es gibt für große Unglücke sogar Notfallpsychologen, die sich noch am Unfallort um die Beteiligten und Helfer kümmern, damit keine Zeit verloren geht).
Da du bereits körperliche Symptome wie Zittern, Schwitzen etc. zeigst und unter Schlafstörungen leidest, solltest du wirklich nicht mehr lange warten und dir Hilfe suchen. Mit einem guten, einfühlsamen Psychologen kannst du das Erlebte mit der Zeit verarbeiten und wieder Vertrauen gewinnen.

Ich könnte mir vorstellen, dass du dir unterbewusst Vorwürfe machst, dass nicht du gefahren bist sondern jemand anders, und du denkst eventuell, dass du die Sache hättest verhindern können/müssen. Solche Gedanken sind völlig normal, bringen dich aber nicht weiter. Ein Psychologe hilft dir dabei, eine andere Sichtweise auf das Geschehene zu erlangen. Das geschieht in Gesprächen. Der Psychologe wird dir unter anderem erklären, warum du so reagierst wie du reagierst. Alleine das Wissen, warum und wie diese Reaktionen zustande kommen, wird dir schon helfen und dir mehr Sicherheit geben.

Ich wünsche dir alles Gute und möchte dir Mut machen, es wird wieder besser wenn du daran arbeitest. Nimm deine Seele ernst, sie zeigt dir deutlich (Schlafstörungen, Zittern, Schwitzen) dass sie Hilfe braucht!
Scheue dich nicht, Hilfe anzunehmen. Dafür sind Psychologen da.

Hallo,
ein traumatisches Ereignis muss verarbeitet werden und das kann sehr lange dauern. wenn dies nicht geschieht, kann sich irgendwann ein posttraumatisches Belastungssyndrom einstellen und das haben sie mitunter sehr viel länger.
Dieser Unfal ist mit Sicherheit ein wirkliches Trauma, stelle ich mir ganz schrecklich vor.
meine Empfehlung, unbedingt zum Psychologen, das tut einfach nur gut. Vieles wird sich dadurch lösen und Sie unterstützen. und keien Angst davor, es ranken sich viele Mythen um „zum Psychologen gehen“, aber es tut einfach nur gut. Am besten einen Traumatherapeuten oder Psychologen mit Erfahrung in Traumabehandlung.
Gefühle ernst nehmen, reden ja, wichtig. Aber der Psychologe hilft auch dabei, sowohl das eine zu verdauen als auch Wege zu finden, aus den „traumatisierten“ Anteilen wieder zurückzufinden in ein entspannteres Gefühl. wenn man nämlich „hängen“
bleibt, kann es sein, dass die ängstlichen Gefühlen immer wiederkehren auch an Stellen, wo man sie absolut nicht braucht.
Es tut mir sehr leid dass Ihnen so etwas schlimmes passiert ist. Leider ist das Leben MANCHMAL so, dass es uns unglaubliche Dinge zumutet. Ich spreche aus Erfahrung. Und weiß, irgendwann ist man damit durch, aber es braucht viel Zeit, Geduld und Liebe und Verstndnis für sich selbst. Alles Gute für Sie!

Liebe Christine

Ich empfehle Dir das Buch „Sprache ohne Worte“ von Peter Levine (zur Zeit in den TopTen von „Psychologie“). Und allenfalls Therapie mit Somatic Experiencing (SE). Aus SE-Sicht bin ich klar nicht der Meinung, dass viel erzählen viel hilft, sondern eher die Gefahr kontinuierlicher Retraumatisierung mit sich bringt.

Viel Erfolg und Gute Besserung!

Herzlich, Andre Jacomet