Hallo Paul,
Man bietet mir die Möglichkeit, mich an eine
bewußtseinsmanipulierende Maschine anschließen zu lassen, die
mir vorgaukeln wird, dass ich ein perfektes Leben führe und
alle meine Träume sich erfüllen.
Bereits hier sind die Probleme der Maschine anzusiedeln:
- Gaukelt die Maschine vor, dass sie „vorgaukelt“, „manipuliert“, das heißt schafft sie es nicht, die Grenze zwischen imaginärer Wunschwelt und realer Welt einzureißen?
Aus meiner Sicht können „alle meine Träume“ nur dann vollständig erfüllt werden, wenn sie aufhören „Träume“ zu sein, d.h. kann ich vollständig glücklich sein, wenn ich weiß, dass mein Glück nur ein imaginäres Glück ist, immer vom Einbruch des Realen bedroht, in unserem Zusammenhang vom Abschalten der Maschine bedroht ist.
2)Das andere Problem ist: Wie sinnvoll ist es überhaupt davon zu sprechen, dass wir die Wahl zwischen Maschine und Realität haben? Ist unsere Realität nicht auch bereits eine Maschine, ein automaton (Aristoteles)?
Eine Maschine vielleicht, die uns „vorgaukelt“, dass es rational wäre, sich nicht an eine Glücks-Maschine anschließen zu lassen?
Solche Fragestellungen haben eine lange Tradition in der Philosophie;
aus meiner Sicht unbestritten dürfte auf jeden Fall sein, dass unsere Träume und Sehnsüchte in keinster Weise genuin unsere sind, aus uns und nur aus uns hervorsteigen, dass ihre Befriedigung genau uns Glück verschafft und nicht etwa einem anderen;
das ist beispielsweise der Sinn des Lacan’schen Satzes: „Das Begehren ist das Begehren des Anderen“ in jenem dreifachen Sinne in dem er gemeint ist.
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Wir begehren, weil uns ein anderer dieses Begehren „aufgeladen“ hat; Bsp.: Der Sohn, der sich so sehr wünscht, seiner sudetendeutschen Mutter jenes Grundstück zurückkaufen zu können, das sie als Kind 1945 verloren hatte,und sich deshalb wünscht, dorthin zurückkehren zu können, etc.
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Wir begehren den anderen/das andere,
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Wir begehren auf diese Weise, die uns der Andere als generalisierter Anderer vorgibt; Bsp: Wir wollen ein Grundstück kaufen, weil es heutzutage „in“ ist, ein Grundstück zu besitzen, weil es in unserer Gesellschaft Ansehen bringt, weil uns die LBS sagt, das würde uns glücklich machen.
Also entweder entscheide ich mich dagegen und führe ein
normales Leben, mit allem Unglück und Enttäuschungen. Oder
dafür, liege zeitlebens auf einer Matratze, bin optimal
glücklich und erlebe illusionär die tollsten Dinge (und weiß
natürlich *nicht*, dass es nicht wirklich ist).
die Parenthese ist der entscheidende Punkt;
wobei zu bedenken ist, dass man einwenden könnte: vor dem Anschließen weiß man ja, dass das nur Illusion ist.
Frage dazu: Gaukelt uns da nur eine Illusions-Maschine (unsere „Realität“) vor, dass die Glücks-Maschine Illusion wäre?
Träume sind, und also solche sind sie nicht weniger real als das „normale Leben“;
ein entscheidender Punkt ist an dieser Stelle das „zeitlebens“:
wenn ich sicher sein kann, dass die „erzeugte Illusion“ „zeitlebens“ ist, dann kann ich sicher sein, nicht von einem Realen „aus der Illusion“ gerissen zu werden, was dann aber heißt: jede Differenz von Illusion und Realität ist vollständig verwischt.
An dieser Stelle der Überlegung angelangt, geht es aber in puncto Rationalität dann nicht mehr um die Frage:
Realität des normalen Lebens oder Illusion der Maschine?
sondern:
Wie lange hält mein Glück? bzw. Muss ich einmal dafür „bezahlen“, dass ich mich an die Maschine habe anschließen lassen, also: muss ich befürchten, aus dem Glück in ein vielleicht deshalb noch größeres Unglück geworfen zu werden?
Die Antwort hierauf aber gibst Du bereits mit „zeitlebens“ (aber: können wir, die wir vor der Frage des Anschließens stehen, Dir in diesem Punkt auch vertrauen?)
Zweifelos würden sich viele (die meisten?) nicht anschließen
lassen.
Hier gilt es eben zu fragen: Welche Maschine hindert sie daran, welche Maschine bringt sie zu dem Begehren, das Begehren nicht befriedigen zu wollen?
Ich will damit sagen, dass es an dieser Stelle nicht etwa um die ethische Frage eines Hedonismus, etc. geht (dort muss man sich einfach für eine Lebenseinstellung entscheiden), sondern um die erkenntnistheoretische Frage: Realität/Illusion, vermeintliche Selbstbestimmung/Maschine, etc.
Übrigens bewegt sich z.B. Huxley in genau diesem Spannungsfeld, wenn er in den „Doors of Perception“ die LSD-Maschine propagiert und in „Brave New World“ genau vor einer solchen Maschine warnt.
Die Frage ist: Kann/muss man diese Entscheidung
irrational/unvernüftig nennen?
Nun gibt es natürlich sehr viele unterschiedliche Konzeptionen von Rationalität und ich möchte mich hier für keine davon entscheiden.
Das Problem befindet sich aus meiner Sicht im Bereich der Erkenntnis:
Inwieweit ist die „Realität“ auch eine Maschine?
Wie sehr kann ich vom „zeitlebens“ ausgehen?
Wie sicher kann ich sein, dass mich die Maschine tatsächlich glücklich macht?
Diese Fragen sind übrigens klassische Fragen der Aufklärung!
Da sich solche Fragen aber solange nicht beantworten lassen, solange wir ausschließen, dass jemand aus der Maschine in unsere Realität zurückkehrt und uns verlässlich (können wir ihm trauen?) Bericht erstatten kann (wir werden ihm nie trauen können, weil wir immer sagen können: „Er wird noch von der Maschine gesteuert“, etc.), solange kann aber unser Handeln nicht auf Erkenntnis begründet werden, sondern steht im Zwang des Handeln: wir müssen entscheiden, ohne Rückversicherung!
Da hilft uns keine Rationalitätserwägung!
Folgendes als unstrittig unterstellt: ‚Rational‘ oder
‚vernüftig‘ ist eine Bewertung von Entscheidungen im Hinblick
auf ihre Zweckmäßigkeit (moralische Erwägungen außen vor
gelassen): Ich handele dann unvernüftig oder irrational, wenn
ich etwas tue, von dem ich Grund habe anzunehemen, dass es
meinen Zielen nicht förderlich ist (oder weniger förderlich
als verfügbare Handlungsalternativen).
Das ist der Punkt: den „Grund“ kannst Du nicht bekommen.
Demnach wäre es nicht notwendig unvernüftig, dass Angebot mit
der Maschine abzulehnen:
Genauso wie es nicht notwendig wäre, das Angebot anzunehmen.
Ich habe eben nicht (nur) den Wunsch
glücklich zu sein, sondern (auch) konkrete Wünsche (z.B. eine
Familie zu gründen, ein Haus zu bauen). Diesen Zielen wäre
nich gedient, wenn ich mich anschließen lasse.
Hier werden Probleme dessen benannt, die unter dem Label „Entfremdung“ firmieren; sind diese „konkreten Wünsche“ in irgendeiner Hinsicht nachrangig, sekundär, gegenüber dem (primären, untentfremdeten) Wunsch nach „Glück“;
klar lässt sich sagen: wer „glücklich“ ist, braucht kein Haus mehr zu bauen, aber führt vielleicht nicht der Weg zum Glück über den Hausbau, bzw. irgendein anderes individuell unterschiedliches Objekt des Begehrens, und nur über so einen Weg?
Die „Maschine“ hat im übrigen genau diese Struktur, die die Position der „Entfremdung“ auch annimmt: sie ist eine Struktur, die gegenüber unserer Welt transzendent ist, über die wir nicht sicher Bescheid wissen können, die uns aber als Maßstab dient, zwischen primärem Begehren (Begehren des Glückes) und sekundärem Begehren (Begehren eines Objektes, z.B. des Hausbaus) zu differenzieren.
Und hier liegt ein Problem Deines Gedankenexperimentes: es ist nämlich nicht neutral, suggeriert uns eine Wahl, die wir unmöglich haben können.
Es zwingt uns, eine Transzendenz zu denken, zwingt uns damit einen Maßstab, einen Sinn in diese Welt einzuführen, schlimmer noch zwingt uns dazu, einen historisch entstandenen Sinn, nämlich die „Suche nach Glück“ (hier differieren verschiedene Gesellschaften in hohem Maße!) als d e n Sinn der Welt, als den Sinn, aus dem selbst erst Sinn ersteigt, einzuführen;
exakt so funktioniert auch der Diskurs der „Entfemdung“: er bedient sich historisch entstandener Vorstellungen und begreift diese als „Natur des Menschen“ um im Vergleich zu dieser Natur das Schädliche unserer Kultur messen zu können (Messsen ist notwendig vergleichen!).
Aber, folgendes scheint mir auch zu stimmen: Wenn ich weiß,
dass X zu tun, mich todunglücklich machen wird, dann ist es
unvernüftig, wenn ich X tue (egal wie meine Wünsche aussehen).
Die Parenthese verstehe ich nicht; wenn Dich X unglücklich macht, dann kann es doch nicht „egal sein wie Deine Wünsche aussehen“, sondern dann hast Du eindeutig den Wunsch, X nicht erleben zu müssen.
Wenn Hans wichtigestes Ziel im Leben ist, steinreich zu
werden, und er weiß, dass X zu tun (und nur X zu tun), dazu
führt, dass er steinreich wird; Hans aber auch weiß, dass er
dann todunglücklich sein wird, wenn er X tut (Reichtum hin
oder her), dann ist unvernüftig für Hans X zu tun.
Es ist unvernünftig bzw. vernünftig, wenn man es so konzipieren kann:
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Hans wird reich und unglücklich; sein Reichsein kann aber seinen Wunsch, glücklich zu sein, nicht stillen.
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Hans wird arm und glücklich; sein Glücklichsein kann aber sehr wohl seinen Wunsch, reich zu sein, stillen.
Hier kann man eine (zeitliche) Hierarchie der Wünsche annehmen;
wenn man aber nicht davon ausgehen kann, dass einer der beiden Wünsche ex post, also durch seine Erfüllung, den anderen hinfällig machen kann, dann lässt sich hier schwer von Rationalität sprechen, dann besteht einfach ein Wunsch-Konflikt.
Wenn Du übrigens vorgibst, dass es Hans’ „wichtigstes“ Ziel sei, reich zu werden, dann berührst Du im Ansatz die Frage nach dem Sinn von Therapie. Wenn man davon ausgehen kann, dass bei Hans Punkt 2) zutrifft, die Einsicht bei ihm in diesen Mechanismus aber von seinem fixierten Begehren, reich zu werden, überlagert ist, dann ist es sinnvoll ihm die Fixierung weg-zu-therapieren, auch mit Zwang, weil er sich nach der Therapie aus freien Stücken der Therapie unterwerfen würde, die er vor der Therapie noch abgelehnt hätte.
Zu dieser Therapie wird er also zugestimmt haben werden, obwohl er ihr nicht zustimmen wird bzw. zugestimmt hat (die Differenz zwischen Futur I und Futur II ist das Spannungsfeld der Selbstbestimmung)
Wunscherfüllung ist der einzige Maßstab, Glückserwägungen
sind völlig unerheblich (es sei jemand hat ausdrücklich den
Wunsch glücklich zu sein).
Hier stellt sich erstmal die Frage nach der Differenz von Wunsch und Glück:
Kann es überhaupt eine Vorstellung von Glück geben, das nicht an die Erfüllung bestimmter Wünsche gekoppelt wäre?
Die zweite Frage:
Kann man überhaupt das Glück selbst wollen/wünschen oder nicht immer nur über ein Objekt?
Drittens: Muss man sich hier danach richten, was jemanden „ausdrücklich“ wünscht? Wünscht nicht jeder irgendwie das Glück? (Hier könnte man an Schopenhauers/Lows/Freuds „Nirwanaprinzip“ denken)
Jeder hat notwendig den (Meta-) Wunsch glücklich zu sein,
bzw. wer diesen Wunsch nicht hat, ist irrational
Wenn jeder „notwendig“ den Wunsch hat, kann keiner ihn nicht haben und damit „irrational sein“;
höchstenfalls kann jemand irrational handeln, weil er etwa diesen Wunsch verdrängt, überlagert hat, so wie etwa der Anorektiker des Hungerimpulses verlustig gegangen ist (platt gesagt).
Viele Grüße
franz