Rechtsgrundlage in England?

Hallo zusammen,

eine Frage an die Jura-Experten:

Meines Wissens nach ist es hier in Deutschland so, dass wenn man angeklagt wird die Schuld bewiesen werden muss.

Stimmt es, dass es in England genau anders herum ist? Also, dass der Angeklagte seine Unschuld beweißen muss?

Ich kenne die Fachbegriffe für die beiden unterschiedlichen Situationen nicht, aber hoffe mich verständlich ausgedrückt zu haben.

Freue mich über jede Antwort!

LG Lena

Wie sollte denn so ein System überhaupt praktiziert werden?

Die Engländer machen ja viele verrückte Sachen, aber so weit geht es dann doch nicht.

Gruß,
Steve

Hallo!

Ohne Jurist, geschweige denn Kenner des englischen Rechtssystems zu sein, lässt sich die Frage beantworten:

In allen modernen Rechtsordnungen liegt die Beweislast bei der Staatsanwaltschaft, die die Schuld des Angeklagten beweisen muss. Umgekehrt, also mit der Beweislast beim Angeklagten, der seine Unschuld beweisen muss, ist Rechtsstaatlichkeit nicht möglich, würde Willkür herrschen.

Ungeachtet dessen kann es im Einzelfall Unschuldsbeweise geben, die aber nichts daran ändern, dass grundsätzlich der Ankläger/die Staatsanwaltschaft den Beweis der behaupteten Schuld anzutreten hat.

Gruß
Wolfgang

Aber wäre sowas auch bei uns möglich? http://www.heise.de/newsticker/meldung/Beugehaft-gegen-Studenten-Britische-Justiz-will-Passwort-2253408.html

Ja, denn Beugehaft hat nichts mit der Schuldfrage zu tun. Hier gibt es eine richterliche Anordnung, gegen die der Betroffene verstößt und dafür wird er bestraft. Ob die Ermittlunge, für die der richtliche Beschluss benötigt wird später ergeben, das er im Sinne der eigentlichen Anklage unschuldig ist, ist hier völlig irrelevant.

Hallo Lena,

Es gibt das römische und das angelsächsische Recht, letzteres findet sich in England und den USA.

Grundlage beider Systeme ist die Unschuldsvermutung.

Beim angelsächsischen Recht muss sich der Angeklagte schuldig oder unschuldig bekenne, entsprechend ist der Prozessverlauf und das Strafmass etwas unterschiedlich.

Ein weiterer Unterschied ist, dass beim angelsächsischen Recht alle Einzeltaten verurteilt werden und die Gesamtstrafe durch Addition der Einzeltaten zu Stande kommt. Dadurch kann jemand zu 300 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Also bei einem Einbruchdiebstal wird jede aufgebrochene Tür bestraft, das eingeschlagene Fenster und dann noch das Entwenden des Gegenstandes.

Beim römischen Recht wird nur die schwerste Tat verurteilt, also der Einbruchdiebstahl, und es gibt eine Obergrenze der Haftzeit (meist 20 oder 25 Jahre für Lebenslang). Es gibt nur eine Staffelung des Strafmasses, wenn z.B. Türen aufgebrochen und Fenster eingeschlagen wurden.

Das ist so Grob und vereinfacht die grundsätzlich unterschiedliche Rechtsauffassung.

MfG Peter(TOO)

Aber mit der Beugehaft soll doch hier erzwungen werden das der Beschuldigte das pw zu seinem Rechner verrät. Er wird also gezwungen eine Aussage zu machen und sich u.U. damit selbst zu belasten. Das ist auch bei uns möglich??

Beugehaft kennt man auch hier.

Allerdings hat ein Beschuldigter das hier Recht zu schweigen, welches nicht durch eine Beugehaft verletzt werden darf.

Der angeführte Fall liegt aber etwas anders, da kommt eine Terrorismus-Gesetz zur Anwendung!

Das Problem ist, dass mit den Terrorismus-Gesetzen die Menschenrechte und die durch die Verfassung garantierten Grundrechte teilweise ausgehebelt werden. Diese Gesetze entsprechen, leider, mehr dem Kriegsrecht!
Die grundsätzliche frage ist aber, ob diese Gesetze überhaupt in diesem Falle angewendet werden dürfen, bzw. angemessen sind?
Teilweise, z.B. in den USA, ist es so extrem, dass wenn einer „Terrorismus“ schreit, der Beschuldigte gleich rechtlos ist! Unter dem Deckmantel der „nationalen Sicherheit“ gibt es dann keinen Rechtbeistand, Rechtsweg und ordentliche Verfahren mehr.
Eine sehr fragwürdige Entwicklung für einen Rechtsstaat und eigentlich, bezogen auf die Verfassung, gar nicht möglich. Deshalb betonen die USA auch immer, dass sie Terroristen nicht als Verbrecher sondern als feindliche Soldaten betrachten. Allerdings wären in diesem Falle die Genfer Konventionen einzuhalten.
Das Grundproblem ist, dass nicht ein ziviles Gericht die Entscheidung trifft ob es sich um einen Verbrecher oder Terroristen handelt, sondern Beamte und das Militär.

Argumentiert wird mit dem nötigen schnellen Handeln und der nötigen Geheimhaltung bei terroristischen Aktivitäten.
Nun vertragen sich aber Geheimnisse nicht wirklich mit einem Rechtsstaat, dessen Grundlagen sind ja genau Transparenz und Einsicht durch die Allgemeinheit …

MfG Peter(TOO)

1 Like

Das ist ein ganz schwieriges Thema, das man im Rahmen einer Forumsantwort nur streifen kann. Hintergrund der Problematik ist der, dass GB zwar die EuMRK unterzeichnet, diese aber nicht in nationales Recht umgesetzt hat, und insoweit die dort normierte Unschuldsvermutung keinen Eingang in nationales Recht gefunden hat, und dort auch sonst nicht ausdrücklich normiert worden ist.

Ungeachtet dessen wird sie aber grundsätzlich auch in GB beachtet. Im „law of evidence“ wird sie zwar nicht ausdrücklich beschrieben, ergibt sich aber aus der klaren Zuweisung der Beweispflicht der Anklage und dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“.

Es gibt aber Ausnahmen. So gibt es einen historischen Streit um die Frage, ob bei Tötungsdelikten im Falle des Nachweises des Taterfolges (Opfer Tod), der Beschuldigte dafür beweispflichtig sein soll, dass er in Bezug auf das Vorsatzmoment nicht (nur ungefähr vergleichbar) mit Mordabsicht gehandelt hat, sondern er lediglich für einen Todschlag zu verurteilen sei.

Ein weiterer Aspekt liegt darin, dass das Strafverfahren in GB akkusatorisch und nicht wie bei uns inquisitorisch ist. D.h. es gibt hier - wie bei uns im Zivilverfahren - einen deutlichen Parteienbetrieb, wobei beide Seiten die sie unterstützenden Beweise vorbringen, die dann vom Gericht auf Zulässigkeit und Beweiskraft hin bewertet werden. D.h. die Staatsanwaltschaft ist - im Gegensatz zu unserem System - nicht in der Pflicht, eine möglichst neutrale Position einzunehmen, und der Richter ist nicht derjenige, der selbst darauf hinwirkt, dass durch geeignete Beweismittel der tatsächliche Sachverhalt erforscht wird.

Weiterhin ist zu Berücksichtigen, dass die Staatsanwaltschaft in GB ohnehin erst zu einem ganz späten Zeitpunkt das Verfahren übernimmt. Herrin des Vorverfahrens, in dem die von den Parteien gewünschten Beweismittel benannt werden, und Anklagebehörde ist die Polizei, die wiederum eher eine einseitig anklagende Position einnimmt.

Zudem darf man auch nicht vergessen, dass aufgrund der im Vorverfahren gestellten Frage zur Schuld des Angeklagten das Hauptverfahren entfallen kann, und damit gar keine Sachverhaltsaufklärung stattfindet. Da man in GB sehr mathematisch mit der Strafzumessung umgeht, und ein Geständnis 30% bringt, ist es vielfach eine recht einfache Kalkulation für den Beschuldigten, lieber mit Geständnis eine kalkulierbare, niedrige Strafe zu kassieren, als das Risiko der Hauptverhandlung auf sich zu nehmen.

Das ist so nicht korrekt. Der Unterschied liegt einerseits in der so genannten „Gesamtstrafenbildung“ nach § 53 StGB, die wir anwenden. D.h. wenn eine Verurteilung aufgrund mehrerer Taten in Frage kommt, dann werden deren Strafmaße eben nicht addiert, sondern man bildet hieraus eine Gesamtstrafe, die sich zwischen der Strafe für die schwerwiegendste Tat und einer Summe der in Frage kommenden Einzelstrafen bewegt.

Andererseits - und da bin ich mir in Bezug auf die common law-Fraktion nicht mal bzgl. eines grundsätzlichen Unterschiedes in der gerichtlichen Praxis sicher - gibt es bei uns eine sehr umfangreiche Einstellungspraxis nach § 154 StGB. D.h. man ärgert sich im Verfahren nicht mit 1001 ggf. nur sehr schwer nachzuweisenden Kleinigkeiten rum, sondern stellt diese alle in der Erwartung vorläufig ein, dass man dem Täter einige wirklich dicke Dinger erfolgreich wird nachweisen können. Und da dann ja ohnehin wieder die Gesamtstrafenbildung einsetzen würde, hätten diesbezüglich die Kleinigkeiten dann ja nur noch einen verschwindend geringen Teil an dieser Gesamtstrafe. Kommt es dann doch nicht zu der erwarteten Verurteilung in Bezug auf die dicken Dinger, leben die Kleinigkeiten wieder auf, und können dann trotzdem noch gesondert verfolgt werden.

Beispiel: Angeblicher Mörder begeht auf der Flucht einige Straßenverkehrsgefährdungen und einen Tankbetrug. Mord wird angeklagt, der Rest vorläufig eingestellt. Kommt es zu lebenslanger Haft aufgrund des Mordes, wird der Rest endgültig eingestellt. Kommt es nicht zur Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts (Angeklagter ist einfach aus Angst vor der Polizei aufgrund eines früher begangenen Einbruchdiebstahls geflohen), leben die beiden anderen Sachen wieder auf, und kommt natürlich der Einbruchdiebstahl noch dazu.

BTW: Ob Gesamtstrafenbildung oder Aufsummierung macht in der Praxis nicht ganz so viel Unterschied, wie man vermuten möchte, da beide Systeme Wege kennen, Leute vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Bei Gesamtstrafenbildung ist der „Rabatt“ dann eben kleiner als bei der vorherigen Addition.

1 Like