Hallo Gina,
aus anwaltlicher Sicht ist nichts schlimmer als ein Mandant, der einem nicht vertraut und nicht bereit ist, die volle Wahrheit zu sagen. Denn nur auf dieser Basis kann man eine vernünftige Verteidigungsstrategie aufbauen. Nichts ist für den Anwalt peinlicher und für den Mandanten gefährlicher als eine auf Unwahrheiten aufbauende Verteidigungsstrategie, die dann im Gerichtssaal wie eine Seifenblase platzt. Dann ist natürlich immer der schlechte Anwalt schuld, wenn die Sache in die Hose geht, aber in Wirklichkeit hat es sich dann der Mandant ganz alleine zuzuschreiben, wenn er so richtig baden geht. Das Problem liegt insbesondere darin, dass viele Leute meinen, sie wären so abgekocht und hätten eine so gute Story parat, dass niemand ihnen drauf kommen würde und die Sache damit „sicher“ sei. Wozu dann also den Anwalt mit der häßlichen Wahrheit „belasten“, wenn doch ohnehin nie die Wahrheit ans Licht kommen wird, und man als freier Mann den Gerichtssaal verlassen wird? Leider verschätzen sich so knapp 100% der so denkenden Angeklagten und dann wird es richtig bitter. Oft deutet sich die Wahrheit schon nach der Befragung des Angeklagten an, weil die Story einfach zu weit weg geholt ist. Dann kommt die peinliche Bitte von der Richterbank, man möge sich doch noch mal mit seinem Mandanten vor die Tür verziehen und auf diesen Einwirken. Schon dies kostet jetzt extra, und wenn der Mandant dabei bleibt, ein Unschuldslamm zu sein, wird es von Minute zu Minute teurer, weil es im Verfahren (jedenfalls bei den kleineren Sachen und bei Ersttätern) eigentlich nicht um die Bestrafung der Tat als solche geht, sondern immer nur um die Reue und Einsichtsfähigkeit des Angeklagten. Daher ist bei allen Kleinigkeiten auch vor Gericht die Wahrheit immer der beste Rat des Anwalts. Bei Ersttätern gibt es ohnehin üblicherweise Einstellungen oder nicht weiter nennenswerte Auflagen, und bei Jugendlichen sieht man die Sache sogar noch mehr aus der Sicht des erzieherischen Moments. Da gibt es dann vielleicht mal eine kleine Arbeitsauflage, und gut ist.
Ich persönlich nehme auch keine Mandante an, wenn ich mir sicher bin, angelogen zu werden, weil ich mir die Peinlichkeit vor Gericht ersparen möchte. Dies weniger aus eigenem Interesse, sondern für die Mandanten, mit denen ich ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann, denn die Richter sehen schließlich auch, mit welchem Anwalt jemand vor Gericht erscheint und werten auch dies entsprechend.
Gruß vom Wiz
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