Hallo Pit!
Laut Feynman sind es nur ca. 10 Gesetze, mit denen man die ganze beobachtbare Welt beschreiben kann (Grundgleichung der Mechanik, Gravitationsgesetz, Coulomb-Gesetz, vier Maxwellsche Gleichungen, E = mc², Schrödinger-Gleichung, Energie-Erhaltungssatz, … jedenfalls kaum mehr).
Ein Großteil des physikalischen Ehrgeizes besteht nun darin, diese Gesetze an immer komplizierteren Beispielen zu erproben. Schaffen wir es, ein Problem (das wir auf die genannten Grundlagen zurückführen können) auch mathematisch zu beschreiben oder scheitern wir (wenn letzteres: woran)?
Ich will das mal als „geistiges Bergsteigen“ bezeichnen. Einem normalen Urlauber ist es völlig egal, ob man die Eiger-Nordwand durchsteigen kann oder nicht. Ein alpinistisch interessierter Urlauber schaut den Bergsteigern durch das Fernrohr mit Spannung zu, kann aber nicht nachvollziehen, warum jemand die Risiken und Strapazen einer Besteigung auf sich nimmt. Vielleicht denkt er sich: „Warum will jemand auf diesen Gipfel? So schön kann die Aussicht gar nicht sein. Und wenn schon: Von Süden her wäre der Aufstieg viel einfacher…“
Natürlich wünscht sich der Bergsteiger, oben zu sein. Aber noch viel mehr wünscht er sich insgeheim das Gefühl, es geschafft zu haben.
Nehmen wir mal die Aufgabe mit dem Baum. Ob die Kenntnis der Lösung einen Nutzen bringt, ist zweitrangig. Es handelt sich um ein lohnendes Problem und mehrere Mitglieder haben sich an der Lösung versucht. Diggi und ich gelangten auf unterschiedlichen Wegen zu einer bestimmten Schwierigkeit, die wir beide nicht bewältigen konnten (eine komplizierte Differenzialgleichung). Martin zeigte auf hervorragende Weise, worin diese Schwierigkeit besteht und wie man sie umgehen kann. Manni und smallbop posteten Standardlösungen für ein vereinfachtes Problem. Ähnlich wie Bergsteiger nach der perfekten Route suchen, suchten wir nach dem jeweils „schönsten“ Lösungsweg.
Bleibt noch die Frage, warum der Ursprungsposter eine solche Frage stellt. Nun, vermutlich hat er sich selbst daran versucht und die Zähne ausgebissen.
Ganz abgesehen von diesem rein sportlichen Interesse springt manchmal auch ein physikalischer Fortschritt dabei raus. Als Leonard Euler im 18. Jahrhundert die Bewegung von Spielzeugkreiseln mathematisch beschrieb, hat er sich wohl kaum träumen lassen, dass man das einmal brauchen wird, um ins Innere des lebenden menschlichen Körpers zu blicken (Bei der Kernspintomographie beobachtet man die Kreiselbewegung der Wasserstoffkerne im Körper).
Eigentlich hätte ich diesen letzten Abschnitt gar nicht schreiben sollen, denn das klingt schon wieder so, als gäbe es die Naturwissenschaften nur, um irgendwie nützlich zu sein. Nein! Die Naturwissenschaft beginnt immer damit, dass jemand Kind genug ist, um eine Frage zu stellen, die erwachsene Leute nicht stellen, weil sie sich an eine Scheinantwort schon zu sehr gewöhnt haben.
Newton fragte sich, warum ein Apfel zwar vom Baum fällt, der Mond aber nicht vom Himmel. Das wäre - wenn er sie hier im Forum gestellt hätte - bestimmt auch eine Frage, die Dich wundern würde.
Michael