Ravels Bolero-gute Musik?

Hallo versammelte Klassikgemeinde,

das Thema 12Ton-Musik weiter unten, in der es nebenbei auch um Ravels Bolero ging, regt mich dazu an hier zu fragen:
Ist Ravels „Bolero“ denn tatsächlich ein Werk, das soviel Aufmerksamkeit verdient? Gute Musik ?
Ich habe nie verstanden, wieviel Aufhebens um dieses -provokativ gesagt- Kitschmonument gemacht wird. Und zwar von allen Seiten:
Sei es Celibidache, dieser „dirigierende Gott“, der den Bolero gern und oft aufführte, aber dem es gleichzeitig gefiel zu behaupten, die Werke Mahlers seien keine Musik. Bis hin zu der Begeisterung von Klassik-Neulingen, die sich von der Eindringlichkeit dieser sich wiederholenden Wiederholungen aus dem Stand betören lassen.
Was ist also musikalisch dran an dem Stück?
Diese Frage stelle ich neugierig und gespannt an alle Experten und Interessierte.

Vorab ein provozerendes Statement für alle Bolero-Liebhaber unter Euch: Der „Bolero“ ist Musik, ja, aber lediglich eine nur handwerklich hervorragend gestaltete Begleitmusik zu einer wenig befriedigenden Sexszene mit einseitigem Orgasmus, wie in dem bekannten Film von Blake Edwards(„Die Traumfrau“).

In gespannter Erwartung
Mark

Gegenfrage: was ist denn gute Musik ?
technisch gute Musik ?
Hm - 12-Ton-Musik ist wohl extrem technisch - aber gut/wohlklingend ?

Oder besonders wohlklinged/harmonisch ? Hm… dann wären Romantiker und Impressionisten wie Debussy und Ravel wohl doch vorn…

Oder berühmt ? Die Kleine Nachtmusik vielleicht - musikalisch eher simpel - wenn Mozart wüsste, dass das sein berühmtestes Stück würde, würde er im Grab rotieren - triviale Auftragsarbeit, an einem Abend für einen Geburstag am anderen Morgen geschrieben …

oder Musik die nur von vielen (gerne) gehört wird ? A la
Modern talking, Kübelböck und Marianne und Michael oder wie oder was ?

oder die millionenfach gekauften getürkten Songs unserer gepushten Medien Boy- und Girl und Superstar-groups - leben wohl eher von mehr oder weniger guter Show oder davon ihren A… zeigen.

Guter Strassen-Jazz in New Orleans dann wohl eher…

ODer eher Techno-Gedröhne - millionnen ziehen sichs rein - aber das ist per Definition zum Glück keine Musik :wink:)

Aber wems dann gefällt

Ravel selbst…
Hi Mark,

Ist Ravels „Bolero“ denn tatsächlich ein Werk, das soviel
Aufmerksamkeit verdient? Gute Musik ?
Ich habe nie verstanden, wieviel Aufhebens um dieses
-provokativ gesagt- Kitschmonument gemacht wird. Und zwar von
allen Seiten:

Ja, auch durch Ravel selbst:
"Der „Bolero“, Ravels berühmtestes Werk, das er selbst immer wieder mit beißender Selbstironie
kommentierte: “Ich habe nur ein Meisterwerk geschrieben, den Bolero. Unglücklicherweise
enthält es keine Musik.”
Einen schönen Sonntag Dir,
Anja

Sehr gute sogar!
Hallo Mark!

Ich begrüße deinen polemischen Auftritt :smile:
In der Tat erfordert „Bolero“ von Ravel einen anderen Hörer als die klassiche Musik. Das Ostinato-Prinzip der traditionellen instrumentalen Volksmusik wird hier mit der Creschendo-Idee (gewonnen in der Vorklassik als ein der mächtigsten Effekte), u.a. auch durch die brillante Orchesterverwendung, zusammengebracht. Es ist eine einfache Idee, aber man mußte zuerst auf sie kommen. Ohne „Sacre du Printemp“, „La Valse“ und ohne 20-er-Atmosphäre ist das Werk nicht zu verstehen. Ein paar Links in diesem Zusammenhang:

http://www.rondomagazin.de/fuehrer/ravel/mr02.htm
http://website.lineone.net/~jdspiers/bolero.htm
http://bejart.ch/fr/argus/bolero.htm
http://palimpsest.stanford.edu/byform/mailing-lists/…
http://www.lancastersymphony.org/pages/index.cfm?fus…
http://classicalcdreview.com/bolero.htm

Das sind Beispiele der guten Art. Jetzt noch ein Beispiel der blöden Art, über die Musik zu diskutieren: http://www.nature.com/nsu/020121/020121-1.html

damit die Unterschiede klar sind. :smile:

Du musst nicht jedes Meisterwerk der Musikgeschichte liebgewinnen. „La Valse“ ist ursprünglich ein tragisches Werk auch. Wie viele Zuhörer wissen es schon? Vgl.: http://www.rondomagazin.de/klassik/cdgalerie/ravel.htm

Gruß

http://www.nature.com/nsu/020121/020121-1.html

Hi Peet,
also DAS leuchtet mir auf Anhieb ein

Mal ehrlich - das Stück hört sich doch an, als liefe da eine Endlosschleife, wobei jemand am Lautstärkeregler rumspielt.

Okay, das ist nicht alles - ein wenig Fingerübung in (durchaus gekonnter) Orchestrierung ist auch mit dabei. Aber das wiegt die Langeweile, die das penetrante Ostinato spätestens nach der dritten Wiederholung bei mir auslöst, nicht auf. Stell Dir mal vor, Du müsstest Dir DAVON einen Klavierauszug anhören. Nee - etwas mehr Substanz darf’s schon sein.

Nix für ungut :wink:
Ralf

Hallo Ralf!

Auf diese Sorte von Ironie hat Ravel schon mehrmals geantwortet. Alles zitiert in den Links, die ich als gute empfohlen habe. Wer diese Musik nicht versteht, kann sie ruhig als psychisch krank oder intolerable nennen. Sie wird dadurch nicht langweilig oder substanzlos. Es gibt immer diese zwei Möglichkeiten bei dem Treffen mit der Kunst, die man nicht verstanden hat: entweder sich selbst oder den Autor beschuldigen. Wenn es dabei um ein Meisterwerk geht, ist es besonders verlockend, den blöden Autor dafür bezichtigen. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, sich mit der Kunst zu beschäftigen, nicht wahr? :smile:

Viele Grüße

P.S.

Stell Dir
mal vor, Du müsstest Dir DAVON einen Klavierauszug anhören.

Warum? Ich lese keine comics-Adaptionen vom „Prozess“ oder von dem „Tod des Iwan Iljitsch“.

Nee - etwas mehr Substanz darf’s schon sein.

Die Kunst besteht u.a. in der Fähigkeit, aus wenig Material viel Inhalt zu schaffen.

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Hallo Peet,

Wer diese Musik nicht versteht, kann sie ruhig
als psychisch krank oder intolerable nennen.

Nun, zu ‚verstehen‘ gibt es beim Bolero - vermute ich mal - nicht allzu viel. Was nicht notwendig ein Nachteil sein muss. Musik, die man ‚verstehen‘ muss hört sich meistens auch danach an. Den ‚wissenschaftlichen‘ Artikel halte ich allerdings auch für hirnrissig - hatte das wohl nicht deutlich gemacht :wink:.

Sie wird dadurch
nicht langweilig

Musik per se kann sicher nicht langweilig sein. Aber wer könnte es jemand Anderem verwehren, sich bei einer bestimmten Musik zu langweilen? Wat dem eenen sin Uhl …

Es gibt immer diese zwei
Möglichkeiten bei dem Treffen mit der Kunst, die man nicht
verstanden hat: entweder sich selbst oder den Autor
beschuldigen.

Ist das tatsächlich eine Frage von Schuld? Und nochmals - deutlicher gefragt: was gibt es beim Bolero zu verstehen? Es ist ein Stück orchestraler Textur ohne musikalischen Gehalt. So ähnlich hatte es Ravel doch wohl selbst ausgedrückt, oder?

Wenn es dabei um ein Meisterwerk geht, ist es
besonders verlockend, den blöden Autor dafür bezichtigen. Es
gibt aber auch andere Möglichkeiten, sich mit der Kunst zu
beschäftigen, nicht wahr? :smile:

Was ist denn ein Meisterwerk? Was macht es dazu? In den letzten Tagen war hier Abfälliges über Zwölftonmusik im Allgemeinen und Schönberg im Besonderen zu lesen. Zufällig halte ich persönlich „A Survivor from Warsaw“ für ein Meisterwerk - weil es mich wie nur sehr wenige Stücke tief berührt. Eine andere Definition für ‚Meisterwerk‘ habe zumindest ich nicht zu bieten.

Dass mir bei meiner Einschätzung von Schönbergs Kantate als Meisterwerk viele nicht zu folgen vermögen, stört mich eigentlich wenig - jedenfalls schiebe ich es nicht darauf, dass sie das Stück nicht ‚verstehen‘.

Stell Dir
mal vor, Du müsstest Dir DAVON einen Klavierauszug anhören.

Warum? Ich lese keine comics-Adaptionen vom „Prozess“ oder von
dem „Tod des Iwan Iljitsch“.

Ich sagte ja auch „Du müsstest …“. Freiwillig tut sich so etwas wohl niemand an :smile:. Warum? Kennst Du zufällig die Aufnahme vom Hoffnung Interplanetary Music Festival von 1958? Speziell Sugar Plums - fettester Tschaikowski-Pomp, gespielt von einem Blockflötenensemble und Kinderspielzeug-Schlagwerk. Selten etwas so Entlarvendes gehört, was hab ich gelacht …

Freundliche Grüße,
Ralf

Guten Morgen Ralf,

ich habe tatsächlich die Ausrichtung deiner Ironie nicht so ganz durchblickt.

Den ‚wissenschaftlichen‘ Artikel halte ich allerdings auch
für hirnrissig - hatte das wohl nicht deutlich gemacht :wink:.

Das haben wir somit geklärt :smile:
Es bleiben zwei deine neue Fragen, die allgemein und sehr wohl diskutabel sind.

was gibt es beim Bolero zu verstehen? Es
ist ein Stück orchestraler Textur ohne musikalischen Gehalt.
So ähnlich hatte es Ravel doch wohl selbst ausgedrückt, oder?

Was ist denn ein Meisterwerk? Was macht es dazu? In den
letzten Tagen war hier Abfälliges über Zwölftonmusik im
Allgemeinen und Schönberg im Besonderen zu lesen. Zufällig
halte ich persönlich „A Survivor from Warsaw“ für ein
Meisterwerk - weil es mich wie nur sehr wenige Stücke tief
berührt. Eine andere Definition für ‚Meisterwerk‘ habe
zumindest ich nicht zu bieten.

Dass mir bei meiner Einschätzung von Schönbergs Kantate als
Meisterwerk viele nicht zu folgen vermögen, stört mich
eigentlich wenig - jedenfalls schiebe ich es nicht darauf,
dass sie das Stück nicht ‚verstehen‘.

  1. Musik verstehen ist der gängige Ausdruck dafür, was verbale sowie nonverbale Fixierung der musikalischen Inhalte ausmacht. Die Musik kann man unmöglich voll in Worte übersetzen - sonst ist es keine Musik. Hermeneutische Art, Musik zu erklären, verführt dazu, auch solche Werke für erzählbar zu halten, die nie dafür komponiert wurden. Das zu tun wäre aber ein Fehler. „Die Kunst der Fuge“ oder „Das musikalische Opfer“ sind berühmten Beispiele.

Eine differenziertere Antwort auf die Frage, wie man solche Musik versteht, z.B. Ravels Bolero, erfordert u.a. Erfahrungen mit dem Hören der Musik im Konzert, mit Meditation, mit traditioneller Musik wie der indische Raga, mit der Passacaglia von Bach, mit oben genannten Werken von Strawinski und Ravel, mit der Leningrader Symphonie von Schostakowitsch, mit der Biografie von Ravel, mit dem Expressionismus, mit dem Ersten Weltkrieg, mit den goldenen Zwanzigern usw. Nach dem Eintauchen in und nach dem Austausch zu allen diesen Bereichen ist man vielleicht sensibel genug, um auch Bolero zu verstehen. Es ist aber kein Muß. Weil die Musik zu verstehen, ist nicht nur die Verarbeitung der erworbenen Kenntnisse, sondern auch die Bereitschaft, auf Gefühle anderer Menschen und Epochen einzugehen.

  1. Ein Meisterwerk entsteht, wenn mindestens ein anerkannter Fachmensch ein Kunstwerk dazu erklärt. Es gibt immer genug andere Blöde, die ihm folgen :smile:

Deine Wertschätzung der rührenden Werke, der Werke, die dich treffen, zum Nachdenken und Mitfühlen bewegen, teile ich. Es ist aber nicht die exklusive ethische Komponente, die ein Werk zu einem Meisterwerk macht, es gibt auch andere, wie ästhetische, technische, mimetische und noch einige dazu. :smile:

Stell Dir
mal vor, Du müsstest Dir DAVON einen Klavierauszug anhören.

Warum? Ich lese keine comics-Adaptionen vom „Prozess“ oder von
dem „Tod des Iwan Iljitsch“.

Ich sagte ja auch „Du müsstest …“. Freiwillig tut sich so
etwas wohl niemand an :smile:. Warum? Kennst Du zufällig die
Aufnahme vom Hoffnung Interplanetary Music Festival von 1958?
Speziell Sugar Plums - fettester Tschaikowski-Pomp, gespielt
von einem Blockflötenensemble und Kinderspielzeug-Schlagwerk.
Selten etwas so Entlarvendes gehört, was hab ich gelacht …

Ich kenne diese Aufnahme nicht, aber ich verstehe - diesmal - besser, was du meinst :smile: „Entlarvendes“ hast du gesagt. Oben hast du dich über die Versuche, Schönberg schlecht zu reden, gewundert. Ich wundere mich oft, wenn einer das, was er nicht versteht, schlecht redet. Auch wenn es um Ravels Bolero geht. Auf diese Weise lernt man Geschmäcker und Menschen kennen, nicht die Kunst.

Freundliche Grüße

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Guten Morgen Ralf,

Moin Peet :smile:

  1. Musik verstehen ist der gängige Ausdruck dafür, was verbale
    sowie nonverbale Fixierung der musikalischen Inhalte ausmacht.
    Die Musik kann man unmöglich voll in Worte übersetzen - sonst
    ist es keine Musik. Hermeneutische Art, Musik zu erklären,
    verführt dazu, auch solche Werke für erzählbar zu halten, die
    nie dafür komponiert wurden. Das zu tun wäre aber ein Fehler.
    „Die Kunst der Fuge“ oder „Das musikalische Opfer“ sind
    berühmten Beispiele.

Yep. Das war’s, was mich an der Formulierung ‚verstehen‘ irritierte.

Eine differenziertere Antwort auf die Frage, wie man solche
Musik versteht, z.B. Ravels Bolero, erfordert u.a. Erfahrungen
mit dem Hören der Musik im Konzert, mit Meditation, mit
traditioneller Musik wie der indische Raga, mit der
Passacaglia von Bach, mit oben genannten Werken von Strawinski
und Ravel, mit der Leningrader Symphonie von Schostakowitsch,
mit der Biografie von Ravel, mit dem Expressionismus, mit dem
Ersten Weltkrieg, mit den goldenen Zwanzigern usw.

Hab ich, hab ich (o.k., Ravels Biographie kenn ich kaum)… obwohl’s ein ganz schönes Programm ist. Ob das wirklich jeder durchgeackert hat, der den Bolero mag …

Nach dem
Eintauchen in und nach dem Austausch zu allen diesen Bereichen
ist man vielleicht sensibel genug, um auch Bolero zu
verstehen. Es ist aber kein Muß. Weil die Musik zu verstehen,
ist nicht nur die Verarbeitung der erworbenen Kenntnisse,
sondern auch die Bereitschaft, auf Gefühle anderer Menschen
und Epochen einzugehen.

O.K., das macht es für mich um einiges klarer, was Du mit ‚verstehen’ meinst. Auf der letzten Documenta wurde mir bei einer Führung erklärt, manche Werke seien eben ‚kontextbedürftig’. Der Ausdruck hat mir gefallen :smile:. In der Tat kann eine Kenntnis des Kontextes dazu führen, dass man ein Werk tiefer, intensiver (ganzheitlicher) erfährt - um den Ausdruck ‚verstehen’ zu umgehen :wink: …; das bestreite ich nicht. Wo ich etwas unwillig werde, das ist, wenn ein Werk ‚kontext bedürftig ’ ist, also ohne Kontext nicht ‚verstanden’ oder goutiert werden kann. Du hattest „Die Kunst der Fuge“ genannt – ist es nicht vor allem das Charakteristikum, dass eben dieses Werk völlig ohne außermusikalischen Kontext, allein für sich, bestehen kann, das seine Größe ausmacht?

Ich will gar nicht die Rolle leugnen, die die Hör-Erfahrung beim Genießen musikalischer Werke spielt; in der Tat findet da sicherlich eine fortschreitende Sensibilisierung statt. Aber eine solche Sensibilisierung führt ja nicht nur dazu, dass man bestimmte Arten von Musik schätzen lernt – sondern auch dazu, dass man es bei anderer Musik eben nicht (mehr) tut. Wer ‚gelernt’ hat, „Die Kunst der Fuge“ zu hören, wird sich wohl kaum noch an Daniel Kübelböck erfreuen können.

Um von Kübelböck die Kurve zu Ravel zu kriegen: ich will jetzt keine Ich-bin-sensibler-als-Du-und-mag-deswegen-den-Bolero-nicht-Debatte führen. Das allein ist es ja wohl nicht. Möglicherweise spielt für Dich der außermusikalische Kontext eines Werkes beim Hören eine andere Rolle als für mich. Oder innerhalb dieses Kontextes spielen für Dich andere Dinge eine wichtige Rolle als für mich. Wäre das eine denkbare Erklärung dafür, dass wir dieses Werk so unterschiedlich empfinden?

  1. Ein Meisterwerk entsteht, wenn mindestens ein anerkannter
    Fachmensch ein Kunstwerk dazu erklärt. Es gibt immer genug
    andere Blöde, die ihm folgen :smile:

So ist es :smile: – und es gibt immer genug Blöde, die dem ‚Fachmensch’ die Anerkennung als solcher verweigern. Folgerichtig ist die Musikgeschichte voll von Meisterwerken, nach denen heute kein Hahn mehr kräht. Ob das allemal an den Hähnen oder an den Werken liegt, sei mal dahingestellt.

Deine Wertschätzung der rührenden Werke, der Werke, die dich
treffen, zum Nachdenken und Mitfühlen bewegen, teile ich. Es
ist aber nicht die exklusive ethische Komponente, die ein Werk
zu einem Meisterwerk macht, es gibt auch andere, wie
ästhetische, technische, mimetische und noch einige dazu. :smile:

Oh – sooo exklusiv hatte ich das durchaus nicht gemeint. Und ‚Nachdenken’ halte ich während des Musikhörens eher für hinderlich – im Gegensatz zu Mitfühlen, Empathie. Das Beispiel war schlecht von mir gewählt – vielleicht hätte ich besser Weberns op.6 genommen (zumindest die Überarbeitung stammt ja aus dem selben Jahr wie der Bolero). Gegen Ende des vierten Orchesterstücks laufen mir regelmäßig Schauer den Rücken hinunter – ähnlich, wie wenn im ‚Survivor’ der Chor mit dem ‚Shema Yisrael’ einsetzt … Es geht also auch ohne Kontext, zumindest ohne ethischen – es sei denn, man gesteht Musik insgesamt eine ‚veredelnde’ oder ‚charakterbildende’ Funktion zu. Ich persönlich halte davon nichts.

„Entlarvendes“ hast du gesagt.

Ja – so sehe ich das. Ich denke schon, dass man sich Orchesterwerke (und besonders die pompöseren Spektakel unter ihnen) nach Möglichkeit ruhig auch einmal mit etwas reduziertem Aufwand zu Gemüte führen sollte, um zu sehen, was dann noch davon übrig bleibt. Dein Vergleich mit Comic-Fassungen von literarischen Werken hinkt da ganz gewaltig. Ich will jetzt gar nicht mit den Liszt-Transkriptionen der Beethoven-Sinfonien anfangen, sondern – stilistisch und zeitlich näher zu Ravel – auf Rachmaninows ‚Toteninsel’ verweisen. Ebenfalls ein äußerst populäres, raffiniert orchestriertes Stück, vielleicht keine ganz ‚große’ Musik - aber das Stück kann durchaus auch in der Transkription für zwei Klaviere überzeugen. Ginge das mit dem Bolero?

Oben
hast du dich über die Versuche, Schönberg schlecht zu reden,
gewundert. Ich wundere mich oft, wenn einer das, was er nicht
versteht, schlecht redet. Auch wenn es um Ravels Bolero geht.
Auf diese Weise lernt man Geschmäcker und Menschen kennen,
nicht die Kunst.

Oh – gewundert habe ich mich durchaus nicht. Ich habe im Gegenteil Verständnis dafür, dass manche Leute Schönberg nicht mögen (ich mag auch nicht alles von ihm). Vielleicht weil ich das, wie schon gesagt, nicht darauf zurückführe, dass sie Schönberg nicht ‚verstehen’. Und was die Kunst angeht – sie existiert nicht ohne „Geschmäcker und Menschen“. Wir hatten es im Zusammenhang mit dem Begriff ‚Meisterwerk’ schon angesprochen – gibt es denn objektive Kriterien dafür, was Kunst ist? Was wäre ein objektives Kriterium dafür, dass der Bolero Kunst ist, dass er „gute Musik – sehr gute sogar!“ ist?

Freundliche Grüße,
Ralf

Definitionen
Die Kunst hat etwas Elitäres an sich: Nicht jeder kann sie ausüben, nicht jeder kann sie rezipieren, nicht jeder beurteilen. Ein Musikliebhaber wäre gut beraten, seine Urteile als Vor(übergehende) Urteile zu sehen. Ein Kenner - seine proffesionell bedingte Arroganz gut zu verstecken. Die meisten Musikliebhaber verstehen Musik, ohne sie und sich erklären zu können. Die Rezeption läuft bei ihnen nonverbal, Urteile werden in der Form „es gefällt/gefällt nicht“ formuliert.

Ob das
wirklich jeder durchgeackert hat, der den Bolero mag …

… Es sind aber Voraussetzungen, darüber ernsthaft (qualifiziert) sprechen zu dürfen. Mögen oder nicht mögen darf jeder, wie es ihm passt.

In der Tat kann eine Kenntnis des Kontextes dazu führen,
dass man ein Werk tiefer, intensiver (ganzheitlicher) erfährt

  • um den Ausdruck ‚verstehen’ zu umgehen :wink:
    …; das bestreite ich nicht. Wo ich etwas unwillig werde,
    das ist, wenn ein Werk ‚kontext bedürftig
    ist, also ohne Kontext nicht ‚verstanden’ oder
    goutiert werden kann. Du hattest „Die Kunst der
    Fuge“ genannt – ist es nicht vor allem das
    Charakteristikum, dass eben dieses Werk völlig ohne
    außermusikalischen Kontext, allein für sich, bestehen kann,
    das seine Größe ausmacht?

Das stimmt leider nicht. „Die Kunst der Fuge“ kann ein Nicht-Musiker nur bedingt verstehen, eigentlich gar nicht, nicht ohne Einführung jedenfalls. Und auch dann spielt der außermusikalische Kontext immer noch eine große Rolle. Als Stichworte lasse ich Mathematik und Biografie sowie Geschichte der Polyphonie stehen, die alle außerhalb der Musik als des unmittelbaren Klangprozesses liegen.

Ich will gar nicht die Rolle leugnen, die die Hör-Erfahrung
beim Genießen musikalischer Werke spielt; in der Tat findet da
sicherlich eine fortschreitende Sensibilisierung statt. Aber
eine solche Sensibilisierung führt ja nicht nur dazu, dass man
bestimmte Arten von Musik schätzen lernt – sondern auch
dazu, dass man es bei anderer Musik eben nicht (mehr) tut. Wer
‚gelernt’ hat, „Die Kunst der Fuge“ zu
hören, wird sich wohl kaum noch an Daniel Kübelböck erfreuen
können.

Ja.

Um von Kübelböck die Kurve zu Ravel zu kriegen: ich will jetzt
keine
Ich-bin-sensibler-als-Du-und-mag-deswegen-den-Bolero-nicht-Debatte
führen. Das allein ist es ja wohl nicht. Möglicherweise spielt
für Dich der außermusikalische Kontext eines Werkes beim Hören
eine andere Rolle als für mich. Oder innerhalb dieses
Kontextes spielen für Dich andere Dinge eine wichtige Rolle
als für mich. Wäre das eine denkbare Erklärung dafür, dass wir
dieses Werk so unterschiedlich empfinden?

Ja. Wo du das sagst… :smile:

und es gibt immer genug Blöde, die dem
‚Fachmensch’ die Anerkennung als solcher
verweigern. Folgerichtig ist die Musikgeschichte voll von
Meisterwerken, nach denen heute kein Hahn mehr kräht. Ob das
allemal an den Hähnen oder an den Werken liegt, sei mal
dahingestellt.

Die Verachtung der (musikalischen sowie wissenschaftlichen) Tradition sagt wiederum mehr über den Hahn als über die Tradition. Man steht entweder in ihr oder außerhalb. Ein Satie, Cage, Nancarrow dürfen das, weil sie mit der Tradition arbeiten, indem sie sie sprengen.

Oh – sooo exklusiv hatte ich das durchaus nicht gemeint.
Und ‚Nachdenken’ halte ich während des Musikhörens
eher für hinderlich – im Gegensatz zu Mitfühlen,
Empathie. Das Beispiel war schlecht von mir gewählt –
vielleicht hätte ich besser Weberns op.6 genommen (zumindest
die Überarbeitung stammt ja aus dem selben Jahr wie der
Bolero). Gegen Ende des vierten Orchesterstücks laufen mir
regelmäßig Schauer den Rücken hinunter – ähnlich, wie
wenn im ‚Survivor’ der Chor mit dem ‚Shema
Yisrael’ einsetzt … Es geht also auch ohne
Kontext, zumindest ohne ethischen – es sei denn, man
gesteht Musik insgesamt eine ‚veredelnde’ oder
‚charakterbildende’ Funktion zu. Ich persönlich
halte davon nichts.

Das stimmt leider auch mit dem Webern-Beispiel nicht. Die Musik des Expressionismus kann man ohne Mahler und den Expressionismus-Kontext nicht verstehen. Deine positive und richtige Reaktion auf diese Musik ist eine gute Voraussetzung für die weitere Vertiefung. Und wie gesagt, das ist kein Muß, es liegt an dir, ob du es willst.

„Entlarvendes“ hast du gesagt.

Ja – so sehe ich das. Ich denke schon, dass man sich
Orchesterwerke (und besonders die pompöseren Spektakel unter
ihnen) nach Möglichkeit ruhig auch einmal mit etwas
reduziertem Aufwand zu Gemüte führen sollte, um zu sehen, was
dann noch davon übrig bleibt. Dein Vergleich mit
Comic-Fassungen von literarischen Werken hinkt da ganz
gewaltig. Ich will jetzt gar nicht mit den
Liszt-Transkriptionen der Beethoven-Sinfonien anfangen,
sondern – stilistisch und zeitlich näher zu Ravel
– auf Rachmaninows ‚Toteninsel’ verweisen.
Ebenfalls ein äußerst populäres, raffiniert orchestriertes
Stück, vielleicht keine ganz ‚große’ Musik - aber
das Stück kann durchaus auch in der Transkription für zwei
Klaviere überzeugen. Ginge das mit dem Bolero?

Die Idee mit dem reductio finde ich antihistorisch. Ravel hat den Bolero so komponiert, daß wir es nur so wahrnehmen können und nicht anders. Dein Wunsch über die Transkription für zwei Klaviere ein Werk zu prüfen, welches dafür nicht gedacht wurde, ist fraglich. Tu das einer Messe von Machaut oder einem indischen Raga bitte nicht an.

Und was die Kunst
angeht – sie existiert nicht ohne „Geschmäcker und
Menschen“. Wir hatten es im Zusammenhang mit dem Begriff
‚Meisterwerk’ schon angesprochen – gibt es
denn objektive Kriterien dafür, was Kunst ist? Was wäre ein
objektives Kriterium dafür, dass der Bolero Kunst ist, dass er
„gute Musik – sehr gute sogar!“ ist?

Es gibt keine objektive Kriterien außerhalb einer festen Tradition, die ihrerseits aber nur von den objektiven Kriterien unterstützt wird. Menschen, die bereit sind, die Tradition zu akzeptieren und sich darin zu finden, haben nicht nur einen Geschmack. Sie sind imstande, die Größe eines Meisterwerkes zu akzeptieren, auch wenn es ihnen persönlich nicht gefällt. Sie wissen auch, daß ein Meilenstein nicht beiseite gelegt werden darf. Konkrete Hinweise habe ich in meinem ersten Posting zum Thema angegeben.

Noch einmal: Ostinato und Crescendo verschmelzen hier zu einem Prinzip, das sind absolut innermusikalische Inhalte, die von der Kraft des Rhythmus ausgehen, in der sehr komplizierten Synthese der rhytmischen Elemente von spanischem, kubanischem Folklore sowie Jazz. Das ist neu, revolutionär und bricht mit der Publikumserwartung („intolerable“). Diese Inhalte stehen hier aber in der Atmosphäre der Nachkriegszeit als Träger oder Transporter vom außermusikalischen Kontext. Spätestens in der Leningrader Symphonie von Schostakowitsch wurde dieser Kontext (Ordnung gegen Anarchie und umgekehrt) als Invasion des Bösen festgelegt. Es ist klar, daß das andere Publikum, welches das Stück als Hintergrundbegleitung für Eiskunsttanz oder falsch verstandene Erotik kennenlernt, das anders sieht.

Viele Grüße

reductio

Die Idee mit dem reductio finde ich antihistorisch. Ravel hat
den Bolero so komponiert, daß wir es nur so wahrnehmen können
und nicht anders. Dein Wunsch über die Transkription für zwei
Klaviere ein Werk zu prüfen, welches dafür nicht gedacht
wurde, ist fraglich. Tu das einer Messe von Machaut oder einem
indischen Raga bitte nicht an.

Hallo Peet,
unsere ganze Argumentation zu diesem Thema ist weitgehend hinfällig. Ein Bekannter hat mich darauf hingewiesen, dass es tatsächlich eine Fassung des Bolero für zwei Klaviere gibt, von Ravel 1930 eingerichtet. Ich verkneife es mir, öffentlich über Gründe für die Obskurität dieser Fassung zu spekulieren.

Was Raga-Musik angeht – davon abgesehen, dass bei der Stimmung des Klavieres einiges an Aufwand zu treiben wäre (ich erinnere mich dunkel an 8 swara und 14 sruti innerhalb einer Oktave), ist allein schon die Idee der Transkription absurd - in erster Linie jedoch, weil solche Musik von Improvisation lebt und aus gutem Grund nicht notiert wird.

Freundliche Grüße,
Ralf

Kriterien
Hallo Peet

Die Kunst hat etwas Elitäres an sich: Nicht jeder kann sie
ausüben, nicht jeder kann sie rezipieren, nicht jeder
beurteilen.

Eliten definieren sich selbst – ihre Regelkanones fungieren als Ab- und Ausgrenzung und damit als Selbstvergewisserung und Legitimation elitären Anspruchs. Mehr steckt nicht dahinter. ‚Kunst’ ist ein Mythos. Das Allerheiligste im Tempel ist leer. Wo kein Fanum, da ist auch kein Profanum.

… Es sind aber Voraussetzungen, darüber ernsthaft
(qualifiziert) sprechen zu dürfen. Mögen oder nicht mögen darf
jeder, wie es ihm passt.

Wer setzt die Voraussetzungen fest, wann wer wie über was sprechen darf? Es ist jedem belassen, jemandem, der sich nicht auf das eigene Werte- und Beurteilungsschema einlassen will, den Diskurs zu verweigern und sich mit Gleichgesinnten im Elfenbeinturm einzuschließen. Aber ich gestehe niemandem zu, im öffentlichen Diskurs allgemeingültige Qualifikationen und Disqualifikationen auszusprechen.

„Die Kunst der Fuge“ kann ein
Nicht-Musiker nur bedingt verstehen, eigentlich gar nicht,
nicht ohne Einführung jedenfalls. Und auch dann spielt der
außermusikalische Kontext immer noch eine große Rolle. Als
Stichworte lasse ich Mathematik und Biografie sowie Geschichte
der Polyphonie stehen, die alle außerhalb der Musik als des
unmittelbaren Klangprozesses liegen.

Dies macht mir erneut deutlich, worin sich vermutlich unsere Art der Rezeption unterscheidet – und bestätigt meinen Widerwillen gegen den Begriff ‚verstehen’ im Zusammenhang mit Musik. Ich versuche, Musik zu erfahren und erst in zweiter Linie (und jedenfalls nicht während des Höraktes) intellektuell zu verstehen. Ich höre nicht analytisch, sondern empathisch - die sinnliche Erfahrung und die emotionale Reaktion darauf hat für mich den absoluten Primat. Ein Defizit in dieser Beziehung ist für mich nicht heilbar. Das ist natürlich die Position eines militanten Amateurs, ich leugne es nicht … :wink:

Noch einmal: Ostinato und Crescendo verschmelzen hier zu einem
Prinzip, das sind absolut innermusikalische Inhalte, die von
der Kraft des Rhythmus ausgehen, in der sehr komplizierten
Synthese der rhytmischen Elemente von spanischem, kubanischem
Folklore sowie Jazz. Das ist neu, revolutionär und bricht mit
der Publikumserwartung („intolerable“). Diese Inhalte stehen
hier aber in der Atmosphäre der Nachkriegszeit als Träger oder
Transporter vom außermusikalischen Kontext.

Das ist alles schön und richtig, und brilliant instrumentiert ist es auch noch. Trotzdem – ich finde es langweilig; um mit Deinen Worten zu sprechen: Es gefällt mir nicht. Um es zu wiederholen: Ein Defizit in dieser Beziehung ist für mich nicht heilbar.

Das stimmt leider auch mit dem Webern-Beispiel nicht. Die
Musik des Expressionismus kann man ohne Mahler und den
Expressionismus-Kontext nicht verstehen.

Aber man kann sie völlig ohne Kenntnis dieses Kontextes erfahren. Und zwar durchaus nicht notwendig als schrill, misstönend, ver-störend. Das ‚Verstehen’ mag ein Zugang sein, Offenheit und Unvoreingenommenheit (kein Klammern an Hörgewohnheiten) ist ein anderer – vielleicht einer, der folgerichtiger zum tatsächlichen ‚Genuss’ von Musik führt. Ein ‚Verstehen’ alleine kann allenfalls zu einer Wertschätzung führen. Das wäre mir zu wenig.

Gesagtes trifft selbstverständlich nur auf den Konsumenten von Musik zu – für den Interpreten ist ein ‚Verstehen’ unabdingbar. Aber ein Verstehen ohne die emotionale Komponente des Nachempfindens kann nur zu einer trocken akademischen, uninteressanten Interpretation führen. Für einen Musiker genügt es nicht, ein Stück zu verstehen – ich denke, er muss es lieben, wenn seine Interpretation etwas taugen soll.

und es gibt immer genug Blöde, die dem
‚Fachmensch’ die Anerkennung als solcher
verweigern. Folgerichtig ist die Musikgeschichte voll von
Meisterwerken, nach denen heute kein Hahn mehr kräht. Ob das
allemal an den Hähnen oder an den Werken liegt, sei mal
dahingestellt.

Die Verachtung der (musikalischen sowie wissenschaftlichen)
Tradition sagt wiederum mehr über den Hahn als über die
Tradition. Man steht entweder in ihr oder außerhalb. Ein
Satie, Cage, Nancarrow dürfen das, weil sie mit der Tradition
arbeiten, indem sie sie sprengen.

Ich vermute, Du hast mich da falsch verstanden. Die Tradition (so lange man ihr keine Maßstabsqualität zumisst) ist für mich durchaus nicht verachtenswert und ihre Kenntnis allemal eine Bereicherung des persönlichen Horizontes. Es ging mir ja um die Frage, was ein ‚Meisterwerk’ zu einem solchen macht und ob dies Deiner Meinung nach an objektiven Kriterien festzumachen ist. Das von Dir (wohl scherzhaft verkürzt) als Kriterium genannte Urteil eines „anerkannten Fachmenschen“ beantwortet meines Erachtens diese Frage nicht erschöpfend.

Um die Frage anders zu stellen: warum findet ein Bach eher geneigte Hörer als ein Pachelbel und ein Mozart eher als ein Wagenseil. Ich denke, das entzieht sich weitgehend objektiven (technisch / handwerklichen) Beurteilungsmaßstäben.

Sicher, man soll die Stimmen wägen, nicht zählen, um mit Schiller zu sprechen. Aber auch im Urteil der „anerkannten Fachmenschen“ spielen nach meiner Überzeugung subjektive Kriterien eine bedeutende Rolle – und nicht immer ist das breite Publikum bereit, das subjektive Empfinden der Fachwelt (bzw. einzelner Vertreter) nachzuvollziehen. Wobei das sicher nicht das Problem des Bolero ist …

Was wäre ein
objektives Kriterium dafür, dass der Bolero Kunst ist, dass er
„gute Musik – sehr gute sogar!“ ist?

Es gibt keine objektive Kriterien außerhalb einer festen
Tradition, die ihrerseits aber nur von den objektiven
Kriterien unterstützt wird.

Das klingt fast nach religiöser Orthodoxie. Tradition in diesem Sinne ist fester Bestandteil des elitären Regelkanons und wie dieser insgesamt Selbstzweck. Aber davon abgesehen – welche Tradition liefert denn dann für den Bolero

Das ist neu, revolutionär und bricht mit der Publikumserwartung („intolerable“).

die objektiven Kriterien? Da wird ja nicht nur mit der Publikumserwartung, sondern auch mit der Tradition gebrochen. Dass die Tradition mittlerweile den Bolero integriert hat, ist eine andere Geschichte. Der Bolero entspricht den Kriterien der Tradition erst a posteriori - er hat sich seine positiven Kriterien selbst geschaffen.

Menschen, die bereit sind, die
Tradition zu akzeptieren und sich darin zu finden, haben nicht
nur einen Geschmack. Sie sind imstande, die Größe eines
Meisterwerkes zu akzeptieren, auch wenn es ihnen persönlich
nicht gefällt. Sie wissen auch, daß ein Meilenstein nicht
beiseite gelegt werden darf.

Ich mag mit meinem Spott über die edle Einfalt und so gar nicht stille Größe des Bolero zu weit gegangen sein. Dass mein Missfallen eine Sache persönlicher Empfindung ist, sollte wohl mittlerweile klar sein – so wie ich die Existenz objektiver Kriterien bezweifle, die für die ‚Größe’ eines Werkes sprechen, gilt auch das Umgekehrte. Einziges Kriterium für mich, ob ein bestimmtes Musikstück ‚gut’ ist oder nicht, ist mein Empfinden – notwendig also ein subjektives Kriterium und daher auch nur für mich persönlich gültig. Die musikhistorische Bedeutung eines Werkes bleibt davon unberührt – sie macht es nicht ‚besser’ und nicht ‚schlechter’ und interessiert mich daher auch, wie schon angedeutet, allenfalls in zweiter Linie.

Freundliche Grüße,
Ralf