Ratlos: alte Dame beschimpft mich

Hallo zusammen,

ich habe ein Problem:
seit vielen Jahren kümmere ich mich um eine alte Dame (90).
Sie ist geistig noch fit, lebt in der eigenen Wohnung, aber ist halt gebrechlich.

Ich kaufe für sie ein, unterhalte mich mit ihr… außer mir hat sie auch eine Putzhilfe, Pflege braucht sie noch nicht.

Bisher lief alles gut,wir haben uns oft über Gott und die Welt unterhalten, viel gelacht, es war fast wie eine Freundschaft.

In der letzten Zeit ging es ihr wohl psychisch weniger gut, sie sprach oft in vorwurfsvollem Ton, nach dem Motto „ihr jungen Leute meint, alles wäre so einfach, aber alt werden ist schlimm…“

Ich weiß, dass sie darunter leidet, dass fast alle ihrer Freunde von früher und Familie inzwischen verstorben sind, und verstehe sie auch - aber irgendwie scheine ich ihr nie genug Verständnis vermitteln zu können, denn sie wirft mir immer massiver vor,
ich verstünde sie nicht, sie dürfe mir gegenüber „nichts sagen“ und ich würde „immer mit ihr streiten“ - was definitiv nicht stimmt, auch die übrige Familie hatte nie diesen Eindruck.
Heute nun hat sie mich richtig beschimpft.

Ich weiß beim besten Willen nicht, was ich anders machen sollte - offenbar kann ich ihren Wunsch nach „Anerkennung“ nicht erfüllen…

Ich bin gekränkt; aber wenn ich ihr das sage, nimmt sie sich das so zu Herzen, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme und Angst habe, sie bekommt einen Herzinfarkt.

Was soll ich nur tun? Ich möchte ihr helfen, aber auch ich bin ein Mensch mit Gefühlen und kann nicht aus meiner Haut. Hbt ihr einen Rat?

Hallo, Anita,
Du solltest Dir das nicht gar so sehr zu Herzen nehmen. Wahrscheinlich weiß die alte Dame gar nicht, wie sehr sie Dich mit ihrem Verhalten verletzt. Welche Laus ihr über die Leber gelaufen ist, weiß sie wahrscheinlich selbst nicht, aber Du bist eben verfügbar und Du kriegst es ab.
Gerade hochbetagte Menschen kann man nicht immer mit Maßstäben messen wie fitte Menschen in mittlerem Alter.

Das Beste wird wohl sein, solches Verhalten mit nachsichtigem Humor zu nehmen und höchstens mal launig fragen: „Na, haben Sie sich mal wieder geärgert?“ Aber ansonsten sollte man solche Launen nicht wirklich nahe an sich heran kommen lassen. Also lass Dir an der Stelle Deiner Seele ein wenig Hornhaut wachsen :smile:

Gruß
Eckard

Hallo Anita,

meine Großmutter hatte in ihrem 90. Lebensjahr den Wahn entwickelt, meine Mutter und ich würden sie bestehlen. Immer, wenn sie irgendwas nicht finden konnte, kamen von ihr diese Vorwürfe, und sie hat sich kein Blatt vor den Mund gekommen, um auszudrücken, wie niederträchtig usw. sie das findet. Meine Mutter hat sich darüber jedesmal sehr gekränkt, ich nicht, trotzdem konnte ich es nicht vermeiden, mich schlicht darüber zu ärgern.

Natürlich ist das nicht ganz dasselbe wie bei Deiner alten Dame. Ich möchte aber damit sagen:

  • Bei sehr alten Leuten können solche unangenehmen Phänomene auftreten.

  • Bei meiner Großmutter war es wohl so, daß ihre geistigen Fähigkeiten nachließen, sie vor allem vergeßlich wurde und Dinge nicht mehr finden konnte. Nun vermute ich, daß sie sich die Sache mit dem Bestohlenwerden konstruiert hat, um sich nicht das zunehmende Nachlassen der eigenen geistigen Fähigkeiten (und die Nähe des Todes) einzugestehen. Die Beschimpfungen haben daher keinen persönlichen Bezug.

  • Weil Deine alte Dame ihre Vorwürfe in ihrem Kopf konstruiert, kannst Du nichts beeinflussen und nichts durch „Wohlverhalten“ verhindern.

  • Als Konsequenz fällt mir nur ein defensives Verhalten ein: die Vorwürfe abperlen lassen, innerlich auf Distanz gehen, partiell Abschied nehmen.

Grüße,

I.

Senile Demenz
Meine Mutter hat mal bei meiner Tante angerufen und sich darüber beklagt, ich hätte ihr Telefon gestohlen.

Das war aber das letzte, was man noch mit Humor nehmen konnte. Die folgenden paar Jahre mit ihr waren anstrengend.

LG

Gitta

Hallo Anita,

das, was du beschreibst, erinnert mich sehr an unserer Oma, als sie die magische 90 überklettert hatte: geistig noch sehr fit, allein lebend.

Ich denke, dass das dann tatsächlich ein hohes Alter nicht unbedingt „gesegnet“ ist. Die Freunde sterben weg, die, die noch da sind, sind deutlich jünger („könnten meine Kinder sein“… „junge Hüpfer“ - damit waren die Mite 60-jährigen gemeint) oder eben geistig nicht mehr da oder geistig schon zu eng (je reger man selbst ist, desto anspruchsvoller wird man. Meine Oma hat nicht nur ihre Enkel, sondern teilweise auch ihre Urenkel betreut. Die war auch wirklich noch „auf der Höhe der Zeit“). Und ja - auch sie wurde ab und an ungerecht.

Was hilft: versuch dich wirklich noch einmal in die Situation zu versetzen. Um dann zu dem Punkt zu kommen: sie hat wirklich ein großes Stück recht. Und genau in diesem Moment die dickere Haut überziehen und bestimmte Äußerungen nicht mehr persönlich nehmen. Der Rest ist dann ein Wechselspiel zwischen „weghören“ und Alternativen schaffen. Versuch mal rauszukitzeln, was noch für Wünsche da sind. Das können ganz banale Kleinigkeiten sein.

Auf der anderen Seite nicht vergessen: hier geht es um völlig „berechtigte“ Gefühle und Ängste. Und irgendwo müssen die auch ihr Auffangbecken bekommen. Vielleicht hilft auch ein Perspektivwechsel für dich: Du magst sie, bist Vertrauensperson. Du kannst das Ganze auch als „Auszeichnung“ für deinen Vertrauensstatus sehen (ich weiß, dass das schwer ist - aber nur als Versuch).

Allerdings solltest du dir, gerade weil du offenbar nicht Angehörige bist, dir über deine eigenen Grenzen klar werden. Wenn sie wirklich noch fit ist und alles mitbekommt, dann hast du auch das Recht, eine solche Grenze mal zu zeigen. Das kann man auch machen, ohne dass ein Streit folgen muss. Das kann dann auch mal in der Richtung sein: „Ich KANN nicht wissen, wie du dich fühlst. Ich kann nur versuchen, dich zu verstehen. Mir vorzuwerfen, dass ich das nicht wissen kann, ist nicht fair.“ - Allerdings ist es immer schwer, jemandem, der gerade auf dem Level ist, das alles um ihn herum nicht fair ist, genau darauf hinzuweisen :wink:

Ich jedenfalls finde es klasse, dass du dich so um die alte Dame kümmerst.

LG Petra

„Auf der anderen Seite nicht vergessen: hier geht es um völlig „berechtigte“ Gefühle und Ängste. Und irgendwo müssen die auch ihr Auffangbecken bekommen.“

Hallo Pomeranze,

natürlich sind ihre Gefühle berechtigt. Das würde ich ihr nie absprechen.

Mein Punkt ist: auch MEINE Gefühle sind berechtigt und ich bn gekränkt, wenn sie mich grob beschimpft. Auf der anderen Seite will ich sie natürlich nicht in den Herzinfarkt treiben!
Nicht dass du denkst, ich hätte genau so zurück geschimpft - meine Reaktion war schon vorsichtig, ich habe sie mit Respekt darauf hingewisen, dass ihre Worte mich kränken…

Aber wie auch immer, es stimmt wohl, dass ich mir ein dickeres Fell zulgen sollte. Habe ich bisher nicht, weil solche für Demenz „typischen“ Ungerechtigkeiten bei ihr bisher nicht auftraten. Sie weiss, was sie sagt - oder schien es bisher immer zu wissen - das macht die Sache so schwierig.

Aber deine und auch die anderen für eure Stellungnahmen!
Anita

Hallo Anita,

die Erfahrungen, die Du und andere bisher geschildert haben, habe ich in den letzten Monaten ebenfalls in starkem Maße machen müssen. Da aber auch gerade ein Betreuungsverfahren lief, waren leider aufgrund unglaublicher Vorwürfe (Betrug, Grobheit, Zugriff auf Konto angeblich verweigert, Pflegeplatz angeblich verweigert da dadurch das Erbe geschmälert würde, und etliches mehr waren die Vorwürfe der alten Dame) Rechtspfleger und Richter involviert. Gott sei Dank konnten die Vorwürfe aufgrund etlicher Beweise und Zeugen klargestellt werden, aber da die Dame auch vom Psychologen als geistig fit beurteilt wurde, war es eine schlimme Situation: das Bewußtsein, sich jahrlang angestrengt zu haben, um dieser Dame so hilfreich wie möglich zur Seite zu stehen, andererseits nun einem solchen Verfahren ausgeliefert zu sein und sich rechtfertigen zu müssen.

Ich habe monatelang gekämpft, weil ich dachte, ich könne damit irgendwie klar kommen, habe natürlich versucht, auf das Alter und die Leiden Rücksicht zu nehmen. Als ich jedoch nicht nur unter Schlaflosigkeit litt, dann Magenbeschwerden und schließlich Herzbeschwerden hinzu kamen, habe ich aufgegeben. Inzwischen habe ich keinen Kontakt mehr und die Dame hat seit einer Woche einen Betreuer und lebt im Heim.

Ich will Dir keine Angst machen, Anita. Aber zu wissen, daß das Verhalten Deiner alten Dame keine Ausnahme ist, und daß Du möglicherweise mit stärkeren Ausfällen rechnen mußt, kann Dich hoffentlich innerlich ein wenig stärken - auch für die kommende Zeit. Wenn Du es schaffst, - alle Achtung. Wenn Du Dich irgendwann stärker abgrenzen mußt, hast Du zumindest getan, was Du kannst. Auch dann: alle Achtung für den Weg, den Du so lange mit ihr gegangen bist!

Alles Gute!
Eva

Hallo Idomeneo,

wir haben auch diese leidvolle Erfahrung gemacht. Scheint irgenwie Frust des Alters zu sein. Wir konnten auch mit unserer alten Dame nie was richtig machen. Brachten wir eine Flasche Hohes C -den mochte sie den nicht, „…könnt ihr wieder mitnehmen!“ Kam mal nach langer Zeit eine Bekannte von früher zu Besuch, flippte unsere Dame regelrecht aus, dass jemand ihr eine Flasche Hohes C mitbrachte!Wir waren am Ende mit unserer Weisheit und unterbrachen schließlich unseren Besuch abrupt, wenn das Geschimpfe losging. Wenn wir nach 1 oder 2 Stunden wiederkamen war alles eitel Sonnenschein - bis zum nächsten Besuch. Ich weiß, man ärgert sich, aber man muß auch Verständnis und Mitleid haben.

Wolfgang D.

Hallo, Wolfgang,
die Betreuerin meiner Mutter, die 94 Jahre alt wurde, berichtete mir auch von ähnlichem Verhalten. Wenn es gar zu arg wurde, hat sie ihr schon mal damit gedroht, sie nicht mehr zu besuchen. Auch hat sie einige Male den Besuch kurzerhand abgebrochen mit der Ansage: „Mit dir ist heute ja wohl nicht zu reden, ich komme morgen wieder.“

Ich selbst habe das am Telefon des öfteren erlebt, dass ich aufs übelste beschimpft wurde. Ich habe dann einfach aufgelegt und etwas später noch einmal angerufen - und siehe da, es ging prima.

Der Unmut, der da geäußert wird, ist selten persönlich gemeint, meist hat er irgendeinen Bezug zu Überlegungen, die die alte Person angestellt hat und oft ist die Ursache irgend eine uralte Verärgerung, an die sie sich wieder erinnert hat. Und das wird dann am nächsten erreichbaren Menschen ausgelassen.

Dann ist es in der Tat am Besten, wie Du es rätst, den Besuch abrupt abzubrechen, einmal um den Block zu laufen und eine halbe Stunde später einen neuen Versuch zu machen. Meist ist dann das „Wetter“ total besser geworden.

Gruß
Eckard

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…Inzwischen habe ich keinen Kontakt mehr…

Genau das hätte ich auf der Stelle gnadenlos gemacht.
Fallen lassen, raus und weg. Kommentarlos, nicht diskutieren.

Und ich exerciere das im Moment
auf einer anderen, geschäftlichen Ebene.

Hört sich egoistisch an, aber mal nachdenken:
Wenn es mir gut geht, dann gehts auch den anderen um mich herum gut.
Heisst nämlich auch umgekehrt:
Wenn es den anderen um mich herum gut geht, dann gehts auch mir gut.

Wer sich nicht danach richtet, den kenne ich nicht.

gruss - digi

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Liebe Anita,

auch mich erinnert so einiges an meine Oma (88 Jahre): geistig noch fit, körperlich auch noch relativ, alle Freunde verstorben, ihr Lebensgefährte ist vor 4 Monaten aufgrund von extremer Demenz ins Pflegeheim gekommen und ist kaum mehr ansprechbar, womit sie überhaupt nicht klar kommt und so eine Aggression entwickelt…

Da meine Oma schlecht allein sein kann und sie für den Pflegeplatz ihres Lebensgefährten zahlen muss, haben wir (meine Oma, meine Mutter und ich) beschlossen, dass sie hier zu uns zieht. Meine Mutter und ich organiseren seit Jahresanfang ihren Umzug (innerhalb des Ortes), haben alles geregelt. Ursprünglich meinte meine Oma: „Ich brauche nur ein Bett!“ Wir haben ihr das schönste Zimmer im Haus leergeräumt (25qm). Aber anstatt etwas „Dankbarkeit“ zu zeigen, ist sie nur am Rummosern: Sie wolle noch ein Extra-Schlafzimmer (im 1. OG), mit einem Zimmer könne sie ja gleich ins Altersheim gehen, sie will sich von NICHTS trennen und am liebsten alle Möbel mitnehmen. Gut, dafür haben wir ja Verständnis, da sie im Krieg alles verloren hat etc., aber das rechtfertigt nicht ihre „Bösartigkeit“.

Meine Mutter ist viel zu lieb und „zieht“ sich die Vorwürfe alle an. Nach meinem Geschmack ist das die falsche „Schonung“: Die Dame ist zwar alt, aber sie hat sich bitteschön auch zu benehmen. Von mir wird sie daher regelmäßig auf den „Pott gesetzt“, um sie daran zu erinnern, dass für ein Miteinander eben auch Respekt und Entgegenkommen vonnöten sind.

Kurzum: Natürlich will ich meine Oma nicht verletzen und habe Respekt vor ihrem Alter und dem Umstand, dass sie jetzt Vieles aufgeben muss, das berechtigt sie aber nicht, denjenigen, die zu ihr stehen, Vorwürfe zu machen. Sie ist immer noch ein mündiger Mensch und will schließlich so behandelt werden. Dann muss man sie eben auch daran erinnern, dass es bestimmte Umgangsformen gibt, die einzuhalten sind.

Sag der Dame, dass Du ihre Beschimpfungen unangemessen findest. Sie wird schon nicht gleich einen Herzinfarkt erleiden. Denn: Welche Alternativen gibt es? Du lässt es weiterhin über Dich ergehen oder Du entscheidest irgendwann, gar nicht mehr hinzugehen.

„Falsche“ Schonung kann nach meinem Geschmack schmerzvoller sein, als klare Grenzen aufzuweisen.

Liebe Grüße und schön, dass die alte Dame Dich in ihrem Leben weiß

Kathleen

Wenn es mir gut geht, dann gehts auch den anderen um mich
herum gut.
Heisst nämlich auch umgekehrt:
Wenn es den anderen um mich herum gut geht, dann gehts auch
mir gut.

Hallo Digi,

ja, und da gibt es noch ein altes Sprichwort,
das so oder ähnlich lautet:

„Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg’ auch keinem zu.“
Auch so würde sich der Kreis schließen und es ginge uns allen gut, nicht wahr?

Gruß, Eva

Hallo,

meine Oma ist 85 und das hört sich ganz nach ihr an! Sie wettert gegen alles und jeden.

Ich versuche, das auf den Krieg zu schieben. Hätten wir das damals mitmachen müssen, wären wir auch nicht mehr gant propper in unserer Wahrnehmung.

Meine Taktik: Ja-sagen und verschwinden. Wenn sie gegen meine Eltern geht oder etwas, was mir wichtig ist, Grenzen stecken. Ihr klar und deutlich sagen, daß man das nicht hören will, weil es nicht stimmt.

Das hilft meist.

Ich glaube, die medizinische Ausdrucksweise ist Altersdemenz und nur dadurch zu bezwingen, dass man auf Durchzug schaltet.

Habe hohen Respekt vor den Menschen, die sich das täglich geben müssen, ich nur max. 1 mal die Woche, wenn ich mir das antuen will.

Viele Grüße
Melanie