Rebecca Gablé: Das Lächeln der Fortuna

Hallo,
ich lese gerade o.g. Buch, welches im 14. Jahrhundert spielt.
Mir sind die genreimmanenten Mängel von historischen Romanen bewusst, trotzdem würde ich gerne wissen, ob einige der von Gablé geschilderten Zutände im 14. Jahrhundert wirklich üblich waren:

a) In der Familie eines britischen Stallmeisters (ärmlich, auf dem Land, vom Earl einigermaßen ausgebeutet) kommt mitten in der Woche Suppe mit Hammelfleisch auf den Tisch. Fleisch in der Woche?
b) Die Tochter des Stallmeisters rührt Zucker in eine Speise. Gab es schon Zucker?
c) In jedem Dorf finden die Figuren irgendwo ein Mädchen, welches gern und willig (manchmal gegen Geld, oft ohne) ihren Körper hingibt. Ist das eine Übertragung heutiger Sexualfreiheit ins 14. Jahrhundert oder damalige gesellschaftl. Realität? Da müssten die Mägde doch reihenweise schwanger geworden sein.
d) Die Ritter sind immer in Rüstung unterwegs. Ich dachte immer, die wurden nur zu den Schlachten angelegt.

Liebe Grüße
Hahu

Hallo,

a) In der Familie eines britischen Stallmeisters (ärmlich, auf dem Land, vom Earl einigermaßen ausgebeutet) kommt mitten in der Woche Suppe mit Hammelfleisch auf den Tisch. Fleisch in der Woche?

Fleisch (insbesondere gekochtes) machte im Hochmittelalter tatsächlich auch bei der bäuerlichen Landbevölkerung einen guten Teil des Speisezettels aus. Seinen Tiefpunkt erreichte der Fleischkonsum in Europa erst im 19. Jahrhundert.

b) Die Tochter des Stallmeisters rührt Zucker in eine Speise. Gab es schon Zucker?

Ja - als Luxusartikel, daher hier ein Anachronismus. Ansonsten wurde allenfalls mit Honig gesüßt.

c) In jedem Dorf finden die Figuren irgendwo ein Mädchen, welches gern und willig (manchmal gegen Geld, oft ohne) ihren Körper hingibt. Ist das eine Übertragung heutiger Sexualfreiheit ins 14. Jahrhundert oder damalige gesellschaftl. Realität? Da müssten die Mägde doch reihenweise schwanger geworden sein.

Sexuelle Freizügigkeit war tatsächlich insbesondere auf dem Land recht verbreitet. Das hatte auch etwas damit zu tun, dass Mägde und Knechte in der Regel nicht verheiratet waren - Ehe war etwas für Menschen, die die Mittel für einen eigenen Hausstand und Besitz zu vererben hatten. Sexuelle Bedürfnisse gab es trotzdem und wenn ein Durchreisender einen sympathischen Eindruck machte oder sich für Gefälligkeiten sogar mit einem Geschenk revanchierte, hat man sich nicht allzu sehr geziert.

Was das Schwangerschaftsrisiko angeht, so kannte man diverse Substanzen mit empfängnisverhütender oder abtreibender Wirkung - oder man kannte jemanden, der darüber Bescheid wusste. Dieses Wissen wurde erst ab Beginn der Neuzeit blutig ausgerottet. Trotzdem gab es viele uneheliche Kinder von Mägden, die auf den Bauernhöfen mit aufwuchsen - häufig war der Arbeitgeber auch der Erzeuger, der so für für Personalnachwuchs sorgte. Dass das nicht überhand nahm, dafür sorgte schon die sehr hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit, die natürlich gerade bei den Ärmsten extrem war. Nicht immer hatte der Kindestod eine natürliche Ursache …

d) Die Ritter sind immer in Rüstung unterwegs. Ich dachte immer, die wurden nur zu den Schlachten angelegt.

Das ist allerdings besonders albern. In etwa so, als würde heutzutage ein Eishockey- oder Footballspieler den ganzen Tag im Sommer wie im Winter in voller Ausrüstung herumlaufen. Ritter auf Reisen waren (jedenfalls wenn es zu einem Turnier oder einem Feldzug ging) idR mit drei Pferden unterwegs - einem Marschpferd, dem Streitroß (das sehr wertvoll war und nur im Kampf bzw. Turnier eingesetzt wurde) sowie einem Saumtier, das das Gepäck trug - vor allem die Rüstung. Hinzu kamen noch ein oder zwei berittene Knappen sowie evt. ein weiteres Saumtier.

Freundliche Grüße,
Ralf

Danke für die hilfreiche Antwort! Beim deinem letzten Absatz fällt mir erst auf, dass die Ritter auch stets auf ihrem Kampfross unterwegs sind, egal ob Prinz Edward oder die einfachen Adeligen…

lg hahu

Moin,

Ja - als Luxusartikel, daher hier ein Anachronismus. Ansonsten
wurde allenfalls mit Honig gesüßt.

oder mit Fruchtkraut.
Birnen und Äpfel wurden so verarbeitet und diese Zubereitungen waren nicht nur haltbar, sondern auch ein Zuckerkonzentrat. In England wurde/wird es Black Butter oder Apple Butter genannt

Gandalf

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Nicht ganz einfach zu beurteilen, ohne das Buch zu kennen; der Posten (Titel) des Stallmeisters (stable master) war immerhin einer der höchsten bei Hof (im Gefolge eines Earls vermutlich ebenfalls mit einem Adeligen besetzt) , insofern ist also der Verzehr von Fleisch (unter der Woche) durchaus als möglich anzusehen (zu bedenken auch die schnelle Verderblichkeit von Fleisch, bzw. dessen mangelnde „Lagerbarkeit“, wenn also gerade welches vorhanden war…) und auch der Gebrauch von Zucker als Süßungsmittel (vgl. Pfeffer und andere „exotische“ Gewürze) zwar unwahrscheinlich (sehr teuer und selten), aber immerhin möglich (bekannt und fallweise erhältlich seit den Kreuzzügen), etwa um „Reichtum zur Schau zu stellen“ oder „Gäste zu ehren“.
Die „Verfügbarkeit“ von „willigen Mädchen“ (in Dörfern) dürfte wohl mehr dem Publikumsgeschmack geschuldet sein, in den Städten gab es natürlich Dirnen (in nicht geringer Zahl), vor allem, da im 14. Jhdt. die „Jungfräulichkeit“ als „höchstes Gut eines Mädchens“ angesehen wurde; allerdings ist der Anreiz, Geschlechtsverkehr mit einem „hohen Herrn“ zu haben nicht von der Hand zu weisen, und „gebumst“ wurde auch im 14. Jhdt nicht weniger…
Daß „Ritter“ in voller „Gestech- oder Feldrüstung“ unterwegs waren, darf als Unsinn abgetan werden (allein das Anlegen einer solchen erfordert bis zu einer Stunde), jedoch war das Tragen von Rüstungsteilen (Brustharnisch) oder eines Kettenhemdes für wohlhabende Bewaffnete (Ritter) auf Reisen nicht unüblich (wenn sie es sich denn leisten konnten). Selbst das Schwert (Adelsprivileg) wurde nicht ständig „am Körper“ getragen und wenn, dann zumeist „im Gepäck“ mitgeführt.
Man darf davon ausgehen, daß Frau Gable hier eher „von der Leserschaft erwartete, bzw. erwünschte Klischeevorstellungen“ bedient als sich an „historische Realitäten“ zu halten.

Gruß
nicolai

Hallo,

Trotzdem gab es viele uneheliche Kinder von
Mägden, die auf den Bauernhöfen mit aufwuchsen - häufig war
der Arbeitgeber auch der Erzeuger, der so für für
Personalnachwuchs sorgte. Dass das nicht überhand nahm, dafür
sorgte schon die sehr hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit,
die natürlich gerade bei den Ärmsten extrem war.

Babys wurden auch häufig in Klostern abgegeben. Zum Thema „Sexualität im Mittelalter“ möchte ich gerne auf das Buch „Und sie schämeten sich nicht“ von Joachim Fernau verwisen, der sehr unterhaltsam das Liebesleben und dessen Veränderung über die letzten 1.000 Jahre beschreibt. http://www.amazon.de/Und-sie-sch%C3%A4meten-sich-nic…

viele Grüße
Felix

Babys wurden auch häufig in Klostern abgegeben. Zum Thema
„Sexualität im Mittelalter“ möchte ich gerne auf das Buch „Und
sie schämeten sich nicht“ von Joachim Fernau verwisen, der
sehr unterhaltsam das Liebesleben und dessen Veränderung über
die letzten 1.000 Jahre beschreibt.
http://www.amazon.de/Und-sie-sch%C3%A4meten-sich-nic…

*seufz* Da gibt es doch weiß Gott besseres als den Durchhalte- und Endsiegbarden Fernau, zum Beispiel dieses:
http://www.amazon.de/Dame-Venus-Jacques-Rossiaud/dp/…
Zu Fernau siehe hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Fernau

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Nachtrag: Aufbahrung 40 Tage lang?
Hallo,
im gleichen Buch wird der tote Duke von Lancaster 40 Tage lang aufgebahrt, bevor er begraben wird. Ist das im 13. Jahrhundert üblich/möglich? Ich nehme an, ein Leichnam wird sich nach wenigen Tagen aufblähen und anfangen zu stinken, oder?

lg hahu

Hallo,
gerade beim Hochadel konnte zwischen Tod und Beisetzung schon eine geraume Zeit vergehen. Die Beisetzung war eine sorgfältig zu planende öffentliche Inszenierung, das Publikum hatte z.T. lange Anreisewege usw. - das brauchte sein Zeit. Das bedeutet jedoch nicht , dass der Tote während dieser ganzen Zeit aufgebahrt war.

Karl VI. von Frankreich beispielsweise starb am 21. Oktober 1422 - beigesetzt wurde er am 19. November, also vier Wochen später. Der anonyme Chronist (wohl ein Kanoniker von St. Denis, Fortsetzer des 1421 verstorbenen Michel Pintoin) merkt an, dass eine Aufbahrung bis zu drei Tagen üblich sein, man Charles VI. aber nur einen Tag aufgebahrt hat. Einen Grund nennt er nicht - aber vermutlich war der Verstorbene nicht mehr sonderlich präsentabel. Die Aufbahrung war immerhin ebenfalls eine öffentliche Inszenierung.

Solche Details zu erfahren, ist übrigens ein verhältnismäßig seltener Glücksfall. Das Datum des Todes ist zwar in der Regel festgehalten, da in staatsrechtlicher Hinsicht bedeutsam. Über das Datum der Beisetzung oder die Dauer der Aufbahrung erfahren wir selten konkretes. Selbst die sehr ausführliche Schilderung des Ordericus Vitalis vom Tod und der Beisetzung Wilhelm des Eroberers 1087 gibt uns keine konkreten Daten. Wir erfahren lediglich, dass der Tote von Rouen erst in das über 100 Kilometer entfernte Caen zur Beisetzung überführt werden musste und dass dort der Steinsarg, in dem die Leiche beigesetzt werden sollte, für den korpulenten Verstorbenen deutlich zu klein geraten war. Als man die Leiche in den Sarg quetschte, platzte sie auf - der Gestank war selbst für die damals wesentlich weniger empfindlichen Nasen des Publikums nahezu unerträglich. Aber auch das hat mit ‚Aufbahrung‘ selbstredend nichts zu tun. 6 Wochen Aufbahrung - selbst in einem strengen Winter - halte ich für blanken Unfug. Nach sechs Wochen ist der Leichnam schon halb verflüssigt.

Natürlich kannte man auch Einbalsamierungsmethoden - die setzen zunächst eine Entfernung der inneren Organe und eine Auffüllung der so entstandenen Hohlräume mit Wachs voraus. Diese Präparationen waren allerdings nicht dauerhaft, angewandt wurden sie auch nicht zum Zweck der Aufbahrung, sondern idR danach - vor allem, um zeitaufwendige Überführungen zur Begräbnisstätte zu ermöglichen. Selbst bei einer entsprechend den damaligen technischen Möglichkeiten präparierten Leiche halte ich eine Aufbahrung von 6 Wochen für einen krassen Anachronismus.

Freundliche Grüße,
Ralf