Rabbi weicht entsetzt zurück

Liebe Gemeinde,

nachdem sich das erste Erstaunen gesetzt hat, stelle ich mal folgende Frage in die Runde:

Meine Frau arbeitet in einem Chemieunternehmen, welches auch Produkte - u.a. für die Lebensmittelindustrie - u.a. nach USA verkauft. Um den Amerikanern den dort lebenden Juden geforderte Lebensmittel herstellen zu dürfen, kommt regelmäßig ein Rabbi in das Unternehmen meiner Frau und erteilt eine für den Export verlangte ‚Koscher-Bescheinigung‘.

Bei seinem letzten Besuch wurde er erstmalig meiner Frau vorgestellt, die ihm höflicherweise ihre Hand zur Begrüssung entgegen hielt. Doch der Rabbi wich entsetzt zurück und winkte mit seiner Hand ablehnend. Die ihm vorgestellten männlichen Kollegen meiner Frau wurden mit Handschlag begrüsst.

Was steckt dahinter?

Danke an die Antwortenden!

Ich weiß es nicht wirklich, was diesen Rabbi bewogen hat, die Berührung mit Ihrer Frau zu vermeiden. Es kann m.e. auch nicht verallgemeinert werden, weil andere Rabbis sich anders verhalten. Das Judentum ist voller eigenwilliger und eigensinniger Gruppierungen.

Ich kann nur vage folgendes vermuten:
Eine Frau gilt nach der Menstruation als rituell unrein. Sie hat dann nach jüdischem Ritualgesetz eine Mikve, also ein Ritualbad, aufzusuchen, um sich rituell zu reinigen. Erst nach diesem Tauchbad darf sie wieder am Gottesdienst teilnehmen, und der Ehemann darf erst nach dieser Reinigung mit ihr sexuell verkehren.

Da man bei unbekannten Frauen nicht sicher sein kann, ob diese sich rituell gereinigt haben oder bei Gojim (Nichtjuden) voraussetzen muss, dass sie kein Reingungsbad vollziehen, möchte vielleicht jener Rabbi auf Nummer sicher gehen und vermeidet den KOntakt, denn sonst würde er unrein und wäre nicht koscher für den Gottesdienst.

Freundliche Grüße
Tango

… weil er in Verlegenheit gebracht wurde
Hallo,

wenn ein Kaschrut-Zertifikat erteilt wird, dann handelt es sich um einen orthoxen Rabbiner.

Das Verhalten des Rabbis ist von seinen kulturellen Standards geprägt, und da gehört zu den Basics „Zniut“, was man mit dem etwas altertümlichen Begriff „Schicklichkeit“ übersetzen könnte.

Dazu gehört dann, dass ein jüdischer orthodoxer Mann nie allein mit einer anderen als seiner Ehefrau im Raum ist. Dazu gehören bestimmte Kleidungsstandards u.a.

Und dazu gehört auch, daß er andere erwachsene Frauen - außer seiner Ehefrau - nicht berührt, noch nicht mal per Handschlag. Es gibt einige, wenige orthodoxe Rabbiner, die davon in der nicht-jüdischen Öffentlickeit abweichen. Das hat dann damit zu tun, daß es auch ein Gebot ist, niemanden öffentlich zu beschämen, und eine Frau, der der Handschlag verweigert wird, sich beschämt fühlen könnte.

Mit Reinheitsgeboten - wie ein Posting unterstellt - hat dieses Verhalten nichts zu tun. Berührung oder nicht im Hinblick auf rituelle Reinheit hat nur mit der eigenen Ehefrau zu tun.

Wenn man als Frau - egal ob jüdisch oder nicht-jüdisch - mit orthodoxen jüdischen Männern zu tun hat, und man möchte deren Verhaltensstandards respektieren, dann empfiehlt es sich

  • bei einer Begrüssung abzuwarten, ob einem das männliche Gegenüber die Hand entgegenstreckt oder nicht
  • im koscheren Lebensmittelladen das Geld auf den Tresen zu legen und nicht in die Hand drücken zu wollen
  • wenn man bei einem gemeinsamen Essen mit orthodoxen Gästen eingeladen ist und um deren Verhaltensstandards nichts weiß, und man gebeten wird, das Salz beispielsweise zu reichen, dann gibt man es nicht in die Hand, sondern stellt es vor der Person ab, wenn sie anderen Geschlechts ist.

Versuche Deiner Frau zu vermitteln, daß dieses Verhalten nichts mit ihr persönlich zu tun hat, sondern mit einem bestimmten Verständnis von „Anstand“, das sich aus der Torah herleitet.

Viele Grüße

Iris