Hallo,
wäre einer so nett von euch mir zu erklären warum in einem elektrischen Stromkreis (nehmen wir als Beispiel ein Parallelschwingkreis L(Solenoidspule) parallel zu C(Kondensator)) wenn der Wechselstrom durch die Solenoidspule fließt dann führt die Elektrische Spannung an den enden der Spule vor dem Strom mit einem Wert von pi/2 oder wenn sich die Spannung beim Kondensator ändert dann führt der Strom an den enden des Kondensators mit einem wert von pi/2, was bedeutet das? Wie kann ich mir das vorstellen? Was ist genau der Reaktive Widerstand?
Guten Abend.
Physikalisch:
Der Blindwiderstand einer Spule entsteht wegen der Lenzschen Regel. Der Stromfluß in der Spule und die Eigenschaft der Spule, induktiv zu sein (Induktivität), verursacht ein magnetisches Feld, das dem Strom entgegengerichtet ist. Es fließt Energie in das Feld. Wieviel Energie der Quelle entzogen wird und „blind“ für den Feldaufbau verloren geht, beschreibt die Blindleistung ausgehend vom Blindwiderstand.
Der Blindwiderstand eines Kondensators entsteht, weil der Kondensator ein elektrisches Feld aufbaut und sich nach und nach auflädt. Seine Eigenschaft ist es, kapazitiv zu sein (Kapazität). Wie bei der Spule fließt beim Kondensator Energie in das Feld.
Wie die Phasenverschiebungen entstehen, folgt aus der komplexen Rechnung.
Ohmscher Widerstand
Das Ohmsche Gesetz kennst Du.
In umgeformter Schreibweise:
u = R \cdot i
Spannung und Strom in rotierende Zeiger in der komplexen Ebene transformieren
\hat{U} e^{j(\omega t + \varphi_u)} = R \cdot \hat{I} e^{j(\omega t + \varphi_i)}
\underline{U} = R \cdot \underline{I}
Das Ohmsche Gesetz gilt auf gleiche Weise im Komplexen.
Spannung und Strom sind über die reelle Größe R verknüpft. Die Zeiger müssen hierzu zwingend die gleiche Phasenlage aufweisen.
\frac{\underline{U}}{\underline{I}} = \frac{\hat{U} \cdot e^{j(\omega t + \varphi_u)}}{\hat{I} \cdot e^{j(\omega t + \varphi_i)}} = \frac{\hat{U}}{\hat{I}} e^{j(\varphi_u - \varphi_i)} = R
\varphi = \varphi_u - \varphi_i = 0
Spule
Induktionsgesetz - Der Strom bei der Spule kann nicht springen:
u = L, \frac{\mathrm di}{\mathrm dt}
L ist die Eigenschaft der Spule, induktiv zu sein - die Induktivität.
Die Induktivität verknüpft den verketteten Fluß
\Psi mit dem Strom i und ist eine geometrische Größe. Sind keine Ferromagnetika in der Nähe, ist die Induktivität linear und beschreibt die Eigenschaften des magnetischen Feldes summarisch. Die elektrotechnische Fachliteratur spricht vom Integralparameter des magnetischen Feldes.
Die Differentialgleichung in die komplexe Ebene transformieren
\underline{U} = j \omega L \cdot \underline{I}
Der Differentialoperator im Zeitbereich wird eine Multiplikation mit j \omega im Komplexen.
Du siehst auch, daß die Gleichung wie das Ohmsche Gesetz konstruiert ist.
Die Größe \omega L ist der Blindwiderstand der Spule (alt: Induktanz). Und Du siehst, es erscheint die imaginäre Einheit j.
Der Ausdruck j \omega L heißt der komplexe Widerstand der Spule. Der Spannungszeiger entsteht durch Multiplikation des Stromzeigers mit einer positiven imaginären Größe, und dies entspricht einer Drehung des Stromzeigers um 90° nach rechts, in die positive mathematische Drehrichtung.
Wenn Du Dir die rotierenden Zeiger in einem geeigneten Moment als ruhende Zeiger vorstellst, könntest Du z.B. den Spannungszeiger in einem guten Moment genau auf der imaginären Achse erwischen, während der Stromzeiger im gleichen Moment auf der reellen Achse liegen würde. Und weil die rotierenden Zeiger sich gegen den Uhrzeigersinn drehen, eilt der Strom der Spannung 90° nach. (Bei Induktivitäten, die Ströme sich verspäten.)
\frac{\underline{U}}{\underline{I}} = j \omega L
Aus der Eulersche Formel beziehungsweise aus dem Lehrsatz von Moirve:
j = e^{j \frac{\pi}{2}}
und wegen
\frac{\underline{U}}{\underline{I}} = \omega L \cdot e^{j \frac{\pi}{2}}
ist der Phasenverschiebungswinkel
\frac{\underline{U}}{\underline{I}} = \frac{\hat{U}}{\hat{I}} e^{j(\varphi_u - \varphi_i)} = \omega L \cdot e^{j \frac{\pi}{2}}
e^{j(\varphi_u - \varphi_i)} = e^{j \frac{\pi}{2}}
\varphi = \varphi_u - \varphi_i = \frac{\pi}{2}
Kondensator
Die Spannung beim Kondensator kann nicht springen:
i = C, \frac{\mathrm du}{\mathrm dt}
Auflösen nach u:
i, \mathrm dt = C, \mathrm du
\frac{1}{C}, i, \mathrm dt = \mathrm du
\frac{1}{C} , \int i, \mathrm dt = u
C ist die Eigenschaft des Kondensators, kapazitiv zu sein - die Kapazität.
Die Kapazität verknüpft den elektrischen Verschiebungsfluß \Psi_{el} mit der Spannung u und ist ein Maß dafür, wieviel Ladung ein mit Spannung beaufschlagter Kondensator aufnehmen kann. Die Kapazität ist wie die Induktivität eine Geometriegröße. Die Fachliteratur spricht vom Integralparameter des elektrischen Feldes.
Die Rechnung erfolgt wie oben bei der Spule.
Die Differentialgleichung in die komplexe Ebene transformieren
\underline{U} = \frac{\underline{I}}{j \omega C}
Der Integraloperatur wird eine Division mit j \omega .
Wieder ist die Gleichung wie das Ohmsche Gesetz konstruiert, denn die Größe \frac{1}{\omega C} ist der Blindwiderstand des Kondensators (alt: Konduktanz). Mit der imaginären Einheit j heißt \frac{1}{j \omega C} der komplexe Widerstand des Kondensators. Der komplexe Widerstand läßt sich umschreiben:
\frac{1}{j} = -j
\frac{1}{j \omega C} = -j, \frac{1}{\omega C}
Der Spannungszeiger entsteht durch Multiplikation des Stromzeigers mit einer negativen imaginären Größe, und dies entspricht einer Drehung des Stromzeigers um 90° nach links, in die negative mathematische Drehrichtung.
Wenn Du Dir wieder die rotierenden Zeiger in einem geeigneten Moment als ruhende Zeiger vorstellst, könntest Du z.B. den Spannungszeiger in einem guten Moment genau auf der reellen Achse erwischen, während der Stromzeiger im gleichen Moment auf der imaginären Achse liegen würde. Der Strom eilt der Spannung 90° vor.
\frac{\underline{U}}{\underline{I}} = -j, \frac{1}{\omega C}
Wieder eine Beziehung für j anwenden:
j = e^{-j \frac{\pi}{2}}
und:
\frac{\underline{U}}{\underline{I}} = \frac{1}{\omega C} \cdot e^{-j \frac{\pi}{2}}
e^{j(\varphi_u - \varphi_i)} = e^{-j \frac{\pi}{2}}
\varphi = \varphi_u - \varphi_i = -\frac{\pi}{2}
Gute Nacht
reinerlein
Vielen Dank Reinerlein für deine Mühe, du hast mir wirklich geholfen das besser zu verstehen, ich würde dir 10 Sterne auf einmal geben wenn das möglich wäre. Mfg. Carboneum.
Errata
Grüß Dich.
Ich war gestern wohl schon sehr müde und möchte einige Fehler korrigieren:
-
Der Blindwiderstand des Kondensators heißt nicht ‚Konduktanz‘ sondern ‚Kapazitanz‘. Wortverwechselung. (Konduktanz ist der Wirkleitwert.)
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In der Rechnung für den Kondensator fehlt in der Zeile
-j = e^{-j\frac{\pi}{2}}
links das Minuszeichen. Unachtsamer Vorzeichenfehler.
Ich möchte Dir auch eine Darstellung eines Professors aus meinem Studium zeigen, mit der er uns Scheinleistung, Wirkleistung und Blindleistung „physikalisch“ verdeutlichte: Er pfiff sich in der Vorlesung ein Bier rein.
Von dieser „Erklärung“ gibt es im Internet ein populäres Bild. Es beschreibt die Aktion, die der Professor live brachte.
http://data21.sevenload.com/slcom_2/or/ub/kmopgff/ck…
Der Blindwiderstand verursacht die Blindleistung.
reinerlein