Reaktionslosigkeit

Hallo,

ich hatte vor einiger Zeit ein komisches Erlebnis mit einem Arbeitskollegen. Wir gehen schon seit über zwei Jahren regelmäßig zusammen einmal im Monat privat feiern. Wir haben ein gutes Verhältnis und er erzählt mir auch viele private Dinge. Daher kenne ich auch seine ganze Lebensgeschichte die mit schlimmen Schicksalsschlägen gekennzeichnet ist. Vor 5 Jahren erkrankte er an Darmkrebs und vor einem Jahr ist sein Bruder verstorben zu dem er ein sehr gutes Verhältnis hatte. Er war quasi sein Vorbild.
Er hatte nie Probleme über diese Erlebnisse zu sprechen und machte immer einen Eindruck als wäre er psychisch stark und dass er die Dinge gut verarbeitet hatte. Er erwähnte auch ohne dabei wirklich traurig zu werde, dass ihm sein Arzt ein kurzes Leben prophezeit hat. Er ist von Natur aus ein geselliger Typ, immer sehr fröhlich, hat immer ein Witz parat und sorgt immer für gute Stimmung. Er hat vor halben Jahr einen guten Freund gefunden mit dem er sich von Anfang an top verstanden hat und mit dem er seit dem sehr oft unterwegs ist. Ich habe den Freund kurz darauf auch kennengelernt und sofort verstanden warum er ihn so mag. Der Freund ist vom aussehen, Charakter und alter seinen verstorbenen Bruder ähnlich. Das hat er auch direkt erwähnt dass er ihn wie ein Bruder mag und an seinen Bruder erinnert. Seine Freundin ist mittlerweile auch schon eifersüchtig weil er mit ihm mehr Zeit verbringt als mit ihr.

Soviel zur Vorgeschichte und zum Hintergrund. Nun waren wir zu dritt vor 2 Wochen Fußball gucken und alles war wie immer. Gute Stimmung usw. Es ist schon spät geworden und wir hatten schon das eine oder andere Bier hinter uns. Doch irgendwie war er von einer Sekunde auf die andere nicht mehr derselbe. Er saß nur noch da, guckte auf die Leinwand mit einem traurigen Ausdruck und reagierte auf uns nicht mehr. Er hatte zwar schon viel Alkohol getrunken, aber bis vor einer Minute machte er noch Späße und war fast ununterbrochen am reden. Wir dachten ihm wäre schlecht oder er schläft gleich ein weil er müde ist. Aber dem war nicht so. Er hat auf unsere Fragen keine Reaktion gezeigt. Er starrte nur auf die Leinwand wo das Fußballspiel lief. Als dann fast ein Tor fiel machte er aber eine kurze Reaktion als ob er sich freuen würde und hob sogar die Hände hoch. Fünf Minuten versuchten wir vergeblich eine Reaktion von ihm zu erzwingen. Einmal hat er nur kurz schwach und künstlich die Mundwinkel gehoben und leicht genickt als wir ihn fragten ob er was essen möchte. Und dann wieder keine Reaktionen. Später brachten wir Fleisch vom Grill und stellten das neben uns. Er sah das und fing an zu essen aber reagierte auf uns immer noch nicht. Das ging so 15 Minuten bis er dann aufstand und eine rauchen ging. Ich folgte ihm und versuchte ihn weiter anzusprechen doch auch beim rauchen kaum Reaktion nur ein schwaches verneinen mit dem Kopf als ich fragte ob ihm schlecht sei. Danach schlief er im sitzen ein. 2 Stunden später habe ich ihn darauf angesprochen und er war wieder der Alte und machte Witze. Er meinte das war zu viel Alkohol für ihn gewesen.
Ich weiß nicht ob ich das glauben soll. Kann es sein das es eine Art Trauma oder Depression ist wegen seiner Vergangenheit?

Danke im Voraus.

MfG

Hi,

Kann es sein das es
eine Art Trauma oder Depression ist wegen seiner
Vergangenheit?

ich denke eher, es war eine Depression auf seine Zukunft. Wenn er trotz schwerer Erkrankung immer gut drauf ist, könnte das ein Verdrängung sein. Gerade aber, wenn alle anderen um einen gut drauf sind, komtm manchmal alles durch und man denkt sich „was soll das eigentlich alles“?
Grüße,
JPL

Ich glaube ja die ganze Zeit auch dass es eher eine Depression war oder ist. Ich kenne mich aber mit diesem Thema auch nicht aus. Ich dachte das halt weil er nie Gefühle zeigt, damit meine ich speziell Trauergefühle oder Traurigkeit. Und wenn er über die Ereignisse spricht dann immer in einer neutralen Gefühlslage. Das er einen mag, dass zeigt und sagt er aber gleich.
Ich muss vielleicht noch erwähnen dass er sonst immer auch ein kleiner Angeber war. Er hat gerne damit geprallt was für einen Wagen er fährt und wieviel geld er hat, auch wenns nicht immer gestimmt hat.
Ich glaube daher dass er vielleicht auch keine Schwäche zeigen will und an dem Abend als das passiert ist seine Traurigkeit nicht mehr unterkontrolle hatte. Er wollte dann warscheinlich auch nicht mit uns reden weil er dann Schwäche zeigen würde und vielleicht auch in tränen ausbrechen könnte. Er hat mir auch oft erzählt dass er von seinen Eltern streng erzogen wurde und ihm Schwächen wie z.B. Alkohol vor dem 18. Geburtstag nur schwer verziehn wurden.

Aber es ist nur von mir eine Vermutung. Vielleicht kann es auch eine Art Schizophrenie oder schwere Depression sein aufgrund der Ereignisse. Ich habe nähmlich mal gehört das dabei auch solche Symptome vorkommen wie oben beschrieben. Dabei soll der Betroffene sowas aber nicht bewust machen. Wenn es nicht der Fall ist und er will bewust mit uns nicht darüber reden, dann besteht wenigstens die Hoffnung dass man in solcher Situation mit ihm Kontakt aufnehmen kann.
Vielleicht kennt sich hier einer ja besser aus als ich und kann mir auch sagen was man dabei tun kann und wie mann sich verhält.

Hallo,

Alkohol lässt Schranken im Gehirn fallen. Auch solche, die eine Schutzfunktion übernehmen und verhindern, dass bestimmte Probleme sich in den Vordergrund drängen können.

Besonders Männer neigen unter Alkohol zu gewaltigen Anfällen von Selbstmitleid - möglicherweise weil sie sich nüchtern selbiges nicht zugestehen. Es ist kaum anzunehmen, dass ein Mensch mit einer solchen Geschichte wie der von dir Beschriebene so vollkommen mit seinem Leben im Reinen ist, wie er den Anschein macht. Und wenn die Kontrolle versagt, krabbeln die Schatten ans Licht.

Schöne Grüße,
Jule