Rational - Emotional

Hallo

Ich hätte eine Frage zur Entstehung von Bezeichnungen für Verhalten.

Öfters begegnet man der Feststellung, Person X hätte sich z.B. ‚rational‘ oder als Gegenstück ‚emotional‘ verhalten. Nun frage ich mich, wie solche Bezeichnungen entstehen.

Aus meinem (einfachen) Verständnis heraus, ist JEDE Verhaltensweise rational und emotional gleichzeitig. Und zwar in dem Sinne, als dass die Verhaltensweise auf Erfahrungswerten der Vergangenheit beruht. Sind nun diese Erfahrungswerte für einen Dritten einfach nachvollziehbar, dann wird die Handlung als rational beschrieben. Ist der ganze Prozess jedoch komplexer, so tendiert man dazu, das Verhalten als emotional zu bewerten.

Ich denke, jedem von uns ist es schon passiert, dass wir das Verhalten von einer Person als „emotional“ abgetan haben. Bei besserem Verständnis der Situation aber gesehen haben, dass sich das Verhalten klar und rational aus der Vergangenheit der Person herleiten lässt. Und sich damit das ganze „Mysterium“ in vielleicht komplexe, aber schlussendlich verstehbare Ursache-Folge-Prozesse aufgelöst hat.

Kompliziert wird die ganze Sache natürlich, dass das Unterbewusstsein immer eine Rolle spielt und daher gewisse Dinge nicht einfach klar herausgelöst werden können.

Mir fällt immer wieder auf, dass Männer gewisse Verhaltensweisen von Frauen als „emotional“ bewerten, dabei sind diese Verhaltensweisen für Frauen sehr „rational“. Ohne jetzt eine Gender-Diskussion beginnen zu wollen (denn umgekehrt gibt es die Situationen genauso), frage ich mich, ob die wertende Person damit nicht einfach ausdrückt, dass sie nicht fähig ist, die Verhaltensweise zu verstehen, bzw dass sie ihr zu komplex ist?

Liebe Grüsse,
coco

Hi Coco,

alles was du schreibst, entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem verbreiteten Verständnis psychologischer Prozesse und Modelle.

Wenn man etwas tiefer schürft, dann ließe sich feststellen, dass es im Grund keine rationalen Entscheidungen gibt. Es gibt also keine Entscheidung, die ausschließlich unter Anwendung der Logik und ganz und gar ohne Emotionen getroffen werden könnte.
Das liegt daran, dass jede Entscheidung auf Werten (also gut oder schlecht) beruht, aber in der Logik gibt es kein gut und schlecht.
Einfaches Beispiel: Jemand bietet mir an, mir 10 € zu geben, wenn ich ihm 5 € gebe. Ich stimme zu. Jeder würde sagen, dass diese Entscheidung logisch und rational sei. Aber dabei wird vorausgesetzt, dass 10 € besser als 5 € sind. Und diese Bewertung ist emotional. Es mag Leute geben, deren Wertesystem wenig Geld bevorzugt, die also lieber weniger Geld haben wollen. Die hätten dem Tausch nicht zugestimmt und trotzdem im obigen Sinn rational gehandelt.

Im Buch „Descartes Irrtum“ zeigt der mittlerweile sehr bekannte Neurowissenschaftler Antonio Damasio, dass Menschen mit Hirnverletzungen, die eine bestimmte Region beschädigen, die für Gefühle zuständig ist, keine klugen Entscheidungen mehr treffen können, obwohl ihr Vermögen, rational zu denken, nicht beeinträchtigt ist. Das frappierendste Beispiel ist das eines Patienten, der nicht sagen kann, ob er nächsten Dienstag in die Sprechstunde kommen kann, weil er anfängt, eine endlos lange Wahrscheinlichkeitsberechnung anzustellen, die mögliche Verhinderungsgründe berücksichtigt. Jeder gesunde Mensch sagt intuitiv zu, wenn es keinen konkreten Grund dagegen gibt.

Also: Im Grunde ist jede Entscheidung emotional.

Ich würde sogar soweit gehen, dass jede größere Entscheidung im Unbewussten getroffen wird und dass unser Bewusstsein rationale Erklärungen dafür konstruiert. M.a.W. Rationalisierungen sind der Standardfall. Einfaches Beispiel: So, jetzt esse ich Currywurst mit Pommes. Wolltest du nicht abnehmen? Ja, aber doch nicht am Sonnabend Nachmittag.
Hier ist die Rationalisierung durchschaubar, aber genauso ist es auch bei den meisten anderen Sachen, bei denen es aber nicht auffällt.

Viele Grüße, Tychi

Hallo!

Das ist leicht. Wenn ich zum Zahnarzt gehe, ist das rational. Wenn nicht, emotional.

Grüße

Andreas

Moin, coco,

mir scheint, hier schlägt einfach der Sprachgebrauch zu und baut falsche Gegenpole auf - das Gegenteil von rational ist irrational, das Gegenteil von emotional gefühllos oder gefühlskalt.

Trennen lässt sich da eh nichts. Niemand entscheidet rational, auch wenn wir es gerne so hätten, und Gefühle beeinflussen uns viel mehr, als wir es zugeben - abgesehen davon, dass jede Entscheidung vernünftig sein kann, aber nicht muss, egal, wie sie begründet wird.

Meine Devise: Entscheide so, dass du hinterher zufrieden bist (nicht Du). Manchen Leuten hilft es, sich über die Gründe klar zu werden, andere kommen darüber nur ins Grübeln und finden kein Ende.

Gruß Ralf

hi drambeldier

dass du hinterher zufrieden bist(nicht Du).

super formuliert. danke für meinen ersten lacher heute !!

liebe grüsse,
coco

hi tychi,

sehr interessant, was du schreibst!

Einfaches Beispiel: Jemand bietet mir an, mir 10 € zu geben,
wenn ich ihm 5 € gebe. Ich stimme zu. Jeder würde sagen, dass
diese Entscheidung logisch und rational sei. Aber dabei wird
vorausgesetzt, dass 10 € besser als 5 € sind. Und diese
Bewertung ist emotional. Es mag Leute geben, deren Wertesystem
wenig Geld bevorzugt, die also lieber weniger Geld haben
wollen. Die hätten dem Tausch nicht zugestimmt und trotzdem im
obigen Sinn rational gehandelt.

man könnte also sagen, dass entscheidungen vom wertesystem eines menschen abhängen. und dieses wertesystem ist jeweils wieder von der sozialisation des einzelnen menschen abhängig. wenn nun ein mensch eine mir ähnliche sozialisation erfahren hat, dann empfinde ich dessen handlungen als rational.

Im Buch „Descartes Irrtum“ zeigt der mittlerweile sehr
bekannte Neurowissenschaftler Antonio Damasio, dass Menschen
mit Hirnverletzungen, die eine bestimmte Region beschädigen,
die für Gefühle zuständig ist, keine klugen Entscheidungen
mehr treffen können, obwohl ihr Vermögen, rational zu denken,
nicht beeinträchtigt ist. Das frappierendste Beispiel ist das
eines Patienten, der nicht sagen kann, ob er nächsten Dienstag
in die Sprechstunde kommen kann, weil er anfängt, eine endlos
lange Wahrscheinlichkeitsberechnung anzustellen, die mögliche
Verhinderungsgründe berücksichtigt. Jeder gesunde Mensch sagt
intuitiv zu, wenn es keinen konkreten Grund dagegen gibt.

also halten wir fest: wir brauchen emotionen, um rational handeln zu können. wäre es jetzt möglich, dass ein „zuviel“ an gewissen gefühlslagen eine irrationale handlung zur folge haben kann? dass rationalität (innerhalb eines wertesystems) also auf einer gesunden dosierung/handhabung der emotionen basiert?

Ich würde sogar soweit gehen, dass jede größere Entscheidung
im Unbewussten getroffen wird und dass unser Bewusstsein
rationale Erklärungen dafür konstruiert. M.a.W.
Rationalisierungen sind der Standardfall. Einfaches Beispiel:
So, jetzt esse ich Currywurst mit Pommes. Wolltest du nicht
abnehmen? Ja, aber doch nicht am Sonnabend Nachmittag.
Hier ist die Rationalisierung durchschaubar, aber genauso ist
es auch bei den meisten anderen Sachen, bei denen es aber
nicht auffällt.

sowas habe ich auch schon vielmals beobachtet. bei anderen leuten, aber auch an mir selber :smile:

danke für den input,
coco

Hi coco,

man könnte also sagen, dass entscheidungen vom wertesystem
eines menschen abhängen. und dieses wertesystem ist jeweils
wieder von der sozialisation des einzelnen menschen abhängig.
wenn nun ein mensch eine mir ähnliche sozialisation erfahren
hat, dann empfinde ich dessen handlungen als rational.

Dagegen ist nichts einzuwenden.

also halten wir fest: wir brauchen emotionen, um rational
handeln zu können. wäre es jetzt möglich, dass ein „zuviel“ an
gewissen gefühlslagen eine irrationale handlung zur folge
haben kann? dass rationalität (innerhalb eines wertesystems)
also auf einer gesunden dosierung/handhabung der emotionen
basiert?

Ja, das entspricht ja auch unseren Erfahrungen. Wenn einer „verrückt spielt“, dann tut er dies bestimmt nicht aus seinen rationalen Überlegungen heraus, sondern aus seinen Emotionen.

Viele Grüße, Tychi

Hallo coco,

vielleicht vorneweg: Für mich entsteht dieser Widerspruch aus der Beobachtung, dass Menschen bis zu einem gewissen Punkt kompromissfähig und für Argumente zugänglich bleiben (wird gerne als rationales Verhalten bezeichnet), ab einem gewissen Punkt aber zumachen, auf die Palme gehen, sich verweigern … (wird dann als emotional bezeichnet)

Konflikte haben natürlich in der Regel sowohl einen rationalen Teil (Streitpunkt auf der fachlichen Oberfläche), aber auch einen emotionalen Anteil (mangelnde Wertschätzung o.ä.). Dass der zweite Anteil der häufig dominante Anteil ist, wird gerne ignoriert und führt zu größten Problemen in der Konfliktbewältigung.
Bestes Beispiel sind Scheidungsverfahren, die eigentlich von vorn herein nicht funktionieren können. Prinzipiell geht es nur um einen häufig rein wirtschaftlichen Kompromiss (=Sachebene). Dass ein Krieg daraus wird, liegt an der viel dominanteren Ebene der Emotionalität. Verrat, Liebesentzug, Betrug … sind meist die eigentlichen Themen, die zunächst aufgearbeitet werden müssten, dann käme der Kompromiss auf der Sachebene von alleine.

Die Person, die als emotional wahrgenommen wird, ist meist schlicht diejenige, die auf der Gefühlsebene getroffen wurde. Häufig ist es ein Missverständnis, das dann als fehlende Wertschätzung o.ä. wahrgenommen wird. So kann es kommen, dass der eine sachlich völlig richtig argumentiert, aber vom anderen nur auf der emotionalen Ebene wahrgenommen wird. => rational emotional

Was aber auch klar ist. Viele Menschen sind so beherrscht, dass sie immer fachlich argumentieren, obwohl sie emotional getroffen sind. Diese Menschen werden dann lange als „rational“ wahrgenommen, obwohl sie die eigentlich „emotionalen“ im Konflikt sind. Daraus sind schon Kriege entstanden, immer schön rational begründet:wink:
Da sind mir die emotionalen lieber, die mir zeigen, dass ich sie verletzt habe. Und ich halte es ehrlich gesagt auch so, dass ich meine Gefühlslage durchaus sichtbar mache. Erscheint mir ehrlicher und für die Konfliktbeherrschung auch einfacher.

Grüße
Jürgen *emotionale Zicke und Liebling seines Chefs*

stark und schwach
hi,

ich habe beobachtet, dass „emotional“ oft synonym für „schwach“ oder „unkontrolliert“ verwendet wird. „rational“ dagegen als eratz für „kontrolliert“ und „stark“.

das wird in den medien und in der berufswelt meistens so verwendet, weil es entweder um´s geldverdienen geht oder aufgrund von schlecht qualifizierten schreibern zu wenig differenziert ausformuliert wird oder aufgrund einer kognitiv beschränkten zielgruppe einfache wörter verwendet werden (bild-zeitung).

z.b. ist ein fussball-trainer oder ein firmenchef oder ein poloitiker, wenn er als emotional betitelt wird, eigentlich wütend, verzweifelt, ohnmächtig, enttäuscht, überrascht,…es darf aber in der öffentlichkeit niemand so genannt werden, da das jemanden degradieren würde. menschen mit verantwortung werden nämlich dafür bezahlt, dass sie sich stets als vorbilder und leitfiguren zeigen. in dem zusammenhang dürfen emotionen, also gefühle, nicht unreflektiert rausplatzen, sondern müssen kontrollierbar bleiben. das setzt solche menschen unter einen immensen druck, weil sie die selben gefühle haben, wie du und ich, sie aber nie einfach zeigen dürfen. zum profi-geschäft gehört daher auch das sich-verstellen und lügen! ein solches geschäft gibt es mit sich alleine jedoch nicht.

„emotional“ ist dagegen ein mensch, der gefühle zeigt, mit worten und verhalten. da kann es mal zu lautem lachen oder spontanen tränen oder zu überraschtem schweigen oder einer unerwarteten umarmung kommen!

wer ein wenig in der welt herumgekommen ist, weiß, wie kulturell verschieden das gesehen und gelebt wird. auch das beweist, dass man -bezogen auf die psyche des menschen!- nicht von besser oder schlechter reden kann, sondern eher von individuell stimmig oder unausgewogen (oder auch leidvoll).

daher unterscheide ich immer bei der bewertung von „emotional“ oder „rational“: will hier jemand geld oder macht, oder will hier jemand sich nur zeigen?