Rathaus- Erklärung gesucht

Hallo,

gestern war ich bei einer Stadtführung und bei dieser wurde gesagt, daß Rathäuser vom Volk gebaut wurden um die Rechte des Volkes deutlich zu zeigen.
Aufgrund dessen auch oft gegenüber von Kirchen zu finden, die ja sehr viel Macht damals besassen- sozusagen durchaus provokativ so gebaut.

Hab nun mal gegoogelt und finde dazu aber keine Einträge.

Kann mir einer dazu mehr Infos geben?

danke kitty

Moin Kitty,

das ist sicher etwas verkürzt dargestellt.
Du musst die Besitz- und Machtverhältnisse in Rechnung stellen: Es gab bis ins 19. Jahrhundert hinein sehr altertümliche Machtkonstellationen.
Territorialherren, Grundherren, geistliche Herren, die teilweise alles zugleich waren.
Die Fürsten hatten in den Städten, die zu ihrem Territorium gehörten, natürlich ihre eigenen Beamten. Die Städte aber waren nicht völlig rechtlos oder allein dem Recht des Landesherrn unterworfen, sondern hatten ihre eigene Stadtverfassung.
Diese Stadtverfassung sah einen Rat der Stadt vor, eigene Verwaltung und - teiulweise - eigene Gerichtsbarkeit. Dies alles war im Rathaus angesiedelt.
Insofern also ist es richtig, dass das Rathaus das Volk repräsentierte gegenüber der Kirche, aber auch gegenüber dem Fürsten oder Territorialherrn.

Diese ganze Verfassungsgeschichte ist aber überaus kompliziert.

Gruß - Rolf

Hallo,

danke schonmal!

Was für mich interessant war, war die AUssage, daß das Rathaus durchaus aus Provokation gegenüber den Kirchen gebaut worden sei- um eben sich „sichtbar“ vor der anderen Macht darzustellen.
Daß das Volk so eine Macht besass wusste ich nicht!

Danke
kitty

Hallo!

Du solltest „Das Volk“ auch durch „die Bürger“ ersetzen. Heute werden die Begriffe synonym verwendet: Jeder Angehörige eines Volkes ist zugleich auch Staatsbürger. Im Zeitalter des Feudalismus waren die Bürger aber ein eigener Stand, der gegenüber dem Adel und dem Klerus eine gewisse Eigenständigkeit hatte, sich aber auch gegenüber den leibeigenen Bauern, den Tagelöhnern, den Knechten und Mägden usw. abhob. Bürger waren mehr oder weniger wohlhabende Händler, Handwerker und Beamte. Die Verfassung einer Stadt hatte auch wenig damit zu tun, was man heute unter Demokratie versteht. Wer in einer Stadt das Sagen hatte, wurde nicht durch den „Willen des Volkes“ bestimmt, sondern z. B. durch die Zünfte.

Deswegen waren Rathäuser schon Symbole, die den Stolz und den Reichtum der Bürger (also vor allem einer einflussreichen Oberschicht) darstellen sollten. Besonders auffällig ist das vielleicht in den Hansestädte. Ich war kürzlich in Stralsund. Dort sieht man das z. B. sehr schön.

Michael

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Hallo,

war die AUssage, daß das Rathaus
durchaus aus Provokation gegenüber den Kirchen gebaut worden
sei

Eine Bestätigung des herausfordernden Selbstbewußtseins der Bürger findet sich auf die Schnelle z.B. hier in diesem Wiki-Artikel.
Ich bin ziemlich sicher, dass sich bei genauer Recherche mehr in dieser Richtung ergibt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Historisches_Rathaus_M%…

Herzlichen Gruß, Maresa

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Als Illustration dazu kannst Du die Wiesenkirche in Soest betrachten, die nicht von der Kirche, sondern vom Rat der reichen Stadt Soest als Gegenstück - und Konkurrenz! zum Kölner Dom geplant und gebaut wurde.

Gruß - Rolf

Hallo, Rolf,

Als Illustration dazu kannst Du die Wiesenkirche in Soest
betrachten, die nicht von der Kirche, sondern vom Rat

weil mich das interessiert: bedeutet dein betontes "nicht von der Kirche gebaut", dass mein Münsteraner Beispiel einen (auf die UP-Frage bezogenen) Haken hatte, den ich übersehen habe? Oder bringst du nur ein Beispiel mehr?

Herzlichen Gruß, Maresa

Ich bringe nur ein weiteres Beispiel; im Übrigen ist das nicht in Münster, sondern in Soest, und das liegt 60 Kilometer südlich von Münster.

Gruß - Rolf

Hallo, Rolf,

Ich bringe nur ein weiteres Beispiel;

Das dachte ich mir:smile:

im Übrigen ist das nicht
in Münster, sondern in Soest, und das liegt 60 Kilometer
südlich von Münster.

Aber mein Beispiel war Münster - und mir ging es ja darum, zu erfahren, ob in diesem, meinem Beispiel was falsch war.
An deinem Beispiel - Soest - war ja sowieso nie ein Zweifel:smile:

Schönen Abend noch, Maresa

Das Haus ist gegenüber vom Rathaus gebaut worden. Damit wollten Patrizier ihre Macht zeigen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Wulflamhaus

Hallo, Scotty,

antwortest du jetzt mit oder der UP?
Falls mir, dann meine Frage:
was hat das Wulflamhaus in Stralsund mit dem Rathaus in Münster zu tun?

Zur Erinnerung: Kitty40 fragte, ob Rathäuser aus Opposition, bzw. aus dem großen Selbstbewußtsein der Bürger heraus gegenüber von Kirchen gebaut wurden.
Das war zumindest beim Münsteraner Rathaus der Fall.

Herzlichen Gruß, Maresa

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Das war die Antwort. Du mußt die Stadtgeschichte und seine Bewohner sehen. Dann gehts auch.

Hallo Kitty,

gestern war ich bei einer Stadtführung und bei dieser wurde
gesagt, daß Rathäuser vom Volk gebaut wurden um die Rechte des
Volkes deutlich zu zeigen.

das ist Unsinn. Zwar waren (und sind es heute noch) Rathäuser auch Repräsentativbauten, aber in erster Linie hatten sie eine sehr praktische Funktion - einen Versammlungsraum bereitzustellen sowie Räumlichkeiten für dauerhafte Einrichtungen - etwa Kanzlei, Archiv usw. Und Bauherr war nicht „das Volk“, nicht einmal die Bürgerschaft insgesamt (die ‚Meinheit‘) sondern lediglich die kleine Elite der Bürgerschaft, die politisch etwas zu sagen hatte. Also die Zünfte / Gilden / Gaffeln oder wie auch immer die Zusammenschlüsse der reichen Kaufleute und Handwerksmeister jeweils vor Ort hießen. „Das Volk“ hatte keine Rechte, die es hätte vorzeigen können.

Aufgrund dessen auch oft gegenüber von Kirchen zu finden, die
ja sehr viel Macht damals besassen- sozusagen durchaus
provokativ so gebaut.

Auch das ist Unsinn, jedenfalls in dieser Generalisierung. Allenfalls gilt dies für Städte, wo Bischöfe die Stadtherrschaft innehatten und damit ein Macht- und Interessenkonflikt zwischen Bischof (nicht Kirche) einerseits und Bürgerschaft andererseits vorlag. Dies wird insbesondere in der mittelalterlichen Stadtgeschichte der ‚großen‘ Metropolitansitze Köln, Trier und Mainz deutlich. Aber auch Städte zweiten Ranges wie etwa Worms oder Münster hatten vergleichbare Konflikte.

Es ist verständlich, dass in solchen Konkurrenzsituationen (Konkurrenz ganz konkret um die Stadtherrschaft) die Bürgerschaft mit ihren Repräsentativbauten (das musste nicht notwendig ein Rathaus sein, vgl. z.B. die Steipe in Trier) deutlich ihr Selbstbewusstsein und auch ihren Reichtum zum Ausdruck brachte. Häufig (wenn auch nicht immer, z.B. in Köln nicht) in unmittelbarer Nähe zur Domkirche.

Freundliche Grüße,
Ralf

Wie wär´s damit, daß die Rathäuser nach Möglichkeit im Zentrum einer Stadt errichtet wurden, wo sich beinahe immer auch bereits eine Kirche befand ?
Also weniger „in Opposition“, sondern aus „stadtbaulichen“ Gründen, da der „prominenteste“ Platz beinahe immer auch der „Platz der Hauptkirche“ war ?

Grüße
nicolai

„Rat“-haus ist die Fortsetzung von Thingstätte. Also Rat-stätte.

Gruß Robby

Hallo,

was vielleicht auch in diese schöne Beispielreihe hinein passt, ist das Alte Rathaus in Bamberg.

http://de.wikipedia.org/wiki/Altes_Rathaus_(Bamberg)

Da im Mittelalter die Herrschaft der Stadt Bamberg zwischen Kirche und Feudalherr aufgeteilt war, und keiner der beiden den Bürgern Land zum Bau eines Rathauses überlassen wollte, schütteten die Bürger von Bamberg eine Insel im Fluss Regnitz auf und bauten auf ihr das Rathaus.

Kitty, man muß nicht jeden Blödsinn glauben, der einem bei einer Führung erzählt wird.

Hallo Kitty,

als Provokation eher nicht, aber da Kirchen meist an zentralen Plätzen erbaut wurden lag es nahe das Rathaus sozusagen gleich *nebenan" anzusiedeln. Ein sehr schöner Bericht über die Geschichte der Rathäuser findet sich hier:
http://wernernolte.de/index.php?option=com_content&v…

Viele Grüße
Eve*